Die Blaue Hand – Teil 8

FDA: Keine Ketamin-Nasensprays für die häusliche Anwendung herstellen!

Stuttgart - 24.10.2023, 09:15 Uhr

Ketamin in Tabletten-Form? Neben Rezeptur-Nasensprays aus der Apotheke warnt die US-amerikanische Arzneimittelbehörde auch vor oralem Ketamin für die Einnahme zu Hause. (Symbolbild: luchschenF / AdobeStock)

Ketamin in Tabletten-Form? Neben Rezeptur-Nasensprays aus der Apotheke warnt die US-amerikanische Arzneimittelbehörde auch vor oralem Ketamin für die Einnahme zu Hause. (Symbolbild: luchschenF / AdobeStock)


„Wundermittel Ketamin?“ – solche Schlagzeilen waren nicht nur in der DAZ in den vergangenen Jahren immer wieder zu lesen. Kein Wunder also, dass auch potenzielle Patient:innen mit Depressionen auf das aus der Anästhesie stammende Arzneimittel aufmerksam werden. Offenbar haben sich die Wirkungen von Ketamin mittlerweile so weit herumgesprochen, dass die Arzneimittelbehörde FDA in den USA nun vor der illegalen Selbstanwendung von Ketamin warnt.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt bereits seit Februar 2022 vor der illegalen Anwendung von Ketamin-Präparaten im häuslichen Umfeld bei psychiatrischen Störungen. „Der FDA ist bekannt, dass einige Apotheken Ketamin-Nasensprays entweder allein oder in Kombination mit anderen Inhaltsstoffen herstellen“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung. In den letzten Jahren habe es in der Folge eine besorgniserregende Anzahl von Berichten über Nebenwirkungen gegeben.

Grundsätzlich liegt der Gedanke nicht fern, Ketamin in psychiatrischen Indikationen als Nasenspray einzusetzen. Denn Ketamin ist ein racemisches Gemisch aus R- und S-Ketamin, und das S-Enantiomer Esketamin ist sowohl in den USA als auch in Europa als Nasenspray unter dem Handelsnamen Spravato® für die Behandlung von Depressionen zugelassen – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen wie einer ärztlichen Aufsicht. Doch die FDA gibt zu bedenken, dass es zwischen Ketamin und Esketamin durchaus Unterschiede gibt: In Tierstudien soll racemisches Ketamin bei Nagern zu Hirnschädigungen geführt haben. Auch wenn nicht klar ist, ob sich diese Erkenntnis auf den Menschen übertragen lässt, so soll es unter Esketamin bislang keine entsprechenden Beobachtungen geben. Außerdem weist die FDA darauf hin, dass die nicht zugelassenen Ketamin-Nasensprays teils höher dosiert und häufiger verwendet werden als Spravato® [1].

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Ketamin selbst stammt ursprünglich aus der Anästhesie und wird dort als Injektion angewendet. Bei den entsprechenden Präparaten verweist die FDA auf Risiken wie hämodynamische Instabilität, Halluzinationen, Delirium, Atemdepression und arzneimittelinduzierte Leberschäden [1]. Doch seit dem 10. Oktober warnt die FDA erneut vor Ketamin-Präparaten zur Selbstanwendung – dieses Mal auch in oralen Formulierungen. Die FDA erklärt, dass der Bezug solcher Präparate über Telemedizin-Plattformen für zu Hause für einige Patient:innen attraktiv erscheint, jedoch bedarf es bei der Anwendung von Ketamin mindestens genauso wie für die Anwendung des zugelassenen Esketamin-Nasensprays medizinischer Überwachung. Beispielsweise im April 2023 sei der FDA über einen Patienten berichtet worden, der außerhalb einer medizinischen Einrichtung Ketamin oral eingenommen und eine Atemdepression erlitten hatte. Er wollte damit offenbar eine posttraumatische Belastungsstörung behandeln. Sein Ketamin-Blutspiegel soll schließlich doppelt so hoch gewesen sein, wie es sonst in der Anästhesie üblich ist [2].

Auch im deutschen DAC/NRF (Deutscher Arzneimittel-Codex/Neues Rezeptur Formularium) findet sich eine Rezepturformel für ein Ketamin-Nasenspray. Allerdings ist es zur Anwendung bei postoperativen Schmerzen gedacht und es wird darauf hingewiesen, dass ein Esketamin-Nasenspray zur Behandlung schwerer therapieresistenter Depressionen regulär zugelassen ist [3].

Blaue Hand – Schulungsmaterial zu Esketamin

Auch beim zugelassenen Spravato® gilt es einiges zu beachten, das zeigen die deutschen behördlich genehmigten Schulungsmaterialien zu Esketamin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Demnach müssen Patient:innen nach der Anwendung von Esketamin-Nasenspray von medizinischem Fachpersonal überwacht werden und der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin sind dafür verantwortlich zu entscheiden, ob und wann die Nachbeobachtung beendet werden kann – dazu wird eine Checkliste mit dem Symbol der „Blauen Hand“ zur Verfügung gestellt. Wenn die Patient:innen:

  • keine Anzeichen einer Dissoziation oder Wahrnehmungsstörung aufweisen,
  • sie vollständig wach sind und auf Reize reagieren (keine Sedierung),
  • der Blutdruck in einem akzeptablen Bereich liegt und
  • auch andere Nebenwirkungen abgeklungen sind

darf die Nachbeobachtung beendet werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Patient:innen „bis zum folgenden Tag nach einem erholsamen Schlaf“ nicht Auto fahren und keine Maschinen bedienen.

Vier spezifische Esketamin-Risiken

Zudem informiert ein Leitfaden für Heilberufe unter anderem über die wichtigsten vier spezifischen Risiken von Esketamin-Nasenspray:

  • vorübergehende dissoziative Zustände und Wahrnehmungsstörungen
  • Bewusstseinsstörungen
  • erhöhter Blutdruck
  • Arzneimittelmissbrauch

Bei Patient:innen mit klinisch signifikanten oder instabilen kardiovaskulären Erkrankungen oder Atemwegserkrankungen bedarf es einer besonderen Risikoabwägung. Außerdem heißt es analog zu den aktuellen Hinweisen aus den USA auch im deutschen Schulungsmaterial:

„Das Nasenspray wird vom Patienten selbst unter direkter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal in einer medizinischen Einrichtung angewendet. Der Patient darf das Arzneimittel nicht alleine zu Hause anwenden. Die Sprühflasche darf dem Patienten nicht mitgegeben werden.

Für die Anwendung selbst gilt es zu beachten, dass 

  • zwei Stunden vorher nichts mehr gegessen werden,
  • mindestens 30 Minuten vorher nichts mehr getrunken und
  • eine Stunde vorher kein anderes Arzneimittel in die Nase gesprüht

werden darf. Ein gesonderter Leitfaden, der auch die genaue Anwendung von Spravato® beschreibt, kann Patient:innen ausgehändigt werden.

Ketamin- und Esketamin-Missbrauch erkennen

Zum Thema Arzneimittelmissbrauch heißt es im Esketamin-Leitfaden für die Heilberufe: „Bei Ketamin, der racemischen Mischung aus Arketamin und Esketamin, besteht ein bekanntes Potenzial für den Missbrauch als Freizeitdroge. Spravato® enthält Esketamin, aus den klinischen Studien liegen jedoch keine Berichte über arzneimittelsüchtiges Verhalten (z. B. Bitten um Dosierungsänderungen und/oder Entwendung von Nasensprays) vor. Ebenso wenig gab es Hinweise auf eine Entzugssymptomatik nach Beendigung der Therapie mit Esketamin Nasenspray.“ Weiter heißt es, dass das Vorliegen einer interstitiellen Zystitis ein Hinweis darauf sein könne, dass Ketamin als Freizeitdroge missbraucht wird [4]. Die Interstitielle Zystitis ist eine nichtinfektiöse chronische Harnblasenerkrankung, die mit Schmerzen, häufigem Wasserlassen und Harndrang einhergeht [5].

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Wie kommt die Apotheke mit Spravato in Kontakt?

Ein Auszug aus der Lauer-Taxe erklärt, dass Spravato ein Arzneimittel in der kontrollierten Distribution ist, also nur beim Pharmazeutischen Unternehmer direkt bestellt werden kann und nicht über den Großhandel. Außerdem gilt es zu beachten: 

„Bei Arzneimitteln, die den Wirkstoff Esketamin enthalten und die zur intranasalen Anwendung bestimmt sind, ist gemäß § 2 Absatz 3a AMVV auf der Verschreibung durch die verschreibende Person zu vermerken, dass das Arzneimittel nicht an die Patientin oder den Patienten, sondern nur an die Arztpraxis oder die Klinik, der die verschreibende Person angehört, abgegeben werden darf. Fehlt auf der Verschreibung dieser Vermerk, so kann der Apotheker oder die Apothekerin die Verschreibung um diese Angaben ergänzen, wenn nach den für ihn oder sie erkennbaren Umständen ein dringender Fall vorliegt und eine Rücksprache mit der verschreibenden Person nicht mit zumutbarem Aufwand möglich ist.“ [6]

Literatur 

[1] Mitteilung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. FDA alerts health care professionals of potential risks associated with compounded ketamine nasal spray. 16. Februar 2022, www.fda.gov/drugs/human-drug-compounding/fda-alerts-health-care-professionals-potential-risks-associated-compounded-ketamine-nasal-spray

[2] Mitteilung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. FDA warns patients and health care providers about potential risks associated with compounded ketamine products, including oral formulations, for the treatment of psychiatric disorders. 10. Oktoner 2023, www.fda.gov/drugs/human-drug-compounding/fda-warns-patients-and-health-care-providers-about-potential-risks-associated-compounded-ketamine

[3] Eintrag im DAC/NRF (Deutscher Arzneimittel-Codex/Neues Rezeptur Formularium) zu Ketaminhydrochlorid. Stand: 13.12.2022, dacnrf.pharmazeutische-zeitung.de/dac/nrf-wissen/rezepturhinweise/apo/einzelansicht/1091

[4] Risikoinformationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – Schulungsmaterial zu Esketamin. Stand: September 2022, www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Risikoinformationen/Schulungsmaterial/_functions/Schulungsmaterial_Formular.html?wirkstoffPrefix=listWirkstoffE

[5] S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Cystitis (IC/BPS). Stand 15.09.2018, gültig bis 15.09.2023 (in Überarbeitung), register.awmf.org/de/leitlinien/detail/043-050

[6] Lauer-Taxe-Eintrag zu Spravato®: Basis-Info, Gesetzliche Vorgaben, Abruf am 19.10.2023


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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