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Warum in den USA Betäubungsmittel im Abwasser entsorgt werden
Morphium fürs Klo?
Abgelaufene Opioide können im Haushalt gefährlich werden. Eine Lösung ist die rechtzeitige Entsorgung. Aber nicht über die Toilette - denn im Wasserkreislauf können sie Ökosysteme schädigen. Dennoch empfiehlt die US-Arzneimittelbehörde FDA, einige Wirkstoffe auf diese Weise zu entsorgen. Wie kann das sein?
Nicht allen Patienten ist bewusst, dass sich in ihrem Haushalt ein Hort hochwirksamer Substanzen befindet, die Schaden anrichten können: der Arzneischrank. Sammeln sich dort abgelaufene Betäubungsmittel, können Familienmitglieder zum Missbrauch angeregt oder Kinder durch versehentliche Überdosierungen gefährdet werden.
In Deutschland konsumieren mehr Jugendliche verschreibungspflichtige Opioide oder Benzodiazepine als noch vor wenigen Jahren. Das geht aus der aktuellen Szenebefragung des Zentrums für Drogenforschung der Goethe-Universität Frankfurt hervor [1]. Rund ein Prozent der 1.163 Befragten gab an, regelmäßig verschreibungspflichtige Opioide oder Benzodiazepine zu missbrauchen. Quelle ist nicht selten der Medikamentenschrank von Familienmitgliedern.
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In den USA ist das Problem dramatischer. Seit den 1990er Jahren bewarben Pharmahersteller wie Purdue Pharma Opioide aggressiv als Schmerzmittel. Zwischen 1999 und 2015 verfünffachten sich die Verschreibungen, viele Millionen Patienten wurden abhängig. Viele, die sich den Arztbesuch nicht mehr leisten konnten, stiegen später auf Heroin oder Fentanyl von der Straße um. Im Jahr 2023 starben 112.000 Amerikaner an einer Überdosis Opioide [2].
In unzähligen amerikanischen Haushalten gibt es abgelaufene oder nicht mehr benötigte Opioide. Jedes Jahr werden Zehntausende Kinder in Krankenhäuser eingeliefert, weil sie mit diesen Medikamenten in Kontakt gekommen sind. Zwischen 2003 und 2014 sind mindestens 61 Kinder an den Folgen gestorben [3].
Die Toilette als Lösung
Ein Gegenmittel ist die Entsorgung nicht mehr benötigter Betäubungsmittel. Das weiß auch die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA – und schlägt eine Lösung vor, die pragmatisch und problematisch zugleich ist: die „FDA's Flush List“, die „Spül-Liste“ [4].
Die FDA empfiehlt Patienten, die auf dieser Liste stehenden Medikamente über die Toilette zu entsorgen, wenn keine Medikamentenrückgabestelle in der Nähe ist. Die 13 Wirkstoffe auf der Liste können auch als Rauschmittel missbraucht werden. Neben Methylphenidat, Gamma-Hydroxybuttersäure und Diazepam sind ausschließlich Opioide wie Morphin, Oxycodon, Fentanyl oder Methadon gelistet.
Nach Ansicht der FDA überwiegt bei diesen Wirkstoffen das Risiko für den Menschen durch unbeabsichtigten Kontakt mit den Medikamenten das potenzielle Risiko für die Umwelt. Mit dieser Einschätzung stützt sich die Behörde auf eine Studie aus dem Jahr 2017. Darin versuchten die Autoren, darunter zwei Mitarbeiter der FDA, die Risiken der Wirkstoffe auf der „Flush List“ für die Umwelt abzuschätzen.
Ihr Fazit: Alle Wirkstoffe auf der Liste, mit Ausnahme von Hydrocodon, Gamma-Hydroxybuttersäure und Oxymorphon, stellen sowohl als Einzelverbindungen als auch in Gemischen ein vernachlässigbares ökotoxikologisches Risiko dar. Für die übrigen drei Wirkstoffe sind weitere Daten erforderlich, aber auch hier erwartet die FDA ein beherrschbares Risiko.
„Eine fatale Wirkung“
Für diese Schlussfolgerung fehlen jedoch wichtige Daten. Die Autoren schreiben selbst: Mangels Informationen konnten die „Auswirkungen auf Land-, Sediment- und Meeresorganismen nicht abgeschätzt werden. Auch die Sekundärvergiftung von fischfressenden Vögeln und Säugetieren wurde nicht untersucht“.
Mit anderen Worten: Die FDA weiß nicht, wie sich die 13 Wirkstoffe der Flush-Liste auf die meisten Lebewesen auswirken. Unklar ist auch, wie Ökosysteme auf Stoffgemische reagieren. Oder auf Abbauprodukte der Wirkstoffe. Sie sind oft biologisch aktiv, werden aber selten untersucht.
Viele Wirkstoffe können schon in geringen Konzentrationen die Fortpflanzung von Tieren oder Pflanzen schädigen, die Zellvermehrung stoppen oder das Verhalten verändern. Von Benzodiazepinen beispielsweise, von denen Diazepam ebenfalls auf der Liste steht, ist bekannt, dass sie das Verhalten von Fischen verändern und den Stoffwechsel von Pflanzen stören. Insgesamt ist vieles unklar – denn die Pharmahersteller sind nicht verpflichtet, ökotoxikologische Daten im Rahmen der Zulassung zu erheben oder zu veröffentlichen [5, 6].
„Es wird so getan, als könnte man die Substanzen einfach in den Gully kippen“, sagt Prof. Michael Müller, Leiter des Lehrstuhls für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Universität Freiburg im Gespräch mit der DAZ. „Das hat fatale Folgen. Nicht nur wegen der Wirkstoffe, sondern auch wegen der Botschaft. Wirkstoffe gehören einfach nicht in die Umwelt.“ Schlimm genug, dass der Mensch die Substanzen bei normaler Einnahme mit dem Urin ausscheidet – aber das lässt sich kaum vermeiden.
Einheitliche Rückgabestellen gefordert
Besser als das Herunterspülen sind offizielle Rückgabeprogramme – das schreibt auch die FDA auf ihrer Website. Hier informiert sie Patienten, wo sie Altmedikamente abgeben können. Wer in abgelegeneren Gegenden wohnt, kann immer noch auf den nächsten „Drug Take Back Day“ warten. Am letzten solchen Tag im April 2024 wurden in fast 5.000 US-Gemeinden temporäre Sammelstellen eingerichtet und 335 Tonnen Altmedikamente gesammelt [7].
In Deutschland gehören Arzneimittel einschließlich vernichteter Betäubungsmittel in den Restmüll, wenn dieser in der Kommune verbrannt wird. Mancherorts ist dies jedoch nicht der Fall – dann müssen die BtM-Reste als Problemabfall entsorgt werden. Wie jede Kommune damit umgeht und was zu tun ist, kann auf der Website https://arzneimittelentsorgung.de/home/ nachgelesen werden.
Michael Müller von der Universität Freiburg findet, dass diese Flickenteppich-Lösung auf lange Sicht nicht ausreicht. Für Altmedikamente fordert er eine Rücknahmepflicht in Verantwortung der Hersteller – organisiert über eine einheitliche Infrastruktur. „Altmedikamente sollten zur Entsorgung in die Apotheke gebracht werden können“, sagt er gegenüber der DAZ. „Das ist natürlich ein Mehraufwand, der entsprechend vergütet werden muss.“
Solange das aber nicht der Fall ist, bleibt den Apothekerinnen und Apothekern nichts anderes übrig, als die Patientinnen über die richtige Entsorgung aufzuklären – und über die Gefahren, die von manchen Altmedikamenten ausgehen.
Literatur
[1] Grodensky G. Studie der Goethe-Uni belegt Missbrauch von Medikamenten unter Jugendlichen. Frankfurter Rundschau 2024, Nachrichten vom 15. Febrauar, www.fr.de
[2] In 2023 fentanyl overdoses ravaged the U.S. and fueled a new culture war fight. National Public Radio 2023, News vom 28. Dezember, www.npr.org
[3] Khan U et al. Risks associated with the environmental release of pharmaceuticals on the U.S. Food and Drug Administration "flush list". Sci Total Environ 2017, doi:10.1016/j.scitotenv.2017.05.269
[4] Drug Disposal: FDA’s Flush List for Certain Medicines. Information der US Food & Drug Administration. Zuletzt aktualisiert am 1. Oktober 2020, www.fda.gov
[5] Carter LJ et al. Sorption, plant uptake and metabolism of benzodiazepines. Sci Total Environ 2018, doi:10.1016/j.scitotenv.2018.01.337
[6] Phillips PJ et al. Pharmaceutical formulation facilities as sources of opioids and other pharmaceuticals to wastewater treatment plant effluents. Environ Sci Technol 2010, doi: 10.1021/es100356f
[7] National Take Back Day Results, April 2024 Information der US Drug Enforcement Agency DEA, www.dea.gov
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