Aktualisierte Leitlinie erschienen

Was Apotheker über heimenterale und heimparenterale Ernährung wissen sollten

Stuttgart - 15.08.2024, 09:15 Uhr

Ein enteraler Ernährungsbeutel wird vorbereitet. (Foto: Felipe Caparrós / AdobeStock)

Ein enteraler Ernährungsbeutel wird vorbereitet. (Foto: Felipe Caparrós / AdobeStock)


Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin hat die S3-Leitlinie zur heimenteralen und heimparenteralen Ernährung aktualisiert. Apotheker werden darin explizit erwähnt, wenn es um die pharmakologische Betreuung der Patienten geht. Was ist heimenterale und heimparenterale Ernährung eigentlich?

Bei der enteralen Ernährung wird der obere Verdauungstrakt ganz oder teilweise umgangen. Die Nährlösung wird direkt in den Magen oder Dünndarm über eine Sonde in den Körper eingebracht und durchläuft dann das restliche Verdauungssystem. Der häufigste Grund für eine heimenterale Ernährung, also einer enteralen Ernährung, die zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung stattfindet, sind neurologische Erkrankungen mit Dysphagie. Andere Indikationen sind Tumore im gastrointestinalen Trakt oder Kehlbereich, sowie andere Magen-Darm-Erkrankungen, Gehirnerkrankungen oder bestimmte Stoffwechselstörungen.

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Parenterale Ernährung hingegen bedeutet, dass die Nährstoffe direkt ins Blut geleitet werden und die Verdauungsorgane nicht involviert sind. Heimparenteral ist entsprechend eine parenterale Ernährung des Patienten, die nicht in einer Klinik, sondern „daheim“ stattfindet. Teilweise essen die Patienten tagsüber normal und werden zusätzlich, da der Dünndarm beispielsweise zu kurz ist und Nährstoffe nur schlecht aufnimmt, über Nacht mit einer Nährstoff-Infusion versorgt. Das Kurzdarmsyndrom und chronisches Darmversagen sind die häufigsten Gründe für diese medizinische Ernährungsform.

Wann wird ein Patient medizinisch ernährt?

Laut der aktualisierten Leitlinie sind medizinische Ernährungsformen indiziert, wenn der Patient seinen Nähstoffbedarf nicht auf die normale Weise decken kann. Dabei muss nicht bereits eine Mangelernährung vorliegen, auch präventiv nach der Einschätzung des Arztes kann in Absprache mit dem Patienten eine enterale oder parenterale Ernährung erfolgen. Ist der Erkrankte in der Klinik stabil und kann die Pflege auch zu Hause oder in einer Einrichtung erfolgen, kann er die medizinische Ernährung von dort weiterführen.

Heimenterale und heimparenterale Ernährung benötigen ein multidisziplinäres Team, wie die Leitlinienautoren die Voraussetzungen des Therapieerfolgs beschreiben. Neben einem Arzt, einer Ernährungsfachkraft und einer Pflegefachkraft sind auch Apotheker gefragt.

Heimenterale Ernährung aus der Apotheke

Speziell ausgestattete Apotheken können individuelle Mischungen für den enteralen Ernährungsbeutel und somit ein patientenspezifisches Produkt bereitstellen. Patientenindividuelle Ernährungsbeutel müssen unter aseptischen Bedingungen und Beachtung der Kompatibilität bzw. Stabilität der einzelnen Inhaltsstoffe hergestellt werden, wie die Leitlinienautoren betonen. Patienten profitieren von individuellen (energie-, volumen- und substratadaptierten) Mischungen, die ihren Makro- und Mikronährstoffbedarf adäquat abdecken. Außerdem können Arzneimittel in der entsprechenden Dosierung direkt über die Ernährungssonde gegeben werden. Dabei gilt es jedoch einiges zu beachten.

Arzneimittel über Ernährungssonde verabreichen

Arzneimittel können nur einzeln über eine enterale Ernährungssonde verabreicht werden. Die Sonde muss vor, zwischen und nach jedem Medikament mit mindestens 30 ml Wasser vollständig gespült werden. Wechselwirkungen mit dem enteralen Ernährungsregime und die Kompatibilität der Arzneimittelgabe mit der Sonde sind hierbei wichtige Faktoren, die es zu beachten gilt.

Werden Arzneimittel über eine Sonde verabreicht, kann es zu Komplexbildung und Ausfällungen und damit zum Verstopfen der Schläuche kommen. Um das zu vermeiden, sollten geeignete Hilfsmittel eingesetzt werden, wie Mörser zum Zerkleinern von Tabletten, oder Spritzen, ggf. unter Verwendung von Konnektoren. Ferner ist auf die korrekte Arzneimitteldosierung zu achten, als Hilfsmittel können sogenannte EnFit-Spritzen verwendet werden, um das richtige Volumen zu geben. Diese Spritzen sind genormt und passen auf die entsprechenden Verschlüsse.

Einige Punkte, die Apotheker bei heimenteraler Ernährung beachten sollten:

  • Wenn nicht kontraindiziert, sollte ballaststoffreiche Sondennahrung verwendet werden; auch bei Diarrhö oder Obstipation. Kontraindikationen sind zum Beispiel eine verengte Darmpassage aufgrund von Tumoren oder Durchblutungsstörungen.
  • Enterale Ernährungsprodukte sollten zimmerwarm verabreicht werden. Sondennahrung sollte nach Öffnung bei Raumtemperatur innerhalb von 8 Stunden, bei Aufbewahrung im Kühlschrank innerhalb von 24 Stunden verwendet werden und kann während der Applikation bis zu 24 Stunden am Infusionsständer ohne Kühllagerung verbleiben.

Die Aufgaben der Apotheke bei heimenteraler bzw. heimparenteraler Ernährung laut Leitlinie:

  • Bestellung und Auslieferung der Produkte in verwendungsgeeigneter Form mit Hinweisen zur Handhabung.
  • Überprüfung der Stabilitätsdaten und Qualitätssicherung (Dokumentation).
  • Gegebenenfalls Zusammenmischen (Compounden) der Infusionslösung oder des individuellen Ernährungsbeutels nach Vorgaben eines Arztes und unter Berücksichtigung der guten Praxisstandards (GMP) bzw. der Produkthinweise.
  • Beratung und Empfehlung zur Durchführung der Begleitmedikation und Produkthandhabung.

Heimparenterale Ernährung ungeeignet zur Arzneimittelgabe

Bei der patientenindividuellen Herstellung von parenteralen Nährstofflösungen empfiehlt die Leitlinie Apothekern, All-in-one-(AiO)-Lösungen zu verwenden, die alle Nährstoffe bedarfsgerecht enthalten. Die Apotheke und das dort arbeitende Fachpersonal muss darauf spezialisiert sein, diese Nährlösungen herzustellen, da es Fachwissen, wie eine Nährlösung hergestellt und deklariert werden muss, und einer speziellen Ausrüstung bedarf: So muss beispielsweise der Arbeitsbereich aseptisch sein. Die Weiterbildung „Ernährungsberatung“ der Apotheken-Standesvertretung ABDA behandelt auch medizinische Ernährungsformen.

AiO-Mischungen sind wegen ihrer komplexen Zusammensetzung und der Reaktivität ihrer Bestandteile, egal ob industriell oder patientenindividuell gefertigt, nicht für die Beimischung von Arzneimitteln geeignet. Werden nach sorgfältiger Abwägung der Risiken doch Arzneimittel in die AiO-Mischung gegeben, heißt es dazu in der Leitlinie: „Bei Bedarf müssen die spezifischen pharmazeutischen Daten bereitgestellt und dokumentiert werden, da ein so formuliertes Produkt ein eigenes Arzneimittel darstellt, das nicht durch das zugelassene Ernährungsprodukt regulatorisch abgedeckt wird; der Ausschluss von allfällig unerwünschten Wechselwirkungen mit Arzneimitteln werden vom Hersteller in der Regel nicht verantwortet und sind nicht Bestandteil der behördlich zugelassenen Fachinformation“.

Einige Punkte, die Apotheker bei heimparenteraler Ernährung beachten sollten:

  • Sowohl industriell gefertigte Mehrkammerbeutel als auch individuelle AiO-Mischungen sollen unmittelbar vor der Infusion durch Zugabe von Multi-Spurenelement-Präparaten und Multivitamin-Präparaten entsprechend des Bedarfs vervollständigt werden.
  • Das Zuspritzen von Elektrolyten und Supplementen in industriell hergestellten Mehrkammerbeuteln sollte nach den Vorgaben der Hersteller bzgl. Stabilität und Kompatibilität bzw. nach Prüfung durch einen Pharmazeuten erfolgen.
  • Für individuelle AiO-Mischungen sollte die Kühlkette während des Transports und die gekühlte Lagerung bei 2 bis 8 °C bei den Patienten zu Hause garantiert sein.

 

Literatur

Bischoff SC et al. S3-Leitlinie Heimenterale und heimparenterale Ernährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). Thieme 2024, www.dgem.de/sites/default/files/PDFs/Leitlinien/S3-Leitlinien/07a_Leitlinie_DGEM_Online-PDF_watermarked.pdf

Gespräch mit Herrn Professor Bischoff vom 05. Juni 2024


Juliane Russ, M.Sc., DAZ-Redakteurin
jruss@dav-medien.de


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