Erste Leitlinie in den USA

Opioide bei Kindern sicher einsetzen

05.11.2024, 09:30 Uhr

(Foto:Shisu_ka/AdobeStock)

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Seit Kurzem liegt die erste klinische Leitlinie der American Academy of Pediatrics zur Opioid-Therapie für Kinder und Jugendliche vor. Unter- und Übertherapien und deren Folgen sollen vermieden werden und die Behandlung soll evidenzbasiert erfolgen. Den Verordnenden werden zwölf Empfehlungen an die Hand gegeben.

In den letzten zwei Dekaden schwankten Opioid-Verordnungen für Kinder und Jugendliche in den USA zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig. Konkret heißt das, dass nach zu häu­figen, zu hohen und nicht indizierten Opioid-Verschreibungen eine Restriktion folgte, die mitunter keine adäquate Schmerztherapie mehr ermöglichte. Um einen Weg zwischen diesen zwei Extremen gangbar zu machen, erarbeitete ein Gremium der American Academy of Pediatrics (AAP) eine Leitlinie [1], in der die neuesten Erkenntnisse zur Opioid-Therapie bei Kindern zusammengetragen wurden. Für zwölf Handlungsanweisungen wurde der Evidenzgrad beurteilt, die Stärke der Empfehlung festgehalten sowie Nutzen und Schaden abgewogen. Des Weiteren wird begründet und erläutert, wie die jeweilige Handlungsanweisung umgesetzt werden kann. Die zugrunde liegenden Daten wurden randomisierten klinischen Studien und Beobachtungsstudien entnommen. Fehlen diese Studien aus praktikablen oder ethischen Gründen, wurde auf Expertenmeinungen zurückgegriffen. Nähere Angaben zur Literatursuche und Auswahl der Studien finden sich in einem zweiten Übersichtsbericht [2], aus dem auch die Wirksamkeit unterschiedlicher Analgetika hervorging. Obwohl die Anzahl auswertbarer randomisierter Studien limitiert war, zeigte sich meist keine Überlegenheit der Opioide im Vergleich mit nicht­-opioiden Alternativen. Allerdings waren Opioide häufiger mit unerwünschten Begleiterscheinungen assoziiert. 

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Ziele der Leitlinie

Die Adressaten der Leitlinie sind auf der einen Seite Pädiater und Kinder-betreuende Ärzte im ambulanten Bereich, auf der anderen Seite Kinder und Jugendliche mit akuten Schmerzen. Die Empfehlungen umzusetzen, soll eine effektive und sichere Therapie akuter Schmerzen von Kindern und Jugendlichen ermöglichen, ohne das Risiko einer Überdosierung oder Opioid-Konsumstörung zu erhöhen. Kinderärzte sollen im Bedarfsfall Opioide verschreiben, denn nicht ­adäquat behandelte Schmerzen ­können zu Stress und psychischem ­Schaden führen. Unter dem Begriff Opioide werden in der Leitlinie Codein, Fentanyl, Hydrocodon, Hydro­morphon, Methadon, Morphin, Oxy­codon, Oxymorphon und Tramadol subsumiert.

Besonders hervorgehoben wird die Notwendigkeit, Angehörigen häufig vernachlässigter ethnischer Gruppen wie etwa dunkelhäutige oder hispanische Kinder oder Kinder mit intellektuellen oder körperlichen Beeinträchtigungen eine adäquate Schmerztherapie zukommen zu lassen. Die Leitlinie befasst sich nicht mit der Versorgung palliativ betreuter Kinder.

Wann sind Opioide gemäß der AAP-Leitlinie indiziert?

Eingesetzt werden können Opioide bei jungen Patienten laut Leitlinie, wenn:

  • starke Schmerzen vorliegen (Score von 7 bis 10 auf einer Schmerzskala mit 10 Punkten),
  • Patienten auf nicht-medikamentöse oder nicht-opioide Therapien nicht ausreichend ansprechen,
  • die Schmerzursache bekannt ist,
  • eine effektive Schmerzstillung durch Opioide sehr wahrscheinlich ist.

Opioid-Verordnungen nur ­zusammen mit Naloxon

Eine wichtige Empfehlung umfasst die zusätzliche Verordnung von Naloxon (als Nasenspray) zu einem Opioid. Dies markiert einen Wandel in der klinischen Praxis und erhöht die Sicherheit einer Opioid-Therapie. Die prophylak­tische Verordnung von Naloxon zu ­einem Opioid wurde bereits 2020 von der FDA diskutiert und für bestimmte Patientengruppen (zusätzliche Einnahme von Benzodiazepinen, Gefahr einer Überdosierung) empfohlen. Diese FDA-Empfehlung wird in der AAP-Leitlinie aufgegriffen und eine Naloxon-Verordnung bei jeder Opioid-Verschreibung empfohlen. Zusätzlich müssen Patienten und deren Angehörige über Zeichen und die Gefahren einer Überdosierung aufgeklärt werden. Blässe, Blaufärbung der Nägel und Lippen, ­Erbrechen, schlaffe Muskulatur, ­Bewusstseinstrübung, verlangsamte Atmung oder Herzschlag sind Anzeichen. Sie müssen darüber informiert werden, wie eine Antagonisierung mit Naloxon erfolgt, und instruiert werden, bei Zeichen einer Überdosierung sofort den ärztlichen Notdienst zu rufen.

Opioid-Verschreibungen in den USA

Im Jahr 2018 hatten 8,9% der Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren im vorangegangenen Jahr mindestens ein Rezept für ein Opioid erhalten. Der Grund für die Verordnung war meist ein chirurgischer oder zahnmedizinischer Eingriff. Die meisten Kinder und Jugendlichen, die ein Opioid erhalten hatten, entwickelten in der Folgezeit weder eine Opioid-Konsumstörung noch konnte eine Überdosierung festgestellt werden. Die einjährige Prävalenzrate dieser Ereignisse liegt zwischen 0,3% und 5,8%.

Einschränkungen für Tramadol und Codein

In der Leitlinie sind einige Einschränkungen für die Verordnung von Codein und Tramadol aufgeführt. Diese betreffen Kinder und Jugendliche unter 12 Jahren, Heranwachsende im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, die unter Fettleibigkeit, schwerer Lungenerkrankung oder obstruktiver Schlaf­apnoe leiden, sowie stillende Mütter ­(aktive Metaboliten von Codein und Tramadol können in die Milch über­gehen). Auch sollten Tramadol und Codein nicht zur Schmerzstillung nach einer Tonsillektomie oder Adenotomie eingesetzt werden. Diese Einschränkungen haben folgenden Hintergrund: 2017 sprach die FDA eine Kontraindikation für die Anwendung von Codein und Tramadol bei Kindern unter 12 Jahren aus; der Grund war das Risiko einer Atemdepression. Dieses Risiko besteht auch bei Heranwachsenden, die an Fettleibigkeit, schwerer Lungenerkrankung oder obstruktiver Schlafapnoe leiden. Die Empfehlung der Leitlinie, weder Codein noch Tramadol zur Schmerztherapie nach einer Entfernung der Gaumen- oder Rachenmandeln einzusetzen, beruht auf einer Studie, in der Paracetamol oder Ibuprofen wirksam und sicher waren. Aufgrund der Einschränkungen für eine Anwendung von Tramadol oder Codein bei Heranwachsenden erscheint es den Autoren der Leitlinie am einfachsten, deren Einsatz bei unter 18-Jährigen ganz zu vermeiden.

Keine Monotherapie, geringe Mengen, schnelle Freisetzung

In der Leitlinie werden weitere Empfehlungen zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Opioiden gegeben:

  • So sollte beim Therapieren von akuten Schmerzen ein multimodaler Ansatz gewählt werden. Dieser schließt nicht-medikamentöse Maßnahmen (z. B. Kälte, Wärme, Massage, Akupunktur) sowie eine Pharmakotherapie mit Paracetamol oder NSAIDs und Opioiden ein. Opioide sollten nicht als Monotherapie verordnet werden, damit ihre Dosis niedrig gehalten und unerwünschte Wirkungen verringert werden können.
  • Betroffene bzw. Betreuer müssen schriftliche Informationen erhalten und über die Therapie aufgeklärt werden.
  • Patienten und Pflegepersonal sollten über die sichere Lagerung, Applikation und Entsorgung der Opioide informiert und geschult werden.
  • Werden Opioide eingesetzt, soll eine schnell freisetzende Darreichungsform gewählt werden. Man beginnt mit der geringsten alters- und gewichtsadaptierten Dosis, die verordnete Menge sollte den Bedarf von fünf Tagen nicht überschreiten (Ausnahme nach Traumen oder Schmerzen nach Operationen mit längerer Heilungsdauer).
  • Nehmen Patienten sedierende Medikamente wie Benzodiazepine ein, ist bei einer Verordnung von Opioiden Vorsicht geboten.
  • Treten bei chronischen Schmerzpatienten zusätzlich akute Schmerzen auf, sollen bei Bedarf Opioide eingesetzt und ein interdisziplinärer Behandlungsplan festgelegt werden. |

 

Literatur

[1] Hadland SE et al. Opioid Prescribing for Acute Pain Management in Children and Adolescents in Outpatient Settings: Clinical Practice Guideline. Pediatrics 2024:e2024068752, doi: 10.1542/peds.2024-068752

[2] Raman SR et al. Evidence for the Use of Opioid Medication for Pediatric Acute Pain in the Outpatient Setting: Technical Report. Pediatrics. 2024;154(5):e2024068753


Dr. Petra Jungmayr, Apothekerin
redaktion@daz.online


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