Achtung (Rück)staugefahr!

Venenschwäche – Möglichkeiten und Grenzen der Selbstmedikation

09.10.2024, 07:00 Uhr

Stau! Im Verkehr nervt er nur, wenn er jedoch in den Venen auftritt, kann er gefährlich werden. Was hilft dagegen? (Foto: Вячеслав Думчев/AdobeStock)

Stau! Im Verkehr nervt er nur, wenn er jedoch in den Venen auftritt, kann er gefährlich werden. Was hilft dagegen? (Foto: Вячеслав Думчев/AdobeStock)


Schwere, geschwollene Beine vor allem nach langer stehender oder sitzender Tätigkeit kennzeichnen die als Venenschwäche bezeichnete Volkskrankheit. Leichte Beschwerden lassen sich mit Bewegung, Kompression und Phytopharmaka zwar lindern. Sie sollten aber trotzdem ernst genommen werden, da sich chronische Venenleiden bei inadäquater Behandlung in der Regel fortschreitend verschlimmern.

Der wenig konkrete Begriff Venenschwäche wird in der Medienlandschaft uneinheitlich interpretiert. Zum Teil wird er synonym für eine chronisch venöse Insuffizienz (CVI) verwendet, die jedoch gemäß der CEAP (Clinical-Etiology-Anatomy-Pathophysiology)-Klassifikation als fortgeschrittenes Stadium chronischer Venenerkrankungen (C3 aufwärts) medizinisch definiert ist und mit einer spezifischen fortgeschritteneren klinischen Symptomatik einhergeht [1]. Daneben wird das Krankheitsbild von „schwachen Venen“ in verschiedenen Gesundheitsratgebern für die Allgemeinbevölkerung als Allgemeinbegriff, Anfangsstadium oder milde Form für chronische Venenerkrankungen skizziert. Jeder Auslegung gemeinsam ist eine beeinträchtigte Funktion der Venenklappen.

Schwerkraft überwinden

Das venöse Gefäßsystem, das den Rückfluss des sauerstoffarmen Blutes zum Herzen gewährleistet, ist mit Venenklappen ausgestattet, die nach dem Prinzip eines Rückschlagventils den Blutstrom in nur eine Richtung zulassen. In regelmäßigen Abständen verhindern sie ein Absacken des Blutes in die unteren Extremitäten. Besonders in den Beinen ist die Überwindung der Schwerkraft eine Herausforderung für den Organismus. Dort fließt das venöse Blut von den oberflächlich zwischen Haut und Muskulatur gelegenen Venen über die verbindenden Perforansvenen zu den tiefen Venen, die sich innerhalb der Muskulatur befinden. Bei Bewegung führt die Kontraktion der Wadenmuskulatur zu einer Kompression der Unterschenkelvenen, sodass das Blut herzwärts gepumpt wird [2].

Schweregefühl und Juckreiz

Bei einer beeinträchtigten Klappenfunktion sind die Venenklappen nicht mehr in der Lage, den venösen Rückstrom in eine Richtung zu begrenzen. Das Blut fließt in das oberflächliche Venensystem zurück, staut sich dort und lässt den venösen Blutdruck steigen.

Ein frühes Symptom einer chronischen Venenerkrankung ist ein unspezifisches Schweregefühl in den Beinen [2]. Als erstes sichtbares Anzeichen können Teleangiektasien auch bekannt als Besenreiser auftreten. Sie erscheinen intradermal als geschlängelte feine blaue Linien auf den unteren Extremitäten und sind die Manifestation oberflächlich geschädigter und ausgebeulter venöser Gefäße. Retikuläre Varizen sind mit 1 bis 3 mm Durchmesser etwas größer, verlaufen subkutan und fächern sich netzartig auf. Auch wenn sie in erster Linie ein kosmetisches Problem darstellen, können sie doch auch als „Warnadern“ gelten [1]. Infolge des gesteigerten venösen Drucks werden nachfolgend auch größere Gefäße der Unterhaut in Mitleidenschaft gezogen. Krampfadern haben einen Durchmesser von mehr als 3 mm und sind durch ihre starke Erweiterung häufig tastbar. Sie können asymptomatisch bleiben oder mit Spannungsgefühl und Juckreiz einhergehen. Progrediente inflammatorische Prozesse, die durch eine persistierende venöse Hypertonie ausgelöst werden, führen zur Entwicklung einer chronisch venösen Insuffizienz, die durch Ödembildung, fortschreitende Gewebeveränderung bis zur schwersten Ausprägung des Ulcus cruris venosum gekennzeichnet ist [2, 3].

Punktuelle Schmerzen im Bereich der Varizen können hitzebedingt an heißen Sommertagen oder beim Saunagang auftreten, ansonsten sind chronisch venöse Venenerkrankungen eher mit Juckreiz und Schweregefühl anstatt mit Schmerzen verbunden [4].

Volksleiden kaputte Venen

Chronische Venenerkrankungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet. Etwa 13% der Bevölkerung ist von Krampfadern betroffen. Unter einer manifesten chronisch venösen Insuffizienz leiden ca. 41%. Lediglich 9,4% der 40- bis 80-Jährigen sollen keine klinischen Anzeichen einer Venenerkrankung aufweisen [5]. Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer chronischen Venenerkrankung zählen u. a. genetische Faktoren, höheres Alter, Übergewicht, Rauchen und häufige stehende oder sitzende Tätigkeit [6]. Letzteres resultiert aus einer eingeschränkt funktionierenden Muskelvenenpumpe, die für eine optimale Kompressionsarbeit eine Bewegung der Beine benötigt [2]. Auch physiologische Veränderungen während einer Schwangerschaft und die Einnahme von Kontrazeptiva sind mit einem erhöhten Risiko verbunden. Die Ursachen dafür liegen u. a. in einer Zunahme des Blutvolumens und einer Hyperkoagulabilität bei schwangeren Frauen sowie einem direkten Einfluss zugeführter Sexualhormone [5].

Wann zum Arzt?

  • Treten Beschwerden wie schwere Beine und Spannungsgefühl regelmäßig auf, sollte dies ärztlich abgeklärt werden [13].
  • Da Krampfadern nicht von allein verschwinden und sich der Zustand der Venen in der Regel im Laufe der Zeit progredient verschlechtert, ist eine Vorstellung am besten beim Phlebologen nicht erst bei zusätzlich eintretender Ödembildung und Hautveränderungen sinnvoll [3, 14].
  • Bei akut auftretenden Beinschmerzen können neben muskulären und neurologischen Ursachen auch Gefäßverschlüsse sowie arteriell bedingte Auslöser dahinterstecken:

– Ein schmerzhaft verhärteter, bräunlicher Venenstrang auf rotem, erwärmtem umgebendem Gewebe deutet auf eine akute oberflächliche Beinvenenthrombose hin.

– Einseitig auftretendes Spannungsgefühl, Schwellung und Schmerzen in den Beinen sowie eine neu erscheinende verstärkte Venenzeichnung und violette Verfärbung der Extremität sind typische Anzeichen einer tiefen Beinvenenthrombose [4].

– Beinschmerzen, die bei Bewegung auftreten und sich beim Stehenbleiben rasch bessern, können auf ein frühes Stadium (leichte Claudicatio intermittens) der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) hinweisen [15].

Was tun bei „schwachen Venen“?

Leichte, unregelmäßig auftretende Beschwerden wie schwere und kurzfristig geschwollene Beine können mit einer synergistisch wirksamen Kombination aus Kompressionstherapie in Form von Kompressionsstrümpfen und evidenzbasierter pflanzlicher Venenmedikation (siehe Tabelle) behandelt werden. Während die Venentherapeutika direkt an den Gefäßwänden wirken und deren Permeabilität verringern, unterstützt der von außen einwirkende Kompressionsdruck die Muskelvenenpumpe dabei, den venösen Blutstrom gegen die Schwerkraft herzwärts zu pumpen (siehe auch Beitrag „Mit Druck zum Erfolg: Phasengerechte Kompressionstherapie“, DAZ 2024, Nr. 28) [3].

Darüber hinaus sorgt regelmäßige Bewegung für eine Entlastung des Venensystems. Besonders empfehlenswerte Sportarten sind z. B. Schwimmen, Tanzen, Rad fahren und Skilanglauf. Auch Spazierengehen zeigt schon positive Auswirkungen. Lassen sich längere stehende oder sitzende Tätigkeiten nicht vermeiden, kann z. B. mit der sogenannten Fußwippe, bei der man abwechselnd die Zehenspitzen und die Fersen hebt, die Muskelvenenpumpe aktiv unterstützt werden, da insbesondere die Beweglichkeit des Sprunggelenks die Pumpwirkung fördert. Kalte Güsse vom Knöchel die Wade hinauf sollen „venentonisierend“ wirken. Im Sitzen können die Beine abwechselnd zur Venengymnastik hochgelagert werden [8, 9, 10].

Tab.: Orale Venentherapeutika (eine Auswahl) [Herstellerangaben, 3]
Venenwirksamer WirkstoffPräparatKonzentration pro EinheitDosierungHinweise
Diosmin, HesperidinSwanson® Diosmin & Hesperidin Kapseln500 mg/100 mg2× täglich 1 TabletteNahrungsergänzungsmittel
OxerutinVenoruton® Intens Filmtabletten500 mg2× täglich 1 Tablette zu den MahlzeitenArzneimittel, Dosierung des Herstellers entspricht wirksamer Studiendosis, bei dringender Indikation ab dem 2. Trimenon möglich
Rosskastanien-samenextraktVenostasin® retard Kapseln50 mg Aescin (4,5–5,5:1)2× täglich 1 Kapsel vor den MahlzeitenArzneimittel, Dosierung des Herstellers entspricht wirksamer Studiendosis, KI Schwangerschaft
Roter WeinlaubextraktAntistax® extra Venentabletten360 mg (4–6:1)1× täglich 1 Tablette vor dem FrühstückArzneimittel, Dosierung des Herstellers entspricht wirksamer Studiendosis, KI Schwangerschaft
RutinZein Pharma®Rutin + C Kapseln500 mg1× täglich 1 Kapsel nach der MahlzeitNahrungsergänzungsmittel

Venenwirksame Flavonoide

Eine wichtige Wirkstoffgruppe pflanzlicher Venentherapeutika stellen die Flavonoide dar. Quercetinglucuronid und Kaempferolglucosid aus dem Roten Weinlaubextrakt (Vitis vinifera), Rutin aus Buchweizenkraut (Fagopyrum esculentum) und die partialsynthetisch gewonnenen Vertreter Oxerutin (Gemische aus Hydroxyethylrutosiden) und Diosmin (aus Hesperidin) führten in kontrollierten klinischen Studien zu einer Normalisierung der pathologisch veränderten Gefäßpermeabilität. Nachweislich konnten so die Ödemrückbildung gefördert und der venöse Rückstrom verbessert werden [7, 11].

Als Wirkmechanismus der antiexsudativen und ödemprotektiven Wirkung wird eine Hemmung von Enzymen wie Elastasen und Hyaluronidasen diskutiert [11].

Für Diosmin wird daneben eine Inhibition der Katechol-O-Methyltransferase (COMT) vermutet, wodurch der Abbau von Noradrenalin verhindert wird. Dies führt zu einem verstärkten Einfluss von Noradrenalin auf die Kontraktilität der Gefäßwände und damit zu einer Steigerung des venösen Rückflusses [12].

Kastanien für die Venen

Ein weiteres Phytopharmakon mit gut belegter „venentonisierender“ Wirksamkeit ist der Extrakt aus Rosskastaniensamen (Aesculus hippocastanum). Dieser enthält das Triterpensaponingemisch Aescin, das wie die ödemprotektiven Flavonoide zu einer Abdichtung des Kapillarendothels führt. Als Mechanismus wird eine inhibierende Wirkung auf die Hyaluronidase vermutet, die Proteglykane der Kapillarmembran abbaut [12]. Anders als die relativ gut verträglichen Flavonoiddrogen kann das Saponin Aescin reizend auf die Schleimhäute wirken und Magenbeschwerden verursachen [11].

Auch der cumarinhaltige Steinkleekrautextrakt (Melilotus officinalis) und der weniger bekannte Mäusedornwurzelstockextrakt (Ruscus aculeatus), der die Steroidsaponine Ruscogenine enthält, sollen antiexsudative und ödemprotektive Effekte zeigen. Wirknachweise beruhen bisher jedoch lediglich auf Tierexperimenten sowie wenigen Studien am Menschen. Auch wenn die Kommission E die jeweiligen Extrakte als unterstützende Maßnahme bei Schmerzen, Schwellungen und Schweregefühl im Behandlungsrahmen einer chronisch venösen Insuffizienz empfiehlt, ist der Einsatz evidenzbasierter venenwirksamer Phytopharmaka sinnvoller [11, 12].

Darüber hinaus ist ein regelmäßiger Einnahmezeitraum von mindestens zwei bis vier Wochen nötig, um die volle Wirkung sämtlicher pflanzlicher Wirkstoffe zu erzielen [3].

Venentherapeutika zum Cremen?

Einiger Hersteller systemisch wirksamer pflanzlicher Venentherapeutika bieten die Phytopharmakaextrakte zusätzlich auch als topische Formulierungen an (Venostasin® Creme/Gel, Antistax® Creme/Gel). Im Gegensatz zu den oral einzunehmenden Vertretern ist die Wirksamkeit der Cremes und Gele jedoch nicht belegt, für eine Anwendungsempfehlung reicht die Evidenzlage nicht aus [12]. Allerdings wird die äußerliche Applikation der Produkte, vermutlich aufgrund eines Kühl- und/oder Massageeffekts, von den Patienten als wohltuend empfunden. 

Literatur

 [1] Santler B, Goerge T. Chronic venous insufficiency – a review of pathophysiology, diagnosis, and treatment. J Dtsch Dermatol Ges. 2017;15(5):538-556.

 [2] Valesky E et al. Venen und Venenkrankheiten. In: Moll I, Hrsg. Duale Reihe Dermatologie. 9. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2024:550-561.

 [3] Pannier F et al. S2k – Leitlinie Diagnostik und Therapie der Varikose. AWMF-Reg. Nr. 037-018. Stand 03/2019.

 [4] Mendoza E. Differenzialdiagnose von Beinschmerzen in der Phlebologie. Phlebologie. 2019;48:366-372.

 [5] Prochaska JH, Arnold N, Falcke A et al. Chronic venous insufficiency, cardiovascular disease, and mortality: a population study. Eur Heart J. 2021;42(40):4157-4165.

 [6] Labropoulos N. How does chronic venous disease progress from the first symptoms to the advanced stages? A review. Adv Ther. 2019;36(Suppl 1):13-19.

 [7] Rabe E, Guex JJ, Morrison N et al. Treatment of chronic venous disease with flavonoids: recommendations for treatment and further studies. Phlebology. 2013;28(6):308-19.

 [8] Rabe E, Gerlach HE. Praktische Phlebologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme 2005.

 [9] Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie. Venengymnastik. Abgerufen am 12.09.2024. www.phlebology.de/patienten/tipps/venengymnastik/#:~:text=Zehenspitzen-Stand&text=Heben%20Sie%20beide%20Fersen%20langsam,%C3%9Cbung%2010-15-mal.

[10] Ludwig M, Rieger J, Ruppert V. Gefäßmedizin in Klinik und Praxis. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme 2010.

[11] Sticher O et al, Hrsg. Hänsel/Sticher Pharmakognosie Phytopharmazie. 10. Aufl. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2015.

[12] Reich S, Altmeyer P, Stücker M. Systemische medikamentöse Therapie von chronischen Venenerkrankungen. Der Hautarzt. 2006;57:9-18.

[13] Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. Erste Anzeichen ernst nehmen – früh handeln! Abgerufen am 12.09.2024. www.dga-gefaessmedizin.de/patienten/krampfadern/diagnose.html#:~:text=Wer%20regelm%C3%A4%C3%9Fig%20m%C3%BCde%20und%20schwere,oder%20Venenexperten%20(Phlebologen)%20ratsam.

[14] Deutsche Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie. Krampfadern. Abgerufen am 12.09.2024.

[15] S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Deutsche Gesellschaft für Angiologie und Gefäßmedizin. AWMF-Reg. Nr. 065/003. Stand 09/2015.


Apothekerin Judith Esch, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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