SUBSTANZMISSBRAUCH

Lachgas – gefährlicher „legaler“ Trend

Stuttgart - 24.05.2024, 13:45 Uhr

Kartuschen, in denen Lachgas enthalten ist und Ballons, die damit befüllt wurden. Aus den Ballons kann die Partydroge dann eingeatmet werden.(Foto: Corinne/AdobeStock)

Kartuschen, in denen Lachgas enthalten ist und Ballons, die damit befüllt wurden. Aus den Ballons kann die Partydroge dann eingeatmet werden.(Foto: Corinne/AdobeStock)


Unter anderem in den Niederlanden, Spanien und Frankreich gibt es bereits strenge Vorschriften zum Verkauf von Lachgas. In Deutschland kann das Narkosegas, das beim Einatmen einen kurzen Rausch verursacht, legal erworben werden. Da die Missbrauchsfälle auch hierzulande immer mehr zunehmen, werden Stimmen laut, die ein Verkaufsverbot an Minderjährige fordern. Denn der Lachgas-Konsum kann ernsthafte Folgen nach sich ziehen.

*Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will mit strengeren Regeln den Verkauf von Lachgas an Kinder und Jugendliche eindämmen, wie er im ARD-Morgenmagazin klarstellte. Eine Möglichkeit sei, die inhalierbare Partydroge in die Liste der psychoaktiven Stoffe aufzunehmen, dies erleichtere Verkaufsbeschränkungen. Ein Komplettverbot von Lachgas scheide aus. Diese Substanz werde nicht nur als Narkosemittel in der Medizin verwendet, sondern auch in großem Stil industriell eingesetzt. Sie sei etwa in Spraydosen enthalten. Auch andere Politiker und Fachleute forderten in jüngster Vergangenheit ein Verkaufsverbot an Minderjährige, da sich die Missbrauchsfälle insbesondere bei jungen Leuten häufen. Woher kommt der Hype um Lachgas und welche Gefahren birgt der Konsum?

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Der Konsum von Lachgas oder Distickstoffmonoxid (N2O) ist ein aktueller Trend auf Social-Media-Plattformen wie TikTok. Videos von Jugendlichen, die in Schulhofecken Gas aus bunten Ballons inhalieren, Aufnahmen von deutlich berauschten Jugendlichen und Anleitungen, wie man das „legale Rauschmittel” in größerer Menge bekommt und „anwendet”, gibt es zuhauf. Die gute Nachricht: Es sind auch sehr viele Videos zu sehen, in denen vor dem Rausch aus dem Luftballon gewarnt wird – auch von Prominenten wie dem Deutsch-Rapper Haftbefehl. Er gibt an, drei Monate lang bis zu 50 Flaschen am Tag konsumiert zu haben. Das „Zeug” mache „einen komplett zum Zombie“, zitiert ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung [1].

Seit Jahren zunehmender Konsum

Der Trend, sich mit Lachgas zu berauschen, ist in Deutschland nicht ganz neu. Bereits 1997 berichtete die DAZ über den „neuen Suchttrend” [2]. Seitdem ist das vermeintlich harmlose, „weil doch legale” Berauschen nie ganz verschwunden, führte aber wohl eher ein Schattendasein. „Für Deutschland liegen uns […] praktisch keine Daten vor. Wir wissen, dass die Substanz konsumiert wird, aber ansonsten wenig”, sagt etwa Esther Neumeier, Leiterin der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht DBDD [3]. Sie leitet auch das Projekt „Nationales Early Warning System – NEWS“, das als bundesweites Frühwarnsystem für neue psychoaktive Substanzen agieren soll. In dessen jüngstem Bericht „Substanzkonsum in deutschen Partyszenen 2022” [4] rangiert Lachgas als konsumierte Substanz auf dem letzten Platz und überschreitet gerade so den Schwellenwert von 5% der Erwähnungen.

Dennoch gibt es indirekte Hinweise darauf, dass der Konsum zunimmt. So berichtete etwa jüngst das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen von einer Verdreifachung der Fälle innerhalb eines Jahres [5]. Der Konsum fällt eher zufällig auf, wenn etwa berauschte Jugendliche aufgegriffen werden, da für Lachgas als nicht verbotene Substanz keine Kriminalstatistik geführt wird. Weitere Hinweise finden sich in wissenschaftlichen Quellen. So steigen seit dem Jahr 2017 die Fallberichte zu Lachgas-Missbrauch und dessen Folgen in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed deutlich an. Das „European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction“ (EMCDDA) hat dies in einem Situations­bericht [6] ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass der Konsum von Lachgas etwa seit dem Jahr 2010 in eine „dritte Phase” des Trends eingetreten ist.

Als Ursache sehen die europäischen Forscher zum Beispiel, dass seit einigen Jahren Lachgas auch in größeren Gebinden legal etwa am Kiosk erworben werden kann. Da das Gas verschiedene legale Anwendungen hat und der Verkauf in Deutschland nicht verboten ist, kann die Polizei dagegen auch nicht einschreiten.

Wie viele Menschen konsumieren Lachgas?

** Lachgas wird vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen konsumiert. Nach Befragungen in einzelnen Städten und in anderen europäischen Ländern haben zwischen 10 und 20 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mindestens einmal Lachgas ausprobiert, wie das Internetportal gesundheitsinformation.de, das zum Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gehört, informiert. Lachgas werde auch zusammen mit anderen Drogen eingenommen, wie Alkohol, Cannabis oder Psychedelika. Wie viele Menschen in Deutschland Lachgas konsumieren, ist nicht genau bekannt.

Verbote in den Niederlanden und auf Mallorca

Anders ist die Situation seit dem 1. Januar 2023 in den Niederlanden. Nachdem die Zahl von Verkehrsunfällen mit Lachgas-Berauschten signifikant zugenommen hatte, hat das Land Distickstoffmonoxid auf die Liste der verbotenen Rauschmittel gesetzt [7]. Besitz und Verkauf sind dort seitdem verboten. Ausnahmen gibt es nur für medizinische und technische Zwecke. Auch in Spanien – und damit auch auf Mallorca – darf Lachgas nur mit besonderer Genehmigung verkauft werden, weshalb die Polizei unter anderem auf der Urlaubsinsel gegen Straßenhändler hart durchgreifen kann [8]. In Frankreich wurde der Verkauf an Minderjährige nach Todesfällen bereits im Juni 2021 verboten, in Belgien seit Februar 2022 in einigen Städten. In der Schweiz gibt es die Bestrebung, Lachgas in die Liste der Betäubungsmittel aufzunehmen [9].

Was ist Lachgas?

Was steckt hinter dem Namen Lachgas? Distickstoffmonoxid (N2O) ist ein natürliches Stickoxid und entsteht unter anderem in der Natur als Nebenprodukt bei der bakteriellen Nitrifikation. Es ist farblos mit süßlichem Geruch. In manchen Erwähnungen heißt es Stickoxidul oder Stickoxydul.

Aus Kläranlagen, in der Landwirtschaft und aus Mooren werden große Mengen Lachgas in die Atmosphäre freigesetzt, wo es sich im Schnitt 109 Jahre hält und einen 273-mal höheren Effekt auf die Erderwärmung hat als Kohlendioxid. Der Anteil entweichenden Gases aus dem Konsum und sein klimaschädlicher Einfluss lassen sich laut Forschern bislang nicht messen. Außerdem schädigt es die Ozonschicht – mittlerweile mehr als Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).

Die Wirkung als Narkosemittel und Analgetikum kennt man seit 1797, als der englische Apotheker und Chemiker Humphry Davy damit zu experimentieren begann. Rein dargestellt hatte es bereits 1771 der Chemiker Joseph Priestley. Seit 1844 wird es medizinisch angewendet – besonders bei der Zahnmedizin und bei sehr kurzen chirurgischen Eingriffen.

Zum Einsatz kommt Lachgas aber auch in der Lebensmittelindustrie als Lebensmittelzusatzstoff E 942, wo es insbesondere als Treibgas in Milchprodukten, etwa in Schlagsahnedosen, fungiert. Ferner kann beim Fahrzeugtuning durch Lachgas-Einspritzung kurzzeitig die Motorleistung erhöht werden – was allerdings in Deutschland verboten ist. Auch in Raketentreibstoffen dient N2O als Oxidationsmittel.

Wo steckt der Suchtfaktor von Lachgas?

Medizinisch lässt sich Distickstoffmonoxid nur kurz anwenden – die schmerzstillende und leicht narkotische Wirkung hält nur rund 15 Minuten an. Es wirkt ab etwa einem Anteil von circa 20% in der Atemluft, bei zu hoher Dosierung kann es zu Atemdepression und -stillstand kommen.

Dass sich Lachgas als Rauschmittel missbrauchen lässt, ist bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannt. Phase eins des Lachgas-Missbrauchs gab es kurz nach der Entdeckung mit sogenannten Lachgas-Partys, Phase zwei in den späten 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem unter Medizin- und Zahnmedizinstudenten [10]. Der aktuelle, unter anderem durch die COVID-19-Pandemie und Social-Media-Trends getriggerte Anstieg des Konsums wird als Phase drei bezeichnet.

Der Trivialname Lachgas (engl. Laughing Gas) ist bereits ein Hinweis auf die euphorisierende Wirkung von Distickstoffmonoxid. Bereits kurz nach seiner Entdeckung wurde die psychogene Wirkung beschrieben als „Gas, das je nach Charakter der damit berauschten Probanden bei Inhalation Lachen, Singen, Tanzen, Reden oder Prügeln bewirken könne” [10]. Die Wirkung wird als Euphorie, Entspannung und „Losgelöstsein“ beschrieben [11]. Auch Wärme- und Glücksgefühle sowie leichte Halluzinationen werden durchlebt [12].

Konsumiert wird Lachgas typischerweise, indem es aus den Gasflaschen in Luftballons gefüllt und dann aus diesen inhaliert wird. Die direkte Inhalation aus den Druckbehältnissen würde zu Erfrierungen führen [9]. Leere Gasflaschen und ausgeleierte Luftballons werden daher oft am Ort des Konsums zurückgelassen.

Die vermeintliche Harmlosigkeit, die leichte Verfügbarkeit sowie die Kurzfristigkeit des Rausches tragen zur Gefährlichkeit bei. Oft konsumieren die Betroffenen in kurzer Zeit viel – Suchtfaktor ist dabei die psychische Wirkung.

Gefahren des Konsums

Mit dem Konsum größerer Mengen steigt aber auch die Gefahr schwerer Nebenwirkungen. Von der möglichen Atemdepression und unmittelbaren Verletzungsgefahren durch Schwindel, Desorientiertheit oder Autofahren im Rausch­zustand abgesehen, gibt es Langzeitfolgen. Distickstoff­monoxid oxidiert Vitamin B12, das als Co-Faktor des Enzyms Methionin-Synthase und des Enzyms Methylmalonyl-­Coenzym-A-Mutase fungiert. Bis zu sechs Stunden nach dem Konsum ist die Funktion dieser Enzyme nachhaltig beeinträchtigt. Das kann zu Symptomen eines Vitamin-B12-Mangels, vor allem jedoch zu bleibenden neurologischen Schäden führen [13]. Beschrieben wird etwa eine Degeneration des Rückenmarks mit Bewegungsstörungen bis hin zur Querschnittslähmung. Neuropathien treten ebenso auf wie Psychosen mit Verhaltensänderungen, Wahnvorstellungen, Paranoia oder Halluzinationen [13, 14, 15, 16, 17]. Blickt man auf den Laborwert, haben die Betroffenen dabei oft einen normalen Vitamin-B12-Spiegel. In vielen Fällen, wenn der Lachgaskonsum komplett eingestellt wird und die Betroffenen unter anderem mit Vitamin-B12-Gabe therapiert werden, sind Symptome reversibel. Todesfälle in einigen europäischen Ländern führten aber bereits zu entsprechenden Gesetzesänderungen im Umgang mit dem Gas. 

*Dieser Paragraf wurde am 24.05.2024 von jr aktualisiert. ** Dieser Kasten wurde am 03.06.2024 von jr aktualisiert. Der Artikel erschien erstmals in der DAZ 45/2023.
 

Literatur

 [1] FAZ. Haftbefehl: Habe 50 Flaschen Lachgas am Tag konsumiert. 14.03.2023 www.faz.net/aktuell/gesellschaft/smalltalk/haftbefehl-ueber-drogen-er-konsumierte-50-flaschen-lachgas-am-tag-18747037.html

 [2] DAZ. Neuer Suchttrend: Lachgas in Diskotheken. DAZ 1997, Nr. 20, 11.05.1997 www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/1997/daz-20-1997/uid-1908

 [3] Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD), Webauftritt, www.dbdd.de

 [4] Bergmann H et al. News: Substanzkonsum in deutschen Partyszenen 2022. IFT News. 2023 ift.de/wp-content/uploads/2023/04/Bergmann-2023_NEWS.pdf

 [5] Radio 90,1. Lachgas wird öfter als Partydroge missbraucht. 16.10.2023, www.radio901.de/artikel/lachgas-wird-oefter-als-partydroge-missbraucht-1794851.html

 [6] EMCDDA. Freizeitkonsum von Distickstoffmonoxid in Europa: Situation, Risiken, Reaktionen. 18.08.2023, www.emcdda.europa.eu/publications/topic-overviews/recreational-nitrous-oxide-use-europe-situation-risks-responses_de

 [7] ZDF heute. Lachgas ab 2023 in Niederlanden verboten. 15.11.2022; www.zdf.de/nachrichten/politik/niederlande-verbot-lachgas-100.html

 [8] Adel R et al. Schluss mit lustig: Polizei nimmt auf Mallorca Verkäufer von Lachgas fest. Mallorca Magazin 15.08.2023; www.mallorcamagazin.com/nachrichten/lokales/2023/08/15/114265/schluss-mit-lustig-polizei-nimmt-auf-mallorca-verkaufer-von-lachgas-fest.html

 [9] Schweizerische Koordinations- und Fachstelle Sucht. Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O) Informationen für Fachpersonen im Kontakt mit Konsumierenden. www.infodrog.ch/files/content/schadensminderung_de/2022-07_DE_Faktenblatt_Lachgas_def.pdf; Stand: 2022, letzter Zugriff 02.11.2023

[10] Hügin W. Anaesthesie. Entdeckung, Fortschritt, Durchbrüche. Editiones Roche, Basel 1989, ISBN 3-88878-060-8, S. 11f

[11] EMCDDA. Im Blickpunkt... Freizeitkonsum von Distickstoffmonoxid (Lachgas). www.emcdda.europa.eu/spotlights/spotlight-recreational-use-nitrous-oxide-laughing-gas_de; Stand: 03.02.2023

[12] Pronova BKK. Lachgaskonsum und die Folgen. www.pronovabkk.de/gesuender-leben/koerper-und-seele/gesunder-lifestyle/lachgaskonsum-und-die-folgen.html. letzter Zugriff 02.11.2023

[13] NN. Vitamin-B12-Mangel: Freizeitdroge Lachgas kann zu bleibenden neurologischen Schäden führen; Ärzteblatt 24.08.2023; www.aerzteblatt.de/nachrichten/145421/Vitamin-B12-Mangel-Freizeitdroge-Lachgas-kann-zu-bleibenden-neurologischen-Schaeden-fuehren

[14] Vollhardt R et al. Neurological consequences of recreational nitrous oxide abuse during SARS-CoV-2 pandemic. J Neurol 269, 1921–1926 (2022). doi.org/10.1007/s00415-021-10748-7

[15] Hassing LT et al. Nitrous-oxide-induced polyneuropathy and subacute combined degeneration of the spine: clinical and diagnostic characteristics in 70 patients, with focus on electrodiagnostic studies. Eur J Neurol. 2023 Sep 27. doi: 10.1111/ene.16076. Epub ahead of print

[16] De Halleux C, Juurlink DN. Diagnosis and management of toxicity associated with the recreational use of nitrous oxide. CMAJ. 2023 Aug 21;195(32):E1075-E1081. doi: 10.1503/cmaj.230196

[17] Zheng R et al. Reversible Neuropsychiatric Disturbances Caused by Nitrous Oxide Toxicity: Clinical, Imaging and Electrophysiological Profiles of 21 Patients with 6-12 Months Follow-up. Neuropsychiatr Dis Treat. 2020 Nov 23;16:2817-2825. doi: 10.2147/NDT.S270179

[18] Deo-Challenge: Missbräuchliche Anwendung kann die Gesundheit schwer schädigen. Information des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vom 21. September 2023, www.bfr.bund.de/cm/343/deo-challenge-missbraeuchliche-anwendung-kann-die-gesundheit-schwer-schaedigen.pdf


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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