Neue Praxisleitlinie

Kopfschmerzen – ein Thema für den Frauenarzt?

Stuttgart - 07.11.2024, 07:00 Uhr

(Foto: KMPZZZ/AdobeStock)

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Junge Frauen wenden sich mit Kopfschmerz-Beschwerden häufig nicht an einen Hausarzt, sondern an ihren Gynäkologen. Eine neue DGS-Praxisleitlinie Migräne soll Frauenärztinnen und Frauenärzte bei der Therapie unterstützen. 

Migräne und der Menstruationszyklus können zusammenhängen. Besonders junge Frauen, die häufig betroffen sind, wenden sich mit ihren Beschwerden an ihre Gynäkologin oder ihren Gynäkologen. Vor diesem Hintergrund haben die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) eine neue DGS-Praxisleitlinie Migräne entwickelt. Die Leitlinie soll den Frauenärzten bei der Diagnose und Therapie helfen und umfasst 80 Empfehlungen, zu verschiedenen Aspekten einer Migräne. 

Ein Sichtfeld, das durch flimmernde zickzackförmige Blitze, Schlieren und/oder Schleier eingeschränkt ist, kann beängstigend sein. Bei rund 15 bis 25 % der Migränepatienten tritt die sogenannte Aura als Vorbote auf. Verursacht wird sie durch eine primäre Entladung von Nervenzellen, die in einem bestimmten Gehirnbereich beginnt und sich mit der Zeit ausbreitet. Es kommt zu neurologischen Symptomen wie Seh-, Sensibilitäts-, Wort­findungs- oder Bewegungsstörungen (s. Kasten „App visualisiert Aura-Symptome“). Die Aura tritt meistens vor dem Migränekopfschmerz auf und dauert bis zu 60 Minuten an. Bleiben die Symptome länger bestehen, kann das auf eine seltene, aber ernste Komplikation, den migranösen Infarkt, hindeuten. Diese besondere Form eines ischämischen Schlaganfalls im Rahmen einer Migräneattacke tritt insbesondere bei jüngeren Frauen und bei Migräne mit Aura auf. Das Risiko wird weiter gesteigert, wenn die Patientinnen rauchen oder kombinierte orale Kontrazeptiva einnehmen. In der Praxisleitlinie wird daher empfohlen, bei Frauen, die an Migräne mit Aura leiden, ein reines Gestagen-Kontra­zeptivum zu bevorzugen. Alternativen sind nicht-hormonelle Verhütungs­mittel wie Kondome und kupferhaltige Intrauterinpessare [1].

Vorsicht Verwechslungsgefahr

Eine Migräne mit Aura kann als transitorische ischämische Attacke (TIA) fehldiagnostiziert werden. Bei Symptomen wie Schwindel, epileptischen Anfällen, Hypoglykämie und vorübergehenden Gedächtnisstörungen wird nicht selten eine unnötige thrombolytische Therapie eingeleitet. Laut Praxisleitlinie „entpuppen sich die Symptome jedoch als ein Schlaganfall-Mimikry“ und sind in diesem Fall der Aura geschuldet [1]. Bei einer „echten“ TIA wird das Gehirn vorübergehend nicht mit Blut versorgt. Das Gesicht kann wie bei einem Schlag­anfall taub sein und herabhängen. Die Patienten müssen sofort notfallmedizinisch betreut werden. Im Gegensatz zu einem Schlaganfall kommt es allerdings nicht zu langfristigen Hirn­schädigungen. Eine TIA gilt als Warnzeichen für einen möglichen Schlag­anfall. Problematisch ist, dass Migräneanfälle einen echten Schlaganfall maskieren können [4].

Notfallkontrazeptiva bei Migräne?

Das Apothekenteam kann zwischen dem Gestagen Levonorgestrel und dem selektiven Progesteronrezeptor-Modulator Ulipristalacetat wählen. Laut Praxisleitlinie können beide Arzneimittel bei Patientinnen mit Migräne, egal ob mit oder ohne Aura, eingesetzt werden. Sollten andere Gründe gegen eine Abgabe sprechen, kann gegebenenfalls ein Kupfer-haltiges Intrauterinpessar durch den Arzt in Erwägung gezogen werden [1].

Sinkende Estrogen-Spiegel als Auslöser der Attacke?

Unter besonders schweren Migräneattacken leiden Frauen mit einer menstruellen Migräne. Diskutiert wird, dass diese durch ein Absinken der Estrogen-Spiegel ausgelöst werden. Bei zwei von drei Zyklen setzen die Kopfschmerzen wenige Tage nach dem Beginn der Blutung ein. Wie bei der „normalen“ Migräne – jedoch nicht so erfolgreich – werden zur akuten Therapie vorrangig Triptane ein­gesetzt. Nach einer kurzen Linderung kehren die Schmerzen häufig zurück. Um den Leidensdruck zu senken, hilft ein prophylaktischer Ansatz: Patientinnen sollen Naproxen oder Triptane mit langer Halbwertszeit für fünf bis sechs Tage einnehmen, beginnend zwei Tage vor der erwarteten Menstruation. Die Gabe eines kombinierten oralen Kontrazeptivums kann ebenfalls in Betracht gezogen werden, jedoch nicht bei Migräne mit Aura (siehe oben). Die Dosis des enthaltenen Estrogens sollte gering sein. In vier Studien wurde gezeigt, dass 75 µg Desogestrel pro Tag die Anzahl der Migräneattacken und -tage gering, aber signifikant reduzierte. Dadurch könnte die Einnahme von Analgetika und Triptanen reduziert werden [2, 3, 5]. Ein durch Absinken des Estrogen-Spiegels ausgelöster Kopfschmerz wird auch bei Frauen beobachtet, die kombinierte hormonelle Kontrazeptiva einnehmen. Während der „Pillenpause“ oder nachdem sie abgesetzt wurde, können sich Kopfschmerzen innerhalb von fünf Tagen entwickeln. Normalerweise verschwinden diese nach circa drei Tagen wieder.

Monoklonale Antikörper gegen CGRP (calcitonin-gene related peptide) oder seine Rezeptoren sind laut Praxisleitlinie bei Frauen mit menstrueller Migräne ebenso wirksam wie bei Frauen mit anderen Migräneformen [1, 2].

Endometriose und Migräne

In mehreren Studien wurde gezeigt: Frauen leiden häufig sowohl unter Migräne als auch unter Endometriose. Ob es eine direkte Verbindung zwischen beiden Erkrankungen gibt, ist noch nicht abschließend geklärt. Forscher vermuten, dass gemeinsame genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Diese genetischen Risikovarianten führen häufig zu hormonellen Schwankungen. Der Zyklus ist kürzer und häufiger. Dies beeinflusst den Estradiol-Spiegel und dieser wiederum kann Migräneattacken triggern. Auch hormonelle Therapien gegen Endometriose können Migräneanfälle auslösen. Laut Praxisleitlinie kann „auch die zusätzliche Aktivierung sensorischer Nervenfasern im ektopen Endometrium eine Rolle spielen.“ Daher sollten Frauen mit einer der beiden Erkrankungen auch auf die jeweils andere untersucht werden [1].

App visualisiert Aura-Symptome

In der kostenlosen Migräne-App der Schmerzklinik Kiel und der Techniker Krankenkasse (TK) können sich Patienten Videos anschauen, die die Aura-Symptomatik visualisieren. Patienten beziehungsweise der behandelnde Arzt sollen dadurch die Beschwerden besser einordnen und von anderen neurologischen Erkrankungen unterscheiden können [1, 6].

Schwangerschaft: Ade Schmerz?

Bei 50 bis 80 % der Patientinnen treten Migräneattacken in der Schwangerschaft seltener auf [2]. Die Gründe dafür sind noch nicht abschließend geklärt. Ein Zusammenhang zwischen erhöhten Estrogen- und Progesteron-Spiegeln wird vermutet. Auch ein veränderter Serotonin-Stoffwechsel und ein Endorphin-Anstieg sind im Gespräch. Hinzu kommt, dass schwangere Frauen sich meist bewusster ernähren sowie keinen Alkohol trinken, nicht rauchen und Stress vermeiden. Plant eine Frau, schwanger zu werden, sollten prophylaktische Therapien überprüft werden. CGRP-Antikörper, Topiramat und Flunarizin sind während der Schwangerschaft tabu. Bei akuten Attacken helfen Reizabschirmung und Ruhe. Sollte das nicht ausreichen, können im ersten und zweiten Trimenon Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Metamizol eingenommen werden. Jedoch nicht mehr ab der 20., spätestens 30. Schwangerschaftswoche. Sumatriptan gilt als Mittel der Wahl [1, 2, 5].

Licht am Ende des Tunnels?

Viele Patientinnen hoffen auf eine Besserung ihrer Migräne-Beschwerden in den Wechseljahren. Leider ist das nicht immer der Fall. In Studien wurde gezeigt, dass sich die Symptome bei 50 % der Frauen weder in Intensität noch Häufigkeit verändern. Bei vielen wurde die Migräne tendenziell schlimmer. In einer systematischen Literaturanalyse wurde gezeigt, dass vor allem beim Übergang in die Wechseljahre Migräne besonders häufig auftritt [1].

Literatur

[1] Migräne. DGS-Praxisleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V., Stand 2024, dgs-praxisleitlinien.de/kernwissen-zu-diagnostik-und-behandlung-von-migraene-fuer-gynaekologinnen-und-gynaekologen/

[2] Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), AWMF-Reg. Nr. 030/057, Stand 18. Oktober 2022

[3] Warhurst S et al. Effectiveness of the progestin-only pill for migraine treatment in women: A systematic review and meta-analysis. Cephalalgia 2018;38(4):754-764, doi: 10.1177/0333102417710636

[4] Transitorische ischämische Attacken (TIA). MSD-Manual, Ausgabe für Patienten. Stand: September 2023, www.msdmanuals.com/de/heim/kurzinformationen-st%C3%B6rungen-der-hirn-r%C3%BCckenmarks-und-nervenfunktion/schlaganfall-cva/transitorische-isch%C3%A4mische-attacken-tia,

[5] Frau und Hormone. Migräne im Leben der Frau. Informationen der Schmerzklinik Kiel. schmerzklinik.de/service-fuer-patienten/migraene-wissen/frau-hormone/

[6] Die neue Migräne-App – Die Service-Seite. Informationen der Schmerzklinik Kiel, Stand: 23. Februar 2017 schmerzklinik.de/die-migraene-app/


Sarah Decker-Izzo, Apothekerin, DAZ-Redakteurin
redaktion@daz.online


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