Aktualisierte S2k-Leitlinie

Homöopathie, Chondroitin oder NSAR: Was hilft bei Gonarthrose?

14.08.2024, 07:00 Uhr

Die Gonarthrose ist eine häufige Erkrankung und oft Ursache für Schmerzen und Funktionseinbußen im Alter. Sie verläuft chronisch, eine Kausal­therapie existiert nicht. (Foto: methaphum / AdobeStock)

Die Gonarthrose ist eine häufige Erkrankung und oft Ursache für Schmerzen und Funktionseinbußen im Alter. Sie verläuft chronisch, eine Kausal­therapie existiert nicht. (Foto: methaphum / AdobeStock)


In der aktualisierten S2k-Leitlinie zu Gonarthrose wurden die Kapitel Homöopathie und Chondroitinsulfat gestrichen und die Empfehlungen zur Schmerzmedikation aktualisiert. Erst bei unzureichender Wirkung topischer nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) sind orale indiziert. Bei diesen gibt es jedoch einiges zu beachten.

Gonarthrose umfasst alle degenerativen Erkrankungen des Kniegelenks und betrifft ab 65 Jahren fast jede zweite Frau und knapp jeden dritten Mann. Dabei kommt es zu einer chronischen und fortschreitenden Zerstörung des Gelenkknorpels, dessen Verlauf phasenweise entzündlich sowie nicht entzündlich verlaufen kann. Die Ursache ist multifaktoriell. Im Zentrum scheint eine Veränderung im hyalinen Gelenkknorpel zu stehen: Übersteigen biomechanische oder sonstige Belastungen die Regenerationsfähigkeit des Knorpels, führt ein Ungleichgewicht zwischen anabolem und katabolem Stoffwechsel der Chondrozyten zu einer veränderten Knorpelmatrix und schließlich zu Knorpelverlust. Patienten sollten kniebelastende Aktivitäten privat, beruflich und im Sport daher unbedingt vermeiden und Übergewicht abbauen. Positiv wirkt hingegen frühzeitig durchgeführtes Kräftigungs- und Beweglichkeitstraining.

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Im Verlauf kommt es zu einem fortschreitenden Umbau aller Gelenkstrukturen, wie Bänder, Knochen und Gelenkkapsel. Die Diagnose wird radiologisch und klinisch gestellt. Leider existiert weder eine Kausaltherapie noch eine Möglichkeit der Heilung. Doch sowohl Schmerzen als auch Funktionseinschränkung beeinträchtigen häufig die Lebensqualität und machen eine adäquate Schmerztherapie erforderlich. Viele Betroffene suchen Rat in der Apotheke. Zur Orientierung fassen die folgenden Absätze die wichtigsten Aspekte der Pharmakotherapie der aktualisierten Leit­linie zusammen.

Topische Applikation von NSAR als erste Wahl

In mehreren placebokontrollierten Studien konnte die schmerzlindernde und funktionsverbessernde Wirkung von topischen NSAR nachgewiesen werden. Aufgrund des günstigen Nebenwirkungsprofils gilt in der Leitlinie die topische Applikation von NSAR daher als erste Wahl. Diese ist einer oralen Gabe vorzuziehen, insbesondere bei Patienten über 75 Jahren. Als dermatologische Nebenwirkungen können Juckreiz oder Rötung auftreten. Ein Nachteil ist die hohe Ökotoxizität von Diclofenac. Patienten sollten bei Abgabe eines Diclofenac-haltigen Gels deshalb darauf hingewiesen werden, sich die Hände nach der Anwendung zunächst gründlich mit einem Tuch abzuwischen, das im Restmüll zu entsorgen ist, ehe sie gewaschen werden.

Therapie der Gonarthrose

medikamentöser Therapie-Algorithmus der aktuellen S2k-Leitlinie

  • NSAR topisch (bevorzugt)
  • NSAR oral (wenn topische Gabe unzureichend):

in Abhängigkeit von Komorbiditäten und Nebenwirkungsrisiko:

  • normales Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen: NSAR
  • erhöhtes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen: NSAR + PPI
  • Ulkus in Anamnese: COX-2-Hemmer + PPI
  • erhöhtes kardiovaskuläres Risiko: kurzzeitig und niedrigst wirksame Dosis, strenge Indikationsstellung
  • NSAR nicht miteinander kombiniert anwenden

alternative Therapieoption bei erhöhtem Risiko für Nebenwirkungen, Kontra­indikationen oder fehlender Wirksamkeit:

  • Glucosamin oral, sofern Wirksamkeit innerhalb von drei Monaten
  • intraartikuläre Glucocorticoide als Kurzzeittherapie im Entzündungsschub

letzter medikamentöser Versuch:

  • Opioide in niedrigst wirk­samer Dosis über möglichst kurze Dauer

Aufgrund der hinreichend bekannten Nebenwirkungen sollten NSAR nur bei unzureichender Wirksamkeit oral eingesetzt werden. Um das Risiko für Magenulkus und Co. bestmöglich zu reduzieren, sollten verschiedene NSAR nicht miteinander kombiniert und die niedrigst mögliche Einzeldosis angesetzt werden, die zur Symptomkontrolle nötig ist. Ab 60 Jahren sollten zudem nichtsteroidale Antirheumatika mit kurzer Halbwertszeit bevorzugt werden. Naproxen mit einer Halbwertszeit von 10 bis 18 Stunden scheidet damit aus. Außerdem sind alle Patienten über mögliche gastrointestinale Beschwerden, wie Sodbrennen, Oberbauchschmerzen und Dyspepsie, aufzuklären. Bei erhöhtem Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen wird in der Leitlinie die zusätzliche Verordnung eines Protonenpumpenhemmers (PPI) empfohlen. Hatte der Patient bereits ein blutendes Ulkus, sollten Inhibitoren der Cyclooxigenase 2 (COX-2-Inhibitoren) zusammen mit PPI eingesetzt werden, wenn eine orale Therapie erforderlich ist. In der Theorie entpuppte sich Diclofenac (150 mg/Tag) oder Etoricoxib (60 mg/Tag) als die wirksamste Intervention bei Patienten mit Knie- oder Hüftgelenksarthrose.

NSAR bei kardiovaskulären Risiken kritisch

NSAR erhöhen zusätzlich das kardiovaskuläre Risiko. Eine begleitende Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipid­ämie sowie Rauchen erfordern daher eine strenge Indikationsstellung, und die NSAR-Therapie sollte ebenfalls so niedrig dosiert und kurz wie möglich durchgeführt werden. Eine Langzeiteinnahme der NSAR ist laut Leitlinie jedoch ohnehin nicht vorgesehen.

Unverändert muss eine Interaktion zwischen NSAR, Coxiben, Metamizol und niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) zur Thrombozytenaggregationshemmung bedacht werden. Zur Erinnerung: Während ASS die Thrombozytenaggregation irreversibel hemmt, ist dies bei Ibuprofen und Co. nur reversibel der Fall. Deshalb sollte ASS stets zuerst eingenommen werden! Die Einnahme des Analgetikums darf nach Leitlinie frühestens nach zwei Stunden erfolgen. NSAR können außerdem die Wirkung von Antihypertensiva abschwächen, insbesondere bei ACE-Hemmern.

Letzte Wahl: Metamizol oder Opioide

Paracetamol ist bei Gonarthrose leider keine Alternative: Mehrere Netzwerk-Metaanalysen ergaben keine schmerzlindernde Wirkung. Daher überrascht es nicht, dass Metamizol häufig verordnet wird, obwohl es offiziell nicht bei Arthrose zugelassen ist und in­dikationsgerecht nur bei starken Schmerzen eingesetzt werden sollte. Metamizol wurde in der alten Version der Leitlinie noch unter „Opioiden“ geführt und hat nun ein eigenständiges Kapitel erhalten. Hintergrund ist die selten auftretende Agranulozytose, die aus Sicherheitsgründen eine Aufklärung erforderlich macht. Patienten müssen sich bei Infektzeichen wie Fieber unbedingt an den Arzt wenden.

Auch bei Opioiden müssen Patienten stets über potenzielle Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Die Leitlinie weist explizit auf ein erhöhtes Sturz­risiko, sexuelle und endokrine Funktionsstörungen, Obstipation sowie schlafbezogene Atmungsstörungen hin. Opioide sollten daher nur erwogen werden, wenn nicht-medikamentöse Therapien versagen, NSAR kontraindiziert sind oder nicht ausreichend wirken und eine operative Therapie nicht möglich oder unerwünscht ist. Die Auswahl des Wirkstoffs und Dosierung hängt beispielsweise von der Gesamtmedikation des Patienten ab und muss individuell erfolgen.

Chondroitinsulfat gestrichen, Glucosamin drin

Interessanterweise wurden die Kapitel zu Chondroitinsulfat sowie Homöopathie aus der Leitlinie ersatzlos entfernt. Explizit empfohlen wird nach wie vor der orale Einsatz von Glucos­amin zur Symptomlinderung, obwohl die klinischen Daten widersprüchlich sind. Grundsätzlich sollten Patienten bei Glucosamin darauf hingewiesen werden, dass dieses zur Gruppe der SYSADOA (= Symptomatic Slow Acting Drugs in Osteoarthritis) zählt und damit die Wirkung langsam eintritt. Die Leitlinienautoren konstatieren, dass einige Studien aufgrund methodischer Mängel kritisiert werden oder vom Hersteller finanziert wurden. In einer Studie mit 1500 mg Glucosamin-Hydrochlorid und 1200 mg Chondroitinsulfat konnte jedoch gegenüber Placebo eine analgetische Wirkung gezeigt werden. Insgesamt fehlen zum gegenwärtigen Zeitpunkt laut Leitlinie sichere Belege für eine chondroprotektive, struktur­modifizierende Wirkung von Glucos­amin. Eine positive Nutzen-Risiko-­Abwägung könne aber dennoch vor­liegen, insbesondere bei Patienten, die langfristig oder wiederholt NSAR benötigen. Die Dosierung sollte jedoch mindestens 1500 mg Glucosamin täglich betragen.

Literatur

Gonarthrose. S2k-Leitlinie (Living Guideline) der deutschen Gesellschaft für Or-thopädie und Unfallchirurgie e.V., Version 4.0 vom 24. Januar 2024, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/033-004, Zugriff am 28. Juni 2024

Fachinformation zu Naproxen-ratiopharm® Schmerztablette. Ratiopharm, Stand der Information: Juli 2018


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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