Die Sortierer aus Berlin

Start-up Hellomed – Blisterservice abseits von Pflegeheimen

Berlin - 28.08.2023, 07:00 Uhr

Die Gründer von Hellomed (vl) Felix Morawski, Enrico Bernardo, Tim Bogdan. (Foto: Hellomed)

Die Gründer von Hellomed (vl) Felix Morawski, Enrico Bernardo, Tim Bogdan. (Foto: Hellomed)


Das Berliner Start-up Hellomed ermöglicht chronisch kranken Patienten die digitale Bestellung und Belieferung von verblisterten Medikamenten. Derzeit läuft der Service einzig über die Berliner Kreuzberg Apotheke, die auch über eine Versandhandelslizenz verfügt. Doch die Gründer erwägen, die App inklusive der dahinter stehenden Logistik künftig auch anderen Apotheken zugänglich zu machen.  

Die patientenindividuelle Verblisterung ist ein Markt, der wegen unzureichender Digitalisierung ambulanten Patienten bislang nicht zugänglich gemacht wurde – so die Erfahrung des Apothekers Felix Morawski (36), des IT- & Digital Marketing Experten Enrico Bernardo (35) sowie des E-Health-Fachmanns Tim Bogdan (34). Als sich die Drei vor etwa einem dreiviertel Jahr überlegten, wie sie zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen können, fiel ihnen auf, dass es zwar Verblisterungsservices für Pflegeheime gibt, aber nur wenige Apotheken diesen Dienst für Patienten anbieten, die nicht in Pflegeheimen oder von Pflegediensten betreut werden – und wenn, dann meist nur für ihre Kunden vor Ort. Auch bei großen Versendern ist dieser Service in der Regel nicht zu haben.

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Beim Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV) führt man die Zurückhaltung der Apotheken vor allem darauf zurück, dass der Service von den Krankenkassen meist nicht vergütet wird. Nach einem Bericht des Handelsblatts müssten Patienten oder Pflegeeinrichtungen die Kosten selbst tragen. 

Chroniker digital erreichen

Morawski, Bernardo und Bogdan haben sich vorgenommen, diese Lücke zu schließen. Sie gründeten das Berliner Start-up Hellomed, welches nach den Worten Bernardos eine „digitale End-to-End Verbindung“ zwischen nicht in Pflegeheimen oder von Pflegediensten betreuten Chronikern und Apotheken herstellt und die Patienten mit individuell verblisterter Ware beliefert. 

Nachdem die Kunden über eine App ihre Bestellung aufgegeben haben, werden die Arzneimittel bei den Blisterpartnern, mit denen Hellomed zusammenarbeitet, automatisiert sortiert und abgepackt. Im weiteren Verlauf des Prozesses werden die fertigen Produkte an die Berliner Kreuzberg Apotheke geschickt, deren Inhaber Hellomed-Mitgründer Morawski ist. Die Apotheke verfügt über eine Versandhandelslizenz und leitet die verpackten Medikamente alle zwei bis vier Wochen an die Patienten weiter. Die nötigen Rezepte können diese per App, per Post oder als E-Rezept übermitteln.

Mit Blistern gegen Fehlmedikationen

Auf diese Weise will das Start-up nicht nur die zeitaufwändige und fehleranfällige Sortierung von Pillen per Hand und das oft anspruchsvolle Medikations- und Rezeptmanagement einfacher gestalten. Außerdem können so nach Meinung der Hellomed-Macher die Therapietreue gesteigert und Fehlmedikationen vermieden werden.

In dem Zusammenhang verweist das Handelsblatt auf Studien, wonach in Deutschland bis zu 250.000 Krankenhauseinweisungen jährlich auf Fehlmedikationen zurückzuführen seien. Geschätzt werde, dass zudem pro Jahr zwischen 16.000 und 25.000 Todesfälle in Zusammenhang mit Wechselwirkungen von parallel eingenommenen Medikamenten stehen. Betroffen seien vor allem ältere Menschen: Laut Bundesgesundheitsministerium nehmen 30 bis 40 Prozent der Menschen, die über 65 Jahre alt sind, täglich mindestens vier Arzneimittel ein.

An dieser Stelle weist der BPAV darauf hin, dass sich die Verblisterung bei der Medikamentengabe über die Jahre als zuverlässige und sichere Versorgungsform etabliert habe.

Bis zu sechs Millionen potenzielle Kunden

Bernardo sieht für das Geschäftsmodell von Hellomed einen großen Markt. Bundesweit gebe es rund 20 Millionen Chroniker. Wenngleich ein erheblicher Teil davon über Heime mit Medikamenten versorgt wird, schätzt der Unternehmer den für ihren Bereich relevanten Anteil auf fünf bis sechs Millionen ambulante Chroniker in Selbstversorgung. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind es deutlich über eine Million Patienten, die regelmäßig mit verblisterten Arzneimitteln versorgt werden, und das bei einer viel geringeren Gesamtbevölkerung.

Wie solch ein Geschäft funktionieren kann, zeigen Vorbilder jenseits der Grenzen, so in den Niederlanden, Frankreich oder in den USA, wo das 2018 vom Onlinehändler Amazon übernommene Unternehmen PillPack -  heute Amazon Pharmacy – Verblisterungen anbietet.

Kundenstamm wächst

Im Vergleich dazu steckt die Unternehmung Hellomed noch in der Aufbauphase. Derzeit läuft das Geschäft ausschließlich über die Kreuzberg Apotheke. Immerhin, einige hundert Kunden haben die drei Gründer in den vergangenen Monaten bereits gewonnen, täglich kommen neue Anmeldungen hinzu. Die meisten beziehen ihre sortierten Arzneimittel vor Ort über die Apotheke. Es gebe aber auch bundesweit Kunden, an die die Produkte versendet würden.

Bernardo gibt sich trotz der Anfangserfolge zurückhaltend: „Wir sind voller Demut. Jeden Tag lernen wir dazu, welche Probleme die Patienten und Apotheken umtreiben, um diese dann bestmöglich digital zu lösen.“ Er und seine Mitstreiter wollen verstehen, wie der Markt im Detail funktioniert. Die Herausforderungen lägen in den Mikroprozessen. Die zu zerlegen und durch die hauseigene Software einfacher abzubilden als auf nicht digitale Weise, daran arbeiten sie. Und es gibt Dinge, die sie aktuell noch nicht anbieten können - den Kühlversand zum Beispiel.

Ab Oktober kostenpflichtig

In der bisherigen sechsmonatigen Testphase haben die Hellomed-Macher den Verblisterungsservice kostenlos angeboten, für die Kunden entstanden also keine Mehrkosten. Damit soll ab Oktober Schluss sein. „Wir werden dann fünf bis sieben Euro pro Kunde und Monat verlangen“, so Bernardo. Zum Vergleich: Die Hamburger Adler Apotheke wirbt für ihre örtlichen Kunden mit einem „PillPack“-Service für monatlich 9,90 Euro. Sofern eine Lieferung nach Hause gewünscht wird, kostet das zusätzlich 5,50 Euro.

Noch bewegt sich das Berliner Start-up in einem bescheidenen finanziellen Rahmen. Die bisherigen Investitionen im niedrigen siebenstelligen Bereich haben die drei Eigentümer zum erheblichen Teil selbst gestemmt, fremde Investoren sind bislang nur zu einem kleinen Teil an dem Unternehmen beteiligt.

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Trotz ihrer jungen Unternehmung stehen die Hellomed-Gründer bereits vor der Entscheidung, welche Richtung sie künftig einschlagen sollen. Apotheken aus der ganzen Republik fragen bei ihnen an, ob sie ebenfalls den digitalen Verblisterungsservice und die Software nutzen können. Damit würde sich das Start-up zu einem Systemhaus entwickeln, das den Apotheken die entsprechenden digitalen Tools anbietet und die logistische Umsetzung der Aufträge übernimmt.

Der Entscheidungsprozess ist noch offen, doch Bernardo deutet an, Ende des Jahres Hellomed möglicherweise für weitere Apotheken in Deutschland öffnen zu wollen. Und fügt hinzu: „Unser Ziel ist es, das Thema Verblisterung zu digitalisieren, um so die Patientenversorgung auf ein neues Level zu heben“.


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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