Antibiotika-assoziierte Diarrhö

Antibiotika kennen weder Gut noch Böse

09.12.2024, 10:00 Uhr

Engelchen oder Teufelchen? Antibiotika unterscheiden bezüglich der Bakterien, die sie killen, nicht. Foto: Master1305/AdobeStock

Engelchen oder Teufelchen? Antibiotika unterscheiden bezüglich der Bakterien, die sie killen, nicht. Foto: Master1305/AdobeStock


Antibiotika können Fluch und Segen zugleich sein: Während sie den eingedrungenen Infek­tionserregern den Kampf ansagen, geraten auch die „guten“ Bakterien der physiologischen Darmflora in die Schusslinie. Als Folge tritt häufig Durchfall auf, der in den meisten Fällen selbstlimitierend verläuft. Bei einer Überwucherung des Darms mit Clostridioides difficile kann es jedoch gefährlich werden.

Antibiotika-assoziierte Diarrhöen sind eine mögliche unerwünschte Begleiterscheinung oraler und parenteraler Antibiosen. Die Bandbreite der Ausprägung reicht von einer als „lästig“ empfundenen erhöhten Frequenz konsistenzarmer Stühle bis hin zu Kolitiden mit schwerwiegenden Komplikationen. Je nach eingesetztem Antibiotikum variiert die Inzidenz von 2 bis 25%. Vor allem Amoxicillin (Clavulansäure), Cefixim und Clindamycin, die auch gegen Anaerobier wirksam sind, bergen ein höheres Risiko. ­Prinzipiell kann jedoch jedes Antibiotikum Durchfall auslösen [1, 2].

Auch wenn die Antibiotika-assoziierte Diarrhö in jedem Alter auftritt, sind Kinder aufgrund häufiger Infektionskrankheiten besonders betroffen [3].

Ungebetene Gäste im Darm

Verschiedene zugrunde liegende Mechanismen spielen bei der Entwicklung einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö eine Rolle. Grob unterscheidet man eine infektiöse und eine nicht-infektiöse oder funktionelle Genese [1, 2].

Es ist wenig überraschend, dass bakterizid oder bakterio­statisch wirksame Stoffe nicht nur den unerwünschten Infektionsauslöser dezimieren — auch die Bakterien der physiologischen Darmflora geraten ins Kreuzfeuer. Eine Störung des mikrobiellen Gleichgewichts kann einerseits zu metabolischen Veränderungen im Darm führen, andererseits auch eine Überwucherung mit Pathogenen wie Clostridioides difficile ermöglichen. Das grampositive Stäbchenbakterium ist aufgrund seiner Fähigkeit zur Sporenbildung besonders tolerant gegenüber Wärme, Austrocknung sowie einer Reihe chemischer Substanzen und kann durch Toxinbildung eine zytotoxische Schädigung der Intestinalzellen auslösen.

Clostridioides-difficile-Infektionen machen zwar lediglich 10 bis 20% der Antibiotika-assoziierten Diarrhöen aus, verursachen jedoch häufig Kolitiden, die mit Bauchkrämpfen, Fieber, Leukozytose, Hyperalbuminämie durch massiven Proteinverlust und charakteristischen Veränderungen der Darmschleimhaut einhergehen. Hauptsächlich sind stationäre Patienten von einer erhöhten Darmkolonisation betroffen. Komplikationen wie toxisches Megakolon, Perforation und auch letale Verläufe sind möglich. Neben einer gestörten Darmphysiologie begünstigt auch die zusätz­liche Einnahme von Protonenpumpenhemmern und nichtsteroidalen Entzündungshemmern das Auftreten einer Infektion [1, 4].

Was ist das toxische Megakolon?

Das toxische Megakolon ist hauptsächlich mit einer schwer verlaufenden chronisch-entzündlichen Darmerkrankung wie Colitis ulcerosa verbunden, kann aber auch als Komplikation im Rahmen infektiöser Kolitiden auftreten. Antibiotikaresistente Pathogene haben bei einem gestörten Mikrobiom leichtes Spiel, die Darmschleimhaut zu überwuchern. Dort können sie durch Toxinbildung Entzündungsreaktionen auslösen, die zur pseudomembranösen Colitis mit charakteristischen Fibrinbelägen führen. Im Zuge der inflammatorischen Prozesse entwickelt sich bei etwa 4% der Patienten mit Clostridioides-difficile-Infektion ein toxisches Megakolon: Begleitet von schweren Durchfällen, Fieber und starken Bauchschmerzen kommt es zu einer teilweise oder vollständigen lebensbedrohlichen Erweiterung des Dickdarms mit beeinträchtigter Motilität und erhöhter Gefahr einer Darmperforation. Da die Mortalität bei bis zu 80% liegt, ist eine rechtzeitige Diagnose von entscheidender Bedeutung und kann eine chirurgische Intervention notwendig machen [10].

Gestörter Darmstoffwechsel

In den meisten Fällen ist eine Antibiotika-assoziierte Diarrhö jedoch nicht-infektiöser Genese und nimmt einen unkomplizierten, selbstlimitierenden Verlauf. Die verringerte Anzahl der „guten“ Bakterien hat zur Folge, dass der intestinale mikrobielle Kohlenhydrat- und Gallensäurenstoffwechsel gestört wird.

Im gesunden Darm bauen die anaeroben Dickdarmbakterien 20 bis 50 Gramm Kohlenhydrate pro Tag durch Fermentation ab. Durch ihren Verlust sammeln sich nicht resorbierbare, unverdaute Kohlenhydrate an, die osmotisch bedingt Flüssigkeit ins Darmlumen ziehen und damit Durchfall verursachen. Auch primäre Gallensäuren, die der Resorption im Dünndarm entgehen und bakteriell gespalten werden, reichern sich an und gelten als Auslöser von Durchfall [1, 2].

Daneben haben einige antibiotische Wirkstoffe auch direkte Auswirkungen auf das Darmepithel, die unabhängig von der antimikrobiellen Aktivität auftreten. Erythromycin interagiert z. B. mit Motilinrezeptoren und steigert so die Darmmotorik. Auch Clavulansäure wird mit einer erhöhten Darmmotilität in Verbindung gebracht [1].

Abwarten und (Tee) trinken

Unkomplizierte Antibiotika-assoziierte Diarrhöen nicht-infektiöser Genese benötigen in der Regel keine spezielle Therapie. Orale Rehydrationslösungen (z. B. Oralpädon®, Elotrans®, Saltadol®) sind insbesondere bei Kindern und älteren Patienten eine sinnvolle Maßnahme, um ein Defizit an Flüssigkeit und Elektrolyten wieder auszugleichen [3]. Prinzipiell können Motilitätshemmer wie Loperamid (z. B. Imodium®) bei der Behandlung der funktionellen Form hilfreich sein, da jedoch eine Clostridioides-difficile-Infektion ohne Labortests nicht sicher auszuschließen ist, sind diese bei jedem Durchfall unter Antibiose kontraindiziert. Bei Vorliegen des Pathogens besteht aufgrund einer möglichen Toxin-Retention ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines toxischen Megakolons [2,5].

Antibiotikum absetzen und ansetzen

Patienten mit Clostridioides-difficile-Infektionen werden nach Absetzen des auslösenden Antibiotikums bevorzugt mit Fidaxomicin (Dificlir®, zweimal 200 mg täglich) oder alternativ Vancomycin (Generika, viermal 125 mg täglich) über zehn Tage behandelt. Zusätzlich sollte auf eine ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution geachtet werden. Die antibiotische Therapie erfolgt idealerweise oral, da sich der Erreger auf das Darmlumen beschränkt. Metronidazol, das früher häufiger zum Einsatz kam, ist im Therapiealgorithmus fast gänzlich verschwunden. Studien attestieren dem Nitroimidazol eine vergleichsweise geringere Wirksamkeit [5]. Da Erkrankte große Mengen Bakterien und Sporen mit dem flüssigen Stuhl ausscheiden, sind sorgfältige Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von Schmierinfektionen erforderlich [4].

Bakteriell vorbeugen

Trotz begrenzter Datenlage ist die Probiotika-Einnahme zusätzlich zum verordneten Antibiotikum eine gängige Praxis, um Durchfall vorzubeugen. Metaanalysen deuten mit moderater Evidenz darauf hin, dass die prophylaktische Anwendung mit einer schützenden Wirkung verbunden ist [3, 6, 7].

Die postulierten Wirkmechanismen sind vielfältig. Diskutiert werden u. a. der Abbau unverdauter Kohlenhydrate, eine verbesserte Barrierefunktion des Darmepithels und eine regulierende Wirkung auf Absorption und Sekretion von Darmflüssigkeiten. Darüber hinaus sollen Probiotika auch direkte Effekte auf die ungebetenen Darmpathogene ausüben: einerseits durch die Produktion antibakterieller Verbindungen und andererseits durch die Abschirmung intestinaler Bindungsstellen [3].

Die Autoren zweier Cochrane-Reviews aus den Jahren 2017 und 2019 stufen eine kurzzeitige Einnahme von Probiotika bei Ausschluss von Kontraindikationen (stark geschwächte oder immunsupprimierte Patienten) als sicher und moderat wirksam ein (eine Auswahl an möglichen Probiotika siehe Tabelle) [7, 8]. Welche probiotischen Stämme in welcher Dosis und Einnahmedauer für eine optimale Schutzwirkung am effektivsten sind, muss in weiterführenden Studien geklärt werden [3].

Tab.: Probiotika zur Prophylaxe der Antibiotika-assoziierten Diarrhö* (eine Auswahl)
ProbiotikumBakterienstämme und KonzentrationGeeignet für Kinder?
Omni-Biotic® 10

10 Stämme

5 × 109 KBE (koloniebildende Einheiten) pro Beutel

für Kinder geeignet, ohne Altersangabe

alternativ: Omni-Biotic® 10 kids

Innovall®AB+

4 Stämme

1,7 × 1010 KBE pro Kapsel

nein

für Kinder geeignet: Innoval® AID

Orthomol® pro 6

6 Stämme

5 × 108 KBE pro Kapsel

nein
MyBiotik®Protect

11 Stämme

2 × 109 KBE pro Beutel

ab einem Jahr
Kijimea®Synpro 20

20 Stämme

1 × 1010 KBE pro Sachet

ab einem Jahr
Nupure probaflor®

11 Stämme

2 × 1010 KBE pro Kapsel

nein
SymbioLact® Plus

6 Stämme

1 × 1010 KBE pro Beutel

nein
Perenterol® forte

Saccharomyces boulardii

1,8 × 1010 Zellen/g, 1 Kapsel = 250 mg

In Deutschland nur zur Behandlung von Durchfall indiziert, Studien zeigen jedoch auch prophylaktische Wirksamkeit [9]

ab 2 Jahren in der Selbstmedikation (ab 6 Monate nach ärztlicher Rücksprache): Kapsel öffnen und Inhalt in Getränke und Speisen unter 50 °C einrühren;

alternativ: Perenterol® Junior 250 mg

* ohne Angabe der Evidenz

Quelle: Produktinformationen

 

Literatur

[1] Bartlett JG. Clinical practice. Antibiotic-associated diarrhea. N Engl J Med. 2002;346(5):334-9.

[2] Schröder O, Gerhard R, Stein J. Die Antibiotika-induzierte Diarrhö. Zeitschrift für Gastroenterologie. 2006;44(02):193-204.

[3] Mekonnen SA, Merenstein D, Fraser CM et al. Molecular mechanisms of probiotic prevention of antibiotic-associated diarrhea. Curr Opin Biotechnol. 2020;61:226-234.

[4] Robert Koch Institut. Clostridioides difficile – RKI Ratgeber. Stand 02/2018.www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Clostridium.html#doc2393684bodyText2

[5] S2k-Leitlinie Gastrointestinale Infektionen der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). AWMF-Reg.Nr. 021-024. Stand 11/2023.

[6] Goodman C, Keating G, Georgousopoulou E et al. Probiotics for the prevention of antibiotic-associated diarrhoea: a systematic review and meta-analysis. BMJ Open. 2021;11(8):e043054.

[7] Guo Q, Goldenberg JZ, Humphrey C et al. Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhea. Cochrane Database Syst Rev. 2019;4(4):CD004827.

[8] Goldenberg JZ, Yap C, Lytvyn L et al. Probiotics for the prevention of Clostridium difficile-associated diarrhea in adults and children. Cochrane Database Syst Rev. 2017;12(12):CD006095.

[9] Szajewska H, Kołodziej M. Systematic review with meta-analysis: Saccharomyces boulardii in the prevention of antibiotic-associated diarrhoea. Aliment Pharmacol Ther. 2015;42(7):793-801.

[10] Argyriou O, Lingam G, Tozer P et al. Toxic megacolon. Br J Surg. 2024;111(8):znae200.


Apothekerin Judith Esch, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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