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Zum Jahreswechsel wird traditionell mit Champagner oder Sekt angestoßen. Doch was steckt eigentlich in so einer Flasche des edlen Getränks? Wir blicken naturwissenschaftlich darauf.
38 Gläser à 100 Milliliter Schaumwein hat jeder Deutsche über 16 Jahren laut Statistischem Bundesamt im Schnitt im Jahr 2022 getrunken – das sind rechnerisch fünf Flaschen. Das meiste der 267,8 Millionen Liter an Champagner, Sekt oder auch Prosecco geht dabei für besondere Anstoß-Momente ins Glas – auch wenn zuletzt die verkauften Mengen im langfristigen Vergleich zurückgehen.
Dennoch ist es immer noch ein weit verbreiteter Brauch, pünktlich um Mitternacht zum Jahreswechsel auf das neue Jahr anzustoßen. Getreu nach dem Motto „Alles ist Chemie“ wie es die Chemikerin und ZDF-Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim in ihrer Sendung MAITHINK X sogar singt, haben auch wir Champagner einmal mit wissenschaftlichen Augen betrachtet. Hier sind unsere Ergebnisse:
Strenge Vorgaben für Champagner
Champagner gilt als der edelste unter den Schaumweinen. Als Champagner darf nur jener Schaumwein bezeichnet werden, der aus der gerade einmal 36.000 Hektar umfassenden Anbauregion Champagne im Herzen Frankreichs stammt – die nicht identisch ist mit der historischen Region der Champagne.
Die Anbaugrenzen sind streng reglementiert – und auch welche Rebsorten für den edlen Tropfen verwendet werden dürfen. Verwendet werden die schwarzen (roten) Weinsorten Pinot Noir und Pinot Meunier sowie die weiße Rebsorte Chardonnay. Zugelassen aber nur selten verwendet sind auch die vier Weißwein-Rebsorten Arbane, Petit Meslier, Pinot Blanc und Pinot Gris.
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Als Erfinder zumindest für die Franzosen gilt der Benediktinermönch Dom Pierre Pérignon (1638-1715). In England gilt allerdings der englische Arzt und Naturforscher Christopher Merret als Erfinder, der 1662 vor der Gelehrtengesellschaft Royal Society das Verfahren präsentiert haben soll.
Zweifache Gärung
Das besondere an Schaumweinen wie Champagner, aber auch bei Sekt und Prosecco ist die zweifache alkoholische Gärung, bei der bekanntlich Zucker und Wasser zu Alkohol und Kohlendioxid umgesetzt werden. Nach der ersten Gärung, heute meist in Stahlfässern, bei denen aus dem gepressten Traubensaft Wein gekeltert wird, erfolgt bei den Schaumweinen eine zweite – beim Champagner mindestens 15 Monate währende – Gärung in der verkorkten Flasche.
Außer, dass der Alkoholgehalt im Vergleich zum Grundwein noch einmal um 1 bis 1,1 Prozent steigt, verbleibt bei dieser Flaschengärung nun auch das Kohlendioxid in Form der im wässrigen Medium gelösten Kohlensäure im Getränk (bei der Weingärung entweicht das Gas in den entlüfteten Gärbehältern).
Nach der zweiten Gärung wird die Hefe entfernt – beim Champagner und teuren Sekten recht aufwändig durch Herausschütteln („Rütteln“) aus jeder einzelnen Flasche, die dann nach etlichen komplizierten Handarbeitsschritten wieder abschließend verkorkt wird. Bei günstigeren Schaumweinen erfolgt das in großen Mengen durch Filter – der Schaumwein wird dann wieder in Flaschen abgefüllt.
In einer 0,75 Liter fassenden „normalen“ Champagnerflasche der Größe „Imperial“ können so bis zu fünf Liter Kohlendioxid gelöst sein. In den beeindruckend größeren Flaschen namens Magnum (1,5 Liter), Doppelmagnum oder Jeroboam (3 Liter), Methusalem (6 Liter), Salmanasar (9 Liter), Balthasar (12 Liter), Nebukadnezar (15 Liter), Salomon (18 Liter), Primat (27 Liter), Melchizedek oder Midas (30 Liter) natürlich proportional entsprechend mehr.
Dabei gilt übrigens, dass anders als bei Rotwein der Champagner nicht unbedingt besser wird, je älter er ist – denn das Gas diffundiert auch durch den bei guten Champagnern aus echtem Kork bestehenden Korken. Nach 75 Monaten betrug der Verlust bis zu 3,5 Gramm pro Liter – wie Forscher bereits im Journal of Agricultural and Food Chemistry veröffentlichten.
Aus der Menge gelösten Gases lässt sich übrigens auch der Druck ableiten, der in einer Champagner-Flasche herrscht. Laut dem Henry-Gesetz ist nämlich der Partialdruck eines Gases über einer Flüssigkeit direkt proportional zur Konzentration des Gases in der Flüssigkeit – und der Korken hält das Gas zumindest eine ganze Weile lang in Schach. Dementsprechend können zwischen fünf und sechs „Atmosphären“ Druck in einer Champagnerflasche herrschen. In gebräuchlicheren Einheiten entspricht das zwischen 5,06625 und 6,0795 bar (oder in der SI-Einheit Pascal 506,625 bis 607,95 kPa). In Autoreifen liegt der Druck in der Regel zwischen 1,5 und 2 bar.
In den Perlen liegt das Besondere
Die Kohlensäure, die sich mit dem schlagartig nachlassenden Druck beim Öffnen der Flasche in Form von Kohlendioxid wieder freisetzt, sorgt dann für den namensgebenden Schaum, das Prickeln im Mund (durch mikroskopische Verätzungen auf der Zunge) und für die Millionen von aufsteigenden Perlen im Champagnerglas. Das können rund 20 Millionen sein, haben Chemiker ausgerechnet. Übrigens gehen nur rund 20 Prozent der Kohlensäure aus dem Getränk mit den Perlen verloren – ein Übriges tut die normale Diffusion nach dem Sinken des Partialdrucks über der Flüssigkeit (da hilft auch kein Löffel in der Flasche).
Die feinen Perlen bilden sich dabei im Übrigen an Unebenheiten an der Glasoberfläche – unter anderem an mikroskopisch feinen Fasern, die das Geschirrtuch beim Abtrocknen hinterließ. Das gilt übrigens auch für weniger edle kohlensäurehaltige Getränke. Je mehr es sprudelt, desto „unsauberer“ im Zweifel das Glas. (Das jetzt naheliegende Experiment mit Kaudragees, aka Mentos, und Champagner statt Cola wurde übrigens in der Tat bereits ausprobiert.)
Im Gegensatz zu anderen Getränken steigen die Gasblasen im Champagner übrigens in geordneten Reihen nach oben, obwohl sie nach den Regeln der Hydrodynamik trichterförmig auseinanderlaufen müssten, wie sie es eben in Cola und Co. tun. Warum Champagner sich hier anders verhält, also perlt und nicht blubbert, liege an einer chemischen Besonderheit dieser Getränke, berichte 2023 eine Arbeitsgruppe der Université libre de Bruxelles. Laut ihrer in der Fachzeitschrift „Physical Review Fluids“ veröffentlichten Analyse lagern sich die Fettsäuren an die Grenzfläche zwischen Wasser und Gas an. Das verändert das Strömungsverhalten so, dass die Wirbel die Blasen in der Spur halten.
Über 600 Inhaltsstoffe
Die aufsteigenden Perlen transportieren im Übrigen auch Inhaltsstoffe des Champagners in die Luft, was beim Trinken kombiniert mit dem Geruchssinn für die besondere Note des edlen Getränks sorgt. Sie werden als feinste Tröpfchen eingeatmet.
Über 600 Inhaltsstoffe hat das komplexe Naturprodukt – neben Alkohol, Wasser und Kohlendioxid stechen besonders acht Aromakomponenten hervor:
- γ(Gamma)-Decalacton – dieses sorgt für eine fruchtige Komponente. In der Natur findet es sich in seiner (R)-(+)-Form beispielsweise in Früchten wie Aprikosen oder Pfirsichen, aber auch in Ananas, Erdbeeren, Maracuja oder Mango. Es findet sich aber auch etwa in Camembert.
- 7,8-Dihydro-Vomifoliol – auch dieses komplexe aromatische organisch-chemische Verbindung mit der Summenformel C13H22O3 trägt zum fruchtigen Aroma bei. Sie findet sich dabei auch etwa in Bier. Die Stammverbindung Vomifoliol hat pharmazeutisch betrachtet dabei Wirkung als Hemmer der Acetylcholinesterase und wirkt gegen Leishmanien.
- Methyldihydrojasmonat – kommt außer im Champagner, wie der Name bereits nahelegt, auch in Jasminöl vor. Aber auch in Tabak oder schwarzem Tee. Es sorgt für ein blumiges Aroma und wurde als erster Duftstoff identifiziert, der den menschlichen Pheromonrezeptor (VN1R1) anregt.
- Myristinsäureethylester oder auch Ethylmyristat – der Fettsäureester ist häufig vorkommender Aromastoff, der sich von Aprikosen über Weintrauben bis zu Blauschimmelkäse, Hammelfleisch oder Whisky wiederfindet. Er sorgt für ein süßes und wachsartiges Aroma.
- Laurinsäure oder Dodecansäure – hat die naheliegende Summenformel C12H24O2. Es ist die gesättigte Fettsäure, die sich vom Alkan Dodecan ableitet. Der Name „Laurin“ leitet sich vom Lorbeer (Laurus nobilis) ab. Im Champagner sorgt sie für metallische und trockene Noten – pharmazeutisch sind auch ihre antibakteriellen Eigenschaften etwa gegen Staphylococcus aureus und Bacillus cereus interessant – oder die in vitro gezeigte Eigenschaft, cytotoxisch gegen Darmkrebszellen zu sein.
- Palmitinsäure – die gesättigte Fettsäure (C16H32O2) ist nicht nur ein Haupt-Zwischenprodukt des Stoffwechsels, aus dem sich alle anderen Fettsäuren ableiten lassen. Sie sorgt im Champagner für ein wachsiges und cremiges Aroma. Daneben ist das Aluminiumsalz der Palmitinsäure neben dem Aluminiumsalz der Naphthensäure in der Brandwaffe Napalm („Na“ und „Palm“) enthalten.
- Caprinsäure oder auch Decansäure – die gesättigte Fettsäure, die sich vom Alkan Decan ableitet mit der Summenformel C10H2O2. Die reine Säure hat einen namensgebenden Geruch nach Ziege (lateinisch Capra). Im Champagner allerdings sorgt sie für saure und „geröstete“ Aromen. Sie findet sich meist in Form ihrer Triglyceride auch etwa in ätherischen Ölen.
- Palmitoleinsäure – die ungesättigte Fettsäure mit dem chemischen Namen cis-Hexadec-9-ensäure (C16H30O2) findet sich auch etwa im Walrat oder in der Muttermilch. Macadamiaöl oder das Fruchtfleisch von Zuckermelonen oder Papaya sowie Backhefe sind weitere Quellen. Im Champagner sorgt sie für ein öliges und wachsiges Aroma.
Das Zusammenspiel aller Inhaltsstoffe schließlich macht dann das Besondere aus und sorgt für den guten Geschmack auf der Zunge. Wenn Sie also an Silvester einen Blick auf ihr Champagner- (oder Sekt- oder Prosecco-) Glas werfen, denken Sie kurz über die Chemie in allem nach – genießen Sie den Inhalt und vergessen Sie nicht, auf ein glückliches und erfolgreiches neues Jahr 2025 anzustoßen. In dem Sinne: Prosit Neujahr!
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