Zwei aktive und ein passiver Impfstoff

Was hat sich bei den RSV-Impfstoffen getan?

Stuttgart - 02.01.2024, 10:45 Uhr

Säuglinge und Kleinkinder können schwer an RSV erkranken, (Blanscape/AdobeStock)

Säuglinge und Kleinkinder können schwer an RSV erkranken, (Blanscape/AdobeStock)


Überfüllte Kinderkliniken, Babys mit Sauerstoffmasken, verzweifelte Eltern: Die RSV-Infektionswelle bei Kleinkindern und Säuglingen im vergangenen Winter ist bei vielen Betroffenen noch in schlechter Erinnerung. Damals gab es lediglich für Kinder mit erhöhtem Risiko für eine schwere RSV-Infektion eine passive Immunisierung. Das hat sich 2023 geändert: In Deutschland stehen zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Kindern und älteren Personen mit Arexvy®,Abrysvo® und Beyfortus zwei neue aktive und ein neuer passiver Impfstoff zur Verfügung.

Sie hat wieder begonnen: Die Saison des respiratorischen Synzytialvirus (RSV), die sich in Mitteleuropa im Zeitraum von November bis April erstreckt. Dabei können die Infektionen vom Säugling bis zum Urgroßvater jeden treffen. Während ältere Kinder und Erwachsene meist nur leichte Erkältungssymptome entwickeln, drohen insbesondere bei Kindern unter zwei Jahren und bei älteren Menschen schwere Verläufe mit teils lebensbedrohlichen Komplikationen. Bis zum zweiten Lebensjahr haben etwa 90% aller Kinder eine RSV-Infektion durchlebt. Pro Jahr erkranken über zwei Millionen ältere Menschen in der EU an einer RSV-Infektion, 17.000 versterben davon. Besonders groß ist das Risiko für schwere Verläufe, wenn Begleiterkrankungen des Herzens oder der Lunge, Diabetes mellitus oder ein geschwächtes Immunsystem vorliegen (s. DAZ 4, S. 60).

RSV-Prävention ist nötig

Bisher existiert keine wirksame kausale Therapie. Die Behandlung erfolgt symptomatisch und beinhaltet eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr sowie das Freihalten des Nasen-Rachenbereichs durch Kochsalz-Nasenspülungen und Tropfen. In schweren Erkrankungsfällen können Intubation und Beatmung notwendig werden.

Aufgrund der begrenzten Therapiemöglichkeiten kommt der Prävention eine besondere Bedeutung zu. Für pädiatrische Risikopatienten stand bisher lediglich der monoklonale Antikörper Palivizumab (Synagis®, AstraZeneca) zur passiven Immunisierung zur Verfügung. Palivizumab richtet sich gegen das Fusionsprotein des RS-Virus und ist während der RSV-Saison monatlich intramuskulär zu applizieren. Alternativen und Immunisierungen für ältere Personen gab es bisher keine. In 2023 hat sich viel getan: So stehen Ende des Jahres insgesamt drei neue Präparate zur Prävention schwerer RSV-Infektion für Erwachsene und Kinder in Deutschland zur Verfügung.

Aktive Immunisierung, die erste

Bereits im April 2023 hatte sich der Ausschuss der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für die Zulassung des von GlaxoSmithKline ent­wickelten aktiven Impfstoffs Arexvy® ausgesprochen. Die endgültige Zulassung der Vakzine zur Prävention von RSV-Infektionen erteilte dann die Europäische Kommission am 6. Mai 2023 (s. DAZ 24, S. 27). Anfang August folgte die Markteinführung. Als Antigen wird eine in Ovarialzellen des chinesischen Hamsters erzeugte veränderte Version des Oberflächenproteins RSVPreF3 genutzt, das für die Fusion des RS-Virus mit der Wirtszelle unerlässlich ist. Um die Effektivität des Impfstoffs zu optimieren, liegt das Fusionsprotein in einer stabilisierten Präfusionskonformation vor. Das beigesetzte Adjuvans AS01E erleichtert die Rekrutierung von antigenpräsentierenden Zellen (s. DAZ 44, S. 34). Nach der Impfung konnten bei den Probanden RSVPreF3-spezifische CD4-positive T-Zellen nachgewiesen werden. Die entstehenden, gegen RSVPreF3 gerichteten Antikörper verhindern die Fusion des RS-Virus mit den menschlichen Wirtszellen und unterbinden damit deren Infektion.

GlaxoSmithKline

Sehr gute Wirksamkeit

In den Zulassungsstudien konnte Arexvy® überzeugen. In der Beobachter-verblindeten Phase-III-Studie erhielten mehr als 25.000 Probanden 1 : 1-randomisiert entweder eine einmalige Impfung mit dem Verum oder Placebo. Nach median 6,7 Monaten Nachbeobachtungszeit zeigte sich, dass in der Prüfgruppe (n = 12.467) sieben Teilnehmer an einer RSV-Infektion erkrankt waren, in der Placebogruppe (n = 12.499) waren es 40 Teilnehmer. Dies entspricht einer Wirksamkeit der Vakzine gegen eine RSV-Infektion von 82,6% (95%-Konfidenzintervall [KI] = 57,9 bis 94,1). Eine schwere, mit RSV verbundene Erkrankung der unteren Atemwege konnte mit einer Wirksamkeit von 94,1% verhindert werden (95%-KI = 62,4 bis 99,9) (s. DAZ 9, S. 30). Die Vakzine erwies sich als gut verträglich, am häufigsten wurde über Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgie, Arthralgie und Reaktionen an der Impfstelle berichtet. Der Impfstoff ist für Personen ab 60 Jahren zugelassen und wird einmalig vor der RSV-Saison injiziert. Ob eine Auffrischungsimpfung notwendig ist, muss noch untersucht werden. Ebenso ist (noch) unklar, ob Arexvy® auch während der späten Schwangerschaft zum Schutz des Säuglings eingesetzt werden kann. Möglicherweise ist das Risiko für Frühgeburten erhöht. Zumindest war dies in einer placebokontrollierten Studie mit einem anderen nicht adjuvantierten RSVPreF3-Impfstoffkandidaten der Firma GlaxoSmithKline der Fall, die daraufhin abgebrochen wurde (s. DAZ 34, S. 31).

Maternale RSV-Impfung schützt Neugeborenes

Als zweiter Impfstoff im Bunde wurde in diesem Jahr Abrysvo® von Pfizer zugelassen zur aktiven Immunisierung von Personen ab 60 Jahren sowie zum passiven Schutz von Säuglingen. Für Letzteres werden Schwangere zwischen der 24. und 36. Schwangerschaftswoche immunisiert. Das Konzept der maternalen Impfung ist insofern interessant, als die Mütter durch die Impfung neutralisierende Antikörper bilden, die die Plazenta passieren und dem Säugling bis zum sechsten Lebensmonat Nestschutz bieten. Als bivalenter Subunit-Impfstoff besteht Abrysvo® aus zwei rekombinanten RSV-Fusionsoberflächen-Glykoproteinen, die nach der Immunisierung sowohl vor Infektionen mit RSV-A- als auch RSV-B-Stämmen schützen sollen (s. DAZ 30, S. 23). Die Vakzine wurde in zwei randomisierten kontrollierten Studien getestet. In der ersten Studie erhielten 3655 Schwangere zwischen der 24. und 36. Schwangerschafts­woche Abrysvo®, 3697 Schwangere erhielten im gleichen Zeitraum ein Placebo. Es zeigte sich, dass die Säuglinge der Mütter, die in der Verumgruppe waren, bis zu 180 Tage vor (schweren) RSV-bedingten Erkrankungen der unteren Atemwege geschützt waren. Die zweite Studie untersuchte die Vakzine an 18.488 Erwachsenen über 60 Jahren, 18.479 erhielten in der Kontrollgruppe ein Placebo. Auch hier konnte die Anzahl an RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege in der Vakzin-Gruppe signifikant reduziert werden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Schmerzen an der Impfstelle, Kopf- und Muskelschmerzen. Nachdem die Vakzine am 23. August durch die Europäische Kommission zugelassen worden war, ist Abrysvo® seit Oktober in Deutschland erhältlich.

Pfizer
Sanofi

Und die Erstattung?

Auch wenn Deutschland nun drei neue Optionen zur Prävention von schweren RSV-Erkrankungen zur Verfügung stehen, steht die offizielle Empfehlung der Ständigen Impfkommission STIKO noch aus. Um diese Lücke zu füllen, haben Anfang November insgesamt elf medizinische Fachgesellschaften und Institutionen über 60-Jährige – aber auch Menschen jeden Alters mit Vor­erkrankungen nach individueller Beratung – aufgerufen, sich gegen das respiratorische Synzytialvirus impfen zu lassen (s. DAZ 45, S. 33). Die Sächsische Impfkommission SIKO hingegen hat sich lediglich für die RSV-Impfung von Schwangeren ausgesprochen. Als Begründung gibt sie an, dass die RSV-bedingten Krankheitslasten und Hospitalisierungen mit RSV-Infektionen in den ersten zwei Lebensjahren signifikant höher (> 30-fach) sind als bei den Altersgruppen ab 60 Jahren (s. DAZ.online-Meldung vom 14. November 2023). Auch die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), die für die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) unabdinglich ist, steht noch aus. Die Kostenübernahme liegt derzeit im Ermessen der einzelnen Krankenkassen. Patienten, die sich entscheiden, sich oder ihr Kind zu schützen, müssen bei Immunisierungen mit Arexvy® bzw. Abrysvo® mit Kosten von etwas mehr als 200 Euro pro Impfung rechnen. Der Passivimpfstoff Beyfortus® schlägt mit 1350 Euro pro Injektion zu Buche, was eine erhebliche Belastung für viele Familien darstellen dürfte. Lediglich Versicherte der Techniker Krankenkasse konnten aufatmen. Die Krankenkasse übernimmt seit Anfang Oktober die Kosten für Beyfortus® für Säuglinge, die einer Risikogruppe angehören. Dazu gehören Frühgeborene bis zum voll­endeten sechsten Lebensmonat sowie Säug­linge mit einer Immunschwäche oder einer Herz- bzw. Lungenerkrankung. Für Letztere sollen die Kosten bis zum vollendeten zwölften Lebens­monat übernommen werden (s. DAZ 44, S. 34).

Mit mRNA gegen RSV

Auch die seit der Corona-Pandemie bekannte Technologie der mRNA-Impfstoffe wird bei der Bekämpfung von RSV-Infektionen erprobt. So hat im Juli das Unternehmen Moderna bekannt gegeben, einen Zulassungsantrag für seinen mRNA-Impfstoff mRNA-1345 zur Prävention von RSV-Erkrankungen bei Erwachsenen über 60 Jahren bei den zuständigen Behörden in Europa, der Schweiz und Australien gestellt zu haben. Und auch bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) unterliegt die mRNA-Vakzine aktuell der Überprüfung (s. DAZ-online-Meldung vom 6. Juli 2023).

(Foto: Dr. Microbe/AdobeStock)

Anfang November hat der G-BA den Therapiehinweis, der die Kostenübernahme von Arzneimitteln durch die GKV in Form einer verpflichtenden Regelleistung definiert, neu gefasst. Demnach sollen die Krankenkassen die Kosten von Nirsevimab bei Kindern mit hohem Risiko für schwere Infektionsverläufe im Alter von ≤ 12 Lebensmonaten übernehmen,

  • die wegen bronchopulmonaler Dysplasie begleitende therapeutische Maßnahmen innerhalb der letzten sechs Monate vor Beginn der RSV-Saison benötigten,
  • die unter hämodynamisch relevanten Herzfehlern leiden oder
  • die eine Trisomie 21 haben.

Aber auch für Kinder im Alter von ≤ 6 Monaten, die als Frühgeborene geboren wurden, empfiehlt der G-BA die Kostenübernahme. Bevor das allerdings der Fall ist, muss die Neu­fassung des Therapiehinweises vom Bundesministerium für Gesundheit zunächst geprüft werden. In Kraft tritt sie mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger (s. DAZ 45, S. 16).


Marina Buchheit-Gusmão, Apothekerin
redaktion@daz.online


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