Rückblick 2024: Wirkung macht Nebenwirkung

Hinter vielen Beschwerden können medikamentöse Ursachen stecken

Welche unerwünschten Wirkungen standen 2024 im Fokus der DAZ? Das zeigt unser Rückblick auf Beiträge, in denen unsere Autoren wirkstoffgruppenübergreifend typische Nebenwirkungen beleuchtet haben – von Schmeckstörungen bis hin zur Knochen­brüchigkeit.

Hinter vielen Beschwerden können medikamentöse Ursachen stecken

Jedes Arzneimittel hat auch unerwünschte Wirkungen (UAW), umgangssprachlich Nebenwirkungen genannt. Während in aktuellen Meldungen meist die UAW eines einzelnen Wirkstoffs im Fokus steht, haben unsere Autoren in vielen DAZ-Beiträgen wirkstoffgruppenübergreifend typische Nebenwirkungen beleuchtet. 

In DAZ 3, S. 52 ging es um Schmeckstörungen als Nebenwirkung. Unterschieden werden quantitative Störungen, also eine Abnahme des Geschmackssinns, und qualitative Störungen, bei denen Geschmacksstoffe anders wahrgenommen werden. Eine häufige Ursache für arzneimittelinduzierte Veränderungen des Geschmacksempfindens ist eine reduzierte Speichelproduktion durch Anticholinergika. Abhilfe schaffen Speichelersatzpräparate aus der Apotheke. Bei Wirkstoffen, die in den Schmeckvorgang selbst eingreifen, ist der Mechanismus nur teilweise bekannt. Beispielsweise können ACE-Hemmer wie Captopril oder Enalapril und Bisphosphonate wie Alendronsäure durch Bindung oder Komplexierung von Zink-Ionen wichtige Enzyme des Schmeckvorgangs hemmen. Die Liste weiterer Wirkstoffe ist lang und reicht von Antibiotika wie Amoxicillin, Clarithromycin oder Moxifloxacin über ZNS-wirksame Pharmaka wie Venlafaxin, Atomoxetin oder Zopiclon bis hin zu Glucocorticoiden und Eisen-Präparaten. Therapieversuche können etwa mit Zink-Salzen erfolgen (mit Zinkgluconat, entsprechend 20 mg Zink-Ion), bevorzugt unter ärztlicher Betreuung.  

Wie bitte? Gestörter Hörsinn durch Arzneimittel

Ein weiteres Sinnesorgan, auf das Arzneimittel Nebenwirkungen haben können, ist der Hörsinn (DAZ 9, S. 38). Auch hier werden verschiedene Hörstörungen unterschieden: Ototoxische Arzneimittel führen zu einem Verlust des Hörvermögens. Andere Nebenwirkungen am Ohr sind Tinnitus oder durch Schädigung des Vestibularorgans ausgelöster Schwindel. Zu den bekanntesten ototoxischen Arzneimitteln gehören die Aminoglykosid-Antibiotika (Gentamicin, Amikacin), Platin-haltige Chemotherapeutika, Schleifendiuretika und Analgetika bzw. Antiphlogistika. Doch die Liste ist noch länger: 765 Arzneistoffe sind als ototoxisch eingestuft. In der Selbstmedikation sollte bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika auf einem bestimmungsgemäßen, kurzfristigen Gebrauch geachtet werden. Vor allem Ibuprofen und Paracetamol erhöhen bei langfristiger Einnahme das Risiko für einen Hörverlust signifikant. Wichtig zu wissen: Bei einer Trommelfellperforation sollten ototoxische Arzneistoffe nicht lokal (Tropfen, Salbe) verabreicht werden. Sie könnten in das Innenohr gelangen und so unerwünschte Nebenwirkungen erzeugen. Vor allem bei Senioren wird ein arzneimittelbedingter Hörverlust oft übersehen und als Altersschwerhörigkeit oder kreislaufbedingte Schwindelprobleme interpretiert. Hörprobleme sollten daher in der Apotheke regelmäßig abgefragt werden. Frühe Anzeichen eines arzneimittelbedingten Schadens kann ein Klingeln oder Summen in den Ohren sein.

Nebenwirkungen auf der Waage

Verschiedene Arzneimittel führen zu einem erhöhten Körpergewicht und damit auch einem erhöhten kardiovaskulären Risiko (DAZ 25, S. 56). Der Klassiker sind Psychopharmaka: Antidepressiva wie Amitriptylin oder Citalopram, Antipsychotika wie Clozapin oder Olanzapin, sowie Antikonvulsiva wie Valproinsäure oder Carbamazepin und Lithium als Stimmungsstabilisator lassen die Pfunde steigen. Ursache ist häufig ein gesteigerter Appetit, verbunden mit weniger Bewegung aufgrund einer Sedierung. Doch die Stoffe greifen auch direkt in den Stoffwechsel ein, zum Beispiel durch Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Zu einer Umverteilung des Fettgewebes (Lipodystrophie) in den Körperstamm führen antiretrovirale Wirkstoffe wie Stavudin oder Zidovudin. Die bekannteste Wirkstoffgruppe, die zu einem Aufbau des viszeralen Fettgewebes führt, sind sicherlich die Glucocorticoide. Gleichzeitig fördern sie das Hungergefühl. Die Substanzen sollen deshalb möglichst kurzfristig und in der zeitlich begrenzten Erhaltungstherapie in niedrigen Dosen angewendet werden. Auch Insulin und Betablocker erhöhen das Körpergewicht der Patienten.

Unruhige Nächte

Schlafstörungen sind vor allem bei Senioren ein häufiges Problem – und können auch durch Arzneimittel ausgelöst werden (DAZ 41, S. 62). Bei Coffein als verstärkendes Agens in Schmerztabletten ist das auch dem Laien klar. Dass Diuretika zu einem verstärkten Harndrang führen, der Patienten auch nachts aus dem Bett holt, ist ebenfalls nachvollziehbar. Doch auch Wirkstoffe, die im zentralen Nervensystem Neurotransmitter beeinflussen, welche den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinflussen, können den Schlaf stören. Häufig betrifft dies Antidepressiva mit antriebssteigernder Wirkung wie Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) (z. B. Fluoxetin, Sertralin) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) (z. B. Venlafaxin, Duloxetin). Zahlreiche Antipsychotika können Tagesschläfrigkeit oder Insomnie auslösen. Auch beim abrupten Absetzen von Antipsychotika oder Sedativa kann es zu Schlaf- oder Ruhelosigkeit kommen. Bei Patienten mit Parkinson, die nicht optimal eingestellt sind, können hohe Dopamin-Konzentrationen ebenfalls agitierend wirken. Auch verschiedene Analgetika und Blutdrucksenker stehen im Verdacht, den Schlaf negativ zu beeinflussen. Klagen Kunden in der Apotheke über Schlafstörungen ist also eine Medikamentenanamnese in jedem Fall sinnvoll.

Vorsicht Bruchgefahr!

Arzneimittel können auch eine Osteoporose induzieren oder verstärken. Nach Diabetes mellitus stellen unerwünschte Arzneimittelwirkungen sogar die zweithäufigste Ursache für eine sekundäre Osteoporose dar. Ein belegter Kausalzusammenhang besteht dabei für eine langfristige Therapie mit Glucocorticoiden sowie antihormonelle Therapien von Brust- und Prostatakarzinomen. Bei systemisch applizierten Glucocorticoiden steigt vor allem bei Dosen von über 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent das Frakturrisiko stark an. Zur Prävention ist eine ausreichende Versorgung mit Calcium (1000 mg/Tag) und Vitamin D (800 IE/Tag) sowie ausreichend Bewegung wichtig. Bei antihormoneller Therapie mit Aromatasehemmern (z. B. Letrozol) oder GnRH-Analoga (z. B. Leuprorelin) wird eine medikamentöse Osteoprotektion mit Bisphosphonaten oder Denosumab empfohlen.

Zu wenig Eisen im Blut

Auch medikamentös induzierte Anämie war eine der Nebenwirkungen, die im vergangenen Jahr in der DAZ beleuchtet wurden (DAZ 48, S. 28). Da ein Eisenmangel oft erst erkannt wird, wenn eine Anämie sich manifestiert hat, ist es sinnvoll, in der Apotheke Risikopatienten gezielt anzusprechen. Die Langzeiteinnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) kann beispielsweise zu einer Eisenmangel-Anämie führen, der zugrunde liegende Mechanismus ist noch nicht aufgeklärt. Auch die Einnahme oraler Antikoagulanzien stellt einen Risikofaktor dar.

Nebenwirkungen sind doch gut!

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen müssen im Blick behalten werden, das steht außer Frage. Sie können aber situationsabhängig auch positive Effekte haben. So wurde in einer Studie mit Nasensprays gezeigt, dass Patienten ein „brennendes Gefühl“ durch das Spray mit Wirksamkeit assoziieren und entsprechende Placebo-Sprays als wirksamer wahrgenommen werden. Der Glaube an den Einfluss von Nebenwirkungen auf das Behandlungsergebnis könnte genutzt werden, um die Adhärenz der Patienten zu fördern, wenn z. B im Vorfeld kommuniziert wird, dass auftretende UAW ein Zeichen für den therapeutischen Erfolg sein können (DAZ 35, S. 34).

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