Fruquintinib
ATC-Code: L01EK04
Name: Fruquintinib (Fruzaqla®)
Indikation: metastasierendes kolorektales Karzinom
Wirkmechanismus: Inhibitor der vaskulären endothelialen Wachstumsfaktorrezeptoren VEGFR 1, 2 und 3
Therapeutische Relevanz
Das Kolorektalkarzinom ist in Europa die zweithäufigste Ursache für krebsbedingte Todesfälle. Etwa ein Viertel der Patienten hat bei der Erstdiagnose bereits Metastasen, nahezu die Hälfte der Patienten entwickelt im Laufe der Erkrankung Fernmetastasen. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate von Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom Stadium IV liegt bei nur etwa 11%. Daher besteht insbesondere für diese Patienten noch immer ein hoher ungedeckter therapeutischer Bedarf. Dies gilt insbesondere dann, wenn alle verfügbaren Standard-Chemotherapeutika wie Fluoropyrimidin, Oxaliplatin und Irinotecan oder gezielter eingreifende Wirkstoffe wie das Nukleosid-Analogon Trifluridin in Kombination mit dem Thymin-Analogon Tipiracil oder der Multikinasen-Hemmer Regorafenib keine Wirkung mehr zeigen. Bislang konnten diese therapierefraktären Patienten nur noch supportiv behandelt werden. Der nun im Juli 2024 neu auf dem deutschen Markt eingeführte Angiogenese-Hemmer Fruquintinib ist durchaus als gewisser therapeutischer Fortschritt anzusehen. In der Zulassungsstudie konnten die Behandelten durch die peroral verfügbare und akzeptabel verträgliche Substanz zumindest einige Monate an Lebenszeit hinzugewinnen, das Mortalitätsrisiko wurde um etwa ein Drittel reduziert. Der Wirkmechanismus ist allerdings nicht innovativ. Genau wie Fruquintinib ist auch Tivozanib (Fotivda®) ein Inhibitor der drei vaskulären endothelialen Wachstumsfaktorrezeptoren VEGFR-1, -2 und -3. Anders als Fruquintinib ist dieser Wirkstoff als Erstlinien-Therapeutikum für Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom zugelassen. In weiteren Studien wird derzeit der Einsatz von Fruquintinib bei einer ganzen Reihe von anderen Tumorerkrankungen getestet. Teilweise kommt die Substanz bereits in früheren Erkrankungsstadien zur Anwendung, beispielsweise als Erstlinien-Therapeutikum bei Magenkrebs.
Steckbrief
Stoffklasse: | antineoplastische Mittel, vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-Rezeptor(VEGFR)-Tyrosinkinase-Inhibitor |
Zulassungsinhaber: | Takeda Pharmaceuticals International AG, Ireland Branch, Block 2 Miesian Plaza, 50 – 58 Baggot Street Lower, Dublin 2, D02 HW68, Irland |
Hersteller/Endfreigabe: | Takeda Ireland Limited, Bray Business Park, Kilruddery, Co. Wicklow, A98 CD36, Irland Millmount Healthcare Limited, Block 7, City North Business Campus, Stamullen, K32 YD60, Irland |
Kontaktadresse in Deutschland: | Takeda GmbH, Byk-Gulden-Str. 2, 78467 Konstanz |
Darreichungsformen: | Hartkapseln |
Packungsgrößen, Preis und PZN: | 21 Hartkapseln à 1 mg, 1798,33 Euro, PZN 19346043; 21 Hartkapseln à 5 mg, 7020,37 Euro, PZN 19346066 |
Zusammensetzung: | 1 mg bzw. 5 mg Fruquintinib |
Sonstige Bestandteile: | Maisstärke, mikrokristalline Zellulose (E 460), Talkum (E 553b), Gelatine, Titandioxid (E 171), Tartrazin (E 102, nur 1-mg-Kapsel), Gelborange S (E 110, nur 1-mg-Kapsel), Allurarot AC (E 129, nur 5-mg-Kapsel), Brillantblau FCF (E 133, nur 5-mg-Kapsel), Schellack (E 904), Propylenglykol (E1520), Kaliumhydroxid, Eisen(II, III)-oxid (E 172) |
Zulassungsnummer: | EU/1/24/1827/001, EU/1/24/1827/002 |
Datum der Markteinführung: | 15. Juli 2024 |
Besondere Lager- und Aufbewahrungshinweise: | vor Feuchtigkeit geschützt aufbewahren |
Dauer der Haltbarkeit: | zwei Jahre |
Verschreibungsstatus: | verschreibungspflichtig |
Indikationen
Monotherapeutikum zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit metastasierendem kolorektalem Karzinom (mCRC), die bereits früher mit verfügbaren Standardtherapien, einschließlich Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und Irinotecan-basierten Chemotherapien, Anti-VEGF-Arzneimitteln und Anti-EGFR-Arzneimitteln, behandelt wurden und bei denen die Erkrankung nach der Behandlung mit Trifluridin/Tipiracil oder Regorafenib fortgeschritten ist, oder die diese Behandlung nicht vertragen haben.
Wirkungen und Wirkungsmechanismus
Vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren (Vascular Endothelial Growth Factor, VEGF) sind eine Familie von insgesamt sechs Mediatoren (A bis F). Durch Stimulation der zugehörigen Rezeptor-Tyrosinkinasen (Vascular Endothelial Growth Factor Receptor, VEGFR) induzieren sie die Angiogenese, verstärken die Gefäßpermeabilität sowie die Zellmigration und hemmen die Immunantwort durch Makrophagen und Monozyten. Vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktoren sind in allen vaskulären Geweben präsent und werden in Phasen einer notwendigen Angioneogenese wie zum Beispiel im Rahmen der Wundheilung hochreguliert. Allerdings exprimieren auch einige maligne Tumoren wie das Kolorektalkarzinom verstärkt VEGF und die entsprechenden Rezeptoren, die dann eine wichtige Rolle bei der Pathogenese, dem Fortschreiten und der Metastasierung der Tumore spielen. Fruquintinib ist ein peroral verfügbarer Inhibitor von allen drei VEGF-Rezeptor-Subtypen. Die Substanz hemmt nachweislich durch verschiedene VEGF-Liganden induzierte biochemische und biologische Reaktionen, einschließlich der Rezeptor-Phosphorylierung sowie der Proliferation humaner Endothelzellen. Als Folge wird insbesondere die Angiogenese unterdrückt und damit die Versorgung und das Wachstum von Tumoren reduziert.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Fruquintinib wird normalerweise einmal täglich in einer Dosis von 5 mg peroral appliziert. Die Anwendung kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen und sollte jeweils ungefähr zur selben Tageszeit stattfinden. Nach 21 Einnahmetagen folgt eine siebentägige Pause. Versäumte Dosen können innerhalb von zwölf Stunden nachgeholt werden, anderenfalls ist die Applikation auszulassen und am Folgetag planmäßig fortzufahren. Erbrochene Dosen sollten nicht nachgeholt werden. Beim Auftreten von schweren Nebenwirkungen wie beispielsweise Hypertonie, Blutungen, Proteinurie, Hepatotoxizität oder Hand-Fuß-Syndrom ist eine Dosisreduktion auf bis zu 3 mg oder eine Unterbrechung der Therapie angeraten. Die Fruquintinib-Behandlung sollte bis zur Krankheitsprogression oder zum Auftreten inakzeptabler Toxizität fortgesetzt werden.
Erwachsene: | 21 Tage einmal täglich 5 mg Fruquintinib, danach sieben Tage Pause |
Kinder und Jugendliche: | Für Kinder und Jugendliche stellt das metastasierende kolorektale Karzinom keine klinisch relevante Indikation dar. |
Ältere Patienten: | Bei älteren Patienten ab 65 Jahren muss keine Dosisanpassung erfolgen. |
Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz: | Bei Patienten mit Nieren- oder leichter bis mäßiger Leberinsuffizienz ist keine Dosisreduktion erforderlich. Die Behandlung von Personen mit schwerer Leberfunktionsstörung wird wegen fehlender Daten derzeit nicht empfohlen. |
DDD: | noch nicht bekannt |
Gegenanzeigen, Kontraindikationen
Bei Überempfindlichkeit gegen Fruquintinib besteht eine Kontraindikation. Zudem wird empfohlen, die Einleitung der Behandlung bei Patienten mit thromboembolischen Ereignissen innerhalb der letzten sechs Monate oder mit Schlaganfällen und/oder transitorischen ischämischen Attacken innerhalb der letzten zwölf Monate zu vermeiden.
Nebenwirkungen
Während der Anwendung von Fruquintinib kommt es sehr häufig zu Thrombozytopenie, Hypothyreose, Anorexie, Hypertonie, Dysphonie, Diarrhö, Stomatitis, palmar-plantarem Erythrodysästhesie-Syndrom, muskuloskelettalen Beschwerden, Arthralgien, Asthenien, Ermüdung, Proteinurien sowie zu erhöhten Transaminase- und Bilirubin-Werten. Häufig wird über Pneumonien, Infektionen der oberen Atemwege, bakterielle Infektionen, Leukopenie, Neutropenie, Hypokaliämie, Epistaxis, Halsschmerzen, gastrointestinale Blutungen oder Perforationen, erhöhte Pankreasenzym-Werte, Mundschmerzen, Hautausschläge und Schleimhautentzündungen berichtet. Gelegentlich muss mit einem posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom, Pankreatitis, Cholezystitis und einer eingeschränkten Wundheilung gerechnet werden. Aortendissektionen sind ebenfalls möglich.
Wechselwirkungen
CYP3A-Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin oder Johanniskraut bewirken eine Beschleunigung der Biotransformation von Fruquintinib. Daher ist die kombinierte Anwendung wegen der Gefahr eines Wirkverlusts zu vermeiden. Eine gleichzeitige Gabe von CYP3A-Hemmern, Inhibitoren der Transporter P-Glykoprotein (P-gp) und Breast Cancer Resistance Protein (BCRP) oder Magensäureblockern ist dagegen ohne Dosisanpassung möglich.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Während der Behandlung mit Fruquintinib besteht die Gefahr von schweren, anhaltenden Hypertonien bis hin zu hypertensiven Krisen. Aus diesem Grund ist eine regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks erforderlich. Falls durch die Gabe von Antihypertensiva keine adäquate Besserung eintritt oder es sogar zu Folgeerkrankungen wie einem posterioren reversiblen Enzephalopathie-Syndrom (PRES) kommt, kann eine Dosisreduktion von Fruquintinib oder in schweren Fällen ein Absetzen der Therapie erwogen werden. Das PRES ist eine neurologische Erkrankung, die mit Kopfschmerzen, Krampfanfällen, Lethargie, Verwirrtheit, veränderter mentaler Funktion, Blindheit und anderen visuellen und neurologischen Störungen einhergeht. Die Anwendung des VEGFR-Inhibitors ist weiterhin mit dem Auftreten von palmar-plantaren Erythrodysästhesie-Syndromen (PPES, Hand-Fuß-Syndromen), Proteinurien, teilweise tödlich verlaufenden Blutungen und gastrointestinalen Perforationen assoziiert. Die Behandelten müssen hinsichtlich dieser Erkrankungen oder Ereignisse engmaschig überwacht werden, vor allem, wenn ohnehin ein individuell erhöhtes Risiko vorliegt. Auch hier können ggf. Dosisreduktionen oder eine Beendigung der Fruquintinib-Therapie erforderlich sein. In klinischen Studien wurde unter dem Antitumorwirkstoff über eine eingeschränkte Wundheilung berichtet. Daher sollte Fruquintinib nach Möglichkeit im Zeitraum von mindestens zwei Wochen vor und nach einer Operation ausgesetzt werden. Fruzaqla®-5-mg-Kapseln enthalten als Farbstoff Allurarot AC (E 129), das allergische Reaktionen hervorrufen kann. Dies ist bei Patienten mit entsprechender Prädisposition zu bedenken.
Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangerschaft: | Fruquintinib darf wegen einer möglichen Schädigung des Ungeborenen allenfalls bei zwingendem Erfordernis während der Schwangerschaft angewendet werden. Tierexperimente ergaben Reproduktionstoxizität einschließlich fetaler Fehlbildungen. Alle gebärfähigen Patientinnen müssen daher während und bis zwei Wochen nach Beendigung der Therapie äußerst zuverlässige Verhütungsmethoden einsetzen. |
Stillzeit: | Es ist nicht bekannt, ob Fruquintinib oder seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen. Da ein Risiko für den gestillten Säugling derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, sollte das Stillen während und bis zu zwei Wochen nach der letzten Dosis unterbleiben. |
Fertilität: | Ergebnisse aus tierexperimentellen Studien deuten auf eine mögliche Beeinträchtigung der männlichen und weiblichen Fertilität durch Fruquintinib hin. Klinische Fertilitätsdaten liegen noch nicht vor. |
Pharmakokinetik
Resorption: | Nach peroraler Verabreichung werden innerhalb von etwa zwei Stunden maximale Plasmaspiegel gemessen, wobei nach 24 Stunden eine zweite Resorptionsspitze beobachtet wird. Eine gleichzeitige Nahrungsaufnahme hat keine klinisch bedeutsamen Auswirkungen auf die Pharmakokinetik von Fruquintinib. |
Proteinbindung, Verteilung: | Der Antitumorwirkstoff wird zu etwa 95% an Plasmaproteine gebunden, überwiegend an Albumin. Das scheinbare Verteilungsvolumen beträgt ungefähr 0,7 l/kg. |
Metabolismus: | Fruquintinib wird durch verschiedene CYP450-Isoenzyme, in erster Linie über CYP3A, in geringerem Ausmaß über CYP2C8, CYP2C9 und CYP2C19 biotransformiert. Unter anderem kommt es zur Oxidation, Demethylierung und zur Amid-Hydrolyse sowie zur Glucuronsäure- und Schwefelsäure-Konjugation. Dennoch macht die Muttersubstanz mit etwa 72% den größten Anteil der zirkulierenden Wirkstoffmenge aus. |
Exkretion: | Etwa 60% einer Dosis werden im Urin wiedergefunden, überwiegend in Form von Metaboliten, 30% erscheinen im Stuhl. Die mittlere Eliminationshalbwertszeit von Fruquintinib beträgt ungefähr 42 Stunden. |
Zulassungsrelevante Studien
Die Zulassung von Fruquintinib beruht auf der 2:1-randomisierten, doppelblinden placebokontrollierten Phase-III-Studie FRESCO-2 mit 691 Erwachsenen, die unter einem metastasierenden kolorektalen Adenokarzinom litten [2]. Ihre Erkrankung hatte nicht mehr auf verfügbare Standardtherapien und/oder eine Behandlung mit Trifluridin plus Tipiracil und/oder Regorafenib angesprochen, oder die Patienten hatten diese Arzneimittel nicht (mehr) vertragen. Die Teilnehmer der Verum-Gruppe mit Fruquintinib als Monotherapeutikum erreichten eine mediane Gesamtüberlebenszeit von 7,4 Monaten. In der Placebo-Gruppe mit bestmöglicher unterstützender Behandlung lag dieser Wert bei 4,8 Monaten, entsprechend einer hochsignifikanten Überlegenheit des VEGFR-Inhibitors (p < 0,001). Die Werte für die mediane Überlebenszeit ohne Erkrankungsprogression betrugen 3,7 bzw. 1,8 Monate, zugunsten von Fruquintinib (p < 0,001). Unter dem VEGFR-Inhibitor wurden bei 63% der Behandelten schwere Nebenwirkungen vom Grad 3 oder mehr berichtet, in der Placebo-Gruppe waren es 50%. Im Fruquintinib-Arm traten als häufigste schwerwiegende unerwünschte Effekte Hypertonie, Asthenie und Hand-Fuß-Syndrom auf. In jedem Therapiearm kam es zu einem behandlungsassoziierten Todesfall, in der Verum-Gruppe wurde eine tödliche intestinale Perforation berichtet, unter Placebo war ein Herzstillstand die Ursache.
Wirtschaftliche Aspekte
Aufgrund einer fehlenden Alternative bei den ansonsten austherapierten Patienten erscheint der Preis der Medikation angemessen.
Literatur
[1] Fachinformation zu Fruzaqla®, Stand Juni 2024
[2] Dasari A, Lonardi S, Garcia-Carbonero R, Elez E et al. Fruquintinib versus placebo in patients with refractory metastatic colorectal cancer (FRESCO-2): an international, multicentre, randomised, double-blind, phase 3 study. Lancet 2023;402(10395):41-53
[3] EPAR summary for the public. Fruzaqla® Fruquintinib. EMA/216955/2024; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu