Delgocitinib
ATC-Code: D11AH11
Name: Delgocitinib (Anzupgo®)
Indikation: mittelschweres bis schweres chronisches Handekzem
Wirkmechanismus: Pan-Januskinasen(JAK)-Inhibitor
Therapeutische Relevanz
Das chronische Handekzem ist eine entzündliche Hautreaktion, die durch eine Dysfunktion der Hautbarriere und Veränderungen des Hautmikrobioms gekennzeichnet ist. Als Auslöser gelten wiederholte oder längerfristige Einwirkungen von schwachen Irritanzien. Die Symptomatik erstreckt sich meist auf den Handrücken, die Fingerzwischenräume und die Handgelenke, auch die Fingernägel können betroffen sein. Die Patienten leiden unter schmerzenden, juckenden und entzündlich geröteten Plaques, die sich zu Bläschen und Krusten mit Rhagaden entwickeln können. Die bei vielen Betroffenen als psychisch sehr belastend und peinlich empfundene Erkrankung ist eine häufig berichtete Berufsdermatose. Durch das permanente Tragen von Handschuhen zeigen beispielsweise viele Beschäftigte in medizinischen Berufen diese Hautreaktion. Weitere potenzielle Erkrankungsursachen sind der wiederholte Kontakt mit organischen Lösungsmitteln oder Tensiden, das Vorliegen einer Atopie oder auch genetisch bedingte Änderungen des Proteins Filaggrin, das während des Verhornungsprozesses der Haut gebildet wird. Als geeignete Gegenmaßnahmen gelten zunächst die Vermeidung der auslösenden Noxen sowie die Verwendung von rückfettenden und hydratisierenden Externa. Auch Händewaschen sollte soweit möglich unterbleiben. Falls das Tragen von Handschuhen unumgänglich ist, sind naturlatexfreie Produkte zu bevorzugen. Zur medikamentösen Erstlinienbehandlung stehen topische Corticosteroide zur Verfügung, die allerdings aufgrund ihrer hautatrophierenden Wirkung nicht dauerhaft verwendet werden sollten. Die langfristige Anwendung einer Phototherapie mit Psoralen (PUVA) ist möglich, kann allerdings das Risiko für Hautkrebs erhöhen. Topische Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus sind derzeit nur im Off-Label-Use einsetzbar. In schweren Fällen ist eine systemische Corticosteroid-, Alitretinoin- oder Ciclosporin-Therapie zu erwägen. Die Behandlungsdauer mit systemischen Corticosteroiden sollte aufgrund der bekannten Nebenwirkungen drei Wochen nicht überschreiten. Viele Handekzem-Patienten möchten jedoch generell eine langfristige systemische Behandlung umgehen. Für diesen Personenkreis ist der neue Wirkstoff Delgocitinib nach derzeitigem Kenntnisstand als relevanter therapeutischer Fortschritt anzusehen. Es handelt sich um den ersten topisch anwendbaren JAK-Inhibitor, der in klinischen Untersuchungen die Leitsymptome des chronischen Handekzems wie Schmerz und Juckreiz bei etwa 20 bis 30% der Behandelten effektiv unterbinden konnte. Anders als topische Corticosteroide verursacht Delgocitinib seltener Hautatrophien. Von Vorteil ist zudem, dass die antiinflammatorische Wirkung von Delgocitinib innerhalb weniger Tage einsetzt und die Zubereitung lediglich auf die betroffenen Hautregionen aufgetragen wird, sodass die systemische Belastung sehr gering ist. Weiterhin muss die Behandlung mit dem Pan-JAK-Inhibitor im Gegensatz zu einer systemischen Therapie mit Retinoiden oder Calcineurin-Inhibitoren nicht kontinuierlich durchgeführt werden, sondern nur in der Phase eines Erkrankungsschubs. In klinischen Studien lag das Sicherheitsprofil der Creme auf dem Niveau der Salbengrundlage. Eine langfristige Wirksamkeit bei einer bedarfsorientierten Behandlung über 52 Wochen wurde bei primär ansprechenden Patienten ebenfalls nachgewiesen.
Steckbrief
Stoffklasse: | andere Dermatika, Mittel zur Behandlung der Dermatitis, mit Ausnahme von Corticosteroiden |
Zulassungsinhaber: | LEO Pharma A/S, Industriparken 55, DK-2750 Ballerup, Dänemark |
Hersteller/Endfreigabe: | LEO Laboratories Ltd., 285 Cashel Road, Crumlin, Dublin 12, Irland |
Kontaktadresse in Deutschland: | Leo Pharma GmbH, Frankfurter Str. 233, 63263 Neu-Isenburg |
Darreichungsformen: | Creme |
Packungsgrößen, Preis und PZN: | 60 g Creme, 953,25 Euro, PZN 19375607 |
Zusammensetzung: | 20 mg/g Delgocitinib |
Sonstige Bestandteile: | Benzylalkohol (E 1519), Butylhydroxyanisol (E 320), Cetylstearylalkohol, Citronensäure-Monohydrat (E 330), Natriumedetat, Salzsäure (E 507) (zur pH-Wert-Anpassung), dickflüssiges Paraffin, Macrogolcetylstearylether, gereinigtes Wasser |
Zulassungsnummer: | EU/1/24/1851/001, EU/1/24/1851/002 |
Datum der Markteinführung: | 15. Oktober 2024 |
Besondere Lager- und Aufbewahrungshinweise: | nicht einfrieren |
Dauer der Haltbarkeit: | drei Jahre Die Creme ist nach dem ersten Öffnen über ein Jahr verwendbar. |
Verschreibungsstatus: | verschreibungspflichtig |
Indikationen
Behandlung von mittelschwerem bis schwerem chronischem Handekzem bei Erwachsenen, bei denen topische Corticosteroide nicht ausreichen oder nicht geeignet sind.
Wirkungen und Wirkungsmechanismus
Januskinasen (JAK) sind zytoplasmatische Tyrosinkinasen. Sie sind nach dem doppelköpfigen römischen Gott Janus benannt, da sie zwei ähnliche Proteindomänen besitzen, von denen aber nur eine funktional ist. Die Kinasen leiten Signale von Zytokinen weiter, die unter anderem bei immunologischen und inflammatorischen Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Die JAK-Enzymfamilie umfasst die vier Mitglieder JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 mit sich überschneidenden Funktionen. Nach dem Andocken eines Signalmoleküls an Zytokin-Rezeptoren phosphorylieren sie sogenannte STAT-Proteine (Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription) und bewirken so eine Aktivierung des nachgeschalteten JAK-STAT-Signalwegs. Delgocitinib ist ein selektiver und reversibler Hemmstoff aller vier JAK-Formen und wird daher Pan-Januskinasen-Inhibitor genannt. Die Substanz führt zu einer reduzierten Phosphorylierung und Aktivierung von STAT. Die Wirkung proinflammatorischer Zytokine wie verschiedener Interleukine, Granulozyten-Makrophagen-Koloniestimulierender Faktor (GM-CSF) und Interferon-α wird somit unterbunden. Bei Patienten mit chronischem Handekzem kann durch topisch appliziertes Delgocitinib eine Besserung der überwiegend inflammatorisch geprägten Symptomatik erreicht werden.
Dosierung, Art und Dauer der Anwendung
Die Creme mit 20 mg/g Delgocitinib sollte zweimal täglich im Abstand von etwa zwölf Stunden dünn auf die betroffene Haut der Hände und Handgelenke aufgetragen werden. Versäumte Anwendungen sind so schnell wie möglich nachzuholen, die nächste Applikation sollte wiederum zum regulär geplanten Zeitpunkt erfolgen. Die Behandlung ist so lange fortzusetzen, bis die Haut erscheinungsfrei oder zumindest fast erscheinungsfrei ist. Bei erneutem Auftreten von Symptomen des chronischen Handekzems (beginnender Schub) ist eine Wiederaufnahme der zweimal täglichen Applikation angeraten. Wenn nach zwölfwöchiger kontinuierlicher Behandlung keine Besserung erkennbar ist, sollte die topische Delgocitinib-Therapie abgebrochen werden.
Erwachsene: | zweimal täglich dünn auftragen |
Kinder und Jugendliche: | Sicherheit und Wirksamkeit von Delgocitinib für den Einsatz bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind nicht erwiesen. |
Ältere Patienten: | Bei älteren Patienten ist keine Dosisanpassung erforderlich. |
Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz: | Aufgrund der minimalen systemischen Exposition von topisch angewendetem Delgocitinib ist bei Patienten mit Leber- oder Niereninsuffizienz keine Dosisanpassung notwendig. |
DDD: | noch nicht bekannt |
Gegenanzeigen, Kontraindikationen
Bei Überempfindlichkeit gegen Delgocitinib besteht eine Kontraindikation.
Nebenwirkungen
Während der topischen Anwendung von Delgocitinib ist mit Reaktionen an der Applikationsstelle zu rechnen.
Wechselwirkungen
Aufgrund der limitierten systemischen Verfügbarkeit von auf der Haut appliziertem Delgocitinib wird das Wechselwirkungspotenzial als gering eingestuft. Daher wurden bislang keine klinischen Interaktionsstudien mit dem JAK-Inhibitor durchgeführt. Zudem ist die Metabolisierung von Delgocitinib begrenzt, sodass keine klinisch relevanten pharmakokinetischen Interaktionen zu erwarten sind. Die kombinierte Anwendung von Delgocitinib mit anderen topischen Arzneimitteln wurde nicht untersucht. Eine gleichzeitige Applikation auf denselben Hautarealen wird nicht empfohlen.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen
Nach topischer Verabreichung von JAK-Inhibitoren wie Delgocitinib kann es zu nicht-melanozytärem Hautkrebs, vor allem zur Entwicklung von Basalzellkarzinomen, kommen. Insbesondere bei Patienten mit entsprechenden Risikofaktoren sind regelmäßige Hautuntersuchungen im Applikationsbereich angeraten. Wenn die Delgocitinib-Zubereitung durch eine andere Person aufgetragen wird, sollte sich diese danach die Hände waschen. Der Kontakt mit Augen, Mund oder anderen Schleimhäuten ist zu vermeiden.
Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangerschaft: | Aufgrund bislang nur sehr begrenzter Daten mit weniger als 300 Schwangerschaftsausgängen sollte die Anwendung von Delgocitinib bei schwangeren Frauen unterbleiben. Tierexperimentelle Studien ergaben allerdings keine Hinweise auf Reproduktionstoxizität. |
Stillzeit: | Die topische Anwendung von Delgocitinib während der Stillzeit ist vertretbar, da wegen der geringen systemischen Exposition keine klinisch relevanten Auswirkungen auf den gestillten Säugling zu erwarten sind. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, nach dem Auftragen der Creme auf die Hände und/oder Handgelenke den direkten Kontakt mit der Brustwarze oder den umliegenden Bereichen zu vermeiden. Dies gilt auch für die Berührung des Kindes mit frisch eingecremten Händen. |
Fertilität: | Nach oraler Verabreichung hoher Delgocitinib-Dosen wurde bei weiblichen Ratten eine verminderte Fertilität festgestellt. Präklinische Studien bei männlichen Tieren zeigten allerdings keine Beeinträchtigungen. Klinische Fertilitätsdaten zu Delgocitinib liegen nicht vor. |
Pharmakokinetik
Resorption: | Nach topischer Applikation von Delgocitinib liegt die relative Bioverfügbarkeit im Vergleich zur peroralen Gabe bei etwa 0,6%. |
Proteinbindung, Verteilung: | Die Plasmaproteinbindung wird mit 22 bis 29% angegeben. Das Verteilungsvolumen wurde noch nicht ermittelt. Die Substanz ist ein Substrat von P-Glykoprotein (P-gp), dem organischen Kationentransporter 2 (OCT2) und dem organischen Anionentransporter 3 (OAT3). |
Metabolismus: | Delgocitinib wird in erster Linie über CYP3A4/5 und in geringerem Ausmaß über CYP1A1, CYP2C19 und CYP2D6 metabolisiert. Nach peroraler Verabreichung wurden vier Metaboliten identifiziert, die mittels Oxidation und Glucuronsäure-Konjugation gebildet wurden. Ihre durchschnittlichen Plasmakonzentrationen lagen jedoch unterhalb von 2% der Konzentration an unverändertem JAK-Inhibitor. |
Exkretion: | Delgocitinib wird hauptsächlich renal ausgeschieden, 70 bis 80% einer peroralen Dosis erscheinen unverändert im Urin. Nach wiederholter topischer Anwendung liegt die Eliminationshalbwertszeit bei etwa 20 Stunden. |
Zulassungsrelevante Studien
Die Zulassung von Delgocitinib beruht auf den beiden 2:1-randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien DELTA 1 und 2 mit 960 Erwachsenen, die unter einem mittelschweren bis schweren chronischen Handekzem litten. Den Teilnehmern war es nicht möglich, ihre Erkrankung mit Emollienzien oder topischen Corticosteroiden ausreichend zu kontrollieren. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde der Anteil der Patienten festgelegt, die nach 16-wöchiger zweimal täglicher Behandlung auf einer 5-Punkte-Skala für chronische Handekzeme (Investigator's Global Assessment for Chronic Hand Eczema[IGA-CHE]-Skala) einen Wert von 0 (erscheinungsfrei) oder 1 (nahezu erscheinungsfrei) erreichten, zudem musste insgesamt eine Verbesserung um mindestens zwei Punkte verzeichnet worden sein. In den Verum-Gruppen erreichten 20 bzw. 29% der Teilnehmer diesen Endpunkt. Die entsprechenden Werte in den Placebo-Gruppen, bei denen lediglich eine wirkstofffreie Salbengrundlage gegeben worden war, betrugen 10 bzw. 7% (p ≤ 0,0055 für beide Vergleiche von Verum vs. Placebo). Somit konnte eine signifikante Überlegenheit für die topische Anwendung des JAK-Inhibitors nachgewiesen werden. Auch bezüglich klinischer Anzeichen wie Erythem-Bildung, Infiltration/Papulation, Vesikeln, Fissuren, Schuppung und Ödemen sowie hinsichtlich des Ausmaßes der Läsionen und der persönlichen Einschätzung durch die Patienten selbst zeigte sich Delgocitinib signifikant überlegen. Etwa 45 bzw. 46% der Teilnehmer aus den Verum-Gruppen berichteten unerwünschte Wirkungen, unter Placebo-Applikation lagen diese Werte mit 51 bzw. 45% in einem ähnlichen Bereich. Die häufigsten Nebenwirkungen wie SARS-CoV-2-Infektionen und Nasopharyngitis wurden in allen Behandlungsarmen mit ähnlicher Häufigkeit berichtet. In der 36-wöchigen Verlängerungsstudie DELTA 3 konnte mit einer Therapie nach Bedarf mit Delgocitinib-Creme der Anteil der Patienten aufrechterhalten werden, die ein Ansprechen in Woche 16 zeigten.
Wirtschaftliche Aspekte
Die Behandlungskosten für Delgocitinib liegen deutlich höher als die für topische Corticosteroide.
Literatur
[1] Fachinformation zu Anzupgo®, Stand September 2024
[2] Bissonnette R, Warren RB, Pinter A, Agner T et al. Efficacy and safety of delgocitinib cream in adults with moderate to severe chronic hand eczema (DELTA 1 and DELTA 2): results from multicentre, randomised, controlled, double-blind, phase 3 trials. Lancet 2024;404(10451):461-473
[3] EPAR summary for the public. Anzupgo® Delgocitinib. EMA/355342/2024; European Medicines Agency; www.ema.europe.eu