Ein interview

Mein Weg aus der Analgetika-Abhängigkeit

11.07.2024, 17:50 Uhr

„Migräne, Mörderpuppe“ ist der Debütroman von Max Ferdinand Waldmann. (Foto: Armann Asatryan)

„Migräne, Mörderpuppe“ ist der Debütroman von Max Ferdinand Waldmann. (Foto: Armann Asatryan)


Max Ferdinand Waldmann leidet seit seiner Kindheit an Migräne. Immer häufigere und stärkere Attacken mündeten schließlich in einer Abhängigkeit von Schmerzmitteln. Den Weg in die Sucht und den Entzug in einer Schmerz­klinik beschreibt er in seinem Roman „Migräne, Mörderpuppe“ aus der Sicht von Almo, einer kleinen „Schmerzpille“. Im Gespräch mit der DAZ geht Max Ferdinand Waldmann den Ursachen seiner Abhängigkeit auf­ die Spur und formuliert Ratschläge an sein jüngeres Ich. 

DAZ: Wie viele Medikamente haben Sie eingenommen, als Sie sich zur Therapie in der Klinik entschlossen haben?

Waldmann: Ich habe vor allem Rizatriptan und Naproxen eingenommen, vom Neurologen verordnet. Die Einnahmehäufigkeit sollte ich in einem Kopfschmerztagebuch dokumentieren. Aber ich habe mich da selbst beschummelt, wollte nicht wahrhaben, wie viele Tabletten ich eigentlich nehme, und habe nicht jede Tablette aufgeschrieben. Mehr als zehn Einnahmen pro Monat waren es auf jeden Fall.

DAZ: Wie kam es zu dieser regelmäßigen Analgetika-Einnahme?

Waldmann: Meine erste Migräne­attacke hatte ich schon mit sieben Jahren. Aber die Anfälle waren sehr selten, mit großem zeitlichem Abstand. Häufiger wurden die Kopfschmerzepisoden dann gegen Ende meines Studiums. Rückblickend weiß ich, dass es mehrere Auslöser gab: schlechtes Stressmanagement, sogar bei Stress, den ich eigentlich als positiv empfunden habe, unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, aber auch Wetterumbrüche sind z. B. „meine“ Migräne-Trigger. Verschiedene Wirkstoffe zur Prophylaxe, die mir mein Neurologe verordnet hat, musste ich alle aus unterschiedlichen Gründen wieder absetzen. So blieb es dann bei Triptanen und Naproxen.

Max Ferdinand Waldmann 
(Foto: Armann Asatryan) 

DAZ: Was war der Moment, in dem Sie sich für die Therapie entschieden haben?

Waldmann: Es hat etwas gedauert, bis ich mir selbst eingestanden habe, dass ich zu viele Schmerzmittel nehme. Mein Neurologe hatte schon einen Klinikaufenthalt vor­geschlagen. Aber ich habe das zunächst nicht an mich herangelassen. Ich fand, dass ich keine Zeit für eine Therapie hätte, weil es Studium und ehrenamtliche Projekte nicht zulassen würden. Was die Entscheidung auch so schwierig macht, ist dass man ab­surderweise positives Feedback bekommt, wenn man seine Kopfschmerzen mit Tabletten bekämpft, um weiter leistungsfähig zu sein, und weiter zu arbeiten. Man gilt als zuverlässig, leistungsstark. Und ich wollte Leistung zeigen, war ehrgeizig. Aber die Attacken wurden immer länger und häufiger. 2022 habe ich beschlossen, wenn eine erneute Migräne-Episode kommt, die mehr als drei Tage dauert, dann mache ich eine Therapie.

DAZ: Haben Sie einen Unterschied zwischen Migränekopfschmerz und analgetikainduziertem Kopfschmerz gespürt?

Waldmann: Das Fiese am medikamenteninduzierten Kopfschmerz ist, dass er die Grunderkrankung imitiert, d. h. beim Migräne-Patienten fühlt es sich wie Migräne an, beim Spannungskopfschmerz-Patienten wie Spannungskopfschmerz. Aber ich habe gelernt, den Unterschied zu erkennen. Für mich hat sich der Dauerkopfschmerz angefühlt, als wäre der ganze Kopf gedämpft, wie unter einer Glasglocke. Und die Migräne-Attacken kamen dann natürlich noch obendrauf.

DAZ: Wie sah die Therapie in der Schmerzklinik aus?

Waldmann: Ich wurde auf Entzug gesetzt – wobei man das in der Klinik gar nicht so nennt. Die Ärzte sprechen von einer „Medikamentenpause“. Gleichzeitig habe ich zur Behandlung meiner Attacken ein Antidepressivum bekommen. Natürlich ist das gewöhnungsbedürftig – es dauert viel länger, bis der Schmerz nachlässt, und die Nebenwirkungen sind andere, vor allem die Müdigkeit ist lästig. Gleichzeitig wurde uns viel über die Entstehung der verschiedenen Kopfschmerzarten erklärt und Impulse sowie Anleitungen an die Hand gegeben, mit einer beginnenden Attacke umzugehen. Aber der Klinikaufenthalt dauerte nur 16 Tage lang. Wichtiger war die Zeit danach, ich der ich das alles zuhause üben und umsetzen musste.

Zum Weiterlesen

Im Beitrag „Wege aus der Abhängigkeit“ in DAZ 2024 Nr. 27, S. 52 beschreibt Dr. Tony Daubitz die pharmakologische Unterstützung einer Entzugstherapie bei Arzneimittel- oder Alkoholabhängigkeit. Mit der zertifizierten Fortbildung können Sie noch bis zum 30. Juli 2024 Fortbildungspunkte erwerben. 

DAZ: Wie geht es Ihnen heute?

Waldmann: Inzwischen bekomme ich mit Candesartan und Erenumab eine Prophylaxe, die bei mir wirkt. Natürlich habe ich immer noch Attacken, aber seit über einem Jahr bin ich weg vom Analgetika-Über­gebrauch. Ich mache täglich progressive Muskelentspannung und versuche, Trigger zu vermeiden. Ich setze Prioritäten, sage Nein zu manchen Projekten, auch wenn sie mir am Herzen liegen. Das nimmt Druck aus dem Alltag. Beginnt eine Attacke, versuche ich erst, sie durch Schlaf oder eine kalte Dusche abzufangen. Ich traue mich, Termine oder Verabredungen ab­zusagen, statt eine Tablette einzuwerfen, um hingehen zu können. Wenn das nicht ausreicht, nehme ich Amitriptylin, und nur wenn das auch nicht hilft, Acetylsalicylsäure oder Almotriptan. Vielleicht drei- oder viermal pro Monat.

Meine Medikamenteneinnahmen dokumentiere ich zuverlässig, damit ich den Überblick behalte. Dafür gibt es inzwischen gute Apps, zum Beispiel die Migräne-App der Schmerzklinik Kiel. Das Problem am Kopfschmerztagebuch ist leider, dass man sich ganz auf den Schmerz fokussiert, sich verrückt machen kann auf der Suche nach den Triggern. Eigentlich muss der Fokus auf den guten, schmerzfreien Tagen liegen.

„Migräne, Mörderpuppe“ ist der Debütroman von Max Ferdinand Waldmann. Die Erzählung aus der Sicht von Almo, der kleinen „Schmerzpille“ ist fiktiv, aber stark autobiographisch geprägt. Der bei story.one publishing erschienene Roman wurde 2023 unter die Top 100 des Young Storyteller Award gewählt.

DAZ: Wenn Sie heute Ihr jüngeres Ich treffen würden – was würden Sie ihm sagen?

Waldmann: Ich war damals wirklich hilflos, weil ich keine Methoden kannte, mit dem Schmerz umzu­gehen. Es wäre wichtig gewesen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Mein Tipp wäre also: Geh früher in die Klinik, lass es Dir beibringen, probier alternative Methoden aus. Und such Dir Menschen, denen es genauso geht und mit denen Du Dich austauschen kannst.

DAZ: Wie würden Sie jemandem die Angst vor einer Therapie, vor dem Entzug nehmen?

Waldmann: Indem ich ihm klarmache, dass die Schmerzen die später kommen werden, viel schlimmer sind, als der Entzug. Klar hat man Entzugssymptome, bei mir waren das Schwindel, Übelkeit, Benommenheit, Zittern, Albträume. Aber das geht vorbei. Die Zeit, die man „verpasst“ durch den Klinikaufenthalt, ist es wert. Prüfungen, Projekte, die man dadurch verschieben muss, kann man alle nachholen.

DAZ: Sie haben Ihre Arzneimittel ja in der Apotheke vor Ort geholt – wurden Sie dort auf Ihren hohen Konsum angesprochen? Was hätten Sie sich in dieser Situation von der Apotheke gewünscht?

Waldmann: Angesprochen wurde ich kaum. Ich hatte immer Rezepte, auch von verschiedenen Ärzten. Die bekommt man ganz niederschwellig. Wirklich unangenehm ist ein vorwurfsvolles „das geb ich Ihnen nicht“, noch dazu wenn die Apotheke voller Menschen ist. Da gehe ich als Kunde automatisch in eine Abwehrhaltung, fühle mich angegriffen. Was ich toll gefunden hätte, wären mehr Informationen über die Gefahr. Viele Laien wissen nicht, wie schnell man von Schmerzmitteln abhängig wird. Auf den Schachteln sollte viel auffälliger vor zu häufigem Gebrauch gewarnt werden. Die Apotheke könnte zum Beispiel einen Flyer mitgeben, den man dann in Ruhe durchlesen kann. Vielleicht auch mit Kontaktadressen, Informationsquellen, z. B. die Seite der Schmerzklinik Kiel.

DAZ: Welche (gut gemeinten) Sätze nerven Sie als Migräne-Patienten?

Waldmann: „Du musst halt mehr Wasser trinken!“ „Versuch ein anderes Kopfkissen!“ „Das ist doch psychosomatisch, Du hast zu viel Stress.“ Oder „es muss doch einen Grund geben“ – nein, Migräne hat nie nur eine einzelne Ursache, einen Auslöser, den man finden und ausschalten kann.

DAZ: Sie gehen sehr offen mit dem Thema um, haben den Roman „Migräne, Mörderpuppe“ über Ihre Zeit in der Klinik geschrieben. Wie haben die Menschen in Ihrem Umfeld reagiert?

Waldmann: Ganz unterschiedlich. Es gab Bekannte, die mich und meine Krankheitsgeschichte nicht ernst genommen haben, die dachten, ich übertreibe. Andere zeigten kein Verständnis dafür, wenn ich Termine absagte. Es gibt aber auch viele, die mich nach Informationen und Kontakten gefragt haben, weil sie selbst betroffen sind, oder jemand in ihrem Umfeld. Das Hintergrundwissen der Allgemeinheit über Migräne, Medikamentenabhängigkeit und all das ist einfach zu niedrig. Wir müssen mehr über das Thema sprechen.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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