Drugs-Devices-Diagnostics-Data

Bessere Therapien für weniger Geld durch „4D“

Meran - 31.05.2024, 09:15 Uhr

Gerd Geißlinger beim Pharmacon in Meran. (Foto: DAZ)

Gerd Geißlinger beim Pharmacon in Meran. (Foto: DAZ)


Wenn in der Medizin von Innovationen die Rede ist, schrillen bei den Kostenträgern sofort die Alarmglocken: Es wird teuer. Dabei könnten Professor Gerd Geißlinger vom Fraunhofer-Institut für translationale Medizin und Pharmakologie zufolge durch innovative Forschungsansätze Kosten reduziert und gleichzeitig die Behandlung bestimmter Erkrankungen verbessert werden. Dafür brauche es aber neue Herangehensweisen.

Kostenreduktion durch Innovation klingt zunächst einmal paradox. Gelten doch moderne Therapieverfahren und neue Arzneistoffe als die Kostentreiber im Gesundheitswesen. In den Augen von Gerd Geißlinger braucht es aber gerade innovative Ansätze, um Kosten reduzieren zu können. Digitale und datengetriebene Forschung seien dabei entscheidend, wie er beim Pharmacon in Meran deutlich machte. Das klappe aber nur mit innovativen Formen der Zusammenarbeit, der Kooperation von Industrie, Politik und Forschung sowie der Einbindung transdisziplinärer Kompetenzen. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, was es bewirkt, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen, ist Geißlinger zufolge der Corona-Impfstoff. Bisher dauerte es sieben Jahre, bis ein fertiger Impfstoff auf dem Markt ist. Beim Impfstoff gegen COVID-19 gelang das in einem Jahr. Weil alle in der Wertschöpfungskette kooperiert hätten, so Geißlinger, der sowohl Mediziner als auch Apotheker ist. So habe beispielsweise Sanofi für Biontech Impfstoff abgefüllt.

Geißlingers Ansatz geht aber noch weiter, er umfasst „4 D“. Er ist überzeugt: Allein eine gute Substanz (Drug) zu haben, wird in Zukunft nicht reichen. „Wir wollen wissen, welche Patienten auf eine Therapie ansprechen, welche nicht und wer Nebenwirkungen haben wird. Dazu brauchen wird Biomarker und somit Diagnostika.“ Zudem seien Subgruppenanalysen unabdingbar, wenn der richtige Patient das richtige Mittel bekommen soll, man generiere also Daten. Auch werden viele Wirkstoffe nicht mehr in Form von Tabletten verabreicht, Devices spielten demnach ebenfalls eine wesentlich größere Rolle.

Bislang wenig Interaktion

Die „4D“ sind also „Drugs, Diagnostics, Data und Devices“. Bislang gebe es aber wenig Interaktion zwischen den einzelnen D kritisierte Geißlinger. Selbst Roche, wo es sowohl eine starke Arzneimittel- als auch eine starke Diagnostika-Sparte gebe, schaffe das nicht. Das muss sich in seinen Augen ändern. Das klappe aber nur, wenn transdisziplinär zwischen Naturwissenschaften, Medizin, Ingenieurwissenschaften und Data-Science zusammengearbeitet werde. „Wir müssen diese vier Gruppen zusammenbringen, dann sind wir in der Lage, die lösbaren Probleme im Gesundheitswesen zu lösen“, ist Geißlinger überzeugt.

Bei Insulin 80 Jahre bis zur optimalen Therapie

Wie die vier D in der Therapie zusammenspielen, veranschaulicht er am Beispiel des Insulins: Das ist zunächst der Arzneistoff, um den in der richtigen Dosierung zu verabreichen, braucht es Diagnostik. Weil man Insulin nicht schlucken kann, wird ein Device benötigt. Und die Auswertung von Daten ermöglicht mittlerweile die Anwendung von Closed-Loop-Systemen. „Hier hat es 80 Jahre gedauert, bis die vier D zu einem optimalen Produkt wurden“, so Geißlinger. Künftig müsse man sie von Anfang an mitdenken.

Gelingen kann das aber in seinen Augen nur, wenn verschiedene Berufsgruppen zusammenarbeiten. Die Pharmazie sollte dabei eine zentrale Rolle spielen, und zwar nicht nur bei den Arzneimitteln („Drugs“), sondern auch beim Thema Daten. Hier sieht er allerdings noch Nachholbedarf.

4D-Klinik Entzündung

Bei Fraunhofer in Frankfurt erprobt man das 4D-Modell derzeit bei Autoimmunerkrankungen. Bei diesen ist Geißlinger zufolge translationale Forschung erforderlich, da immer mehrere Organsysteme betroffen sind, das Leitorgan, also beispielsweise bei Psoriasis die Haut, bestimme die behandelnde Fachpraxis. In den organbezogenen Einrichtungen sei aber keine optimale Therapie möglich, für Patienten nicht, aber auch nicht für Ärzte. 

In der 4D-Entzündungsklinik wird unabhängig vom primär betroffenen Organsystem in einer Klinik von Rheumatologen, Gastroenterologen, Dermatologen etc. behandelt. Dies soll nicht nur eine optimale Therapie ermöglichen, sondern durch Verknüpfung von Klinik und Forschung auch einen Translationskreislauf. Laborergebnisse aus der Klinik fließen in die Forschung. In den zunächst einmal heterogenen Gruppen können durch Clusterananlysen Gemeinsamkeiten gefunden werden, die Therapieentscheidungen beeinflussen. 


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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