Längere Anwendung begünstigt Entzugsreaktionen

Die Haut leidet nach dem Absetzen von Glucocorticoiden

30.07.2024, 07:00 Uhr

Entzugsreaktionen treten bei Kindern bereits nach einem zweimonatigen Gebrauch topischer Glucocorticoide auf. (Foto: Марина Терехова / AdobeStock)

Entzugsreaktionen treten bei Kindern bereits nach einem zweimonatigen Gebrauch topischer Glucocorticoide auf. (Foto: Марина Терехова / AdobeStock)


Topische Glucocorticoide sind nach wie vor Spitzenreiter unter den dermato­logischen Verordnungen. Wenn sie richtig angewendet werden, gelten sie als effektive Behandlungsmethode für viele verschiedene entzündliche Hautkrankheiten. Allerdings können moderat bis sehr starke wirkende Glucocorticoide bei zu langer Anwendung auch zu Nebenwirkungen führen, die über die bekannte Hautatrophie hinausgehen. Am Ende der Therapie besteht die Gefahr von Entzugsreaktionen, an welche die britische Arzneimittelbehörde aktuell erinnert.

Patienten berichten nach Absetzen topischer Glucocorticoide über verschiedene unerwünschte Haut­reaktionen. Diese werden häufig als 

  • Topical-Steroid-Withdrawal(TSW)-Reaktionen bezeichnet. Gebräuchlich sind auch die Begriffe 
  • Red Skin Syndrom und 
  • Topical Steroid Addiction [1]. 
  • Im Deutschen könnte man von einem „topischen Steroid-Entzug“ sprechen. 

Zu den Symptomen zählen eine über den ursprünglichen Behandlungsbereich hinaus intensiv gerötete, nässende sowie stechende und brennende Haut, die sich in der Folge oft trocken, stark juckend und abschuppend zeigt. Danach beginnt sich die Haut zu erholen, reagiert jedoch empfindlicher auf Reize wie Sonnenlicht, und es kann zu vorübergehenden Schüben kommen [2]. Bis sich die Haut vollständig regeneriert, können Wochen bis Jahre vergehen [3].

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Was gibt es Neues bei atopischer Dermatitis?

Die Hautreaktionen nach dem Absetzen könnten mit verschiedenen Mechanismen zusammenhängen:

  • abnehmende Wirkung der Glucocorticoide bei Langzeit­anwendung (≥ sechs Monate)
  • Blutgefäßerweiterung
  • gestörte Hautbarriere
  • getriggerte Zytokinkaskade [4].

Die genaue Prävalenz ist derzeit nicht bekannt, die Erkrankung gilt jedoch als selten. Werden mittelstarke bis starke Glucocorticoide (s. Kasten „Wirkstoffklassen topischer Glucocorticoide“) jedoch über einen längeren Zeitraum als sechs Monate angewendet, erhöht sich das Risiko des Auftretens. In einer Studie der National Eczema Association aus dem Jahr 2015 wurde gezeigt, dass vor allem erwachsene Frauen betroffen waren, die über einen längeren Zeitraum potente Glucocorticoide im Gesicht oder Genitalbereich aufgetragen haben [5, 6].

Besonders gefährdet sind Kinder

Für Kinder mangelt es zum Thema an medizinischer Fachliteratur, allerdings liegen Daten aus 26 systematisch ausgewerteten Social-Media-Blogs vor [7]. Hier zeigte sich: Entzugsreaktionen treten bei Kindern bereits nach einem zweimonatigen Gebrauch topischer Glucocorticoide auf. Kinder mit schwerer atopischer Dermatitis sind besonders gefährdet, insbesondere wenn sie jünger als 18 Monate sind, weil potente topische Glucocorticoide leichter über die Haut absorbiert werden [8]. 

Wirkstoffklassen topischer Glucocorticoide

Cortison ist nicht gleich Cortison. Dermal angewendete Glucocorticoide werden nach ihrer Stärke in vier Wirkstoffklassen eingeteilt: schwach (Klasse I) bis sehr stark wirksam (Klasse IV). Es sollte das für eine effektive Behandlung am niedrigsten wirksame topische Glucocorticoid verwendet werden, so kurz wie möglich, so lange wie nötig. Am besten geeignet sind Substanzen mit einem geringen Atrophierisiko (Mometasonfuroat, Prednicarbat, Methylprednisolonaceponat). Sie haben einen hohen therapeutischen Index (TIX), das heißt, sie weisen ein günstiges Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnis auf.

  • Klasse I (schwach wirksam): Hy­drocortison (z. B. Ebenol®, Hydrogalen®), Prednisolon (z. B. Linola®-H)
  • Klasse II (mittelstark wirksam):Hydrocortisonbutyrat (z. B. Alfason® Salbe, Laticort®), Prednicarbat (z. B. Dermatop®Salbe), Triamcinolon­acetonid (z. B. Triamgalen®), Methylprednisolonaceponat (z. B. Advantan®)
  • Klasse III (stark wirksam): Beta­methasonvalerat (z. B. Cordes®Beta), Mometasonfuroat (z. B. Ecural®), Diflucortolonvalerat (z. B. Nerisona®)
  • Klasse IV (sehr stark wirksam):Clobetasolpropionat (z. B. Karison®)

Bereits 2021 hat die britische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel, die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA), darauf aufmerksam gemacht und einen Warnhinweis in die Produktinformationen aufnehmen lassen. In Deutschland hingegen gibt es bisher keinen Warn­hinweis auf topischen Glucocorticoid-Präparaten. Bis August 2023 ermittelte sie 267 Verdachtsfälle. Doch nicht alle unerwünschten Wirkungen sind echte Entzugsreaktionen, sondern es können auch andere Ursachen dahinterstecken, etwa ein 

  • Aufflackern der ursprünglichen Hauterkrankung, 
  • eine allergische Kontaktdermatitis oder 
  • die Verschlimmerung einer anderen, durch das Glucocorticoid hervorgerufenen Erkrankung (z. B. Rosazea, Akne oder periorale Dermatitis) [9, 10].

Auf die Dauer und Menge kommt es an

Ob Topical-Steroid-Withdrawal-Reaktionen ein eigen­ständiges Krankheitsbild sind, bleibt unter Dermatologen umstritten. Es gibt bisher keine anerkannte medizinische Definition oder etablierte Therapie. Zudem fehlt es an qualitativer Forschung zu dieser Erkrankung [10]. Generell ist nach mehr Bewusstsein für den Symptomkomplex gefragt.

Beratungstipps

Bei der Verschreibung oder Abgabe topischer Glucocorticoide müssen Patienten daher gut aufgeklärt werden:

  • Anwendung zeitlich begrenzen
  • Ausschleichen der Glucocorticoide verhindert Rebound
  • nach zwei bis vier Wochen: Anwendungshäufigkeit von einmal täglich auf zweimal pro Woche reduzieren
  • richtige Stärke für betreffende Körperstelle wählen (Lokalisation bestimmt Stärke des gewählten Glucocorticoids)
  • Vorsicht bei empfindlichen Bereichen wie Gesicht und Genital­bereich sowie bei Kinder- und Altershaut mit erhöhter Haut­permeabilität [11, 12]
  • Angst vor Cortison nehmen: topische Glucocorticoide sind bei korrekter Anwendung sehr sicher.

Im Beipackzettel einzelner Produkte (z. B. Prednitop®) wird auf mögliche Nebenwirkungen hingewiesen, wenn die Therapie abrupt beendet wird.

Neurodermitis: Risiko steigt bei längerer Einnahme

Bei der Behandlung der atopischen Dermatitis (Neurodermitis) kommen topische Glucocorticoide regelmäßig zum Einsatz. Es gibt aber immer wieder entzündliche Krankheitsphasen, in denen Patienten mit der alleinigen topischen Therapie nicht auskommen. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, eine entzündungshemmende systemische Therapie mit Glucocorticoiden einzuleiten. Allerdings steigt das Risiko für Nebenwirkungen, wenn Glucocorticoide über längere Zeit eingenommen werden. In einer Fall-Kontroll-Studie, die kürzlich im JAMA Network Open veröffentlicht wurde, erhielten Patienten mit atopischer Dermatitis eine Prednisolon-äquivalente Dosis von größer als 5 mg oralen Glucocorticoiden entweder über mehr als 30 oder 90 Tage. Es zeigte sich ein leicht erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen (u. a. Knochenbrüche, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck) bei Patienten unter der Therapie länger als 90 Tage, wohingegen sich kein erhöhtes Risiko bei Anwendung über 30 Tage zeigte. In der S3-Leitlinie zur Atopischen Dermatitis der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. wird eine Langzeitbehandlung mit systemischen Glucocorticoiden nicht empfohlen. Die Autoren empfehlen, die Anwendung auf maximal drei Wochen zu begrenzen, als sogenannte Rescue-Therapie bei akuten Schüben [14, 15].

Es ist ungewiss, ob in Deutschland eine neue Kennzeichnung, Angaben zur Wirkstärke und spezifische Warnhinweise vor langem und häufigem Gebrauch auf den Verpackungen und in den Packungsbeilagen von topischen Glucocorticoid-Präparaten eingeführt werden soll, wie es in Großbritannien vorgenommen wurde [9, 13].

Literatur

[1] Topical Steroid Withdrawal Joint Statement. British Association of Dermatologists, Februar 2024; www.bad.org.uk/topical-steroid-withdrawal-joint-statement/

[2] Brookes TS, Barlow R, Mohandas P et al. Topical steroid withdrawal: an emerging clinical problem. Clin Exp Dermatol 2023;48(9):1007-1011; doi: 10.1093/ced/llad161

[3] Fukaya M, Sato K, Sato M et al. Topical steroid addiction in atopic dermatitis. Drug Healthc Patient Saf 2014;6:131–138; doi: 10.2147/DHPS.S6920

[4] Tan SY, Chandran NS, Ci-En Choi E. Steroid Phobia: Is There a Basis? A Review of Topical Steroid Safety, Addiction and Withdrawal. Clin Drug Investig 2021;41(10):835–842; doi: 10.1007/s40261-021-01072-z

[5] Hajar T, Leshem YA, Hanifin JM et al. A systematic review of topical corticosteroid withdrawal („steroid addiction“) in patients with atopic dermatitis and other dermatoses. J Am Acad Dermatol 2015;72(3):541-549.e2; doi: 10.1016/j.jaad.2014.11.024

[6] Hwang J, Lio PA. Topical corticosteroid withdrawal („steroid addiction“): an update of a systematic review. J Dermatolog Treat 2022;33(3):1293-1298; doi: 10.1080/09546634.2021.1882659

[7] Juhász MLW, Curley RA, Rasmussen A et al. Systematic review of the topical steroid addiction and topical steroid withdrawal phenomenon in children diagnosed with atopic dermatitis and treated with topical corticosteroids. J Dermatol Nurses’ Assoc 2017;9(5):233–40; doi:10.1097/JDN.0000000000000331

[8] Halling-Overgaard AS, Kezic S, Jakasa I et al. Skin absorption through atopic dermatitis skin: A systematic review. Br J Dermatol 2017;177(1):84-106; doi: 10.1111/bjd.15065

[9] Topical steroids: introduction of new labelling and a reminder of the possibility of severe side effects, including Topical Steroid Withdrawal Reactions. Informationen des Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Update zur Arzneimittelsicherheit am 29. Mai 2024, www.gov.uk/drug-safety-update/topical-steroids-introduction-of-new-labelling-and-a-reminder-of-the-possibility-of-severe-side-effects-including-topical-steroid-withdrawal-re­actions

[10] Topical Steroid Withdrawal. Informationen der National Eczema Society, der British Dermatological Nursing Group und der British Association of Dermatologists, Stand: Februar 2024, https://eczema.org/wp-content/uploads/Topical_Steroid_Topical_Withdrawal_Joint_Statement_Feb_2024.pdf

[11] Guidance. Topical corticosteroids and withdrawal reactions. Informationen der Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, Stand: 29. Mai 2024, www.gov.uk/guidance/topical-corticosteroids-and-withdrawal-reactions

[12] Lee HK, Reiche L. Topical corticosteroid withdrawal. Stand: Juli 2023, Informationen des DermNet®, https://dermnetnz.org/topics/topical-corticosteroid-withdrawal

[13] arznei-telegramm®. Nebenwirkungen. Absetzreaktionen nach Stopp von Glukokortikoid-Externa. 7. Juni 2024, www.arznei-telegramm.de/html/2024_06/2406047_01.html

[14] Werfel T, Heratizadeh A, Aberer W et al. S3-Leitlinie „Atopische Dermatitis“ AWMF-Registernr. 013-027,2023, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/013-027

[15] Jang YH, Choi EY, Lee HL et al. Long-Term Use of Oral Corticosteroids and Safety Outcomes for Patients With Atopic Dermatitis. JAMA Network Open. 2024;7(7):e2423563


Dr. Ines Winterhagen, Apothekerin
redaktion@daz.online


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