Kostet die Krebsmittel-Erforschung Millionen oder Milliarden?
Was kostet die Entwicklung neuer Krebsmittel? Während Pharmafirmen die hohen Therapiekosten mit Milliarden-schweren Forschungs- und Entwicklungsausgabenbegründen, zweifeln Kritiker schon lange die Zahlen an – und bemängeln, dass die Gelder eher ins Marketing sowie an die Aktionäre fließen. Auch die US-Forscher Vinay Prasad und Sham Mailankody aus Portland und New York hatten offenbar Zweifel an einer aktuellen Schätzung, nach der die Entwicklung eines Mittels durchschnittlich mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar kostet: In einer kürzlich im Fachblatt JAMA Internal Medicine veröffentlichten Studie haben sie die Entwicklungskosten von mehreren Krebsmitteln analysiert.
Dabei fokussierten sie sich auf Arzneimittel, die zwischen 2006 und 2015 von der FDA zugelassen wurden. Um die Ausgaben möglichst gut auf das eine Arzneimittel beziehen zu können, bezogen sie dabei nur Firmen ein, die bislang nur ein einziges Arzneimittel auf den Markt gebracht hatten. Über Analysen von Unternehmensberichten errechneten sie mittlere Kosten von 648 Millionen US-Dollar, also umgerechnet gut 540 Millionen Euro, während mittlere Erlöse seit Zulassung bei rund 1,7 Milliarden US-Dollar lagen, also rund 1,4 Milliarden Euro. Der Tyrosinkinase-Inhibitor Ibrutinib sorgte für den Hersteller Pharmacyclics durch den Verkauf an AbbVie sogar für Einnahmen von über 22 Milliarden US-Dollar. Obwohl die Firmen relativ jung waren, hatten sie alle noch andere Wirkstoffe in der Pipeline, sodass auch die Kosten von Fehlschlägen berücksichtigt wurden, argumentieren die Studienautoren.
Während die früheren Schätzungen undurchsichtig und nicht von unabhängigen Forschern bestätigt seien, würden ihre Ergebnisse transparente Schätzungen der Entwicklungskosten von Krebsmitteln liefern, erklären die Mediziner in ihrem Artikel. „Sie zeigen, dass die Einnahmen seit Zulassung erheblich über den Forschungs- und Entwicklungsausgaben vor Zulassung liegen“, schreiben sie.
vfa bezeichnet die Studie als „fehlerhaft“
Erhebliche Kritik ernten die beiden Forscher jedoch vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa): Ihre Studie sei „fehlerhaft“, erklärt der Pharmaverband auf Nachfrage von DAZ.online in einer Pressemitteilung. So seien die zehn Krebsmittel nicht repräsentativ, da neun von ihnen für seltene Erkrankungen zugelassen wurden und daher weniger aufwendige Studien nötig waren.
Außerdem berücksichtigten die Forscher bei Ibrutinib und vier anderen Präparaten nicht alle Kosten für die Entwicklung der Wirkstoffe, da dies zumindest anfangs von den Firmen nicht selbst erledigt, sondern sie lediglich zugekauft wurden: Bei einigen Firmen beziehen sich die Ausgaben daher überwiegend auf die anschließenden klinischen Entwicklungsprogramme. „Die Ausgaben für die Jahre dauernde Erarbeitung eines neuen Wirkstoffs (aufbauend auf den Erkenntnissen der Grundlagenforschung) unterschlagen sie weitgehend“, kritisiert der vfa die Autoren der Studie.
Aus anderen Studien wie einer 2010 im Fachblatt „Nature“ erschienenen Analyse ginge jedoch hervor, dass dieser Entwicklungsabschnitt mit mehreren hundert Millionen US-Dollar zu Buche schlage. „Die Untersuchung von Prasad und Mailankody, die bedeutende Kostenpositionen nicht berücksichtigt und eine untaugliche Stichprobe verwendet, ist kein seriöser Beitrag zur Diskussion über Forschungs- und Entwicklungskosten von Krebsmedikamenten“, erklärt daher Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer für die Bereiche Forschung, Entwicklung und Innovation.