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Peptid-Wirkstoff gegen Verstopfung
Linaclotid in den USA nun auch für Kinder zugelassen
Der Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonist Linaclotid (Constella®) gilt in Deutschland als effektive Option für Erwachsene mit mittelschwerem bis schwerem Reizdarmsyndrom, das mit Verstopfung einhergeht und ist seit 2013 in Deutschland erhältlich. Zur Behandlung der funktionellen Verstopfung bei Kindern ab sechs Jahren wurde kürzlich eine vielversprechende klinische Studie veröffentlicht. Derzeit ist offen, ob das gut verträgliche Linaclotid bald auch hierzulande für diese jungen Patienten eingesetzt werden kann.
Das Reizdarmsyndrom geht mit chronischen und wiederkehrenden Beschwerden wie Bauchschmerzen, Blähungen und Stuhlunregelmäßigkeiten einher und führt mitunter zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität. In Deutschland sind etwa einer bis zwei von 100 Menschen betroffen, Frauen ungefähr doppelt so oft wie Männer. Es handelt sich um eine Störung auf der Ebene der Darmbarriere, der mukosalen Immunabwehr, des Mikrobioms, des enterischen Nervensystems und der Darm-Gehirn-Interaktion. Die genaue Pathogenese ist unklar. Man unterscheidet einen Obstipations-, einen Diarrhö- und einen Mischtyp sowie einen Schmerz- und/oder Blähtyp. Zur Linderung der Reizdarm-Symptomatik im Rahmen der Selbstmedikation liegen nur wenige evidenzgestützte Möglichkeiten vor. Bei Obstipation als vorherrschendem Symptom kann neben einer Ernährungsumstellung auf die Behandlung mit dem Laxans Macrogol sowie auf Probiotika zurückgegriffen werden.
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Therapie sollte symptomorientiert erfolgen
Reizdarmsyndrom – ein Leiden mit vielen Gesichtern
Die 2021 erschienene Leitlinie „Reizdarmsyndrom“ empfiehlt zudem eine spezielle Diagnostik für Ernährung. Ausdrücklich abgeraten wird von der Durchführung von wissenschaftlich nicht etablierten, auf Immunglobulin G (IgG) basierenden Tests für Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die häufig unnötige und/oder problematische Eliminationsdiäten nach sich ziehen. Der Einfluss der Darmmikrobiota auf das Erkrankungsgeschehen ist offenbar größer als bislang vermutet. Dennoch sind Stuhlanalysen auf Dysbiosen wenig hilfreich, Mikrobiomtransfers sollten unterbleiben.
Linaclotid für refraktäre Fälle
Bei hohem Leidensdruck kann bei fortbestehendem Verstopfungs-assoziiertem Reizdarmsyndrom oder chronischer idiopathischer Obstipation seit 2013 mit dem Wirkstoff Linaclotid behandelt werden. Das aus 14 Aminosäuren bestehende Peptid ist in Deutschland derzeit ausschließlich für Erwachsene zugelassen und unterliegt der Verschreibungspflicht. Seine Wirkung beruht auf einem selektiven Agonismus am Guanylatcyclase-C-Rezeptor (s. Abb. 2). Linaclotid selbst und sein im Darm über Proteolyse gebildeter aktiver Metabolit binden an die entsprechenden Rezeptoren auf der luminalen Seite des Dünndarm- und des Kolonepithels und induzieren dort die intra- und extrazelluläre Produktion von cyclischem Guanosinmonophosphat (cGMP). Über eine Aktivierung des Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulators (CFTCR) führt intrazelluläres cGMP zu einer verstärkten Sekretion von Chlorid- und Bicarbonat-Ionen sowie von Wasser in das Darmlumen, was eine Beschleunigung der Darmpassage bewirkt. Tierexperimente deuten zudem darauf hin, dass extrazelluläres cGMP über eine Reduktion der Schmerzfaseraktivität eine Unterdrückung von viszeralen Schmerzen herbeiführt. Die empfohlene Tagesdosis liegt bei einmal täglich 290 µg Linaclotid. Zur Verbesserung der Verträglichkeit sollte Linaclotid nüchtern eingenommen werden, mindestens eine halbe Stunde vor der ersten Mahlzeit. Wenn nach vier Behandlungswochen keine Besserung eingetreten ist, sollte der Patient erneut ärztlich untersucht werden. In den Zulassungsstudien hat sich die Wirksamkeit von Linaclotid über eine Dauer von maximal sechs Monaten erwiesen. Eine relevante systemische Resorption des Peptids und seiner Abbauprodukte findet offenbar nicht statt.
Häufige Nebenwirkung Diarrhö
Sehr häufig kommt es aufgrund der Linaclotid-Behandlung zu Durchfällen. Kombiniert eingesetzte Protonenpumpen-Inhibitoren, Laxanzien und nicht steroidale Antirheumatika erhöhen das Risiko einer Diarrhö. Bei andauernden Durchfällen kann die gastrointestinale Resorption gleichzeitig eingesetzter weiterer Pharmaka beeinträchtigt sein. Weitere häufige Linaclotid-assoziierte Nebenwirkungen sind Schwindelgefühle sowie gastrointestinale Beschwerden wie Abdominalschmerzen, Flatulenz, Blähbauch und Gastroenteritis. Auch mit Appetitlosigkeit, Orthostase-Syndromen, Elektrolytstörungen und Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt muss gelegentlich gerechnet werden. Wegen der Möglichkeit von intestinalen Perforationen sollten die Patienten angewiesen werden, bei schweren, anhaltenden oder sich verschlimmernden Bauchschmerzen unverzüglich ärztliche Hilfe aufzusuchen. Linaclotid ist bei Patienten mit mechanischer gastrointestinaler Obstruktion kontraindiziert. Während der Schwangerschaft sollte die Anwendung wegen fehlender Erfahrungen unterbleiben. In der Stillzeit erscheint der Einsatz des praktisch ausschließlich im Gastrointestinaltrakt verfügbaren Wirkstoffpeptids vertretbar.
Studienlage für Erwachsene und Kinder
Sicherheit und Wirksamkeit von Linaclotid wurden im Rahmen von zwei randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien mit insgesamt etwa 1600 Erwachsenen geprüft. Die Teilnehmer litten unter einem mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndrom mit Obstipation. In der ersten Studie lag die Ansprechrate im Sinne einer Verbesserung der Reizdarm- und Schmerz-Symptomatik unter Linaclotid nach zwölf Wochen bei 39 bzw. 54%. Die zugehörigen Werte in der Placebo-Gruppe betrugen 17 bzw. 39%, entsprechend einer signifikanten Überlegenheit des Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonisten. Die Resultate der zweiten Untersuchung waren sehr ähnlich. Unter Linaclotid lagen die Anteile an Reizdarm- und Schmerz-Respondern bei 37 bzw. 55% und nach Placebogabe bei 19 bzw. 42%. In den Verum-Gruppen trat die Besserung der Bauchschmerzen und der Stuhlkonsistenz bereits nach einer Behandlungswoche ein und hielt über die gesamte Therapiezeit an.
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Kinder und Jugendliche sind häufig von einer funktionellen Verstopfung betroffen, die Abgrenzung zum Reizdarmsyndrom mit Obstipation ist unscharf [5]. In einer aktuellen randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Linaclotid an 330 pädiatrischen Patienten im Alter von sechs bis 17 Jahren geprüft. Die Teilnehmer erhielten über zwölf Wochen einmal täglich
72 µg Linaclotid oder Placebo. Unter dem Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonisten verbesserte sich die mittlere wöchentliche Stuhlfrequenz von 1,16 auf 3,41. Im Placebo-Arm erfolgte ein Anstieg von durchschnittlich 1,28 auf 2,29 Stühle pro Woche. Die Verbesserung unter Linaclotid war hochsignifikant ( p-Wert = 0,0001). Auch bezüglich der Stuhlkonsistenz war ein signifikanter Vorteil für den Peptid-Wirkstoff nachweisbar. Im Verum-Arm wurde Diarrhö mit 4% als häufigste Therapie-assoziierte Nebenwirkung berichtet, im Vergleich zu 1% unter Placebo-Gabe. Die Food and Drug Administration (FDA) hat Linaclotid zur Behandlung der funktionellen Obstipation bei Kindern im Alter von sechs bis 17 Jahren in einer Dosierung von 72 µg täglich bereits 2023 zugelassen [6].
Einschätzung
Die Lebensqualität von Patienten mit Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp ist durch die Erkrankungssymptomatik in vielen Fällen beeinträchtigt. Sofern Maßnahmen wie die Ernährungsumstellung und die Gabe von Laxanzien nicht zum Erfolg führen, gilt der Guanylatcyclase-C-Rezeptor-Agonist Linaclotid als erprobenswerte Therapieoption. In klinischen Studien konnte gegenüber Placebo, wie erwähnt, eine signifikante Verbesserung bezüglich der beiden Hauptsymptome Obstipation und Schmerzen gezeigt werden. Zu einer besseren Einschätzung wären allerdings direkt vergleichende Untersuchungen mit Standardtherapeutika wie Macrogol oder auch mit dem Prokinetikum Prucaloprid wünschenswert. Die Wirkung beruht auf einer Aktivierung von serotoninergen 5-HT4-Rezeptoren im Darm. Prucaloprid ist ein verschreibungspflichtiger Wirkstoff und für erwachsene Patienten mit refraktären Verstopfungen indiziert. Laut der Leitlinie „funktionelle Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter“ ist Prucaloprid bei Kindern und Jugendlichen nicht wirksam und soll nicht zum Einsatz kommen [7]. Aktuell bleibt abzuwarten, ob es auch in Deutschland zu einer Zulassungserweiterung von Linaclotid für pädiatrische Patienten mit funktioneller Obstipation kommt. In diesem Fall stünde zumindest für einige der sehr durch ihre Erkrankung belasteten Kinder eine zusätzliche therapeutische Möglichkeit zur Verfügung.
Literatur
[1] Fachinformation zu Constella®, Stand Juni 2022
[2] Layer P, Andresen V, Allescher H, Bischoff SC et al. Update S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom. Z Gastroenterol 2021;59:1323–1415 (Thieme)
[3] Di Lorenz C, Khlevner J, Rodriguez-Araujo G, Xie W et al. Efficacy and safety of linaclotide in treating functional constipation in paediatric patients: a randomised, double-blind, placebo-controlled, multicentre, phase 3 trial. Lancet Gastroenterol Hepatol 2024;9(3):238-250
[4] EPAR summary for the public für Constella® (Linaclotid). EMEA/H/C/002490; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu
[5] Obstipation bei Kindern und Jugendlichen. Dtsch Arztebl Int 2022;119:697-708, doi: 10.3238/arztebl.m2022.0309
[6] FDA approves first treatment for pediatric functional constipation. Information der FDA vom 6. Dezember 2023, www.fda.gov/drugs/news-events-human-drugs/fda-approves-first-treatment-pediatric-functional-constipation
[7] Funktionelle (nicht-organische) Obstipation und Stuhlinkontinenz im Kindes- und Jugendalter. S2k-Leitlinie der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE) und Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), AWMF- Registernummer: 068/019, Stand: April 2022
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