Tetanus hat seinen Schrecken nicht verloren

Ohne Impfung kann der Wundstarrkrampf immer noch tödlich enden

19.08.2024, 17:50 Uhr

Clostridium tetanii: Vor allem in feuchtwarmen Ländern mit niedrigen Impfquoten und schlechter medizinischer Versorgung sterben auch heute noch viele Menschen an Tetanus. (Foto: Science Photo Library / Cavallini) 

Clostridium tetanii: Vor allem in feuchtwarmen Ländern mit niedrigen Impfquoten und schlechter medizinischer Versorgung sterben auch heute noch viele Menschen an Tetanus. (Foto: Science Photo Library / Cavallini) 


Auch wenn aufgrund flächendeckender Impfprogramme die Häufigkeit von Tetanus weltweit in den vergangenen drei Jahrzehnten um etwa 90% zurückgegangen ist, ist der Wundstarrkrampf in den Ländern des Globalen Südens nach wie vor eine potenziell lebensbedrohliche Krankheit. In der aktuellen S1-Leitlinie der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Neurologischen Fachgesellschaften sind die komplexen Therapiemaßnahmen zusammengefasst, die einem Patienten mit Tetanus das Leben retten.

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sank die Zahl von Tetanuserkrankungen weltweit von rund 615.000 Fällen auf 74.000 pro Jahr [1]. In demselben Zeitraum ging die Todesfallrate von 10,3% auf 1,0% zurück. Allerdings sterben immer noch etwa 25.000 Babys an neonatalem Tetanus, einer Form von Wundstarrkrampf, die immer tödlich endet. Ursache ist die Durchtrennung und Versorgung der Nabelschnur durch unsterile Instrumente, typischerweise bei Hausentbindungen durch traditionelle Hebammen.

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Nach Angaben des European Center for Disease Control and Prevention (ECDC) beträgt in Europa die mittlere Inzidenz 0,02 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr [2]. Die Krankheitshäufigkeit ist allerdings in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. 40% aller Fälle von Tetanus treten in Italien auf. In Deutschland liegt die Erkrankungsrate über die letzten Jahrzehnte dagegen im Mittel bei 15 Fällen pro Jahr. Die Ursachen der heterogenen Verteilung von Tetanus sind unbekannt.

In Europa ist Tetanus vorwiegend eine Erkrankung des höheren Lebensalters: 81% aller Erkrankten waren älter als 65 Jahre. Frauen sind um einen Faktor 1,7 häufiger betroffen als Männer. Das Risiko eines tödliche Verlaufs nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Auch bei optimaler Therapie versterben 13% der Behandelten (s. Tab.) [2].

Tab.: Demografische und klinische Charakteristika von Patienten mit Wundstarrkrampf (Daten aus mehreren Studien kombiniert [2, 7])
Merkmale der PatientenProzent
Alter > 65 Jahre81%
weiblich62%
wohnt auf dem Land68%
Symptome
Nackensteifigkeit86%
Kieferklemme (Trismus)86%
Schluckstörung (Laryngospasmus)66%
Atemstillstand (Apnoe)45%
krampfhafte Überstreckung des Rückens/Nackens (Opisthotonus)24%
Teufelsgrinsen (Risus sardonicus)10%

Die meisten Fälle von Tetanus sind die Folge einer Verletzung der Haut durch Trauma, Verbrennung, Operationswunden oder Piercing (!) bei Personen, die nicht oder unzureichend gegen Tetanus immunisiert waren. Auch bei Patienten mit einer Immunschwäche ist das Risiko für Tetanus erhöht [3].

Bevölkerungsbasierte Studien haben gezeigt, dass mit zunehmendem Lebensalter die Antitoxin-Antikörperkonzentration häufig unter einen kritischen Wert sinkt, die Betroffenen also nicht mehr gegen eine Infektion geschützt sind.

Tetanus kann auch berufsbedingt sein. Türkische Infektionsmediziner berichten von einem 16-Jährigen, der zehn Tage nach dem Tragen von Baustahl ohne Handschuhe einen Tetanus entwickelte [4]. In Ländern, in denen die Sandflohkrankheit Tungiasis endemisch ist und Kinder barfuß laufen, ist Wundstarrkrampf häufig die Folge der parasitären Infektion (s. Kasten „Tetanus durch Tungiasis“).

Tetanus durch Tungiasis

Bei der Vorbereitung einer Studie zu einem neuen Therapiekonzept der Tungiasis (Sandflohkrankheit) im ländlichen Kenia im Jahr 2014 wies die Amtsärztin im Gatandu Landkreis auf eine ihr unerklärliche Saisonalität von Tetanus-Erkrankungen bei Kindern hin. Während in der Regenzeit im Archiv des Distriktkrankenhauses so gut wie keine Tetanus-Erkrankungen dokumentiert waren, traten zu Beginn der Trockenzeit die ersten Erkrankungen auf und erreichte die Inzidenz mit bis zu fünf Fällen pro Monat am Ende der Trockenzeit das Maximum. Eine vom Autor angeregte Analyse der Krankenakten der Patienten mit Tetanus der vergangenen fünf Jahre zeigte, dass bei nahezu allen Patienten auch Tungiasis als zusätzliche „Bagatellerkrankung“ dokumentiert war.

Die Tungiasis wird durch den parasitären Sandfloh Tunga penetrans verursacht, der, wenn er in die Füße eindringt, Bakterien aus dem Erdboden, unter anderem auch Clostridien, in die Haut und das Unterhautgewebe verschleppt [8]. 80% aller Fälle von Tungiasis treten bei Kindern auf. Da sich Sandflöhe nur in trockenem Boden vermehren, ist die parasitäre Erkrankung in der Trockenzeit 10- bis 20-mal häufiger als in der Regenzeit. Die Saisonalität von Tetanus im ländlichen Kenia reflektiert also die Vermehrung der Sandflöhe und damit die zunehmende Häufigkeit der Tungiasis in der Trockenzeit.

Gefährliches Neurotoxin

Tetanus entsteht, wenn Sporen des Bakteriums Clostridium tetani über eine nicht oder chirurgisch nur unzureichend versorgte Wunde in das Unterhautgewebe oder die Muskulatur gelangen. In sauerstoffarmem Milieu produziert C. tetani eine toxische Metalloprotease, das Tetanospasmin. Die Pathogenese der vom Tetanospasmin verursachten Erkrankung ist bis auf die molekulare Ebene erforscht [5]. Die Protease bindet an periphere motorische und sensorische Neuronen, wird nach Penetration in das Axon in einem Endosom eingeschlossen, in diesem „versteckt“ innerhalb weniger Tage retrograd in das Rückenmark transportiert und gelangt von dort in das Stammhirn. Hier wird das Toxin wieder freigesetzt und bindet sich selektiv an Neuronen, deren Aufgabe es ist, die Aktivität von Muskelzellen zu dämpfen. Das führt innerhalb von Stunden zu einem erhöhten Muskeltonus und zeitversetzt zu Krämpfen der quergestreiften und glatten Muskulatur. Eine gleichzeitig vorhandene Hyperaktivität des sympathischen Nervensystems verursacht eine exzessive Produktion von Speichel und Bronchialsekret. Letztendlich führt die Fehlsteuerung des autonomen Nervensystems durch Herzrhythmusstörungen bis zum Kammerflimmern, therapieresistentem Bluthochdruck (maligne Hypertrophie) und Atemversagen zum Tod des Patienten. Die im Verlauf des Krankheitsprozesses entstehenden Symptome spiegeln wider, in welchen Neuronengruppen das Toxin aktiv ist (s. Tab.).

Da der mikrobiologische Nachweis von C. tetani in einer Wunde mittels Kultur unzuverlässig ist, wird die Diagnose anhand der Krankheitszeichen gestellt. Molekularbiologische Techniken zum Nachweis von C. tetani sind derzeit in Entwicklung. Jeder Wundstarrkrampf ist ein Notfall und muss auf einer neurologischen Intensivstation behandelt werden. Die anti­infektiöse Therapie und die neurologische Versorgung des Patienten basiert gemäß aktueller S1-Leitlinie auf fünf Säulen:

  • Identifizierung der Eintrittspforte und komplette chirurgische Sanierung
  • sofortige Gabe von Metronidazol intravenös zur Abtötung von C. tetani im Gewebe
  • Tetanusimmunglobulin zur Neutralisierung des im Blut zirkulierenden und eventuell im Liquor vorhandenen Tetanospasmins
  • zeitgleich aktive Immunisierung mit Tetanus-Toxoid zur Produktion von Antikörpern gegen das Toxin
  • symptomatische Therapie, um Muskelkrämpfe zu verhindern und Vitalfunktionen aufrechtzuhalten

Sobald die Eintrittspforte identifiziert worden ist, wird die Wunde großflächig geöffnet und abgestorbenes Gewebe gründlich entfernt, um eine lokale Vermehrung der Tetanusbakterien und damit die Produktion von Tetanospasmin zu unterbinden (Wunddébridement). Zeitgleich erfolgt die intramuskuläre Gabe von humanen Tetanus-Immunglobulin (z. B. Tetagam®) im Sinne einer passiven Immunisierung. Die S1-Leitlinie empfiehlt die Einmalgabe von bis zu 10.000 IE. Im Rahmen des Wunddébridements wird das Tetanus-Immunglobulin zusätzlich in die Wundränder injiziert. An der kontralateralen Körperseite wird der Patient mit Tetanus-Toxoid aktiv immunisiert.

Das Tetanus-Immunglobulin neutralisiert nur ungebundenes Tetanus-Toxin. An Nervenzellen gebundenes oder von Neuronen aufgenommenes Toxin wird nicht inaktiviert. Falls humanes Tetanus-Immunglobulin nicht verfügbar ist, kann auch unspezifisches Immunglobulin eingesetzt werden. Zur Eradikation eventuell im Gewebe vorhandener Clostridien wird der Patient hochdosiert mit Metronidazol intravenös behandelt (500 mg alle sechs Stunden für sieben bis zehn Tage). Von der Gabe von Penicillin G wird abgeraten, da Penicillin ein GABA-Antagonist ist und dadurch die Muskelkrämpfe verstärkt werden können [3].

Der erhöhte Muskeltonus bzw. die Muskelkrämpfe werden mit Benzodiazepinen intravenös behandelt. Bei schweren Verlaufsformen ist Baclofen, ein GABA-Agonist, intrathekal als Therapie etabliert. In der Regel müssen Patienten künstlich beatmet werden. In diesem Fall sind nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien wie Pancuronium vorzuziehen.

In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass eine intravenöse Zufuhr von Magnesium-Ionen die Muskelkrämpfe reduziert und die Sympathikus-Überaktivität günstig beeinflusst. Um den durch die Überaktivität des Sympathikus verursachten Bluthochdruck, das Herzrasen, die Erhöhung der Körpertemperatur und die exzessive Speichel- und Bronchialsekretproduktion zu unterbrechen, empfiehlt die S1-Leitlinie Labetalol, Clonidin und/oder Dexmedetomidin, Medikamente, die ihrerseits ausgeprägte Nebenwirkungen haben. Bei optimaler Therapie liegen die Überlebenschancen bei etwa 90%. Es liegt auf der Hand, dass ein Patient mit Tetanus auf einer neurologischen Intensivstation behandelt werden muss.

Impfen schützt

Um ein Leben lang gegen Tetanus gefeit zu sein, empfiehlt die WHO drei aufeinanderfolgende Grundimmunisierungen innerhalb des ersten Lebensjahres ab einem Alter von sechs Wochen. Je eine Auffrischungsimpfung soll im zweiten Lebensjahr, im Alter von vier bis sieben Jahren und zwischen dem neunten und 15. Lebensjahr erfolgen [1]. Tetanus-Toxoid enthaltende Impfstoffe sind mit Pertussisantigen und/oder Diphtherietoxoid kombiniert.

Derzeit wird mit molekularbiologischen Methoden versucht, Tetanospasmin, ein Konglomerat aus Hunderten von C. tetani synthetisierten Proteinen (Tetanus-Toxin), gentechnisch herzustellen. Ein synthetisches Toxin mit acht Aminosäuremutationen, das sich nicht mehr an Neuronen binden kann, bewirkte im Tiermodell eine hohe Schutzrate gegen Tetanus bei einer 50-millionenfach geringeren Toxizität [6].

Vor Fernreisen in die Tropen muss der Tetanus-Immun­status überprüft werden und, falls notwendig, bekommt die Reisenden eine Auffrischungsimpfung. Reiserückkehrer mit Tungiasis benötigen neben der antiparasitären Therapie eine Tetanus-Auffrischungsimpfung.

Literatur

[1] Tetanus Fact Sheet. WHO, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/tetanus

[2] Tetanus. Annual Epidemiological Report for 2022. European Centre for Disease Prevention and Control, www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/TETA_AER_2022_Report%20FINAL.pdf

[3] Tetanus. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Re.-Nr.: 030 - 104, Stand: 2. März 2024, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-104

[4] Deniz M, Erat T. Generalized tetanus: a pediatric case report and literature review; Rev Inst Med trop S Paulo 2023;65, https://doi.org/10.1590/S1678-9946202365040

[5] Megighian A et al. Tetanus and tetanus neurotoxin: From peripheral uptake to central nervous tissue targets. J Neurochem 24. Februar 2021, https://doi.org/10.1111/jnc.15330

[6] Przedpelski A et al. A Novel High-Potency Tetanus Vaccine. ASM Journals 2020;11(4), https://doi.org/10.1128/mbio.01668-20

[7] Pérez-González A et al. Tetanus, analysis of 29 cases. Medicina Clínica 2022;159(3):147-151, https://doi.org/10.1016/j.medcli.2022.02.021

[8] Feldmeier H et al. Tungiasis – A Neglected Disease with Many Challenges for Global Public Health. Plos Neglected Tropical Diseases 30. Oktober 2014, https://doi.org/10.1371%2Fjournal.pntd.0003133


Prof. Dr. Hermann Feldmeier


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1 Kommentar

Widerspruch Tetanus

von Ernst Meier am 20.08.2024 um 16:53 Uhr

Hallo Herr Prof. Dr. Hermann Feldmeier,
ich habe beim Studium Mal gelernt, es gibt gegen Toxine keine Immunität. Das mit der Tetanus Impfung ist mir folglich nicht erklärbar. Gibt es nähere Informationen wie der Mechanismus funktioniert ?
Nur weil man Dinge immer schon so handhabt, sollte man alles immer hinterfragen ?

Viele Grüße

Ernst Meier

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