Daten zu Medizinischem Cannabis

Cannabinoide gegen Schlafstörungen einsetzen?

Berlin - 28.08.2024, 10:45 Uhr

Schlafstörungen sind für Betroffene mitunter eine enorme Belastung. (Foto: stokkete/AdobeStock)

Schlafstörungen sind für Betroffene mitunter eine enorme Belastung. (Foto: stokkete/AdobeStock)


Medizinisches Cannabis wird zurzeit in vielen Indikationen eingesetzt, mit unterschiedlichem Erfolg. In kleinen Studien war die Anwendung in der Schlafmedizin bei Insomnie, Albträumen oder Narkolepsie vielversprechend.

Wie viele andere Systeme im mensch­lichen Körper unterliegt auch das Endocannabinoid-System mit den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 und den physiologischen Liganden 2-Arachidonoylglycerol und N-Arachidonylethanolamin (Anandamid) einem zirkadianen Rhythmus, erläuterte Priv.-Doz. Dr. med. Yaroslav Winter, Leiter des Zentrums für Epilepsie und Schlafmedizin an der Klinik für Neurologie, Mainz, auf dem Medicinal Cannabis Congress in Berlin. 

Bereits in den 1970er-Jahren hatte man bei Cannabis-Konsumenten Polysomnographien durchgeführt und dabei beispielsweise eine Reduktion der Einschlaflatenz beobachtet. Die Effekte der Cannabinoide scheinen jedoch dosisabhängig zu sein. Denn bei chronischem Cannabis-Konsum ging die schlafanstoßende Wirkung verloren, es kam zur Toleranzentwicklung und zu Schlafstörungen beim Cannabis-Entzug. Mit CBD-THC-Kombinationen konnten Probanden zwar schneller einschlafen, die Tiefschlafphasen waren jedoch reduziert.

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Datenlage zum Einsatz von Cannabinoiden bei Schlafstörungen sehr heterogen

Die aktuelle Datenlage zur Effektivität von Cannabinoiden bei verschiedenen Schlafstörungen ist sehr heterogen, und vor allem fehlen große kontrollierte Studien, betonte Winter. Die Ergebnisse aus kleineren Untersuchungen und Beobachtungsstudien seien dennoch vielversprechend. Im Jahr 2019 wurden die Ergebnisse einer Studie mit Patienten mit Angststörungen (n = 72) und Insomnie (n = 25) veröffentlicht, die über drei Monate Cannabidiol (CBD) zur Nacht in Dosierungen zwischen 25 und 175 mg eingenommen hatten. Die Behandlung wurde gut vertragen und in beiden Gruppen reduzierte CBD die Symptome, wobei die Effekte bei den Angst­patienten konsistenter waren [1].

In einer klinischen Studie mit Patienten mit obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) reduzierte Dronabinol in Dosierungen zwischen 1,5 und 10 mg die Apnoe-Episoden, bei guter Verträglichkeit [2].

In einer kleinen placebokontrollierten kanadischen Studie waren 19 Militärangehörige eingeschlossen worden, die unter posttraumatischer Belastungsstörung litten und zuvor auf andere Therapien ungenügend angesprochen hatten. Die Einnahme von Nabilon (n = 10) führte im Vergleich mit Placebo zu einer signifikanten Reduktion der Häufigkeit und Intensität von Albträumen und zu einer längeren Schlafdauer [3].

In einer Klinik in den USA nahmen 82 Patienten, die Cannabis konsumierten, an einer anonymisierten Befragung teil. Bei 24 Personen waren Schlafstörungen der Grund für die Einnahme. Davon berichteten 70 Prozent über eine Linderung ihrer Symptome [4].

CB1-Antagonist als Schlafstörer: Der Fall Rimonabant

Der Appetitzügler Rimonabant (Acomplia®) war in der EU seit 2006 zusätzlich zu Diät und körperlicher Bewegung bei schwerer Adipositas sowie Adipositas-Patienten mit Risikofaktoren zugelassen. Seit Oktober 2008 ruht die Zulassung, weil bei einer Neubewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses durch die EMA das Risiko für schwere psychiatrische Störungen wie Depression, Angst, Schlafstörungen und Aggressivität möglicherweise höher ist als zum Zeitpunkt der Zu­lassung vorhersehbar war. 

Außerdem bestanden Bedenken, dass Depressionen zu Selbstmord­gedanken oder zu Selbstmordversuchen führen könnten. Rimonabant wirkt an CB1-Rezeptoren als Antagonist bzw. reverser Agonist [5].

Ältere mit Schlafstörungen sollten bei Cannabinoiden vorsichtig sein

Damit die Anwendung von Cannabino­iden bei Älteren gegen Schlafstörungen, aber auch bei anderen Beschwerden wie Schmerzen, Angst oder Inappetenz sicher ist, müssen laut Winter einige Besonderheiten dieser Altersgruppe beachtet werden. So verdienen vor allem die potenziellen Auswirkungen von Cannabis auf die kognitiven Funktionen, das Sturzrisiko sowie die Wechselwirkungen mit Dauermedikamenten besondere Beachtung. Solange noch keine Ergebnisse aus großen kontrollierten Studien vorliegen, empfiehlt der Neurologe eine Anwendung nach dem Prinzip: „Start low, go slow, keep (it) low“. 

Literatur

[1] Shannon S et al. Cannabidiol in anxiety and sleep: A large case series. Perm J 2019;23:18-041

[2] Babson KA et al. Cannabis, Cannabinoids, and sleep: a review of the literature. Curr Psychiatry Rep 2017;19(4):23

[3] Jetly R et al. The efficacy of nabilone, a synthetic cannabinoid, in the treatment of PTSD-associated nightmares: A preliminary randomized, double-blind, placebo-controlled cross-over design study. Psychoneuroendocrinology 2015;51:585-8

[4] Kaufmann CN et al. Cannabis use for sleep disturbance among older patients in a geriatrics clinic. Int J Aging Hum Dev 2023;97(1): 3–17

[5] Acomplia® (Rimonabant) nicht mehr abgeben, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/amk-meldungen/2008/10/30/acomplia-r-rimonabant-nicht-mehr-abgeben

[6] PD Dr. med. Yaroslav Winter, Mainz „Cannabinoide und spezielle Aspekte der Schlafmedizin: Insomnie, Tagesschläfrigkeit, Schlafrhythmus bei Älteren“, Vortrag auf dem 5. Medicinal Cannabis Congress, Berlin, 23. Mai 2024, veranstaltet von der Deutschen Medicinal-Cannabis Gesellschaft e.V.


Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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