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Unterfunktion der Nebenschilddrüsen erkennen

28.10.2024, 12:14 Uhr

Das in der Nebenschilddrüse produzierte Parathormon reguliert nicht nur den Calciumspiegel im Blut. (x / Foto: shidlovski / AdobeStock) 

Das in der Nebenschilddrüse produzierte Parathormon reguliert nicht nur den Calciumspiegel im Blut. (x / Foto: shidlovski / AdobeStock) 


Nebenschilddrüsen sind winzig, aber trotz ihrer geringen Größe überlebenswichtig für uns Menschen. Fehlen sie, ganz oder teilweise, oder werden sie beschädigt, kann ein Hypoparathyreoidismus resultieren, der massive Auswirkungen auf den Calcium-Haushalt hat.

Chronischer Hypoparathyreoidismus ist eine seltene Erkrankung, die durch einen Mangel an Parathormon (PTH) charakterisiert ist. Das in den Nebenschilddrüsen gebildete Parathormon reguliert Calcium-, Magnesium-, Phosphat- und Vitamin-D-Spiegel im Blut, die wiederum für Knochen- und Muskelfunktionen sowie diverse andere zelluläre Funktionen essenziell sind (siehe Kasten „Nebenschilddrüsen – alleinige Produzenten des Parathormons“). Ein Mangel an Parathormon führt unbehandelt zu Hypocalcämie, Hypercalciurie und Hyperphosphatämie und zahlreichen damit verbundenen Komplikationen. Hypoparathyreoidismus ist eine komplexe endokrine Störung, die mit erheblicher Morbidität, schlechter Lebensqualität und umfang­reicher Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen verbunden ist.

Ursache für die Erkrankung ist in 75 bis 80% der Fälle eine Verletzung, Unterbindung der Blutversorgung oder versehentliche Entfernung der Nebenschilddrüsen bei operativen Eingriffen an der Schilddrüse (z. B. Kropfoperation) oder im Halsbereich. Hypoparathyreoidismus kann aber auch als Folge einer Krebserkrankung oder von Bestrahlungen im Halsbereich auftreten sowie autoimmun oder genetisch bedingt sein. Darüber hinaus können Stoffwechselstörungen wie Magnesiumionen-Mangel oder -Überschuss der Erkrankung zugrunde liegen (funktioneller Hypoparathyreoidismus). Selten wird die Erkrankung durch Arzneimittel hervorgerufen. Dazu gehören Calcimimetika wie z. B. Cinacalcet (Mimpara®), das zur Behandlung des Hyperparathyreoidismus oder bei einem Nebenschilddrüsenkarzinom eingesetzt wird, sowie bestimmte Immuncheckpoint-Inhibitoren im Zusammenhang mit der Aktivierung von Autoantikörpern gegen die Calcium-sensitiven Rezeptoren (CaSR). Sehr selten ist Hypothyreoidismus angeboren, wie z. B. beim DiGeorge-Syndrom.

Schätzungsweise 10 bis 40/100.000 Menschen sind von einem Hypoparathyreoidismus betroffen. Die Mehrheit der Patienten ist älter als 45 Jahre. Bei Frauen kommt die Erkrankung etwa dreimal häufiger vor als bei Männern, vermutlich, weil Schilddrüsenoperationen bei Frauen öfter durchgeführt werden als bei Männern. Angesichts der steigenden Zahlen an Schilddrüsenoperationen, unter anderem aufgrund der Zunahme von Schilddrüsenkrebs, gehen Fachleute von einer zunehmenden Inzidenz und Prävalenz des postoperativen Hypoparathyreoidismus aus.

Postoperativer Hyperparathyreoidismus ist oft vorübergehend

Erste Manifestation bei einem postoperativen Hypoparathyreoidismus ist die Hypocalcämie. Diese wird meist innerhalb von 24 Stunden nach dem Eingriff festgestellt. Sie kann aber auch Wochen bis Monate danach noch auftreten, wenn die Nebenschilddrüsen ihre Funktion aufgeben. Die zeitliche Nähe zum operativen Eingriff ist ausschlaggebend, ob es sich um einen akuten bzw. vorübergehenden oder einen chronischen bzw. permanenten Hypoparathyreoidismus handelt. Das Risiko für einen chronischen Hypoparathyreoidismus ist dabei mit der Anzahl der nach dem operativen Eingriff verbliebenen Nebenschilddrüsen assoziiert. Häufig kommt es aber innerhalb weniger Monate nach dem operativen Eingriff zu einer Erholung. In 60 bis 70% der Fälle mit postoperativem Hypoparathyreoidismus wird die Nebenschilddrüsenfunktion innerhalb von vier bis sechs Wochen nach dem Eingriff wiederhergestellt. In den verbleibenden Fällen kommt es bei der Mehrzahl der Patienten während der Folgemonate zu einer Normalisierung. Nach den neuesten, im Jahr 2022 aktualisierten, klinischen Praxisrichtlinien der International Task Force for chronic Hypoparathyroidism spricht man von einem chronischen oder permanenten Hypoparathyreoidismus, wenn der PTH-Mangel länger als zwölf Monate nach der Operation anhält. Zuvor war eine Dauer von länger als sechs Monaten ausschlaggebend.

Nebenschilddrüsen – alleinige Produzenten des Parathormons

Die meisten Menschen besitzen vier Nebenschilddrüsen (Synonyme: Parathyreoideae, Epithelkörperchen), die sich an der hinteren Seite der Schilddrüse, an den die Schilddrüse umgebenden Bindegewebskapseln, befinden. Jede der Drüsen misst 3 bis 5 mm, ist also kaum größer als eine Linse. Trotz ihrer geringen Größe sind sie für den Menschen überlebenswichtig, denn die Nebenschilddrüsen sind die alleinigen Produzenten des Parathormons (PTH), das für die Regulierung des Calcium-Haushalts essenziell ist. PTH ist ein Polypeptid, das aus 84 Aminosäuren besteht. Nur die 34 N-terminalen Aminosäuren sind für die biologische Aktivität des Hormons verantwortlich. Das Hormon bindet an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren in Knochen-, Nieren- und Nervengeweben und vermittelt verschiedene physiologische Funktionen. Das Parathormon kontrolliert die Ausscheidung von Calcium-Ionen über die Nieren (durch Stimulation der Calcium-Reabsorption) und fördert die Aufnahme von Calcium-Ionen aus dem Darm (durch Steigerung der 1,25-Dihydroxyvitamin-D3-Synthese in den Nieren). Zudem kann Calcium bei Bedarf aus den Knochen, dem größten Calcium-Speicher im Körper, freigesetzt werden. Gleichzeitig fördert das Hormon die renale Phosphat-Ausscheidung. Der Normwert von PTH im Serum liegt bei 10 bis 65 pg/ml, die In-vivo-Halbwertszeit beträgt ca. 5 Minuten. Ausfall oder Unterfunktion der Nebenschilddrüsen führen zum Hypoparathyreoidismus, der sich unter anderem in Muskelkrämpfen (Tetanie), renalen und kardiovaskulären Komplikationen sowie Angst- und Unruhezuständen äußert.

Symptome / Klinische Manifestationen

Ein Mangel an Parathormon verändert den Calcium-Phosphat-Haushalt und führt zu Hypocalcämie, meist auch zu einer Hyperphosphatämie. Da Calcium von entscheidender Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit zahlreicher Gewebe und Organe, unter anderem Nieren, Herz, Muskeln und Nerven ist, können die Folgen des gestörten Mineralhaushalts gravierend sein. Das Ausmaß der Symptomatik hängt vor allem von Dauer und Intensität der Hypocalcämie ab. Patienten mit chronischem Hypoparathyreoidismus leiden meist unter einer Vielzahl von Symptomen. Kribbeln an Händen und Füßen und/oder am Mund, Muskelzuckungen, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Muskelkrämpfe sind Zeichen der Übererregbarkeit von Nerven und Muskeln. In schweren Fällen kommt es zur Tetanie. Neuropsychologische Veränderungen schließen Angst- und Unruhezustände, Depressionen und Schlaflosigkeit ein. Häufig treten renale (z. B. Nephrokalzinose, Nierensteine, Niereninsuffizienz) und kardiovaskuläre (z. B. verlängertes QT-Intervall, Synkopen, Arrhythmien, langfristig auch Herzinsuffizienz) Komplikationen auf. Es wurde ein erhöhtes Infektionsrisiko (z. B. therapierefraktäre Candida-Infektionen) beschrieben, und mit der Zeit kommt es zu Veränderungen von Haut und Knochen, einschließlich Haarausfall, brüchigen Nägeln, Zahnschmelzdefekten, reduziertem Knochenumbau, erhöhter Knochendichte und Knochenschmerzen. An den Augen kann sich ein Grauer Star (Katarakt) entwickeln. Einige Patienten fühlen sich wie benebelt, leiden an Konzentrationsstörungen und Lethargie, ein auch als „Brain Fog“ bezeichnetes Phänomen. Langfristig kann es zur Verkalkung der Basalganglien im Gehirn kommen (Morbus Fahr). Insgesamt sind Betroffene körperlich weniger belastbar, leiden oft an chronischer Erschöpfung (Fatigue) und stark eingeschränkter Lebensqualität.

Diagnose anhand von Laborparametern

Bei einem Verdacht auf Hypoparathyreoidismus werden in erster Linie die Serumwerte für ionisiertes Calcium (alternativ Albumin-korrigiertes Calcium) und PTH bestimmt. Darüber hinaus werden Phosphat-, Vitamin-D(25-Hydroxyvitamin D)-, Magnesium- und Kreatininspiegel sowie die Calcium- und Kreatininwerte im 24-Stunden-Urin zur Diagnosestellung herangezogen. Aufgrund einer verminderten renalen Phosphat-Ausscheidung liegt häufig auch eine Hyperphosphatämie vor. Magnesium-Mangel oder -Überschuss sollten ausgeschlossen werden, da beide einen Hypopara­thyreoidismus vortäuschen können. Hypocalcämie ist der wichtigste Stimulus für die Sekretion von PTH, so dass im Normalfall das PTH bei Hypocalcämie erhöht ist. Sind die PTH-Level bei einer Hypocalcämie niedrig oder im niedrig-normalen Bereich, dann deutet das auf Hypo­parathyreoidismus hin. Bei hohen PTH-Spiegeln dagegen könnten ein Pseudohypoparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel oder eine Niereninsuffizienz vorliegen. Beim Pseudohypoparathyreoidismus sind Hypocalcämie und Hyperphosphatämie nicht durch einen PTH-Mangel bedingt, sondern durch eine verminderte PTH-Wirkung. Hier liegt eine Signaltransduktionsstörung vor, die in einer Resistenz gegenüber PTH und über einen Rückkopplungsmechanismus in erhöhten PTH-Serumwerten resultiert. Dadurch lässt sich der Pseudohypoparathyreoidismus gut vom Hypoparathyreoidismus abgrenzen. Bei Patienten mit nichtoperativem Hypoparathyreoidismus, die eine entsprechende Familiengeschichte haben oder syndromale Merkmale aufweisen oder die jünger als 40 Jahre sind, sollte eine genetische Testung auf Autoimmunkrankheiten durchgeführt werden. Kleinwuchs und geistige Retardierung sind Hinweise auf einen genetisch bedingten Hypoparathyreoidismus.

Normalisierung der Calcium-Spiegel in Blut und Urin

Die Behandlung des Hypoparathyreoidismus erfolgt individuell und abhängig vom Ausmaß des Calcium-Mangels. Da es bislang nur wenige Studien und überschaubare Patientenzahlen gibt, basiert die Therapie auf Expertenerfahrungen. Ziel der Behandlung ist die Normalisierung der Calcium-Spiegel im Blut und im Urin sowie eine Verminderung der Symptome der Hypocalcämie, um langfristige Schäden zu vermeiden. Die Serum-Calciumspiegel sollen im unteren Normbereich liegen, um eine reflektorische Hypercalciurie zu vermeiden, denn diese ist mit einem erhöhten Risiko für Nierensteine verbunden. Sehr wichtig ist die regelmäßige Kontrolle der korrekten Einstellungen und erforderlichenfalls die Anpassung der Medikation. Nur so können Folgeerkrankungen wie Nierenverkalkungen und Nierensteine vermieden werden.

Konventionelle Therapie mit Calcium und Vitamin D

Hypoparathyreoidismus ist die letzte verbliebene endokrine Erkrankung, bei der die Erstlinientherapie nicht auf einer Hormonsubstitution beruht. Die konventionelle Therapie besteht aus einer bedarfsgerechten Substitution von oralem Calcium (möglichst niedrige Dosen) in Kombination mit aktivem Vitamin D (Calcitriol). Dabei handelt es sich um eine symptomatische Behandlung, bei der nicht die zugrunde liegende Störung behandelt wird. Die i.v.-Gabe von Calcium ist nur bei akuter Hypocalcämie angezeigt. Vitamin D ist für die Rückresorption von Calcium aus dem Darm notwendig. Da PTH die Umwandlung von 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol), der Speicherform von Vitamin D, zu 1,25-­Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol), der aktiven Form von Vitamin D, stimuliert, liegt bei einem Hypoparathyreoidismus auch ein Mangel an aktivem Vitamin D vor. Würde man Calcium-Ionen allein substituieren, würden diese über den Darm verloren gehen.

Calciumcarbonat oder Calciumcitrat werden für die orale Calcium-Therapie am häufigsten eingesetzt und in der Regel dreimal täglich, vorzugsweise mit den Mahlzeiten, in Dosen von 500 bis 3000 g eingenommen. Patienten, die Protonenpumpen-Inhibitoren einnehmen, und ältere Patienten mit geringer Magensäureproduktion sollten vorzugsweise Calciumcitrat oder -gluconat einnehmen, da diese auch im nicht sauren Milieu gut aufgenommen werden. Für die Aufnahme von Calciumcarbonat dagegen ist saurer Magensaft erforderlich. Bei den Vitamin-D-Präparaten kommen in der Regel 1,25-Dihydroxycolecalciferol (Calcitriol) oder 1-Hydroxycolecalciferol (Alfacalcidol) zum Einsatz. Das früher oft in hohen Dosen eingesetzte genuine Vitamin D3 ist zwar preislich günstiger, aber in Deutschland nicht mehr üblich, da es schwer steuerbar ist. Magnesium, Phosphatbinder und Thiazide werden zur weiteren Optimierung der Therapie eingesetzt. Thiazid-Diuretika verringern die Calcium-Ausscheidung im Urin, da sie die Rückresorption im distalen Tubulus verstärken. Aufgrund des Risikos für Hypokaliämie, Hypomagnesiämie und Hyponatriämie sind Elektrolytkontrollen erforderlich. In einigen Fällen (z. B. orthostatische Hypotonie, Nebennierenrindeninsuffizienz) ist die Anwendung von Thiaziden nur eingeschränkt möglich bzw. nicht empfohlen. Bei einer erhöhten Calcium-Ausscheidung über den Urin ist auch eine Calcium- und Natrium-arme Ernährungempfehlenswert.

Risiko für Beeinträchtigung der Nierenfunktion

Ein Nachteil der Standardtherapie ist, dass die Calcium-­Dosis nicht uneingeschränkt erhöht werden kann und aktives Vitamin D nicht den renalen Calcium-Verlust verhindert. Höhere Calcium-Dosen sind mit einem höheren Risiko für ektopische Kalzifikationen verbunden. Eine verstärkte Hypercalciurie erhöht das Risiko für die Einlagerung von Calcium-Salzen im Nierengewebe (Nephrokalzinose) und verschlechtert die Nierenfunktion. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Gefahr von hyperkalzämischen Krisen, die das Risiko für renale und kardiovaskuläre Komplikationen erhöhen und mit hoher Mortalität verbunden sind. In der Praxis liegen die Serum-Calciumspiegel bei zahlreichen Patienten, die konventionell behandelt werden, außerhalb des Zielbereichs.

Regelmäßiges Monitoring

Stabil eingestellte Patienten sollten Calcium-, Magnesium-, Phosphat- und Kreatinin-Serumwerte regelmäßig alle drei bis zwölf Monate kontrollieren lassen. Für Vitamin D wird ein Intervall von sechs bis zwölf Monaten empfohlen, für Calcium- und Kreatininwerte im 24-Stunden-Sammelurin sechs bis 24 Monate. Darüber hinaus sollte eine Untersuchung auf Symptome einer Hypo- oder Hypercalcämie stattfinden. Sind die Patienten nicht stabil eingestellt, sind häufigere Kontrolluntersuchungen notwendig, um starke Fluktuationen der Calcium-Spiegel und damit verbundenen Langzeitfolgen zu verhindern. Wird die Therapie geändert, sollten die Serum-Calciumspiegel wenige Tage danach gemessen und wöchentlich oder alle zwei Wochen kontrolliert werden. Zu Beginn einer Behandlung sollten die Nieren mit Ultraschall oder CT auf Anzeichen von Verkalkung oder Nierensteinen untersucht werden. Für Patienten mit Augenbeschwerden wird eine Augenuntersuchung empfohlen. Regelmäßige Messungen der Knochendichte werden nicht empfohlen, da Osteoporose keine Folgeerkrankung darstellt.

Hormonersatztherapie

Die Hormonersatztherapie stellt eine Alternative zur Substitutionstherapie dar, bleibt jedoch derzeit denjenigen Patienten vorbehalten, die nicht ausreichend auf die Substitutionstherapie ansprechen. Seit dem Jahr 2017 stand dafür das rekombinante humane Parathormon (rhPTH[1-84], Natpar®) zur Verfügung. Dessen Produktion wird aber Ende 2024 weltweit eingestellt, und Natpar® wird weltweit vom Markt genommen. Seit Ende 2023 ist mit Palopegteriparatid (Yorvipath®

,TransCon-PTH[1-34]) ein neues Präparat zugelassen (siehe Kasten „Palopegteriparatid“). Dabei handelt es sich um ein Prodrug des Parathormons (PTH[1-34]). Durch selbstständige Abspaltung des TransCon-Linkers im Körper werden kontinuierlich über den gesamten Tagesverlauf nahezu physiologische Wirkspiegel des aktiven Parathormons erreicht. Der Bedarf an Calcium und Vitamin D kann damit bei der Mehrzahl der Patienten erheblich gesenkt werden, meist bis zur Unabhängigkeit von der Standardtherapie. Palopegteriparatid wird einmal täglich subkutan in die Bauchdecke oder die Vorderseite des Oberschenkels gespritzt, wobei täglich zwischen vier möglichen Injektionsstellen gewechselt werden sollte (Bauchdecke links oder rechts, Oberschenkel links oder rechts).

Palopegteriparatid - Wirksamkeit und Sicherheit

Die Zulassung von Palopegteriparatid beruht auf der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie Pathway mit 84 Patienten mit Hypoparathyreoidismus. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • ca. 79% der mit TransCon-PTH Behandelten erreichten Unabhängigkeit von der Standardtherapie bei Aufrechterhaltung einer Normocalcämie (versus 5% in der Placebogruppe)
  • Normalisierung der Calcium-Ausscheidung im 24-Stunden-Urin, stärkere Abnahme der Calcium-Konzentration als unter Placebo
  • Verbesserung von Symptomatik, Funktionsfähigkeit und Wohlbefinden
  • sehr gute Verträglichkeit
  • positive Effekte bleiben langfristig erhalten

Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangerschaft und Stillzeit beeinflussen Calcium-regulierende Hormone und verändern die Calcium-Homöostase. So kann die Produktion des PTH-related Peptid (PTHrP) in der Plazenta und im Brustgewebe zu einer Hochregulierung von Calcitriol führen, was sich möglicherweise in einem veränderten Bedarf an Calcium und aktivem Vitamin D widerspiegelt. Deshalb sollten bei Eintritt einer Schwangerschaft unbedingt die Werte für ionisiertes Calcium (alternativ Albumin-korrigiertes Calcium) bestimmt und im niedrig- bis mittel-normalen Referenzbereich gehalten werden. Phosphat-, Magnesium- und 25-OH-Vitamin-D-Spiegel sollen im normalen Referenzbereich liegen. Die Behandlung mit aktivem Vitamin D (Calcitriol) und Calcium erfolgt wie bei nicht schwangeren Frauen. Die Kontrolle der Calcium-Werte wird jedoch häufiger als bei Nichtschwangeren durchgeführt, da ein erhöhtes Risiko für unvorhersehbare Fluktationen der Serum-Calciumspiegel besteht. Empfohlen werden Intervalle von drei bis vier Wochen in Schwangerschaft und Stillzeit. Während die Verabreichung von Calcium, Vitamin D und aktiven Vitamin-D-Analoga in der Schwangerschaft als sicher gilt, sollten Thiazide sowie PTH bzw. PTH-Analoga in dieser Zeit nicht verabreicht werden. Dosisänderungen von Calcitriol erfordern die Bestimmung der Calcium-Werte nach zwei bis drei Tagen. In den Monaten vor und nach der Geburt sowie bei Anzeichen einer Hypo- oder Hypercalcämie ist die Frequenz der Kontrolluntersuchungen zu erhöhen. Verantwortliche Ärzte sollten hier eng mit den Geburtshelfern zusammenarbeiten und sich auch mit dem Team der Pädiatrie/Neonatologie abstimmen, um die postnatale Überwachung bezüglich transienter Hypo- oder Hypercalcämie sicherzustellen.

Eine Hypocalcämie während der Schwangerschaft ist nicht nur mit Uteruskontraktionen und einem erhöhten Risiko für Früh- oder Fehlgeburten assoziiert, sondern auch mit einer Stimulation der fetalen Nebenschilddrüsen und sekundärem Hyperparathyreoidismus beim Fötus. Letzterer kann eine Demineralisierung des fetalen Skeletts und Frakturen in utero zur Folge haben. Mütterliche Hypercalcämie dagegen kann die Entwicklung der fötalen Nebenschilddrüsen unterdrücken und in einer transienten Hypocalcämie beim Neugeborenen resultieren. Die Babys sollten deshalb nach der Geburt gründlich untersucht und überwacht werden, um sicherzustellen, dass das Calcium im Normbereich liegt. Engmaschige Überwachung der Calcium-Spiegel bei der Mutter ist auch während des Abstillens erforderlich.

Hypoparathyreoidismus bei pädiatrischen Patienten

Tritt die Erkrankung im Kindesalter auf, ist eine sorgfältige Evaluierung der Ursachen erforderlich, da diverse genetische Defekte dafür verantwortlich sein können. Die Therapie erfolgt, wie bei Erwachsenen, in erster Linie durch orale Gabe von Calcium-Ionen und aktivem Vitamin D. Erst wenn damit keine ausreichenden Therapieerfolge erzielt werden, kann eine Hormonersatztherapie mit PTH in Betracht gezogen werden (off label). Während unter konventioneller Therapie eine hohe Prävalenz an Verkalkungen der Nieren (Nephrokalzinose) und der Basalganglien des Gehirns beobachtet worden ist, ist PTH (1-34) nach bisherigen Erkenntnissen mit einer verbesserten metabolischen Kontrolle assoziiert.

Auf einen Blick

  • Hypoparathyreoidismus ist eine seltene endokrine Erkrankung, die meist durch eine Operation an der Schilddrüse bzw. am Hals verursacht wird.
  • Charakteristisch ist ein Mangel an Parathormon (PTH), der zu Hypocalcämie, Hypercalciurie und Hyperphosphatämie sowie damit verbundenen Komplikationen führt.
  • Das Beschwerdebild des chronischen Hypopara­thyreoidismus weist eine große Bandbreite auf, von neuromuskulären und zentralnervösen Störungen über renale und kardiovaskuläre Komplikationen bis hin zu okulären, ossären und dermatologischen Problemen.
  • Die konventionelle Behandlung erfolgt durch Substitutionstherapie mit Calcium-Ionen und aktivem Vitamin D (Calcitriol) und regelmäßigen Kontrolluntersuchungen.
  • Anhaltende Anwendung von Calcium und aktivem Vitamin D in hohen Dosen ist mit einem erhöhten Risiko für Nierenverkalkungen und Nierensteinen verbunden.
  • Viele Hypoparathyreoidismus-Patienten, auch die jüngeren, haben eine deutlich eingeschränkte Nierenfunktion.
  • Hormonersatztherapie steht denjenigen Patienten zur Verfügung, die nicht ausreichend auf die Substitutionstherapie ansprechen.
  • In der Schwangerschaft und Stillzeit sind die Calcium-Homöostase und der Calcium-Bedarf verändert und es sind engmaschige Kontrollen erforderlich.

Ernährung bei Hypoparathyreoidismus

Wird genügend Calcium mit der Nahrung zugeführt, ist eine Calcium-Supplementierung nicht unbedingt erforderlich. Patienten mit einer Nebenschilddrüsenunterfunktion können deshalb durch eine angepasste Ernährung einen entscheidenden Beitrag für ihre Gesundheit leisten. Empfohlen wird eine calciumhaltige, phosphatarme und magnesiumreiche Kost. So sind Milchprodukte, calciumhaltiges Mineralwasser und calciumreiche Gemüsesorten wie Brokkoli und Grünkohl (am besten gekocht) günstig. Phosphatreiche Produkte dagegen wie Schmelz-, Koch- und Hartkäse, Kakao und Schokolade, Nüsse, Mandeln, Hülsenfrüchte sowie Cola und industriell verarbeitete Lebensmittel (enthalten meist Phosphatzusätze!) sollten vermieden oder sparsam konsumiert werden. Vor allem bei pflanzlichen Lebensmitteln ist nicht allein der Calcium-Gehalt entscheidend, sondern auch die Bioverfügbarkeit. Diese ist abhängig von diversen Faktoren, unter anderem dem Gehalt an Oxalaten oder Phytaten, zwei der wichtigsten Faktoren, die die Calcium-Absorption beeinträchtigen. So ist z. B. die Bioverfügbarkeit von Calcium-­Ionen im Spinat, Rhabarber und Roter Beete aufgrund des hohen Oxalat-Gehalts sehr gering. Wirksame Methoden zur Verringerung der Oxalat-/Phytat-Menge im Gemüse sind Kochen, Blanchieren, Einweichen und Keimen.

 

Literatur

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Siggelkow H. CME-Kurs Hypoparathyreoidismus – Unterfunktion der Nebenschilddrüse. Zeitraum: 22. Oktober 2021 bis 21. Oktober 2022

Bollerslev J. et al. (2015) European society of endocrinology clinical guideline: treatment of cronic hypoparathyroidism in adults. Eur J Endocrinol 2015;173(2):G1-G20

Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. Hypoparathyreoidismus, Ratgeber für Patienten und Angehörige. www.endokrinologie.net>broschueren

Lewis JL. Hypoparathyreoidismus. In MSD Manual. www.msdmanuals.com/de-de/profi/endokrine-und-metabolische-krankheiten/nebenschilddr%C3%BCsenerkrankungen/hypoparathyreoidismus?query=hypoparathyreoidismus

Hypoparathyreoidismus und Pseudohypoparathyreoidismus. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie (DGKED), AWMF-Register-Nummer: 174-005, Stand: Juni 2022

Rote-Hand-Brief zu Natpar: Einstellung der Produktion von Natpar® (Parathormon) Ende 2024 und Update zum Lieferengpass bei der 100-Mikrogramm-Dosis. Rote-Hand-Brief vom 4. Oktober 2022, Informationen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)

DGE 2024: Daten zur neuen Hormonersatztherapie. Presseinformation Ascendis Pharma, 6.Mai 2024, https://medicom.cc/de/aktuelles/news/deutschland-news/Presseinfo-Ascendis-Pharma-060524.php

Raue F. Therapie mit Vitamin D in der Praxis. J Miner Stoffwechs 2013;20(3):91-94

Netzwerk Hypopara. Ernährung beim Hypoparathyreoidismus. Bundesverband Schilddrüsenkrebs, Juni 2019

„Hypopara Patient Forum“, Online-Meeting für Patientinnen und Patienten mit Nebenschilddrüsenunterfunktion, organisiert von der Europäischen Gesellschaft für Endokrinologie und der europäischen Hypopara-Selbsthilfegruppen, 28. September 2024


Dr. Daniela Leopoldt, Apothekerin
redaktion@daz.online


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