Crovalimab und Iptacopan

Zwei neue Wirkstoffe gegen paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

Stuttgart - 04.01.2024, 07:00 Uhr

Hämolytische Anämie, Zytopenie und eine erhöhte Thromboseneigung sind gefährliche Auswirkungen der PNH. (Foto: flashmovie / AdobeStock)

Hämolytische Anämie, Zytopenie und eine erhöhte Thromboseneigung sind gefährliche Auswirkungen der PNH. (Foto: flashmovie / AdobeStock)


Bei der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie kommt es bedingt durch eine Mutation zum Angriff und der Zerstörung körpereigener Blutzellen nach einer Reaktion des Komplementsystems. Zur Therapie dieser zwar seltenen, aber unbehandelt die Lebenserwartung stark verkürzenden Erkrankung stehen nur wenige Optionen zur Verfügung. Für zwei weitere Wirkstoffe liegen jedoch bereits vielversprechende Daten aus Phase-III-Studien vor.

Bei der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) sind die multipotenten hämatopoetischen (also die Blutzellen bildenden) Stammzellen von einer somatischen (d.h. erworbenen, nicht ererbten) Mutation betroffen. Verändert ist hierbei das Phosphatidyl-Inositol-Glykan(PIG)-A-Gen auf dem X-Chromosom. Dieses Gen kodiert für die katalytische Untereinheit der Phosphatidylinositol-N-Acetylglucosaminyl-Transferase. Hierbei handelt es sich um ein Enzym, welches an der Biosynthese des Glykosylphosphatidylinositol-Ankerproteins beteiligt ist. An diesem Protein verankern sich im gesunden Zustand bestimmte Oberflächenproteine, die ihrerseits das Komplementsystem hemmen und damit Blutzellen vor einer Komplementreaktion schützen.

Bei Mutationen des PIG-A-Gens entfällt diese Schutzwirkung und es kann zur Aktivierung des Komplementsystems und der nachfolgenden Lyse von Erythrozyten kommen. Hierbei werden Bestandteile des Zellinhaltes wie Hämoglobin in die Blutbahn freigesetzt, was wiederum das Thromboserisiko steigert. Es kommt somit zu einer hämolytischen Anämie (niedrige Zahl roter Blutkörperchen), Thrombophilie (Thromboseneigung) und Zytopenie (niedrige Blutzellzahl).

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Die Inzidenz der Erkrankung liegt bei ca. 1:100.000 bis 1:500.000 pro Jahr. Die Behandlung umfasst Erythrozytenkonzentrat, Vitamin B12 und Eisen. Bei Bedarf werden Antibiotika, Analgetika, Steroide und Antikoagulantien eingesetzt. Kurativ kann eine Knochenmark-Transplantation versucht werden, die allerdings mit hohen Risiken behaftet ist. Weiterhin stehen Eculizumab, Ravulizumab und Pegcetacoplan als Therapieoptionen zur Verfügung. Unbehandelt senkt die Erkrankung die Lebenserwartung drastisch und auch mit den verfügbaren Optionen lassen sich nicht alle Betroffenen zufriedenstellend behandeln [1,2]. Jedoch gibt es positive Daten zu zwei weiteren Wirkstoffen, die in den USA bereits zugelassen bzw. im Zulassungsprozess befindlich sind.

Iptacopan: Faktor B hemmen, Komplementsystem bremsen

Seit Anfang Dezember 2023 ist in den USA ein neues Arzneimittel für erwachsene PNH-Patient:innen zugelassen: Iptacopan (Fabhalta®, Novartis). Der oral anzuwendende Wirkstoff inhibiert selektiv, kompetitiv sowie reversibel den Faktor B. Dieser spielt bei der Aktivierung des Komplementsystems über einen von drei möglichen Wegen – dem sogenannten alternativen Weg, der üblicherweise nach Kontakt mit Mikroben aktiviert wird – eine Rolle. Die Zulassung basiert auf der Phase-III-Studie APPLY-PNH, in die 97 Erwachsene mit unter PNH bestehender Restanämie (Hb-Wert < 10 g/dL) trotz vorausgegangener Behandlung mit einem gegen den Komplementfaktor C5 gerichteten Antikörper (Eculizumab, Ravulizumab) eingeschlossen wurden.

In dieser randomisierten Studie erreichten Proband:innen, die von einer Anti-C5-Therapie auf zweimal täglich 200 mg Iptacopan umgestellt wurden, nach 24 Wochen häufiger einen Anstieg ihres Hämoglobin-Spiegels um ≥ 2 g/dL (82,3 % vs. 0 %) sowie einen Hämoglobinspiegel ≥ 12 g/dL (67,7 % vs. 0 %) als Teilnehmende, die ihre Anti-C5-Therapie fortführten. Die Rate der Teilnehmenden, die Bluttransfusionen vermeiden konnten, betrug 95,2 % in der Iptacopan-Gruppe und 45,7 % in der Anti-C5-Gruppe [3]. 

Eine Verlängerung der Studie um weitere 24 Wochen, mit der Option für Teilnehmende aus der Anti-C5-Gruppe in die Iptacopan-Gruppe zu wechseln, bestätigte, dass die Proband:innen auch nach 48 Wochen von den verbesserten Hämoglobin-Werten sowie einer verminderten Fatigue-Symptomatik profitierten [4]. Ergänzend zeigte die ebenfalls über einen Zeitraum von 24 Wochen durchgeführte Studie APPOINT-PNH, dass auch nicht mit C5-Antikörpern vorbehandelte Personen ihre Hämoglobinspiegel steigern konnten [3]. 

Vorsicht vor schweren bakteriellen Infektionen

Als häufigste Nebenwirkungen führt die US-amerikanische Produktinformation Kopfschmerzen, Nasopharyngitis, Diarrhö, Bauchschmerzen, bakterielle und virale Infektionen, Schwindel und Hautausschlag auf. Ein besonderes Augenmerk gilt hierbei Infektionen durch Bakterienarten mit einer Kapsel. Für mit Iptacopan Behandelte besteht ein erhöhtes Risiko einer schwerwiegenden Infektion. Ein Abschließen von entsprechenden Impfserien bzw. ein Auffrischen der Impfungen vor Therapiebeginn wird in der Produktinformation daher ausdrücklich angeraten [5].

Iptacopan wird derzeit für eine Reihe weiterer Komplement-vermittelter Erkrankungen untersucht. Phase-III-Studien laufen für die Immunglobulin A-Nephropathie, die Komplement-3-Glomerulopathie, die Immunkomplex-vermittelte membranoproliferative Glomerulonephritis und das atypische hämolytisch-urämische Syndrom. Eine EMA-Zulassung hat der Wirkstoff derzeit nicht, jedoch hat er unter anderem in der Indikation PNH hier den Orphan-Drug-Status erhalten [4].

Crovalimab: längere Halbwertszeit dank Recycling

Roche arbeitet unterdessen an einem weiteren Antikörper gegen den Komplementfaktor C5: Crovalimab. Diesen untersucht Roche aktuell in den beiden Phase-III-Studien COMMODORE 1 und 2, zu denen erste Auswertungen im Rahmen der 65. Jahrestagung der American Society of Hematology 2023 präsentiert wurden. Beide Studien vergleichen Crovalimab mit dem bereits zugelassenen C5-Antikörper Eculizumab, wobei in COMMODORE 1 mit C5-Hemmern vorbehandelte und in COMMODORE 2 nicht vorbehandelte Patient:innen eingeschlossen wurden [6,7].

Die Sicherheit der Therapie stand in COMMODORE 1 im Vordergrund. Zwar traten hier in der Crovalimab-Gruppe insgesamt mehr unerwünschte Ereignisse und auch mehr schwerwiegende unerwünschte Ereignisse auf, von letzteren sei jedoch keines auf den Antikörper zurückzuführen und es habe auch keine UAW-bedingten Therapieabbrüche gegeben, so die Studienautoren [6]. COMMODORE 2 prüfte die Nicht-Unterlegenheit des neuen gegenüber dem alten Antikörper und konnte dies in mehreren Endpunkten wie der Hämolysekontrolle oder der Vermeidung von Transfusionen bestätigen [7].

Für die Anwender:innen entpuppte sich unterdessen ein weiterer Aspekt des Antikörpers als besonders relevant. Bei Crovalimab handelt es sich um einen sogenannten Recycling-Antikörper. Seine Bindung an C5 erfolgt pH-abhängig. Wird der Antigen-Antikörper-Komplex in ein Endosom eingeschlossen, dissoziiert der Antikörper aufgrund des niedrigen pH-Wertes vom Antigen. Crovalimab wird in das Plasma zurück „recycelt“, während das Antigen C5 abgebaut wird. Dies verschafft dem Antikörper eine längere Halbwertszeit und ermöglicht den Einsatz geringerer Dosen. Während Eculizumab in der Erhaltungsphase alle zwei Wochen infundiert werden muss, ist bei Crovalizumab eine subkutane (Selbst-)Applikation alle vier Wochen ausreichend. Und das verbessere die Lebensqualität merklich, wie sich laut einer Pressemeldung von Roche aus den von den Studienteilnehmenden ausgefüllten Fragebögen zur Lebensqualität herauslesen ließ [8,9].

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Roche forscht auch am Einsatz von Crovalimab bei anderen Erkrankungen, wie dem atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom oder der Lupus-Nephritis [10]. In der Indikation PNH wurde ein Zulassungsantrag bei der US-amerikanischen FDA bereits gestellt [11].

Literatur

[1] Röth A, Dührsen U. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Pathogenese, Diagnostik und Behandlung. Dtsch Arztebl 2007; 104(4): A-192 / B-173 / C-169

[2] Antwerpes F, et al. Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie. Flexikon-Artikel auf doccheck.de. Stand 21. April 2023. https://flexikon.doccheck.com/de/Paroxysmale_n%C3%A4chtliche_H%C3%A4moglobinurie

[3] Novartis receives FDA approval for Fabhalta® (iptacopan), offering superior hemoglobin improvement in the absence of transfusions as the first oral monotherapy for adults with PNH. Pressemitteilung von Novartis. 6. Dezember 2023. https://www.novartis.com/news/media-releases/novartis-receives-fda-approval-fabhalta-iptacopan-offering-superior-hemoglobin-improvement-absence-transfusions-first-oral-monotherapy-adults-pnh

[4] Phase-III-Studie APPLY-PNH: 48-Wochen-Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit zu Novartis‘ Prüfpräparat Iptacopan bei Erwachsenen mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH)präsentiert. Pressemitteilung von Novartis. 12. Dezember 2023. https://ipg-pr.screengrab.de/wp-content/uploads/2023/12/Novartis_Pressemitteilung_Iptacopan_APPLY-PNH_ASH-2023.pdf

[5] FABHALTA® (iptacopan) capsules, for oral use. US-amerikanische Prescribing Information. Stand Dezember 2023. https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2023/218276s000lbl.pdf

[6] Scheinberg P et al. Phase III Randomised, Multicentre, Open-Label COMMODORE 1 Trial: Comparison of Crovalimab vs Eculizumab in Complement Inhibitor-Experienced Patients with Paroxysmal Nocturnal Hemoglobinuria (PNH). Hemasphere. 2023;7(Suppl ):e45540d8. doi: 10.1097/01.HS9.0000967644.45540.d8.

[7] Röth A et al. The Phase III, Randomised COMMODORE 2 Trial: Results from a Multicentre Study of Crovalimab vs Eculizumab in Paroxysmal Nocturnal Hemoglobinuria (PNH) Patients Naive to Complement Inhibitors. Hemasphere. 2023;7(Suppl ):e72750f1. doi: 10.1097/01.HS9.0000967636.72750.f1.

[8] Innovative Antikörper reduzieren Therapielast bei Patient:innen mit PNH und Hämophilie A. Pressemitteilung von Roche. 15.Dezember 2023.

[9] Fukuzawa T et al. Long lasting neutralization of C5 by SKY59, a novel recycling antibody, is a potential therapy for complement-mediated diseases. Sci Rep 7, 1080 (2017). https://www.nature.com/articles/s41598-017-01087-7

[10] Product Development Portfolio. Informationen von Roche. Stand 19. Oktober 2023. https://www.roche.com/solutions/pipeline

[11] FDA Accepts Application for Genentech’s Crovalimab for the Treatment of PNH, a Rare Life-Threatening Blood Condition. Businesswire. 6. September 2023. https://www.businesswire.com/news/home/20230904578230/en/FDA-Accepts-Application-for-Genentech%E2%80%99s-Crovalimab-for-the-Treatment-of-PNH-a-Rare-Life-Threatening-Blood-Condition#:~:text=The%20acceptance%20was%20based%20on,control%20and%20was%20well-tolerated


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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