Antikörper gegen Alzheimer

Lecanemab jetzt doch zur Zulassung empfohlen

Stuttgart - 15.11.2024, 17:14 Uhr

Regelmäßige Kontrollen der MRT-Aufnahmen sind Voraussetzung einer Therapie mit Lecanemab (Foto: Peakstock /AdobeStock)

Regelmäßige Kontrollen der MRT-Aufnahmen sind Voraussetzung einer Therapie mit Lecanemab (Foto: Peakstock /AdobeStock)


Für den monoklonalen Antikörper Lecanemab geht es auch in Europa einen Schritt voran: Die EMA hat ihre Entscheidung aus dem Juli 2024 revidiert und spricht nun doch eine Zulassungsempfehlung für den Alzheimer-Antikörper aus [1].

Im Juli 2024 hatte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA noch gegen eine Zulassung votiert [2]. Die Eisai GmbH als der Hersteller hatte daraufhin eine erneute Prüfung der Stellungnahme der EMA beantragt, da sie den klinischen Nutzen höher einschätzt als das Risiko für im Einzelfall schwere Nebenwirkungen und den Aufwand der regelmäßigen Infusionen.

Lecanemab (Leqembi) bindet hochaffin an lösliche toxische Amyloid-Beta-Protofibrillen im Gehirn und verhindert die Ablagerung von Beta-Amyloid. Der Antikörper soll bei Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium eingesetzt werden und den Abbau der kognitiven Fähigkeiten verlangsamen. Die europäischen Behörden blickten kritisch auf die Hinweise, dass Patienten unter der Therapie mit Lecanemab Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien (ARIA) entwickeln können, zum Beispiel Hirnödeme (ARIA-E) und Mikroblutungen (ARIA-H). Diese Effekte im Gehirn können mittels Magnetresonanztomografie (MRT) detektiert werden. Das Risiko wird international unterschiedlich bewertet: In den USA und Großbritannien ist der Antikörper bereits zugelassen [3, 4], die australischen Behörden haben sich im Oktober 2024 gegen eine Zulassung ausgesprochen [5].

Empfehlung nur für kleine Patientengruppe unter Auflagen

Die Zulassungsempfehlung sieht vor, dass Patienten nur im Rahmen eines kontrollierten Zugangsprogramms die Therapie erhalten dürfen. Empfohlen wird sie nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Auch kommen nur Alzheimer-Patienten infrage, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4 haben, denn diese bestimmte Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E wird in Zusammenhang mit schwerwiegenden Nebenwirkungen gebracht. Die Patienten müssen mehrfach im MRT untersucht werden und sollten über die möglichen Symptome von ARIA wie Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Sehstörungen, Schwindel, Übelkeit und Gangstörungen aufgeklärt sein. Auch Schulungsmaterial für Angehörige von Gesundheitsberufen sowie eine Patientenkarte muss von Seiten der Hersteller entwickelt werden, damit die Symptome der Amyloid-bedingte Bildgebungsanomalien rasch erkannt werden [1]. Bis Lecanemab wirklich eingesetzt werden kann, wird es noch etwas dauern, zumal die Zulassung durch die EU-Kommission noch aussteht.

Experten blicken unterschiedlich auf die Zulassungsempfehlung  

In einer Pressekonferenz des Science Media Center [7] diskutierten am 15. November Experten über die Empfehlung zur Zulassung von Lecanemab, die zwar beim ersten Mal abgelehnt, aber aufgrund einer neuen Subgruppenanalyse nun positiv ausfiel. Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und niedergelassener Neurologe, erklärte, dass die DGN die Empfehlung sehr begrüße, auch wenn Lecanemab kein Wundermittel sei. Betroffene bekämen ein halbes Jahr im Frühstadium geschenkt. Auch wolle man Erfahrungen mit dem Arzneimittel in Deutschland sammeln, mit Blick auf die Forschung. Laut Berlit wurde bereits beobachtet, dass sich Patienten seit der FDA-Zulassung das Arzneimittel im Ausland besorgt hätten, z. B. über internationale Apotheken. Das ginge in Richtung einer Zwei-Klassen-Medizin. Eine Therapie als soziökonomische Frage könne man nicht gutheißen.

Kritisch hingegen blickte Prof. Dr. Christian Behl, Leiter des Lehrstuhls für Pathobiochemie der Universitätsmedizin Mainz, auf die Empfehlung und stellte einige kritische Punkte infrage. Unter anderem thematisierte er die Anwendbarkeit von Lecanemab bei Frauen, weil bei diesen zum Teil kein Effekt zu sehen sei.

Prof. Dr. Stefan Teipel, Leiter der Sektion für Gerontopsychosomatik und demenzielle Erkrankungen an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universitätsmedizin Rostock, und Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Rostock/Greifswald, erläuterte, dass sich bei einer Sekundäranalyse der Effekt von Lecanemab bei Frauen als geringer herauskristallisiert hatte: Das werde aber im Moment noch nicht im Label der EMA berücksichtigt und Frauen seien von der Therapie nicht ausgenommen. Der Punkt sei aber sehr relevant, und Fachgesellschaften im europäischen Raum sollten diesem nachgehen; in den USA werde das Thema noch nicht beachtet.

Dr. Linda Thienpont, Stellvertretende Geschäftsführerin der  Alzheimer Forschung Initiative e.V., erklärte, dass die Daten zur geringeren Wirksamkeit bei Frauen aus einer Nachbeobachtung entstammen und ein Hinweis, aber kein Nachweis sind. Vor dem Hintergrund, dass ein großer Teil der von Alzheimer betroffenen Personen Frauen sind, sollte das Thema noch besser untersucht werden.

Teipel erklärte, dass es zwei zentrale Punkte bei der jetzigen positiven EMA-Empfehlung im Vergleich zur vorherigen gebe: Zum einen, dass die Hochrisikopatienten aus der Zulassung ausgenommen werden und zum anderen die Empfehlung des Expertengremiums, eine Nachbeobachtungsstudie durchzuführen. Das bedeutet, dass Patienten in ein EU-weites Register aufgenommen werden.  So könne man den langfristigen Verlauf beobachten und auch Probleme bezüglich der Sicherheit detektieren, falls diese auftreten sollten. Bisher wisse man, dass die Progression der Erkrankung sich in einem Zeitraum von 18 Monaten um fünf Monate verzögere. Aber was danach passiere, sei eine entscheidende Frage.

Nur wenige Patienten kommen für Therapie in Frage 

Der Einsatz von Lecanemab kommt laut den Experten nur bei wenigen Patienten infrage. Berlit zufolge werden die Best-Practice-Kriterien aktuell formuliert. Das Präparat wirkt nur in sehr frühen Stadien bei leichten kognitiven Einschränkungen oder sehr früh beginnender Alzheimer-Demenz. Zudem müsse die Erkrankung auch nachgewiesen werden und eine genetische Testung auf ApoE4 sei notwendig. Es gebe eine Reihe weiterer Patientengruppen, neben den ApoE4-Homozygoten, bei denen man vom Einsatz abraten würde, z. B. auch bei Menschen mit erhöhtem, nicht gut eingestelltem Blutdruck. Nicht mehr als 10% würden letztendlich wirklich behandelt werden können. Es sei besonders wichtig, die Bevölkerung gut darüber zu informieren, dass der Antikörper nicht bei einer manifesten Alzheimer-Demenz eingesetzt werden kann. Im Vergleich dazu lassen sich 45% der Demenzen durch Prävention vermeiden oder verzögern. 

Auch Behl betonte, dass eine Prävention entscheidend sei. Zudem plädierte er dafür, dass man das Forschungsfeld öffnen und anderen Therapiewegen nachgehen müsse als nur der Amyloid-Hypothese, auf die sich viele fokussiert hätten.

Wann wird Lecanemab in Deutschland verfügbar sein? 

Und wann wird Lecanemab in Deutschland verfügbar sein? Berlit rechnet mit einer Zulassung im Januar, demnach könnte das Arzneimittel ab März verfügbar sein. Die Kosten der Substanz sind dabei bisher nicht bekannt und müssen von den Kassen verhandelt werden, wobei offen ist, ob diese die Therapiekosten auch übernehmen werden. In den USA belaufen sich die Therapiekosten auf etwa 26.000 US-Dollar pro Jahr, hinzu kommen die Kosten für Diagnostik und Durchführung der Therapie.

Literatur

[1] CHMP summary of positive opinion for Leqembi. Informationen der European Medicines Agency (EMA) 14. November 2024, EMA/CHMP/530551/2024

[2] Meeting highlights from the Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) 22. bis 25. Juli 2024. www.ema.europa.eu/en/news/meeting-highlights-committee-medicinal-products-human-use-chmp-22-25-july-2024

[3] FDA Converts Novel Alzheimer’s Disease Treatment to Traditional Approval. FDA News Reales, 6. Juli 2023

[4] Lecanemab licensed for adult patients in the early stages of Alzheimer’s disease. Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, 22. August 2024, www.gov.uk/government/news/lecanemab-licensed-for-adult-patients-in-the-early-stages-of-alzheimers-disease

[5] TGA's decision to not register lecanemab (LEQEMBI). Therapeutic Goods Administration (TGA), 16. Oktober 2024, www.tga.gov.au/news/news/tgas-decision-not-register-lecanemab-leqembi

[6] Alzheimer-Update: Stand der Antikörper-Zulassung. Pressemitteilung der DGN vom 29. Oktober 2024 anlässlich des DGN-Kongress,  https://dgn.org/artikel/alzheimer-update-stand-der-antikorper-zulassung ;

[7] EMA empfiehlt Zulassung von Alzheimer-Medikament Lecanemab. Pressekonferenz des Science Media Center am 15. November 2024 


daz


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