Ultomiris®

Ravulizumab

01.08.2019


Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie
Erwachsene mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) können nun mit dem neuen Wirkstoff Ravulizumab (Ultomiris®) behandelt werden. Der langwirksame Antikörper ist gegen das Komplementprotein C5 gerichtet und für PNH-Patienten mit hoher Erkrankungsaktivität vorgesehen. Durch die Therapie wird die Hämolyse-Tendenz reduziert, zugleich sinkt die Notwendigkeit von Bluttransfusionen.

Ravulizumab 

ATC-Code

L: Antineoplastische und immunmodulierende Mittel


L04: Immunsuppressiva


L04A: Immunsuppressiva


L04AA: Selektive Immunsuppressiva


Wirkungsmechanismus

Die mehr als 30 verschiedenen Proteine des zum Immunsystem gehörenden körpereigenen Komplementsystems sind im Blutplasma gelöst oder zellgebunden und dienen der Abwehr von Mikroorganismen wie Bakterien, Pilzen oder Parasiten. Auf der Oberfläche von hämatopoetischen Stammzellen befinden sich Proteine wie CD55 und CD59, die diese Blutzellen gegen Angriffe von Proteinen des Komplementsystems schützen. Die Anhaftung von CD55 und CD59 auf der Stammzell-Oberfläche erfolgt über sogenannte Glukosylphosphatidylinositol-Anker (GPI-Anker). Die lebensbedrohliche Erkrankung paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie beruht auf einer erworbenen somatischen Mutation des für das Enzym N-Acetylglukosaminyltransferase kodierenden PIG-A-Gens in einer oder mehreren der multipotenten Stammzellen des Knochenmarks. Somit wird die Bildung der GPI-Anker gestört und die Fixierung der gegen den Komplementfaktor C5 schützenden Proteine teilweise oder vollständig verhindert. Als Folge kommt es bei den PNH-Patienten unter anderem zu einer intravasalen Hämolyse. Nachdem freigesetztes Hämoglobin zudem Stickstoffmonoxid (NO) bindet, werden im weiteren Verlauf Vasokonstriktionen sowie Thrombozytenaktivierungen und -aggregationen ausgelöst. Bei mehr als der Hälfte der PNH-Patienten muss demnach mit Thrombosen gerechnet werden, die die Haupttodesursache der Erkrankung darstellen. Bei PNH ebenfalls häufig auftretende moderate bis starke Schmerzen werden auf Mikrothromben im Zuge der erhöhten Blutgerinnungsneigung zurückgeführt. Bei schweren Krankheitsbildern, bei denen alle Blutzellreihen von den Angriffen des Komplementsystems betroffen sind, entwickeln sich insbesondere mit einer Immunsuppression einhergehende Panzytopenien. Der monoklonale, rekombinant hergestellte IgG2/4K-Antikörper Ravulizumab ist spezifisch gegen das Komplementprotein C5 gerichtet. Bereits zum Ende der ersten Infusion wird eine anhaltende, vollständige Hemmung von freiem Serum-C5 beobachtet. Die Spaltung von C5 in C5a, das proinflammatorische Anaphylatoxin, und C5b, die initiierende Untereinheit des terminalen zytotoxischen Komplementkomplexes C5b bis C9 (Membranangriffskomplex), wird verhindert. Somit kann bei PNH-Patienten die Schädigung von ungeschützten Blutzellen vermindert werden.

Pharmakokinetik

Resorption: Der Antikörper Ravulizumab wird intravenös appliziert, daher liegt die Bioverfügbarkeit bei 100%. Therapeutische Steady-State-Konzentrationen werden bereits nach der ersten Dosis erreicht.


Proteinbindung, Verteilung: Das mittlere Verteilungsvolumen liegt bei 5,34 Litern, was auf eine ausschließliche Verteilung im Gefäßsystem hindeutet. Abgesehen von der Bindung an das Komplementprotein C5 findet keine Plasmaproteinbindung statt.


Metabolismus: Ravulizumab unterliegt dem physiologischen Proteinkatabolismus zu kleineren Peptiden und einzelnen Aminosäuren.


Exkretion: Die mittlere terminale Eliminationshalbwertszeit beträgt 50 Tage.

Dosierung, Art und Dauer der Anwendung

Zunächst wird eine reduzierte Initialdosis gegeben, wobei Erwachsene mit 40 bis 60 kg Körpergewicht 2400 mg erhalten. Hierzu wird die Zubereitung auf 5 mg/ml verdünnt und langsam durch einen 0,2-μm-Filter intravenös verabreicht. Für Patienten mit 60 bis 100 kg sind 2700 mg, für Patienten mit mehr als 100 kg sind 3000 mg vorgesehen. Nach zwei Wochen beginnt die Erhaltungstherapie, bei der Ravulizumab jeweils im Abstand von acht Wochen appliziert wird. Die Dosierungen liegen nun für Patienten mit 40 bis 60 kg Körpergewicht bei 3000 mg. Die entsprechenden Werte für Patienten mit 60 bis 100 kg und mehr als 100 kg Körpergewicht betragen 3300 und 3600 mg. Die Infusionszeit liegt in Abhängigkeit von Körpergewicht und Dosis zwischen 1,7 und 2,4 Stunden (siehe Fachinformation). Sofern das Absetzen von Ravulizumab nicht klinisch angezeigt ist, wird eine lebenslange Therapie empfohlen. Bei einer Umstellung der Therapie von dem weiteren C5-Antikörper Eculizumab auf Ravulizumab sollte die Initialdosis zwei Wochen nach der letzten Eculizumab-Infusion gegeben und anschließend wie oben beschrieben vorgegangen werden. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich. Aufgrund der Struktur des Wirkstoffs trifft dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf Patienten mit Leberfunktionseinschränkungen zu. Zur Behandlung von Patienten mit einem Körpergewicht unter 40 kg und von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren liegen keine Daten vor. Die Erfahrungen zum Einsatz von Ravulizumab bei Patienten über 65 Jahre sind begrenzt.

Kontraindikationen

Bei Überempfindlichkeit gegen Ravulizumab besteht eine Kontraindikation, ebenso bei Patienten mit nicht ausgeheilter Neisseria-meningitidis-Infektion oder ohne aktuellen Impfschutz gegen dieses Bakterium. Falls eine entsprechende Impfung vorgenommen wird, kann die Behandlung mit Ravulizumab unmittelbar begonnen werden, jedoch ist parallel über den Zeitraum der ersten beiden Wochen nach der Impfung eine geeignete Antibiotika-Prophylaxe durchzuführen.

Unerwünschte Wirkungen

Während der Behandlung mit Ravulizumab kommt es sehr häufig zu Infektionen der oberen Atemwege, Nasopharyngitis und Kopfschmerzen. Häufig treten Meningokokken-Infektionen, Schwindel, Erbrechen, Übelkeit, Diarrhö, abdominelle Schmerzen, Dyspepsie, Hautausschläge, Pruritus, Rückenschmerzen, Arthralgien, Myalgien, Muskelspasmen, Fieber, grippeähnliche Erkrankungen, Fatigue, Schüttelfrost und Asthenie auf.

Wechselwirkungen

Durch eine längerfristige Behandlung mit intravenösem humanem Immunglobulin wird der Recycling-Mechanismus des endosomalen neonatalen Fc-Rezeptors von monoklonalen Antikörpern wie Ravulizumab beeinträchtigt und somit deren Konzentrationen im Serum verringert. Aufgrund der Struktur und der Eliminationswege von Ravulizumab sind keine weiteren pharmakokinetischen oder relevante pharmakodynamische Interaktionen mit anderen Arzneistoffen zu erwarten. Aus diesem Grund wurde bislang auf die Durchführung von klinischen Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen verzichtet.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Patienten unter Ravulizumab tragen ein erhöhtes Risiko für eine Meningokokken-Infektion bzw. -Sepsis. Daher muss mindestens zwei Wochen vor Therapiebeginn gegen Neisseria-meningitidis-Infektionen der Serogruppen A, C, Y, W135 und B geimpft werden. Dies gilt auch bei vorangegangener Eculizumab-Behandlung. Im Anschluss an die Impfung sollte eine engmaschige Überwachung auf Krankheitssymptome erfolgen, da es durch eine Komplement-Aktivierung beispielsweise verstärkt zu Hämolysen kommen kann. Allerdings ist davon auszugehen, dass eine Neisseria-meningitidis-Impfung in manchen Fällen nicht ausreicht, um eine Meningokokken-Infektion bzw. -Sepsis zu verhindern. Genau wie unter anderen terminalen Komplementinhibitoren wie z. B. Eculizumab wurde auch unter Ravulizumab-Therapie über schwere, potenziell tödlich verlaufende Meningokokken-Infektionen berichtet. Die Patienten sollten daher regelmäßig kontrolliert und ggf. mit geeigneten Antibiotika behandelt werden. Bei Vorliegen von anderen aktiven systemischen Infektionen darf die Behandlung mit Ravulizumab nur mit großer Vorsicht durchgeführt werden, da auch eine erhöhte Anfälligkeit gegen Neisseria-Spezies und bekapselte Bakterien besteht. So wurden beispielsweise während des Einsatzes anderer terminaler Komplementinhibitoren disseminierte Gonokokken-Infektionen berichtet. Falls während der Verabreichung von Ravulizumab infusionsbedingte Reaktionen mit Anzeichen von kardiovaskulärer Instabilität oder Beeinträchtigung der Atmung auftreten, sollte die Ravulizumab-Infusion unterbrochen und unterstützend behandelt werden. Bei erforderlichem Behandlungsabbruch ist über mindestens 16 Wochen eine engmaschige Überwachung auf Symptome einer schweren intravaskulären Hämolyse angezeigt. Im weiteren Verlauf muss auf erhöhte Lactat-Dehydrogenase-Werte, plötzliche Verkleinerungen des PNH-Klons, einen plötzlichen Hämoglobin-Abfall oder Anzeichen für weitere Symptome wie Fatigue, Hämoglobinurie, abdominelle Schmerzen, Dyspnoe, Thrombosen, Dysphagien oder Erektionsstörungen geachtet werden. Ggf. ist in diesen Fällen eine erneute Anwendung von Ravulizumab zu erwägen.

Schwangerschaft und Stillzeit

Wegen bislang fehlender klinischer Daten sollte die Anwendung von Ravulizumab während der Schwangerschaft nur nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Tierexperimente mit einem murinen Surrogatmolekül ergaben allerdings keine Hinweise auf Reproduktionstoxizität. Immunglobuline-G überwinden jedoch bekanntermaßen die Plazentaschranke, sodass eine terminale Komplementinhibition im fetalen Kreislauf nicht ausgeschlossen werden kann. Daher wird Frauen im gebärfähigen Alter während und bis zu acht Monate nach Ende der Ravulizumab-Therapie zum Einsatz einer sicheren Kontrazeptionsmethode geraten. Nachdem IgG-Antikörper auch in die Muttermilch übergehen, muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob auf das Stillen oder die Behandlung mit Ravulizumab verzichtet werden soll. Nach Beendigung der Therapie sind bis zur (Wieder-)Aufnahme des Stillens mindestens acht Monate abzuwarten.

Handelspräparat Ultomiris® 

Hersteller

Alexion Pharma Germany GmbH, München

Einführungsdatum

01. August 2019

Zusammensetzung

300 mg Ravulizumab in 30 ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung

Sonstige Bestandteile

Natriumdihydrogenphosphat-Dihydrat, Dinatriumphosphat-Dihydrat, Natriumchlorid, Polysorbat 80, Wasser für Injektionszwecke

Packungsgrößen, Preise, PZN

1 Durchstechflasche mit 30 ml, 5694,92 Euro, PZN 15246480

Indikation

Erwachsene mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie (PNH) und Hämolyse zusammen mit einem oder mehreren klinischen Symptomen als Hinweis auf eine hohe Krankheitsaktivität oder erwachsene PNH-Patienten, die klinisch stabil sind, nachdem sie mindestens während der vergangenen sechs Monate mit Eculizumab behandelt wurden.

Dosierung

In Abhängigkeit des Körpergewichts beträgt die Initialdosis 2300 bis 3000 mg und die Erhaltungsdosis 3000 bis 3600 mg. Die Erhaltungsdosen müssen jeweils im Abstand von acht Wochen verabreicht werden, beginnend zwei Wochen nach Applikation der Initialdosis.

Kontraindikationen

Überempfindlichkeit gegen Ravulizumab, nicht ausgeheilte Infektionen mit Neisseria meningitidis bei Behandlungsbeginn, fehlender Impfschutz gegen Neisseria meningitidis, es sei denn, die Patienten erhalten bis zu zwei Wochen nach der Impfung eine geeignete Antibiotikaprophylaxe.

Unerwünschte Wirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Infektionen der oberen Atemwege, Nasopharyngitis und Kopfschmerzen. In klinischen Studien wurden als schwerwiegendste Nebenwirkungen Meningokokken-Infektionen und -Sepsis dokumentiert.

Wechselwirkungen

Eine chronische Behandlung mit intravenösem humanem Immunglobulin (IVIg) kann den Recycling-Mechanismus des endosomalen neonatalen Fc-Rezeptors (FcRn) von monoklonalen Antikörpern, wie Ravulizumab, beeinträchtigen und dadurch die Ravulizumab-Konzentrationen im Serum verringern.

Warnhinweise, Vorsichtsmaßnahme

Die Therapie mit Ravulizumab darf bei Patienten mit aktiven systemischen Infektionen nur mit Vorsicht durchgeführt werden. Beim Auftreten von Infusionsreaktionen mit kardiovaskulärer Instabilität oder Beeinträchtigung der Atmung ist die Ravulizumab-Infusion zu unterbrechen und es sind geeignete unterstützende Maßnahmen zu ergreifen. Nach dem Abbruch einer Ravulizumab-Behandlung muss auf Anzeichen einer schweren intravaskulären Hämolyse geachtet werden.

Literatur

[1] Fachinformation zu Ultomiris®, Stand Juli 2019


[2] Lee JW, Sicre de Fontbrune F, Wong Lee Lee L, Pessoa V et al. Ravulizumab (ALXN1210) vs eculizumab in adult patients with PNH naive to complement inhibitors: the 301 study. Blood 2019;133(6):530-539


[3] Kulasekararaj AG, Hill A, Rottinghaus ST, Langemeijer S et al. Ravulizumab (ALXN1210) vs eculizumab in C5-inhibitor-experienced adult patients with PNH: the 302 study. Blood 2019;133(6):540-549


[4] EPAR summary for the public. Ultomiris® Ravulizumab. EMA/248293/2019; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu

Copyright

©2019-2022 Deutscher Apotheker Verlag, Neue Arzneimittel, Beilage der Deutschen Apotheker Zeitung

Datenstand

11/2019

Apothekerin Dr. Monika Neubeck