Wie Boitzenburg trotz Apothekenschließung versorgt bleibt
Im Frischemarkt, einer Edeka-Filiale in der 3.000-Seelen-Gemeinde Boitzenburg in der brandenburgischen Uckermark, klingt es am 9. Januar 2025 wie jeden Morgen: Kassen piepen, Münzen klimpern, Einkaufskörbe klappern durch die Gänge. Doch weil hier heute etwas Neues entsteht, hat sich direkt vor den Kassen eine kleine Menschentraube versammelt. Wer den Markt seit diesem Morgen betritt, sieht einen mannshohen weißen Automaten mit einem auf dem Kopf sitzenden Computermonitor: ein Apotheken-Terminal. Zum ersten Mal in Deutschland wird ein Ort, der keine Apotheke mehr hat, über solch ein Terminal versorgt.
„Wir haben hier in Boitzenburg bereits eine Pickup-Stelle betrieben“, sagt Apothekerin Magdalena Haczkiewicz. Die Filialleiterin der Grünen Apotheke am Markt in Prenzlau kümmert sich seit Jahren um die Arzneimittelversorgung in Boitzenburg und nun auch um das Apotheken-Terminal. Vor zweieinhalb Jahren schloss die letzte Apotheke im Ort – ein Schicksal, das viele Gemeinden in Deutschland teilen. Seitdem ist die nächste Apotheke, die Grüne Apotheke in Prenzlau, mehr als 20 Kilometer entfernt. Mit dem Terminal im Frischemarkt ist sie nun ein Stück näher gerückt.
„Hier ist es jetzt möglich, Rezepte über die Krankenkassenkarte einlesen zu lassen und an die Apotheke zu übermitteln“, sagt Haczkiewicz. „Wir können jederzeit mit dem Patienten sprechen und im Einzelfall entscheiden, ob eine Arzneimitteleinnahme sinnvoll ist oder nicht.“ Auch rezeptfreie Präparate und Produkte aus der Freiwahl können die Kunden hier bestellen. Der Botendienst der Grünen Apotheke bringt sie am nächsten Tag.
Theoretisch ist es möglich, sich über die Terminals live mit einem Apotheker oder einer Apothekerin verbinden zu lassen, der oder die dann aus der Ferne beraten kann. Hier im Supermarkt in Boitzenburg, wenige Zentimeter neben dem Regal mit dem Dosenfisch, gibt es diese Möglichkeit nicht. Für eine Beratung müssen die Kundinnen ganz altmodisch in Prenzlau anrufen. „Wir sehen das positiv“, sagt die Apothekerin. „Wir können einer abgeschnittenen Bevölkerungsgruppe weiterhin eine gute pharmazeutische Versorgung bieten. Der Kontakt zum Apotheker ist täglich da.“
1.000 Terminals bis zum Jahresende?
Für die Grüne Apotheke ist es bereits das zweite Apotheken-Terminal, das Kunden wie ein Satellit mit ihren Apotheken verbindet. Das erste ging Anfang September 2024 im Prenzlauer Marktkaufcenter in Betrieb. Das Projekt diente als Testphase und sei gut verlaufen, berichtet Haczkiewicz. Das Team wisse nun, woran es bei Problemen liegen könne, und habe sich deshalb für das Terminal in Boitzenburg entschieden.
Für die Firma Betterapo, die die Terminals entwickelt hat und vertreibt, ist der Termin in Boitzenburg die bundesweite Installation Nummer 17. Bereits am 10. Januar soll das 18. Terminal in Rostock in Betrieb gehen. Auch die beiden Gründer und Entwickler, die Informatiker Mohammad Atta ul Quddus und Andreas Epp, sind heute angereist. Ein Verkaufsargument sei, dass E-Rezepte ohne PIN-Eingabe und ohne Transaktionsgebühren für die Apotheken eingelöst werden können. Ziel sei es, bis Ende 2025 bundesweit 1.000 solcher Terminals installiert zu haben.
Eine Kundin im Supermarkt will das Terminal gleich ausprobieren und zückt schon ihre Krankenkassenkarte, um ein Rezept einzulösen. Doch sie muss sich noch ein paar Stunden gedulden: Als die DAZ den Frischemarkt besucht, arbeiten die Mitarbeiter von Betterapo noch daran, das Gerät mit der Telematikinfrastruktur zu verbinden. „Wenn es funktioniert, ist es gut“, sagt die Kundin.
Natürlich sei es besser, eine Apotheke vor Ort zu haben. Bis zur Schließung 2022 habe sie dort gearbeitet, sagt sie. „Es bleibt wohl oder übel nichts anderes übrig.“ In der Gemeinde hätten die Sparkasse und die Apotheke geschlossen. Die Bewohner müssten lernen, digitale Lösungen zu nutzen.
„Wird das die Zukunft sein?“
„Die Kunden wollen nach wie vor in die Apotheke gehen. Das ist das Beste und wir wollen uns nicht abschaffen“, sagt Michael Kranz, Inhaber der Grünen Apotheken in Prenzlau. Die Grüne Apotheke hat das älteste erhaltene Apothekenprivileg in Deutschland. Ein Kurfürst erteilte es im Jahr 1303. Heute gelten auf dem Apothekenmarkt andere Regeln. „Ein Kunde hat mich gefragt: ‚Ist das die Zukunft?‘ Ich hoffe nicht. Aber es ist ein kleiner Ansatz, um Lösungen anzubieten, ohne dass große neue Gesetze geschaffen werden müssen.“
Kritiker befürchten, dass eine Lösung wie das Apotheken-Terminal dem Versandhandel Tür und Tor öffnen könnte. Betterapo werde die Terminals aber nicht der Konkurrenz, also DocMorris oder Shop Apotheke, anbieten, betont Entwickler Andreas Epp – schließlich ist ul Quddus Bruder selbst Inhaber zweier Apotheken. Das allein reiche aber nicht, sagt Apotheker Michael Kranz. „Unsere Standesorganisationen oder die Politik müssen jetzt klare Grenzen schaffen und dafür sorgen, dass solche Lösungen nur aus der Apothekerschaft heraus organisiert werden.“