Aktualisierte S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen

Fokus auf alternative Therapien und Ältere

01.10.2024, 07:00 Uhr

Unkontrollierbarer, häufiger Harndrang, Ablassen kleiner Harnmengen und Schmerzen beim Wasserlassen sind typische Symptome einer Harnblasenentzündung. (Foto: Nikolay N. Antonov / AdobeStock)

Unkontrollierbarer, häufiger Harndrang, Ablassen kleiner Harnmengen und Schmerzen beim Wasserlassen sind typische Symptome einer Harnblasenentzündung. (Foto: Nikolay N. Antonov / AdobeStock)


Die S3-Leitlinie „Unkomplizierte Harnwegsinfektion bei Erwachsenen“ wurde von der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) aktualisiert. Die Überarbeitung erweitert die bestätigten Therapiemaßnahmen um „Soll“-Empfehlungen für nicht-antibiotische Präparate, berücksichtigt die Therapie von geriatrischen Patienten und richtet sich auch ausdrücklich an Apotheker als Teil des Behandlungskonzeptes.

Die neue Version der Leitlinie enthält evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen für die Diagnostik, Therapie, Prävention und das Management von unkomplizierten Harnwegsinfekten bei Erwachsenen [1]. Kernziel ist die Reduktion des verbreiteten Gebrauchs von Antibiotika bei fehlender Indikation. Ein weiteres Anliegen ist die Vermeidung eines unangemessenen Einsatzes bestimmter Antibiotikaklassen und damit ein Beitrag zur Vermeidung von Resistenzen. Dazu wurde das Experten-Gremium um Vertreter der Fachgesellschaft für Phytotherapie und Naturheilkunde erweitert. Bei der Aktualisierung der Leitlinie wurden erstmalig geriatrische Patienten mit aufgenommen. Bei ihnen kann die Diagnose der Harnwegsinfektionen (HWI) schwierig sein, da in dieser Altersklasse unter Umständen die klassischen Symptome fehlen.

Klassifikation nach Lokalisation

Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten und werden in Abhängigkeit von der Lokalisation als obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis) oder untere (ableitende) Harnwegsinfektion klassifiziert. Bei der ableitenden Harnwegsinfektion wird zusätzlich zwischen der Urozystitis als entzündliche Infektion der Harnblase und der Urethritis, einer Entzündung der Harnröhre, unterschieden. Die Harnwegsinfektion gilt bei mindestens zwei Infektionen im Halbjahr oder mindestens drei Infektionen pro Jahr als rezidivierend. Bei einem positiven Streifentest aus dem Mittelstrahlurin oder einer positiven Urinkultur handelt es sich um eine asymptomatische Harnwegsinfektion. Schmerzen im Bereich des seitlichen Rückens (Flankenschmerz), Fieber über 38 °C, Schüttelfrost und ein reduzierter Allgemeinzustand sind Warnzeichen für eine Pyelonephritis.

Ziel: schnelle Symptomfreiheit

Die vorliegende Leitlinie spricht Empfehlungen für die unkomplizierte Harnwegsinfektion aus. Die akuten Symptome im unteren Harntrakt sind neu auftretende Schmerzen beim Wasserlassen, ein imperativer Harndrang, Pollakisurie (kleine Harnmengen) und Schmerzen oberhalb der Symphyse. Es liegen keine relevanten funktionellen, anatomischen Anomalien, Nierenfunktionsstörungen und relevante Begleiterkrankungen vor. Die unkomplizierte Zystitis ist meistens die Folge von Infektionen der Harnblase mit Keimen der Darmflora (Escherichia coli). Auch bei rezidivierenden Episoden ist nicht mit schwerwiegenden Komplikationen zu rechnen.

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Im Vordergrund der Behandlung einer akuten unkomplizierten Zystitis steht die schnelle Linderung der klinischen Symptome. Unnötige Therapien mit Antibiotika gilt es zu vermeiden, um die Bildung von Resistenzen zu verhindern. Die Empfehlungen richten sich nach der Patientengruppe. Hier unterscheiden die Experten-Gremien zwischen nicht schwangeren Frauen in der Prämenopause, Schwangeren, Frauen in der Postmenopause, jüngeren Männern, Diabetikern mit gut eingestellter Stoffwechsellage und geriatrischen Patienten.

Bevorzugt ohne Antibiotikum

Bei nicht geriatrischen Patienten sollte die alleinige nicht-antibiotische Therapie erwogen werden (s. Tab.). Dafür stehen Ibuprofen, Diclofenac, Bärentraubenblätterextrakt (Uva ursi) und unter anderem die pflanzliche Dreier-Kombination aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel zur Verfügung. Diese „RTL“ (oder BNO 1045) genannte Kombination ist in Canephron® N oder Canephron Uno® enthalten.

Tab.: Therapieoptionen bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen im Erwachsenenalter (nach [1])

Therapieformnicht-antibiotische Therapieempfohlene Antibiotikaalternative Antibiotika (bei Nichteignung der empfohlenen Antibiotika)
Wirkstoffe
  • Ibuprofen
  • Diclofenac
  • Uva-ursi-Extrakt
  • BNO 1045
  • Fosfomycin-Trometamol
  • Nitrofurantoin
  • Nitrofurantoin RT
  • Nitroxolin
  • Pivmecillinam
  • Ciprofloxacin
  • Levofloxacin
  • Norfloxacin
  • Ofloxacin

Empfohlene Antibiotika sind bei der akuten unkomplizierten Zystitis Fosfomycin-Trometamol, Nitrofurantoin, Nitrofurantoin RT, Nitroxolin und Pivmecillinam. Trimethoprim gilt nicht als Mittel der ersten Wahl, wenn die lokale Resistenzsituation von Escherichia coli bei über 20 % liegt. Cefpodoxim-Proxetil und Cotrimoxazol werden generell nicht als Mittel der ersten Wahl eingestuft. Ciprofloxacin, Levo­floxacin, Norfloxacin und Ofloxacin sollen nur verschrieben werden, wenn die Antibiotika der ersten Wahl als ungeeignet eingestuft werden.

Antibiotikum individuell auswählen

Bei der Auswahl eines Antibiotikums sollten das individuelle Risiko eines Patienten, das Erregerspektrum, die Antibiotika-Empfindlichkeit, Effektivität der antimikrobiellen Substanz, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Auswirkungen auf die Resistenzsituation berücksichtigt werden. 

Resistenzen treten bei Escherichia coli gegenüber Fosfomycin kaum und gegenüber Nitrofurantoin selten auf. Bei Pivmecillinam gab es in keinem europäischen Land Resistenzraten für Escherichia coli, die höher als 2,3 % lagen. Für Cotrimoxazol und Trimethoprim wurden in Studien sehr unterschiedliche Resistenzraten gefunden, die zwischen 20 und 30 % lagen. 

Bei einer akuten unkomplizierten Pyelonephritis sollte so früh wie möglich eine wirksame Antibiotikatherapie zum Einsatz kommen. Interventionen im Harntrakt sind in der Regel Schleimhaut-traumatisierende Interventionen. Vor der Untersuchung sollte nach einer asymptomatischen Bakteriurie gesucht und diese bei Nachweis behandelt werden.

Alternative Therapieoptionen

Zur symptomatischen Therapie sollen laut der aktualisierten Leitlinie alternativ zu Antibiotika Phytotherapeutika eingesetzt werden. Die CanUTI-7-Studie vergleicht die pflanzliche Kombination aus Rosmarin-, Tausendgüldenkraut- und Liebstöckelpulver (RTL) mit Fosfomycin. Die Ergebnisse zeigen, dass mit den Phytotherapeutika eine Reihe von Symptomen behandelt werden können und es sich um eine evidenzbasierte Therapieoption handelt. So benötigten 83,5 % der Patientinnen in der Phytotherapeutika-Gruppe und 89,8 % in der Fosfomycin-Trometamol-Gruppe innerhalb von 38 Tagen keine zusätzliche Antibiotikatherapie.

Patientengruppe Senioren

Beckenbodensenkung, verändertes vaginales hormonelles Milieu, Prostatahyperplasie und weitere Veränderungen im Alter erhöhen das Risiko für rezidivierende Harnwegsinfektionen. Für die Auswahl der Substanzen, Dosierung und Dauer der Prävention fehlen für geriatrische Patienten belastbare Daten. Polypharmazie und Multimorbidität erfordern einen umsichtigen Einsatz von Antibiotika bei Senioren. Bei geriatrischen Frauen können Trimethoprim, Trimethoprim/Sulfamethoxazol oder Nitrofurantoin in niedriger Dosierung zur antibiotischen Langzeitprävention eingesetzt werden. Im Gegensatz zur Priscus-Liste 1.0 wird Nitrofurantoin wie Sulfamethoxazol und Trimethoprim in der Priscus-Liste 2.0 nur noch als „nicht eindeutig bewertet“ gelistet und nicht mehr als „potenziell inadäquate Medikation“ bei Älteren [2]. Bei geriatrischen Männern gibt es die Empfehlung, die Therapie der rezidivierenden Harnwegsinfektionen analog der Therapie komplizierter Harnwegsinfektionen durchzuführen, obwohl die Evidenz fehlt.

Neue Evidenz

Im therapeutischen Bereich hat sich die Evidenz zu den 2017 empfohlenen Strategien erhöht, und die Therapieempfehlungen konnten in weiten Teilen beibehalten werden. Neben den Hinweisen zur antibiotischen Therapie unkomplizierter Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen wird in der aktualisierten Leitlinie betont, wie wichtig es ist, den unkritischen Einsatz nicht indizierter Reserveantibiotika zu vermeiden. Die Bedeutung nicht-antimikrobieller Maßnahmen zur Behandlung der unkomplizierten Harnwegsinfektionen und der Rezidivprophylaxe wird anhand neuer Evidenz dargestellt. Die nun aktualisierte Leitlinie befasst sich zusätzlich mit der asymptomatischen Bakteriurie bei Schwangeren und geriatrischen Patienten mit und ohne Katheter. Kinder und Jugendliche sind ausdrücklich nicht berücksichtigt. Die aktualisierte S3-Leitlinie wurde auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V. vom 25. bis 28. September 2024 vorgestellt.

Literatur

[1] Epidemiologie, Diagnostik, Therapie, Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen“. S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie e. V., AWMF Reg.Nr. 043/044, Stand: April 2024

[2] Priscus-Liste 2.0., www.priscus2-0.de/index.html


Alexandra Hinsken, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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