Sotatercept
ATC-Code: C02KX06
Name: Sotatercept (Winrevair®)
Indikation: pulmonale arterielle Hypertonie (PAH)
Wirkmechanismus: Aktivin-A-Inhibitor
Therapeutische Relevanz
Die pulmonale arterielle Hypertonie ist eine nicht heilbare, mit hoher Sterblichkeit einhergehende Erkrankung. In Industrienationen weist sie eine Inzidenz von etwa 6% und eine Prävalenz von 48 bis 55 Fällen pro Millionen Einwohner auf. Betroffen sind hauptsächlich Frauen im Alter zwischen 30 und 60 Jahren. Mit 50 bis 60% gilt die idiopathische pulmonale arterielle Hypertonie als häufigste Erkrankungsform, gefolgt von PAH bei Kollagenosen. Als Therapieoptionen stehen seit einigen Jahren die Prostacyclin-Analoga Iloprost, Epoprostenol, Treprostinil und Selexipag, die Endothelin-Rezeptorantagonisten Bosentan, Macitentan und Ambrisentan, die Stimulatoren der löslichen Guanylatcyclase Riociguat und Vericiguat sowie die Inhibitoren der Phosphodiesterase 5 (PDE-5-Hemmer) Sildenafil und Tadalafil zur Verfügung. Dennoch ist es nach wie vor bei vielen der physisch und psychisch stark belasteten PAH-Patienten nicht möglich, eine zufriedenstellende Therapie anzubieten. Aktuell ist fünf bis sieben Jahre nach Diagnose nur etwa die Hälfte der Patienten am Leben. Der seit September 2024 neu auf dem deutschen Markt verfügbare Wirkstoff Sotatercept stellt nach derzeitigem Kenntnisstand einen erheblichen therapeutischen Gewinn für die Betroffenen dar. Mit seinem völlig innovativen Wirkmechanismus greift der First-in-Class-Wirkstoff als Aktivin-A-Inhibitor direkt in die Pathogenese der Erkrankung ein und bringt wachstumsfördernde und wachstumshemmende Signale wieder ins Gleichgewicht. Der bindegewebige Umbau und die Verlegung der Lungengefäße werden unmittelbar reduziert. In der Zulassungsstudie konnte mit Sotatercept als Add-on-Therapeutikum in nahezu allen Endpunkten eine hochsignifikante Verbesserung erreicht werden, insbesondere bezüglich der körperlichen Leistungsfähigkeit. Auch das Risiko, dass sich der Zustand der Patienten verschlechterte oder diese verstarben, sank im Vergleich zur Standardtherapie um 82%. Substanz-assoziierte schwere Nebenwirkungen wie Bluthochdruck, Thrombozytopenie und erhöhte Hämoglobin-Konzentrationen gelten als beherrschbar. Weitere Erkenntnisse zur Sicherheit und Wirksamkeit des neuen Orphan-Drugs Sotatercept werden erwartet. Unter anderem prüft man derzeit die Effektivität bei der Behandlung von Kindern. Inwiefern Sotatercept möglicherweise sogar zur Rückbildung der PAH-assoziierten Veränderungen in der Lunge beitragen kann, bleibt abzuwarten.
Steckbrief
Stoffklasse: | Antihypertensiva, Antihypertensiva zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie |
Zulassungsinhaber: | Merck Sharp & Dohme B.V., Waarderweg 39, 2031 BN Haarlem, Niederlande |
Hersteller/Endfreigabe: | Merck Sharp & Dohme B.V., Waarderweg 39, 2031 BN Haarlem, Niederlande |
Kontaktadresse in Deutschland: | MSD Sharp & Dohme GmbH, Levelingstr. 4a, 81673 München |
Darreichungsformen: | Pulver und Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung |
Packungsgrößen, Preis und PZN: | eine Durchstechflasche mit 45 mg Sotatercept, 7893,73 Euro, PZN 19158442; zwei Durchstechflaschen mit 45 mg Sotatercept, 15.729,81 Euro, PZN 19159281; eine Durchstechflasche mit 60 mg Sotatercept, 10.505,76 Euro, PZN 19159298; zwei Durchstechflaschen mit 60 mg Sotatercept, 20.953,88 Euro, PZN 19159306 |
Zusammensetzung: | 45 mg bzw. 60 mg Sotatercept |
Sonstige Bestandteile: | Citronensäure-Monohydrat (E330), Natriumcitrat (E331), Polysorbat 80 (E433), Saccharose, Wasser für Injektionszwecke |
Zulassungsnummer: | EU/1/24/1850/001-004 |
Datum der Markteinführung: | 15. September 2024 |
Besondere Lager- und Aufbewahrungshinweise: | in der Originalverpackung im Kühlschrank lagern (2 bis 8°C), nicht einfrieren |
Dauer der Haltbarkeit: | drei Jahre Die biochemische und biophysikalische Stabilität nach Rekonstitution wurde für vier Stunden bei 30 °C nachgewiesen. |
Verschreibungsstatus: | verschreibungspflichtig |
Indikationen
Add-on-Therapeutikum zur Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei erwachsenen Patienten mit pulmonaler arterieller Hypertonie (PAH) der WHO-Funktionsklasse (FK) II bis III
Wirkungen und Wirkungsmechanismus
Die pulmonale arterielle Hypertonie geht mit einer Erhöhung des Gefäßwiderstands und einer Drucksteigerung im Lungenkreislauf einher. Bei den Patienten sind unter anderem erhöhte Aktivin-A-Spiegel feststellbar. Hierbei handelt es sich um ein dimeres Glykoprotein, das zur Liganden-Superfamilie des Transforming-Wachstumsfaktors β (transforming growth factor, TGF-β) gehört. Aktivin A bindet an den Aktivin-Rezeptor Typ IIA (ActRIIA), der Schlüsselsignale bei Inflammation, Zellproliferation, Apoptose und Gewebehomöostase reguliert. Es fördert die proliferative Signalübertragung, während die Signalübertragung des antiproliferativen knochenmorphogenetischen Proteinrezeptors Typ II (bone morphogenetic protein receptor type II, BMPRII) abnimmt. In den Lungengefäßen von PAH-Patienten kommt es durch das Ungleichgewicht der ActRIIA/BMPRII-Kaskaden zur Hyperproliferation von vaskulären Zellen, insbesondere der Intima und der Media. Aufgrund des verengten Arterienlumens steigen der vaskuläre Widerstand und der Druck an. Im weiteren Verlauf erfolgt ein rechtsventrikuläres Remodeling, das letztlich zur Rechtsherzinsuffizienz bis hin zum Rechtsherzversagen führt. Sotatercept ist ein Inhibitor des Aktivin-Signalwegs mit hoher Selektivität für Aktivin A. Das Fusionsprotein besteht aus einem rekombinanten Aktivin-Rezeptor-Typ-IIA (extrazelluläre Domäne) und der Fc-Domäne eines Immunglobulins (ActRIIA-Fc). Der Wirkstoff fungiert als Ligandenfalle und fängt überschüssiges Aktivin und andere ActRIIA-Liganden aus der TGF-β-Superfamilie ab. Aufgrund der somit reduzierten Aktivin-Signalübertragung verbessert Sotatercept das Gleichgewicht aus proliferativer ActRIIA- und antiproliferativer BMPRII-Wirkung. Im Mausmodell wurde neben der Entzündungshemmung eine Reduktion der Proliferation von Endothel und glatter Muskulatur erkrankter Gefäße mit verbesserter Hämodynamik nachgewiesen. In gewissem Ausmaß konnten die pathologischen Veränderungen der Gefäße und der rechten Herzkammer im Tiermodell sogar rückgängig gemacht werden. Bei PAH-Patienten wird eine Reduktion des pulmonalen Gefäßwiderstands erreicht.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Sotatercept wird nach Rekonstitution alle drei Wochen in einer gewichtsbezogenen Dosis als subkutane Einzelinjektion appliziert. Als Initialdosis werden 0,3 mg/kg Körpergewicht eingesetzt. Die Applikation erfolgt in stets wechselnde Stellen am Oberarm, Oberschenkel oder Bauch, mindestens 5 cm vom Nabel entfernt. Nach entsprechender Schulung kann die Injektion auch durch den Patienten selbst durchgeführt werden. Bei Vorliegen akzeptabler Hämoglobin-Werte und Thrombozyten-Zahlen sollte ab der zweiten Injektion auf die Zieldosis von 0,7 mg/kg erhöht werden. Wenn der Hb-Wert über dem oberen Grenzwert liegt und um mehr als 1,24 mmol/l (2 g/dl) gegenüber der vorherigen Dosis oder um mehr als 2,48 mmol/l (4 g/dl) gegenüber dem Ausgangswert angestiegen ist, muss die Sotatercept-Gabe jedoch um drei Wochen verschoben werden. Das Gleiche gilt, wenn der Hb-Wert um mehr als 1,24 mmol/l (2 g/dl) über den oberen Grenzwert ansteigt oder die Thrombozyten-Zahl unter einen Wert von 50 × 109/l abfällt. Vor der Wiederaufnahme der Behandlung müssen beide Parameter erneut bestimmt werden. Bei Behandlungsverzögerungen von mehr als neun Wochen sollte die Dosierung erneut mit 0,3 mg/kg Körpergewicht begonnen werden. Falls versäumte Applikationen nicht innerhalb von drei Tagen nach dem geplanten Termin nachgeholt werden, ist der Zeitplan anzupassen, um die dreiwöchigen Dosierungsintervalle wieder einzuhalten.
Erwachsene: | initial 0,3 mg Sotatercept/kg Körpergewicht, später 0,7 mg/kg alle drei Wochen |
Kinder und Jugendliche: | Sicherheit und Wirksamkeit für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind bisher noch nicht erwiesen. |
Ältere Patienten: | Ältere Patienten ab 65 Jahren benötigen keine Dosisanpassung. |
Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz: | Bei Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz sind keine Dosisanpassungen erforderlich. Allerdings liegen zum Einsatz von Sotatercept bei Leber- oder schwerer Nierenfunktionsstörung keine Erfahrungen vor. |
DDD: | noch nicht bekannt |
Gegenanzeigen, Kontraindikationen
Bei Überempfindlichkeit gegen Sotatercept sowie bei konstanter Thrombozyten-Zahl unterhalb von 50 × 109/l vor Beginn der Behandlung besteht eine Kontraindikation.
Nebenwirkungen
Während der Anwendung von Sotatercept kommt es sehr häufig zu Thrombozytopenien, erhöhten Hämoglobin-Werten, Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen, Epistaxis, Diarrhö, Teleangiektasien und Hautausschlägen. Häufig wird über Zahnfleischbluten, Erytheme, Jucken an der Injektionsstelle und erhöhten Blutdruck berichtet.
Wechselwirkungen
Aufgrund der Struktur und der Eliminationswege des Proteins Sotatercept sind keine pharmakokinetischen oder relevanten pharmakodynamischen Interaktionen mit anderen Arzneistoffen zu erwarten. Aus diesem Grund wurde bislang auf die Durchführung von klinischen Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen verzichtet. Die Kombination mit Prostacyclin oder Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicylsäure oder Clopidogrel erhöht jedoch möglicherweise das Risiko für schwere Blutungen.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Während der Anwendung von Sotatercept muss mit einer Erhöhung der Hämoglobin-Werte gerechnet werden. Eine schwere Erythrozytose mit erhöhten Erythrozyten-, Hämoglobin- und Hämatokrit-Werten oberhalb des Normbereichs kann verstärkt zu thromboembolischen Ereignissen und Hyperviskositätssyndromen führen. Insbesondere bei entsprechend prädisponierten Patienten ist daher eine engmaschige Überwachung empfohlen. Bei Entwicklung einer Erythrozytose sollte zudem die Applikationstechnik des Patienten oder der Pflegekraft überprüft werden. Sotatercept beeinflusst weiterhin die Thrombozyten-Zahlen. Bei einigen Patienten wurden schwere Thrombozytopenien mit Werten unterhalb von 50 × 109/l beobachtet. Betroffen waren vor allem ältere Patienten oder Personen, die zusätzlich eine Prostacyclin-Infusion oder eine antithrombotische Therapie erhalten hatten. Als Folge ist möglicherweise das Risiko von schwerwiegenden Blutungen erhöht. Eine regelmäßige Kontrolle der Thrombozyten-Werte ist daher angeraten, insbesondere vor jeder der ersten fünf Applikationen. Falls eine schwerwiegende Blutung eintritt, darf Sotatercept nicht angewendet werden.
Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangerschaft: | Aufgrund fehlender Erfahrungen sollte die Anwendung von Sotatercept bei schwangeren oder nicht verhütenden Frauen im gebärfähigen Alter unterbleiben. Während und bis zu vier Monate nach Ende der Behandlung muss eine effektive Kontrazeptionsmethode eingesetzt werden. Tierexperimentelle Studien haben Reproduktionstoxizität gezeigt, es kam zu Postimplantationsverlusten, Verringerungen des Körpergewichts des Fetus und zu Verzögerungen bei der Ossifikation. |
Stillzeit: | Da nicht bekannt ist, ob Sotatercept oder seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen, sollte das Stillen während der Therapie und für vier Monate nach der letzten Behandlungsdosis unterbrochen werden. |
Fertilität: | Tierversuche ergaben eine mögliche Beeinträchtigung der weiblichen und männlichen Fertilität durch Sotatercept. Klinische Fertilitätsdaten liegen derzeit nicht vor. |
Pharmakokinetik
Resorption: | Nach subkutaner Gabe werden innerhalb von etwa sieben Tagen maximale Plasmaspiegel gemessen. Die Bioverfügbarkeit liegt im Bereich von 66%. |
Proteinbindung, Verteilung: | Das zentrale Verteilungsvolumen von Sotatercept beträgt ungefähr 3,6 l, das periphere etwa 1,7 l. |
Metabolismus: | Das Fusionsprotein unterliegt dem physiologischen Protein-Katabolismus zu kleineren Peptiden und einzelnen Aminosäuren, die in den Nährstoffpool übergehen. |
Exkretion: | Die terminale Eliminationshalbwertszeit von Sotatercept wird mit etwa 21 Tagen angegeben. |
Zulassungsrelevante Studien
Die Zulassung von Sotatercept beruht auf der 1:1-randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie STELLAR mit 323 PAH-Patienten (Funktionsklasse II bis III). Im Studienverlauf wurden die bestehenden PAH-Medikationen in beiden Behandlungsarmen beibehalten. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde die Veränderung im Sechs-Minuten-Gehtest als Maß für die körperliche Belastbarkeit festgelegt. Nach 24 Wochen konnte in der Sotatercept-Gruppe eine mediane Verlängerung um 34,4 m erreicht werden, gegenüber 1,0 m unter Placebo-Gabe, was einer hochsignifikanten Verbesserung entsprach. Die Placebo-bereinigte mediane Steigerung betrug 40,8 m Gehstrecke (p < 0,001). Der Behandlungseffekt begann in Woche 10 und hielt für die Dauer der Studie an. Auch bezüglich der meisten sekundären Endpunkte (8 von 9) zeigte sich Sotatercept der Placebo-Gabe überlegen, beispielsweise hinsichtlich eines verringerten Risikos für die Zeit bis zum ersten Auftreten einer klinischen Verschlechterung, eines Krankenhausaufenthalts aufgrund von pulmonaler arterieller Hypertonie oder eines Todes aus beliebiger Ursache. In der Verum-Gruppe wurden neun Patienten mit Todesfällen oder klinischen Verschlechterungen gemeldet (5,5% der Teilnehmer), in der Placebo-Gruppe waren es 42 Patienten (26%). Insgesamt wurde unter Sotatercept gegenüber Placebo eine signifikante Reduktion des Lungenarteriendrucks, des Wedge-Drucks (pulmonalkapillärer Verschlussdruck), des Herzzeitvolumens und des BNP (natriuretisches Peptid) erzielt. Auch der kombinierte Endpunkt aus Zunahme der Sechs-Minuten-Gehstrecke um mindestens 30 Meter, einem NT-proBNP-Wert unter 300 pg/ml und der Beibehaltung oder Verbesserung der WHO-Funktionsklasse wurde unter Sotatercept signifikant häufiger erreicht (38,9 vs. 10% unter Placebo, p < 0,001). Der sekundäre Endpunkt bezüglich der kognitiven bzw. emotionalen Auswirkungen ergab allerdings keine signifikante Verbesserung unter dem Aktivin-A-Inhibitor. Unerwünschte Ereignisse wie Nasenbluten, Schwindel, Teleangiektasien, erhöhte Hb-Werte, Thrombozytopenie und erhöhter Blutdruck wurden im Verum-Arm häufiger als unter Placebo berichtet.
Wirtschaftliche Aspekte
Aufgrund einer fehlenden Alternative erscheint der Preis der Medikation angemessen.
Literatur
[1] Fachinformation zu Winrevair®, Stand August 2024
[2] Hoeper MM, Badesch DB, Ghofrani HA, Gibbs JSR et al. Phase 3 trial of sotatercept for treatment of pulmonary arterial hypertension. N Engl J Med 2023;388(16):1478-1490
[3] EPAR summary for the public. Winrevair® Sotatercept. EMA/313481/2024; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu