Beratung von Badeurlaubern

Pinzette und Thermoskanne - was hilft nach Kontakt mit giftigen Meerestieren?

05.06.2024, 17:50 Uhr

Das giftigste Meerestier Europas ist das Petermännchen. (Foto: Joern/Adobe Stock)

Das giftigste Meerestier Europas ist das Petermännchen. (Foto: Joern/Adobe Stock)


Sonnencreme und Badesachen in den Koffer gepackt und ab ans Meer – so sehen die Pläne vieler Apotheken­kunden für die beginnende Urlaubszeit aus. Für eine Rucksackreise in ferne Kontinente wird eine umfangreiche Reiseapotheke zusammengestellt, doch an die Gefahren, die an idyllischen Stränden Europas lauern, denkt man selten: Begegnungen mit Quallen, Stachelrochen und anderen Meeresbewohnern können ausgesprochen schmerzhaft sein. Welche Tipps und Hilfsmittel zu Erste-Hilfe-Maßnahmen kann man Apothekenkunden mitgeben?

Vorab die beruhigende Feststellung: Im Gegensatz zu tropischen und subtropischen Gewässern gibt es an den Stränden von Nord- und Ostsee, europäischer Atlantikküste, Adria, Mittelmeer und Ägäis keine Meerestiere, von denen eine Lebensgefahr ausgeht. Eine zweite gute Nachricht: Die Tiere nutzen ihre Gifte nur zur Verteidigung, also wenn sie sich durch den Menschen bedrängt oder bedroht fühlen. Der beste Schutz ist also, beim Laufen in seichtem Wasser aufmerksam zu sein, sich Tieren nicht gezielt zu nähern und sie vor allem nicht zu berühren. Beim Tauchen oder Surfen sollte der Kontakt mit dem Meeresboden vermieden werden.

Petermännchen: Gefahr im Sand

Der giftigste Fisch Europas hört auf den niedlichen Namen Petermännchen (engl. weever fish, great weever). Er ist vor allem in kälteren Regionen beheimatet, kommt aber in ganz Europa vor. Petermännchen bewegen sich knapp über dem Meeresboden, dank ihrer Färbung sind sie oft kaum vom sandigen Untergrund zu unterscheiden. Vor allem zur Laichzeit im Frühjahr und Sommer suchen die etwa 15 bis 50 cm großen Fische flache Gewässer auf, wo sie sich im Sand oder Schlamm eingraben, so dass oft nur die Augen sichtbar bleiben. Kommt man dem Petermännchen zu nahe, stellt es die Stacheln seiner ersten Rückenflosse auf und sticht zu. Das Toxin des verbundenen Giftapparats führt innerhalb weniger Minuten zu starken Schmerzen, im weiteren Verlauf entsteht ein ausgeprägtes Ödem. Die Einstichstelle selbst ist klein und blutet kaum. Nach einigen Stunden können Taubheitsgefühle auftreten, in seltenen Fällen auch systemische Reaktionen wie Übelkeit, Kreislaufprobleme oder Herzrhythmusstörungen.

Warmes Wasser gegen Toxine

Wie die Toxine zahlreicher Meeresbewohner ist das Gift des Petermännchens hitzelabil. Als Erste-Hilfe-Maßnahme wird daher die Heißwasser-Therapie empfohlen: Nach dem Entfernen von Stacheln und Geweberesten wird die betroffene Extremität, oft ein Fuß, in 40 bis 45°C heißes Wasser getaucht, um die in der Wunde ver­bliebenen Toxine zu inaktivieren. Zur Vermeidung einer Verbrühung sollte die Wassertemperatur zuvor mit dem nicht betroffenen Fuß oder durch einen Begleiter auf Hautverträglichkeit getestet werden. Die Zeitangaben für die Heißwassertherapie schwanken zwischen 15 und 90 Minuten. Ist man an abgelegenen Stränden unterwegs, kann also das Mitführen einer Thermoskanne mit heißem Wasser und einer stabilen Plastiktüte durchaus sinnvoll sein. Alternativ hilft ein Sprint eines Begleiters zu einer nahegelegenen Strandbar.

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Quallen: Essig deaktiviert die Nesselzellen

Die Sofortmaßnahmen unterscheiden sich je nach Quallenart. In den auf der Haut klebenden Tentakeln befinden sich meist noch zahlreiche nicht geplatzte Nesselzellen. Sie werden durch mechanische Reize oder durch einen osmotischen Gradienten aktiviert. Die Tentakel sollten daher nicht abgeschabt und auch nicht mit Süßwasser abgespült werden. Zur Inaktivierung der Nesselzellen hat sich Essig bewährt: 5%ige, nach manchen Quellen auch bis zu 10%ige Essigsäure sollte bis zu 30 Minuten einwirken. Dann können die Tentakelreste vorsichtig mit einer Pinzette oder den mittels Handtuch oder Handschuhen geschützten Fingern abgezogen werden. Steht kein Essig zur Verfügung, kann mit Meerwasser gespült werden, keinesfalls mit Trinkwasser oder Alkohol. Nach Entfernung der Tentakel sollte die Haut gekühlt werden.

Nicht anfassen! Auch an Land gespült setzt die faszinierend anzusehende Portugiesische Galeere noch Toxine frei. (Foto: phoenixclaudia/Adobe Stock)

Anders verhält es sich bei der Portugiesischen Galeere (engl. portuguese man o’ war oder blue bottle jellyfish), die im Gegensatz zu den anderen Nesseltieren keine Meduse ist, sondern eine freischwimmende Polypenkolonie. Bei landeinwärts gerich­tetem Wind werden die eigentlich in der Hochsee lebenden blau schillernden Gebilde in Küstennähe getrieben. Selbst wenn sie am Strand angespült werden, sollten sie auf keinen Fall berührt werden. Hautkontakt mit den Fangfäden führt zu peitschenstriemenartigen, stark schmerzenden und geröteten Hautläsionen, das abgegebene Physalia-Toxin kann lokale Nekrosen verursachen. Betroffene Gliedmaßen sollten zuerst mit Meerwasser gespült und weiterhin anhaftende Tentakel mit einer Pinzette entfernt werden. Die Deaktivierung der Toxine erfolgt wie beim Petermännchen-Toxin mittels Heißwasseranwendung.

Newcomer im Mittelmeerraum

Ursprünglich kannte man ihn in Europa nur aus Aquarien, mittlerweile ist er als Folge des Klimawandels auch in einigen Regionen des Mittelmeerraums angekommen: Der Rotfeuerfisch (engl. red lionfish). Die majestätisch durchs Wasser gleitenden Fische mit auffälligen weißen und braunen Streifen und langen dünnen Flossenstrahlen werden bis zu 40 cm lang und leben an steilen Felsen oder Korallenstöcken. Fühlen sie sich bedroht, schwimmen sie dem vermeint­lichen Feind mit der Rückenflosse voran entgegen. Die dünnen Flossenstrahlen enthalten Giftdrüsen, deren Toxine starke Schmerzen und Schwellungen, Rötungen und Blasenbildung bis hin zu lokalen Gewebsnekrosen auslösen. Die Wunde sollte von Stachelresten befreit und desinfiziert werden. Auch die Toxine des Feuerfischs sind hitzeempfindlich, daher wird hier ebenfalls eine Heißwassertherapie empfohlen.

Der Rotfeuerfisch ist erst durch die Erwärmung der Meere infolge des Klimawandels in den Mittelmeerraum eingewandert. (Foto: Vladimir Wrangel(Adobe Stock)

Ein falscher Schritt ist schmerzhaft

Seeigel (engl. sea urchin) leben im flachen Meerwasser auf steinigem, felsigem Untergrund und schützen sich mit langen, spitzen Hohlnadeln vor Feinden. Nur bei rund einem Fünftel der 600 bekannten Arten enthalten die Stacheln auch ein Toxin, erkennbar an brennenden Schmerzen, oft auch einer Blaufärbung der Wundränder nach dem Stich. Auch hier hilft – dank gefüllter Thermoskanne und Plastiktüte in der Badetasche – eine Heißwasser-­Therapie.

Die tiefe Stichverletzung birgt auch ohne Toxin Gefahren: Verbleibt ein Teil des zerbrechlichen Stachels in der Wunde, kann er auch mit großem zeitlichem Abstand schwere Entzündungen verursachen. Das Herausziehen sollte vorsichtig, am besten mit einer Pinzette, parallel zum Einstichkanal erfolgen. Leichter geht das Entfernen aus mazerierter Haut, ein Fußbad in warmem Wasser kann also hilfreich sein. Besteht Unsicherheit, ob der Stachel vollständig entfernt wurde, oder treten später Entzündungszeichen wie Schmerzen, Rötung oder Schwellung auf, muss die Wunde von einem Arzt untersucht werden. Nach der Entfernung des Stachels sollte die Haut mit Süßwasser gereinigt und nach dem Trocknen desinfiziert werden.

Verborgen im Sand: Stachelrochen

Sind Stichwunden schlitzförmig oder mit unregelmäßigem Rand, häufig auch auf der Fußoberseite, können sie von einem Stachelrochen (auch Stechrochen, eng. stingray) stammen, von denen einzelne Arten auch an europäischen Küsten heimisch sind. Die flachen, scheibenförmigen Fische liegen in Buchten, auf Sandbänken oder vor Riffen im sandigen Boden vergraben. Fühlen sie sich bedroht, stechen sie mit stachelartigen Fortsätzen auf ihrem Schwanz zu. Nur manche Arten sind giftig. Die von stechenden Schmerzen begleiteten Stichwunden können stark bluten, erste Maßnahme ist also das Abdrücken zur Blutstillung. Zeigen sich Symptome einer Vergiftung (Schwellung, Rötung der Einstichstelle oder Übelkeit, Kreislauf­probleme und andere systemische Symptome), kann das Toxin mit Heißwasser-Therapie inaktiviert werden. Zur Reinigung der Wunde sollte Trinkwasser verwendet werden und Hautreste des Rochens oder Stachelbruchstücke kann man mit einer Pinzette entfernen. Ist ein größeres Stück Stachel in der Haut verblieben, ist es sinnvoll, es zunächst zu stabilisieren und dann schnellstmöglich von einem Arzt entfernen zu lassen. Die gereinigte Wunde sollte man abschließend desinfizieren. Da Stichverletzungen durch Rochen oft sehr tief sind, empfiehlt sich in der Regel eine ärztliche Kontrolle der Wunde. Zur Vorbeugung von Infektionen wird gelegentlich sogar eine prophylak­tische Antibiose durchgeführt.

Cave: Infektion und Allergie

Bei allen Wunden, die man sich im Meer zuzieht, vor allem den tiefen Verletzungen durch Seeigel oder Stachelrochen, besteht hohes Infektionsrisiko. Wunden müssen gereinigt und desinfiziert werden, sie sollten nicht mit wasserdichten Pflastern, Wundnahtstreifen oder ähnlichem verschlossen werden. Der Tetanusschutz muss in jedem Fall überprüft und gegebenenfalls nachgeholt werden. Sobald Entzündungszeichen auftreten, muss die Wunde ärztlich versorgt werden.

Jedes Toxin der in europäischen Meeren heimischen Gifttiere kann, vergleichbar mit Bienen- oder Wespengift, eine anaphylaktische Reaktion auslösen. Treten Symptome wie Atemnot, Kreislaufprobleme, Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Schwellungen in anderen Körperregionen auf, muss unverzüglich ärztliche Hilfe ange­fordert werden. Bei bekannter Neigung zur Anaphylaxie sollte die Notfallmedikation mit an den Strand genommen werden.

Was muss in die Reiseapotheke?

Für einen Strandurlaub am Mittelmeer oder an der Nordsee gibt es also durchaus ein paar Dinge, die in der Reiseapotheke nicht fehlen dürfen: Wunddesinfektionsspray, eine spitze, gut greifende Pinzette, sowie Schmerz­mittel, beispielsweise Ibu­profen in schnell freisetzenden oralen Darreichungsformen sollten im Idealfall mit an den Strand genommen werden. Wenn in der Beratung dann noch der Tipp mit Thermoskanne und Plastiktüte gegeben wird, sind die Urlauber für Notfälle gut ausgestattet.

Literatur

ANZCOR (Australian and New Zealand Committee on Resuscitation) guidelines, Stand 2023, www.anzcor.org/

Bach B. Unliebsame Begegnungen unter Wasser. Symptome und Behandlung nach Kontakt mit Gifttieren: Tipps für die reisemedizinische Beratung. Ärzte Zeitung vom 9. Juni 2023, www.aerztezeitung.de/Medizin/Kontakt-mit-Wuerfelquallen-Manche-schreien-vor-Schmerzen-439954.html

Gifttiere. Informationen der Informationszentrale gegen Vergiftungen, Universitätsklinikum Bonn, Zentrum für Kinderheilkunde, www.gizbonn.de/giftzentrale-bonn/tiere

Reiber C. Der Petermännchen-Stich – eines der giftigsten Tiere Europas. Blogbeitrag vom 19. Mai 2021, www.surf-arzt.de

Reiber C. Der Quallenstich – Vergiftung, Symptome, Behandlung. Blogbeitrag vom 16. April 2022, www.surf-arzt.de

Reiber C. Der Stachelrochen-Stich: Gefahren, Symptome, Behandlung. Blogbeitrag vom 21. November 2023; www.surf-arzt.de

Reiber C. Der Seeigel-Stich: Was Du jetzt tun kannst. Blogbeitrag vom 30. April 2020, www.surf-arzt.de

Schürer N et al. Aquatische Dermatologie: Gifttiere. Braun-Falco‘s Dermatologie, Venerologie und Allergologie Info. www.springermedizin.de/emedpedia/detail/braun-falcos-dermatologie-venerologie-und-allergologie/aquatische-dermatologie-gifttiere?epediaDoi=10.1007/978-3-662-49546-9_47#Sec2

Seeigel, Quallen und mehr – welche Gefahren drohen durch Meeresbewohner? Und wie helfen Sie Patienten? Diashow. Medscape vom 2. Mai 2023, deutsch.medscape.com/artikelansicht/4912428

Todd J, Edsell M. A diver‘s guide to subaquatic envenomation in the Mediterranean. Diving Hyperb Med 2019;49(3):225-228, doi: 10.28920/dhm49.3.225-228


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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