Symptome / Klinische Manifestationen
Ein Mangel an Parathormon verändert den Calcium-Phosphat-Haushalt und führt zu Hypocalcämie, meist auch zu einer Hyperphosphatämie. Da Calcium von entscheidender Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit zahlreicher Gewebe und Organe, unter anderem Nieren, Herz, Muskeln und Nerven ist, können die Folgen des gestörten Mineralhaushalts gravierend sein. Das Ausmaß der Symptomatik hängt vor allem von Dauer und Intensität der Hypocalcämie ab. Patienten mit chronischem Hypoparathyreoidismus leiden meist unter einer Vielzahl von Symptomen. Kribbeln an Händen und Füßen und/oder am Mund, Muskelzuckungen, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie Muskelkrämpfe sind Zeichen der Übererregbarkeit von Nerven und Muskeln. In schweren Fällen kommt es zur Tetanie. Neuropsychologische Veränderungen schließen Angst- und Unruhezustände, Depressionen und Schlaflosigkeit ein. Häufig treten renale (z. B. Nephrokalzinose, Nierensteine, Niereninsuffizienz) und kardiovaskuläre (z. B. verlängertes QT-Intervall, Synkopen, Arrhythmien, langfristig auch Herzinsuffizienz) Komplikationen auf. Es wurde ein erhöhtes Infektionsrisiko (z. B. therapierefraktäre Candida-Infektionen) beschrieben, und mit der Zeit kommt es zu Veränderungen von Haut und Knochen, einschließlich Haarausfall, brüchigen Nägeln, Zahnschmelzdefekten, reduziertem Knochenumbau, erhöhter Knochendichte und Knochenschmerzen. An den Augen kann sich ein Grauer Star (Katarakt) entwickeln. Einige Patienten fühlen sich wie benebelt, leiden an Konzentrationsstörungen und Lethargie, ein auch als „Brain Fog“ bezeichnetes Phänomen. Langfristig kann es zur Verkalkung der Basalganglien im Gehirn kommen (Morbus Fahr). Insgesamt sind Betroffene körperlich weniger belastbar, leiden oft an chronischer Erschöpfung (Fatigue) und stark eingeschränkter Lebensqualität.
Diagnose anhand von Laborparametern
Bei einem Verdacht auf Hypoparathyreoidismus werden in erster Linie die Serumwerte für ionisiertes Calcium (alternativ Albumin-korrigiertes Calcium) und PTH bestimmt. Darüber hinaus werden Phosphat-, Vitamin-D(25-Hydroxyvitamin D)-, Magnesium- und Kreatininspiegel sowie die Calcium- und Kreatininwerte im 24-Stunden-Urin zur Diagnosestellung herangezogen. Aufgrund einer verminderten renalen Phosphat-Ausscheidung liegt häufig auch eine Hyperphosphatämie vor. Magnesium-Mangel oder -Überschuss sollten ausgeschlossen werden, da beide einen Hypoparathyreoidismus vortäuschen können. Hypocalcämie ist der wichtigste Stimulus für die Sekretion von PTH, so dass im Normalfall das PTH bei Hypocalcämie erhöht ist. Sind die PTH-Level bei einer Hypocalcämie niedrig oder im niedrig-normalen Bereich, dann deutet das auf Hypoparathyreoidismus hin. Bei hohen PTH-Spiegeln dagegen könnten ein Pseudohypoparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel oder eine Niereninsuffizienz vorliegen. Beim Pseudohypoparathyreoidismus sind Hypocalcämie und Hyperphosphatämie nicht durch einen PTH-Mangel bedingt, sondern durch eine verminderte PTH-Wirkung. Hier liegt eine Signaltransduktionsstörung vor, die in einer Resistenz gegenüber PTH und über einen Rückkopplungsmechanismus in erhöhten PTH-Serumwerten resultiert. Dadurch lässt sich der Pseudohypoparathyreoidismus gut vom Hypoparathyreoidismus abgrenzen. Bei Patienten mit nichtoperativem Hypoparathyreoidismus, die eine entsprechende Familiengeschichte haben oder syndromale Merkmale aufweisen oder die jünger als 40 Jahre sind, sollte eine genetische Testung auf Autoimmunkrankheiten durchgeführt werden. Kleinwuchs und geistige Retardierung sind Hinweise auf einen genetisch bedingten Hypoparathyreoidismus.
Normalisierung der Calcium-Spiegel in Blut und Urin
Die Behandlung des Hypoparathyreoidismus erfolgt individuell und abhängig vom Ausmaß des Calcium-Mangels. Da es bislang nur wenige Studien und überschaubare Patientenzahlen gibt, basiert die Therapie auf Expertenerfahrungen. Ziel der Behandlung ist die Normalisierung der Calcium-Spiegel im Blut und im Urin sowie eine Verminderung der Symptome der Hypocalcämie, um langfristige Schäden zu vermeiden. Die Serum-Calciumspiegel sollen im unteren Normbereich liegen, um eine reflektorische Hypercalciurie zu vermeiden, denn diese ist mit einem erhöhten Risiko für Nierensteine verbunden. Sehr wichtig ist die regelmäßige Kontrolle der korrekten Einstellungen und erforderlichenfalls die Anpassung der Medikation. Nur so können Folgeerkrankungen wie Nierenverkalkungen und Nierensteine vermieden werden.
Konventionelle Therapie mit Calcium und Vitamin D
Hypoparathyreoidismus ist die letzte verbliebene endokrine Erkrankung, bei der die Erstlinientherapie nicht auf einer Hormonsubstitution beruht. Die konventionelle Therapie besteht aus einer bedarfsgerechten Substitution von oralem Calcium (möglichst niedrige Dosen) in Kombination mit aktivem Vitamin D (Calcitriol). Dabei handelt es sich um eine symptomatische Behandlung, bei der nicht die zugrunde liegende Störung behandelt wird. Die i.v.-Gabe von Calcium ist nur bei akuter Hypocalcämie angezeigt. Vitamin D ist für die Rückresorption von Calcium aus dem Darm notwendig. Da PTH die Umwandlung von 25-Hydroxycholecalciferol (Calcidiol), der Speicherform von Vitamin D, zu 1,25-Dihydroxycholecalciferol (Calcitriol), der aktiven Form von Vitamin D, stimuliert, liegt bei einem Hypoparathyreoidismus auch ein Mangel an aktivem Vitamin D vor. Würde man Calcium-Ionen allein substituieren, würden diese über den Darm verloren gehen.
Calciumcarbonat oder Calciumcitrat werden für die orale Calcium-Therapie am häufigsten eingesetzt und in der Regel dreimal täglich, vorzugsweise mit den Mahlzeiten, in Dosen von 500 bis 3000 g eingenommen. Patienten, die Protonenpumpen-Inhibitoren einnehmen, und ältere Patienten mit geringer Magensäureproduktion sollten vorzugsweise Calciumcitrat oder -gluconat einnehmen, da diese auch im nicht sauren Milieu gut aufgenommen werden. Für die Aufnahme von Calciumcarbonat dagegen ist saurer Magensaft erforderlich. Bei den Vitamin-D-Präparaten kommen in der Regel 1,25-Dihydroxycolecalciferol (Calcitriol) oder 1-Hydroxycolecalciferol (Alfacalcidol) zum Einsatz. Das früher oft in hohen Dosen eingesetzte genuine Vitamin D3 ist zwar preislich günstiger, aber in Deutschland nicht mehr üblich, da es schwer steuerbar ist. Magnesium, Phosphatbinder und Thiazide werden zur weiteren Optimierung der Therapie eingesetzt. Thiazid-Diuretika verringern die Calcium-Ausscheidung im Urin, da sie die Rückresorption im distalen Tubulus verstärken. Aufgrund des Risikos für Hypokaliämie, Hypomagnesiämie und Hyponatriämie sind Elektrolytkontrollen erforderlich. In einigen Fällen (z. B. orthostatische Hypotonie, Nebennierenrindeninsuffizienz) ist die Anwendung von Thiaziden nur eingeschränkt möglich bzw. nicht empfohlen. Bei einer erhöhten Calcium-Ausscheidung über den Urin ist auch eine Calcium- und Natrium-arme Ernährungempfehlenswert.
Risiko für Beeinträchtigung der Nierenfunktion
Ein Nachteil der Standardtherapie ist, dass die Calcium-Dosis nicht uneingeschränkt erhöht werden kann und aktives Vitamin D nicht den renalen Calcium-Verlust verhindert. Höhere Calcium-Dosen sind mit einem höheren Risiko für ektopische Kalzifikationen verbunden. Eine verstärkte Hypercalciurie erhöht das Risiko für die Einlagerung von Calcium-Salzen im Nierengewebe (Nephrokalzinose) und verschlechtert die Nierenfunktion. Nicht zu vernachlässigen ist zudem die Gefahr von hyperkalzämischen Krisen, die das Risiko für renale und kardiovaskuläre Komplikationen erhöhen und mit hoher Mortalität verbunden sind. In der Praxis liegen die Serum-Calciumspiegel bei zahlreichen Patienten, die konventionell behandelt werden, außerhalb des Zielbereichs.
Regelmäßiges Monitoring
Stabil eingestellte Patienten sollten Calcium-, Magnesium-, Phosphat- und Kreatinin-Serumwerte regelmäßig alle drei bis zwölf Monate kontrollieren lassen. Für Vitamin D wird ein Intervall von sechs bis zwölf Monaten empfohlen, für Calcium- und Kreatininwerte im 24-Stunden-Sammelurin sechs bis 24 Monate. Darüber hinaus sollte eine Untersuchung auf Symptome einer Hypo- oder Hypercalcämie stattfinden. Sind die Patienten nicht stabil eingestellt, sind häufigere Kontrolluntersuchungen notwendig, um starke Fluktuationen der Calcium-Spiegel und damit verbundenen Langzeitfolgen zu verhindern. Wird die Therapie geändert, sollten die Serum-Calciumspiegel wenige Tage danach gemessen und wöchentlich oder alle zwei Wochen kontrolliert werden. Zu Beginn einer Behandlung sollten die Nieren mit Ultraschall oder CT auf Anzeichen von Verkalkung oder Nierensteinen untersucht werden. Für Patienten mit Augenbeschwerden wird eine Augenuntersuchung empfohlen. Regelmäßige Messungen der Knochendichte werden nicht empfohlen, da Osteoporose keine Folgeerkrankung darstellt.
Hormonersatztherapie
Die Hormonersatztherapie stellt eine Alternative zur Substitutionstherapie dar, bleibt jedoch derzeit denjenigen Patienten vorbehalten, die nicht ausreichend auf die Substitutionstherapie ansprechen. Seit dem Jahr 2017 stand dafür das rekombinante humane Parathormon (rhPTH[1-84], Natpar®) zur Verfügung. Dessen Produktion wird aber Ende 2024 weltweit eingestellt, und Natpar® wird weltweit vom Markt genommen. Seit Ende 2023 ist mit Palopegteriparatid (Yorvipath®
,TransCon-PTH[1-34]) ein neues Präparat zugelassen (siehe Kasten „Palopegteriparatid“). Dabei handelt es sich um ein Prodrug des Parathormons (PTH[1-34]). Durch selbstständige Abspaltung des TransCon-Linkers im Körper werden kontinuierlich über den gesamten Tagesverlauf nahezu physiologische Wirkspiegel des aktiven Parathormons erreicht. Der Bedarf an Calcium und Vitamin D kann damit bei der Mehrzahl der Patienten erheblich gesenkt werden, meist bis zur Unabhängigkeit von der Standardtherapie. Palopegteriparatid wird einmal täglich subkutan in die Bauchdecke oder die Vorderseite des Oberschenkels gespritzt, wobei täglich zwischen vier möglichen Injektionsstellen gewechselt werden sollte (Bauchdecke links oder rechts, Oberschenkel links oder rechts).
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