Überarbeitete S1-Leitlinie

Botulismus durch intragastrische Therapie zur Gewichtsreduktion – was tun?

23.08.2024, 17:49 Uhr

Nahrungsmittel-Botulismus kommt selten vor und wird meist durch Konserven oder Geräuchertes verursacht. (Symbolfoto: Felipe Caparrós / AdobeStock)

Nahrungsmittel-Botulismus kommt selten vor und wird meist durch Konserven oder Geräuchertes verursacht. (Symbolfoto: Felipe Caparrós / AdobeStock)


Botulismus ist selten, aber gefährlich. Seit Kurzem liegt die überarbeitete S1-Leitlinie Botulismus von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) vor. Sie enthält einige Neuerungen sowie aktualisierte Empfehlungen zur Therapie und Diagnostik.

In europäischen Ländern ist Botulismus extrem selten, so wurden in der EU zwischen 2012 und 2021 weniger als 100 Fälle registriert. Im März 2023 fiel eine Häufung von Botulismus­-Fällen (über 30) bei tagesklinisch betreuten chirurgischen Patienten auf. Diese waren auf eine Überdosis von Botulinum-Toxin zurückzuführen, welches zur Gewichtsreduktion im Off-Label-Use intragastrisch appliziert wurde. 

Vergleichsweise selten kommt Nahrungsmittel-Botulismus vor, die ansonsten häufigste Manifestation in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese Lebensmittelvergiftung wird meist durch Konserven oder Geräuchertes verursacht. Noch seltener sind lokale Ausbrüche von Wundbotulismus mit Clostridium botulinum, die unter anderem bei injizierendem Drogengebrauch auftreten können. 

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Eine weitere Variante ist der Neugeborenen-Botulismus, die weltweit häufigste Form. Er tritt meist um den zweiten Lebensmonat auf. Sym­ptome sind u. a. Verstopfung, Muskelschwäche, Erschlaffen des Augenlids und Müdigkeit. Ursache ist eine enterale Kolonisierung mit Clostridium botulinum nach oraler Aufnahme der Sporen. Diese finden sich unter anderem auch in Honig, der daher für Säuglinge und Kleinkinder tabu ist.

Was ist Botulismus?

Botulismus wird durch von Clostridium botulinum gebildeten Neurotoxinen hervorgerufen. Diese Botulinum-­Toxine hemmen die Ausschüttung von Acetylcholin an der motorischen Endplatte und am parasympathischen Nervensystem. Die Hauptsymptomatik des Botulismus ist charakterisiert durch eine schlaffe, symmetrische, meist absteigende Lähmung aller vier Extremitäten (Tetraparese). Als typische Symptome zu Beginn gelten die „4 Ds“:

  • Diplopie (Doppelsehen),
  • Dysarthrie (motorische Sprech­störung),
  • Dysphagie (Schluckstörung) und
  • Dysphonie (Stimmstörung)

sowie anticholinerge Symptome mit Mydriasis, Mundtrockenheit und gastrointestinalen Symptomen.

Nachweis in speziellen Laboren

Die aktualisierte S1-Leitlinie weist darauf hin, dass der Nachweis des Toxins nur in spezialisierten Laboren möglich ist. Er erfolgt in Serum, Fäzes, Wunden und Nahrungsmitteln. Die Isolierung des Erregers wird mit mikrobiologischen und molekulargenetischen Verfahren (Kultur, PCR) durchgeführt. 

Aufgrund der Schwere der Erkrankung und der nicht vorhersehbaren Dynamik wird in der Leitlinie eine intensivmedizinische Überwachung und Behandlung empfohlen. Liegt ein Wundbotulismus vor, müssen Wunddébridement und antibiotische Therapie erfolgen. Eine Magenspülung ist nur dann sinnvoll, wenn noch Nahrungsreste im Magen sind und von einer verzögerten Toxinaufnahme ausgegangen wird.

Therapie mit Antitoxin und Cholinesterase-Hemmern

Die einzige spezifische medikamentöse Maßnahme ist die Gabe eines Botulinum-Antitoxins. Dieses neutralisiert Toxine, die noch nicht an Nervenendigungen gebunden sind, und sollte daher innerhalb von 48 Stunden verabreicht werden. Eine spätere Applikation ist mit einem prolongierten Krankenhausaufenthalt assoziiert. Seit 2019 ist in Europa das heptavalente Antitoxin (Serotypen A bis G) erhältlich (BAT®, Pferdeserum). Dieses wird in den Notfalldepots der Landesapothekerkammern aufbewahrt. Ein humanes Botulinum-Immunglobulin für Kleinkinder ist nur in den USA verfügbar.

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Ferner stuft die Leitlinie eine symptomatische Therapie mit Cholinesterase-Hemmern (z. B. Neostigmin 2 bis 6 mg/24 Stunden i. v.) als sinnvoll ein, da dadurch die Verweildauer des wenigen Acetylcholins, das noch ausgeschüttet wird, im synaptischen Spalt verlängert wird und damit die neuromuskuläre Übertragung verbessert werden müsste. Allerdings wurde dieses Vorgehen bzw. die Auswirkung auf Intensivpflichtigkeit, Morbidität und Mortalität nicht in prospektiven Studien untersucht. 

In der Leitlinie wird explizit darauf hingewiesen, dass die Gabe von Magnesium kontraindiziert ist, da hohe Magnesium-­Spiegel theoretisch die Wirkung von Botulinum-Toxin erhöhen. 

Literatur

Pfausler B et al. Botulismus, S1-Leitlinie, 2024; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien, abgerufen am 28. Mai 2024


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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