Rhinovirus-Infektionen ohne Schnupfen

Wenn „stumme“ Rhinoviren giemen

Stuttgart - 06.09.2024, 17:50 Uhr

Nicht immer verursachen Rhinoviren Schnupfen, manchmal verlaufen Rhinovirus-Infektionen nahezu asymptomatisch und die Kinder giemen lediglich anhaltend. (Foto: IMAGO / Pond5 Images)

Nicht immer verursachen Rhinoviren Schnupfen, manchmal verlaufen Rhinovirus-Infektionen nahezu asymptomatisch und die Kinder giemen lediglich anhaltend. (Foto: IMAGO / Pond5 Images)


Rhinoviren verursachen gemeinhin Schnupfen. Die Infektionen können allerdings auch schwer verlaufen – oder bei Kindern ohne typische Erkältungssymptome bleiben und lediglich anhaltendes Giemen aus­lösen. Oft setzen Ärzte dann auf Glucocorticoide, ein US-amerikanischer Kinderpulmologe hält Azithromycin jedoch für die bessere Wahl.

Hinter den meisten Erkältungskrankheiten stecken Rhinoviren: Sie verursachen Infektionen der oberen Atemwege, wie Schnupfen, und gelten gemeinhin als harmlos. Gleichzeitig werden Rhinoviren mittlerweile auch mit Asthma, schwerer Bronchiolitis bei Kleinkindern und Kindern, tödlich verlaufenden Lungenentzündungen bei älteren Menschen sowie mit Keuchanfällen und anhaltendem Giemen in Verbindung gebracht [1]. Interessant ist: Giemen kann auch das einzige Symptom sein, und die Rhinovirus-Infektion ansonsten „stumm“ verlaufen – also ganz ohne Schnupfen oder andere Erkältungssymptome [2].

Stumme Rhinovirus-Infektion verursacht Keuchen

Auf diesen Zusammenhang – hartnäckiges Giemen bei Kindern und eine gleichzeitig symptomatisch unauffällige, doch persistierende rhinovirale Lungeninfektion – stieß der pädiatrische Pulmologe W. Gerald Teague vom Kinderkrankenhaus der Universität von Virginia (USA), nachdem er mehr als 800 Kinder und Jugendliche im Alter von zwei bis achtzehn Jahren mit schwerem und behandlungsresistentem Giemen untersucht hatte [2, 3].

Von den ursprünglich 805 Kindern und Jugendlichen, die an eine Spezialklinik für Asthma überwiesen worden waren, schloss der Pulmologe 686 Kinder in seine prospektive Studie ein, die anderen konnten aufgrund von Vorerkrankungen, wie zystischer Fibrose, interstitiellen Lungenerkrankungen oder schweren Immundefekten, nicht an der Studie teilnehmen.

Rhinoviren am häufigsten, vor allem bei kleinen Kindern

In der bronchoalveolären Lavage (BAL) von 616 Kindern konnte das Team um Gerald Teague am häufigsten Rhinoviren (allein oder als Ko­infektion mit anderen Erregern) nachweisen (29,7 Prozent), gefolgt – mit großem Abstand – von Adeno- und humanen Metapneumonieviren (je 1,7 Prozent). Dabei galt als viruspositiv, wenn die Studienautoren bei der BAL virale Nukleinsäure gefunden hatten. Am häufigsten hatte die Altersgruppe der Vorschulkinder einen positiven Rhinovirus-Nachweis, ab dem Schulalter kamen virale Lungeninfektionen hingegen seltener vor. Den Studienautoren fiel zudem auf: Rhinovirus-positive Kinder hatten in jüngerem Alter begonnen zu giemen, zusätzlich erhielten sie häufiger hochdosierte Glucocorticoide. Bei den in der bronchoalveolären Spülflüssigkeit detektierten Bakterien dominierten Moraxella catarrhalis (6,5 Prozent), Haemophilus influenzae (5,7 Prozent) und Streptococcus pneumoniae (4,7 Prozent).

Erhöhte Entzündungswerte bei Rhinovirus-positiven Kindern

Neben dem Erregernachweis in der bronchoalveolären Spülflüssigkeit interessierten sich die Wissenschaftler auch für mögliche Entzündungsmarker. Hier fiel ihnen auf, dass Kinder, die Rhinovirus-positiv waren, auch erhöhte Entzündungswerte (C-reaktives Protein, CRP) und erhöhte neutrophile Granulozyten im Blut aufwiesen. Bei drei Viertel der Kinder mit positivem Rhinovirus-Nachweis in der bronchoalveolären Lavage konnten die Wissenschaftler dort zudem eine Granulozytose feststellen. Wichtig ist: Dieses bei stummen Rhinovirus-Infektionen beobachtete entzündliche Milieu in der Lunge unterscheidet sich den Wissenschaftlern zufolge von dem einer akuten Rhinovirusinfektion.

Physiologie-Update: Giemen

Der Begriff Giemen (engl. wheezing) beschreibt ein kontinuierliches Atemnebengeräusch, das in der Literatur als trocken, pfeifend, und melodisch/musikalisch beschrieben wird. Es kann polyphon, also aus mehreren Tönen bestehend, oder monophon sein. Weiter wird zwischen akutem und wiederkehrendem, sowie einseitigem und beidseitigem Giemen unterschieden, hinter denen jeweils unterschiedliche Auslöser stehen.

Die Ursache des Giemens ist in der Regel eine Verengung der unteren Atemwege – typischerweise im Rahmen eines Asthmaanfalls oder bei Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Plötzlich auftretendes starkes Giemen kann Symptom einer anaphylaktischen Reaktion mit Verengung der Atemwege sein. Auch Herzinsuffizienz oder un­erwünschte Arzneimittelwirkungen, beispielsweise von nichtsteroidalen Antirheumatika, können Giemen auslösen. Kinder giemen häufiger als Erwachsene, z. B. bei akuter Bronchitis. Auch an eine Fremdkörperaspiration sollte bei Kindern gedacht werden, hier ist das Giemen oft einseitig. Die Ursache des Giemens sollte in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden.

Bedingen Viren eine Granulo­zytose – oder umgekehrt?

Allerdings ließe sich aus der beobachteten Lungengranulozytose nicht automatisch ableiten, dass Rhinoviren diese per se verursachten, räumen die Studienautoren ein. Schließlich bestünde auch – andersherum – die Möglichkeit, dass Kinder mit vorbestehender Lungengranulozytose an­fälliger für Rhinovirus-Infektionen und anhaltendes Giemen seien.

Reste einer früheren Infektion?

Doch sind die positiven Virusnach­weise tatsächlich der Beweis für eine Rhinovirus-Infektion? Die virale Nukleinsäure, aufgrund derer die Wissenschaftler auf eine stumme Rhinovirus-Infektion geschlossen hatten, könnte schlicht auch von früheren Infektionen stammen, quasi als verbliebene Nukleinsäuretrümmer. Dieses Phänomen ist den Studienautoren zufolge jedoch nicht bekannt. In einer früheren Studie an Säuglingen, in der 35 Prozent der Kinder Rhinovirus-positiv und asymptomatisch waren, zeichneten bei einem weiteren positiven Infektionsnachweis nach mindestens zwei Wochen meist andere Rhinovirus-Stämme für die Infektion verantwortlich und nicht der Stamm der ersten Infektion, der damit persistiert hätte. Der gleiche Stamm konnte nur bei 5,3 Prozent der positiven Proben gefunden werden [4]. Nach Ansicht von Teague et al. stützen zudem die zusätzlich beobachteten Entzündungsparameter bei den Kindern in ihrer Studie ihre These einer aktiven Infektion eher als die Annahme einer alten Restinfektion.

Sind Glucocorticoide die Ursache?

Doch was könnte die stumme Virus­infektion begünstigen? Liegt es an einer „mangelhaften mukosalen Interferonreaktion?“, überlegen die Studienautoren. Die Rhinovirus-infizierten Kinder in Teagues Studie hatten häufiger hoch dosierte Corticosteroide gegen das Keuchen erhalten als nicht-infizierte Kinder – und Glucocorticoide reduzieren, einer Asthmastudie an Erwachsenen zufolge, antivirale Interferone [5]. Eine andere Erklärung wäre auch, dass Kinder mit stummer Rhinovirus-Infektion und Granulozytose schlichtweg deswegen mehr Gluco­corticoide erhielten, weil sie an stärkeren Keuchanfällen litten. Nach Ansicht des Kinderpulmologen und Erstautors der Studie Gerald Teague, sind Glucocorticoide nicht immer die beste Therapie bei akutem Giemen und schweren Keuchanfällen, denn schließlich habe fast ein Viertel (22 Prozent) der von ihm untersuchten und bronchoskopierten Kinder und Jugendlichen an unerkannten Lungeninfektionen gelitten [2, 3].

Azithromycin als Alternative

Da seine Untersuchungen keine Entzündungsmuster gezeigt hätten, die auf Glucocorticoide ansprächen, postuliert Teague, dass – trotz der oben erwähnten Unsicherheiten – Kinder und Jugendliche mit erkältungsbedingten Keuchanfällen von antientzündlichen Arzneimitteln, die eine Immunität gegen Viren aufbauen, mehr profitieren würden als von Glucocorticoiden. Man müsse in diesem Bereich weg vom übermäßigen Einsatz von potenziell toxischen Steroiden. Als Alternative denkt Teague dabei an das Antibiotikum Azithromycin [3].

Azithromycin: in vitro antiviral

In der Tat gibt es Hinweise, dass das Makrolidantibiotikum neben seinen antibakteriellen und antimykobakteriellen Eigenschaften auch antivirale Effekte zeigt. In Zellkulturen hemmt Azithromycin die Vermehrung verschiedener Viren, unter anderem Rhinoviren, zeigt entzündungshemmende Effekte (Hemmung von IL-1beta, IL-2, TNF), und in humanen Bronchial­epithelzellen konnte Azithromycin die Interferonexpression erhöhen [6, 7, 8]. Große klinische Studien fehlen, sodass für eine Empfehlung von Azithromycin statt Glucocortico­iden – zumindest aktuell – die wissenschaftliche Basis fehlen dürfte. Dennoch gilt es, den Einsatz von Cortico­iden bei giemenden Kindern vielleicht zu überdenken und andere Behandlungsmöglichkeiten zu finden.

Auf andere Therapieoptionen hofft auch Teague: „Virusinfektionen sind der wichtigste Auslöser für akute Keuchanfälle bei Kindern und führen in einigen Fällen zu Atemnot und Krankenhausaufenthalten. Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse zu weiteren Arbeiten zur Behandlung von rezidivierendem Giemen und viralen Infektionen bei Kindern anregen wird“, so Teague. Wichtig ist den Studienautoren auf jeden Fall, dass ihre Arbeit ein Bewusstsein schafft: Bei Kindern mit persistierendem Giemen sollten Ärzte unbedingt auch eine asymptomatische Infektion mit Rhinoviren in Betracht ziehen [2, 3].

Literatur

[1] Jacobs SE et al. Human rhinoviruses. Clin Microbiol Rev 2013;26(1):135-62, doi: 10.1128/CMR.00077-12

[2] Teague WG et al. A novel syndrome of silent rhinovirus-associated bronchoalveolitis in children with recurrent wheeze. J Allergy Clin Immunol 2024:S0091-6749(24)00468-8, doi: 10.1016/j.jaci.2024.04.027

[3] Recurrent wheezing in children linked to ‚silent‘ viral infections. Pressemitteilung der University of Virginia Health System, 8. August 2024

[4] Jartti T et al. Serial viral infections in infants with recurrent respiratory illnesses. Eur Respir J 2008;32(2):314-20, doi: 10.1183/09031936.00161907

[5] Simpson JL et al. Reduced Antiviral Interferon Production in Poorly Controlled Asthma Is Associated With Neutrophilic Inflammation and High-Dose Inhaled Corticosteroids. Chest 2016;149(3):704-13, doi: 10.1016/j.chest.2015.12.018

[6] Oliver ME, Hinks TSC. Azithromycin in viral infections. Rev Med Virol 2021;31(2):e2163, doi: 10.1002/rmv.2163

[7] Gielen V et al. Azithromycin induces anti-viral responses in bronchial epithelial cells. Eur Respir J 2010;36(3):646-54, doi: 10.1183/09031936.00095809

[8] Khoshnood S et al. Antiviral effects of azithromycin: A narrative review. Biomed Pharmacother 2022;147:112682, doi: 10.1016/j.biopha.2022.11268


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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