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Warum DocMorris das Örtchen Hüffenhardt berühmt machen will. Warum Kammern öfters mal an eine Rezeptsammelstelle denken sollten. Warum es gut ist, dass eine Kammer wenigstens einen Satz prüfen will. Und warum die akademische Ausbildungsapotheke wirklich eine Chance ist. Mein liebes Tagebuch, hier sind Antworten.
22. Februar 2016
Die akademische Ausbildungsapotheke! Mein liebes Tagebuch, lass dir erklären, warum wir sie brauchen. Das Berufsbild des Apothekers in der öffentlichen Apotheke hat sich gewandelt und ist gerade dabei, sich weiter zu verändern. Die Mehrheit der Apothekerinnen und Apotheker hat sich mit dem Perspektivpapier dafür ausgesprochen, näher am Patienten zu sein, an seiner Arzneimitteltherapie. Eine Aufgabe des Apothekers soll es sein, die Arzneitherapie sicherer zu machen. Stichworte sind „die drei Ms“: Medikationsplan, Medikationsanalyse und Medikationsmanagement. Doch das geht nicht aus dem Stand. Eigentlich wäre es nicht verkehrt, wenn die Ausbildung an der Universität neue Strukturen bekäme, die dieses Ziel besser abbildeten. Aber da gibt es Vorbehalte: Eine neue Ausbildungsordnung zu verabschieden dauert zu lange und wird zu teuer, wir brauchen die Strukturen schneller. Außerdem lässt sich der Uni-Lehrstoff auch ohne neue Ausbildungsordnung anpassen. Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) ist hier mit ihrer Agenda 2020 schon im Gespräch mit den Fachgruppen. Und jetzt mein liebes Tagebuch, aufgepasst. Eine wesentliche Grundlage zur Vorbereitung auf die neuen Apothekeraufgaben wird im Dritten Ausbildungsabschnitt gelegt – und genau hier ist noch Luft drin. Die Ausbildungsinhalte, bei denen die Kammern mitmischen, können hier rascher angepasst und auf die neuen Inhalte ausgerichtet werden. In Baden-Württemberg hat man dies vorausschauend mit der akademischen Ausbildungsapotheke aufgegriffen. Eine Apotheke, die sich so nennen darf, erfüllt bestimmte Kriterien. Es geht dabei auch darum, die Klinische Pharmazie vor Ort in den Apotheken zu stärken. Das Wörtchen akademisch deutet darauf hin, dass hier eine enge Zusammenarbeit mit den Unis besteht. Pharmazeuten im Praktikum, die auf eine besondere Ausbildung Wert legen, haben so die Möglichkeit, sich eine Ausbildungsapotheke auszusuchen, die bestimmte Kriterien erfüllt. Neben Baden-Württemberg haben die Kammern von Hamburg und Westfalen-Lippe bereits die Idee der akademischen Ausbildungsapotheke übernommen. Für die DPhG wäre es ein Traum gewesen, wenn alle Kammern dafür gewesen wären. Doch die Mehrheit der Apothekerkammern machte hasenfüßig nicht mit. Sie befürchtete, dadurch würden einzelne Apotheken besonders herausgestellt und andere abgewertet. Unsinn, mein liebes Tagebuch. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da forderte die ABDA selbst die Apotheken zu einem Wettbewerb nicht um Niedrigpreise, sondern um Dienstleistungen und Inhalte auf. Im Übrigen bedeutet das Konzept nicht, dass nur akademische Ausbildungsapotheken gut und richtig ausbilden könnten. Und es wird auch immer Apotheken geben, die nicht ausbilden (können oder wollen). Also, mein liebes Tagebuch, vielleicht muss sich die Idee der akademischen Ausbildungsapotheke einfach noch stärker durchsetzen. Vielleicht stimmen die PhiPs mit den Füßen ab, wo sie gerne ihren dritten Ausbildungsabschnitt absolvieren. Sind wir froh, dass es fortschrittliche Kammern gibt, die weiterdenken. Und allen anderen Kammern sei gesagt: Es ist nicht verboten, das Konzept der akademischen Ausbildungsapotheke auch später einzuführen. Aber bitte, wenn ihr das Perspektivpapier und alle Sonntagsreden ernst meint, nicht zu spät!
Nein, das homöopathische Fässchen machen wir heute nicht auf, mein liebes Tagebuch. Denn im Prinzip ist es nichts Neues, was der australische Gesundheitswissenschaftler Paul Glasziou herausfand, nachdem er sich 68 Krankheitsbilder angeschaut hatte: Es gibt keine Evidenz, dass homöopathische Mittel besser wirken als Placebo. Und dennoch, mein liebes Tagebuch: Homöopathie hilft, wenn man dran glaubt. Und im Übrigen bringt’s die Anekdote auf den Punkt: Eine besorgte Mutter, deren Kind alle Globuli eines Fläschchen Arnica D 6 auf einmal zu sich genommen hatte, ruft besorgt den Arzt an, was sie denn nun machen solle. Der Arzt in beruhigendem Ton: Heute nichts Süßes mehr.
23. Februar 2016
Rezeptsammelstelle – ein Zauberwort! Hilft das Problem der flächendeckenden Versorgung zu lösen. Tolle Einrichtung! Für die Apotheke, die eine Rezeptsammelstelle betreiben darf. Die Erlaubnis dafür gibt’s bei der Kammer – gegen Gebühr, versteht sich, und wenn ein paar kleine Voraussetzungen erfüllt sind, z. B. keine Apotheke weit und breit, unzumutbar lange Wege der Patienten zur nächsten Apotheke. Rezeptsammelstelle heißt: einen Kasten mit Schlitz aufstellen, Apothekennamen drauf und die Zeiten, wann geleert wird. Aber bitte nicht beim AldiLidlEdeka aufstellen, auch nicht bei der Tanke und schon gar nicht im Wartezimmer beim Doktor – solche Standplätze sind alle schlichtweg verboten. (Aber vielleicht in der Nähe.) Ist die Genehmigung erteilt, dürfen drei Jahre lang Rezepte gesammelt werden. Die Arzneien müssen dann natürlich, je nach Kundenwunsch, ausgeliefert oder zur Abholung in der Apotheke bereitgehalten werden. Nach drei Jahren ist ein erneuter Antrag möglich und falls die Voraussetzungen noch stimmen, dürfen weitere drei Jahre Rezepte gesammelt werden und so fort. Rezeptsammelstelle – wann sind Orte oder Ortsteile so weit abgelegen, dass die Kammer ihren Segen dazu gibt? Mein liebes Tagebuch, da dürften schon mal die Meinungen darüber auseinandergehen. Reicht es schon, wenn die nächste Apotheke drei Kilometer weit entfernt ist? Mit Sicherheit nicht. Aber vielleicht fünf Kilometer? Oder müssen es zehn Kilometer sein? Kommt drauf an. Und sollten die Kammern eigentlich großzügiger mit der Vergabe von Rezeptsammelstellen sein?
Rezeptsammelstelle – kann auch ein Reizwort sein für die Apotheke, die gerne eine gehabt hätte, aber leer ausgeht. Und so liegt es wohl auch im Ermessen der Kammer, wer die Erlaubnis bekommt. Mal diese, mal jene Apotheke? Jetzt, wo das Apothekensterben auf dem Lande die Runde macht, wird das Thema Rezeptsammelstelle sicher neu belebt.
24. Februar 2016
Passend zu diesem Thema: die Analysen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung, in welchen Entfernungen Dienstleistungen und Güter des täglichen Bedarfs zu erreichen sind. Und siehe da: Während 90 Prozent der Bevölkerung in Großstädten die nächste Apotheke innerhalb von 530 Metern erreicht, beträgt In ländlichen Regionen die durchschnittliche Entfernung zur nächsten Apotheke 3,3 km. Das heißt: in einigen Fällen kann das schon mal ein ganzes Stück weiter sein. Und was bedeutet das nun? Vielleicht doch mehr Rezeptsammelstellen?
25. Februar 2016
„Ein Satz geht immer“ – mit diesem Slogan versuchte die Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, Magdalene Linz, schon vor Jahren, ihre Apotheken im Land zu mehr Beratungsarbeit in der Apotheke zu ermuntern. Und es sollte natürlich auch der richtige Satz sein und der lautet nicht „Brauchen Sie eine Tüte“ oder „Haben Sie vielleicht fünf Cent?“. Leider hat der Appell bisher nicht richtig gefruchtet. Deshalb wollen Linz und ihre Kammer nun in die Offensive gehen. Alle 2000 Apotheken in Niedersachsen sollen in den nächsten drei Jahren getestet werden, ob sie zumindest die Basics der Beratung überbringen, etwa „Ist das Präparat für Sie?“ oder „Wogegen nehmen Sie das Arzneimittel ein?“. Mein liebes Tagebuch, mal unter uns: Endlich! Endlich macht da mal eine Kammer sanften Druck und sensibilisiert die Apotheken dafür, dass es ein No Go ist, wenn ein Kunde ohne fachliche Ansprache in der Apotheke bedient wird. Ein Minimum an Nachfrage muss sein, das ist wirklich keine Schikane und kann doch nicht so schwer sein. Vielleicht geht da doch ein Ruck durch Niedersachsen und durch ganz Deutschland. Denn die Alternative steht im Tagebucheintrag vom 26. Februar vor der Tür – und das wollen wir schon gar nicht.
26. Februar 2016
Mein liebes Tagebuch, kennst du den Flecken Hüffenhardt? Liegt im Nordbadischen, rund 6 Kilometer nördlich von Bad Rappenau. Hüffenhardt hatte früher sogar mal eine Apotheke, die Brunnen-Apotheke. Aber die ist mittlerweile geschlossen, es fand sich kein Nachfolger mehr. Da klafft nun eine abgrundtiefe Versorgungslücke! Und an eine Rezeptsammelstelle hat bisher wohl noch keiner gedacht. Aber, mein liebes Tagebuch, zum Glück gibt es was von der niederländischen Versandapotheke DocMorris. Die will dort nämlich einen „telepharmazeutischen Beratungsservice mit einer Abholfunktion für Arzneimittel“ etablieren, um diese grässlich-hässliche Versorgungslücke zu schließen. DocMorrisSeiDank sollen sich die Hüffenhardter schon im Sommer in den Räumen der ehemaligen Apotheke mit Hilfe eines Videoterminals pharmazeutisch beraten lassen – „ganz diskret und individuell“. Und ja, wer hätte das gedacht: „Im Anschluss hat der Kunde die Möglichkeit bei der Versandapotheke DocMorris verschreibungsfreie Arzneimittel zu bestellen oder sein Rezept nach eingehender pharmazeutischer Prüfung einzulösen. Die Auslieferung der Medikamente erfolgt dann direkt vor Ort über das stationäre Abgabeterminal“, schreibt DocMorris in seiner Pressemitteilung. Die FAZ feiert dieses Modell sogar schon als „ein Rezept für die sterbende Landapotheke“. Und so sieht das „Rezept“ im Klartext aus: Die Versandapo stellt einen Kommissionierer rein mit den wichtigsten Arzneimitteln. Und wenn die ortsansässigen Ärzte, die DocMorris „bei der Auswahl des Sortiments“ unterstützen (also brav verschreiben, was im Kommissionierer liegt), werden die Hüffenhardter toll vom Automaten versorgt. Angeblich sei alles rechtlich geprüft. Nun ja, mein liebes Tagebuch, geprüft à la DocMorris, d.h., geklärt wie hoch die Geldstrafen für den Gesetzesverstoß ausfallen werden. Denn erlaubt ist das erstmal nicht. Welche Behörde gibt denn da ihr Placet? (Herr Hecken ist doch jetzt beim G-BA.) Also, da bleibt die Frage: Dürfen die das? Natürlich nicht! Denn es ist eine Arzneimittelabgabestelle, die keine Apotheke ist, eher eine Apotheke ultralight. Außerdem liegt das Rezept der Apotheke bei der Abgabe physisch gar nicht vor. Und es ist eine Tele-Beratung, und überhaupt: Hier will ein Apotheker auf dem Bildschirm über ein stationäres Terminal mit angeschlossenem Kommissionierer Arzneimittel abgeben. Wollte das nicht schon mal Visavia und ist damit vor die Wand gefahren? Und die Clobox oder Cobox wollte auch die Teleberatung und hat’s dann doch gelassen. Mein liebes Tagebuch, DocMorris und seine PR-Gags: Vor ein paar Jahren war’s der Apothekenbus, jetzt ist es die Apotheke ultralight per Telepharmazie. Könnte vielleicht irgendwann mal ein Modell werden, wenn es in Deutschland nur noch 15.000 Apotheken gibt und viele Gebiete als pharmazeutische Diaspora gelten. Doch so weit sind wir zum Glück noch lange nicht. Jetzt muss das Örtchen Hüffenhardt dafür herhalten, damit DocMorris sein teuer entwickeltes telepharmazeutisches Konzept endlich live testen kann. Der Absturz ist vorprogrammiert. Ach, lieber Herr Bürgermeister Neff aus Hüffenhardt, versuchen Sie’s doch mal mit einer Rezeptsammelstelle. Und die Versorgung ist gesichert, jetzt, sofort und rechtlich einwandfrei.
17 Kommentare
Überleben
von Reinhard Rodiger am 28.02.2016 um 23:58 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Digitale Welt?
von Bernd Jas am 29.02.2016 um 8:46 Uhr
AW: Wer schreibt die Fachbücher?
von Reinhard Rodiger am 29.02.2016 um 10:02 Uhr
Partikular- vor Allgemeininteresse
von Reinhard Herzog am 28.02.2016 um 14:19 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 5 Antworten
AW: Wir brauchen eine Like-Funktion
von Kerstin Kemmritz am 28.02.2016 um 16:16 Uhr
AW: Und...
von ganriela aures am 28.02.2016 um 18:18 Uhr
AW: wir brauchen dringend eine "Like - Funktion"!
von Michael Völter am 28.02.2016 um 18:21 Uhr
AW: Wir...
von Bernd Jas am 28.02.2016 um 19:49 Uhr
AW: Partikularinteressen/Interessenkonflikte: FIFA und ADAC im Vergleich
von Wolfgang Müller am 28.02.2016 um 20:09 Uhr
Interessenkonflikt
von Wolfgang Müller am 28.02.2016 um 11:56 Uhr
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Die Homöopathie-Diskussion....
von gabriela aures am 28.02.2016 um 11:31 Uhr
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Wie man sich zerstört
von Reinhard Rodiger am 28.02.2016 um 10:58 Uhr
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Das homöopathische Fässchen...
von Bernd Jas am 28.02.2016 um 10:37 Uhr
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Selbstoptimierung bis der Kopf platz
von Christiane Patzelt am 28.02.2016 um 10:37 Uhr
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Akademisch !
von gabriela aures am 28.02.2016 um 10:19 Uhr
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akademische Notwendigkeiten?
von Christian Giese am 28.02.2016 um 9:50 Uhr
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Geht's nur akademisch?
von Ulrich Ströh am 28.02.2016 um 9:17 Uhr
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