Interpharm Hamburg

Gastkommentar

Dr. Andreas Kaapke

Ökonomisches Husarenstück

Die zweite Gesprächsrunde im Rahmen der Wirtschafts-Interpharm beschäftigte sich unter dem Titel "Kollaps der Apotheke – Qualitätsgau in der Arzneimittelversorgung" mit der Zukunft der Apotheken. Neben anderen Experten saß auch Professor Glaeske – als Vertreter des Vorsitzenden des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Prof. Wille – auf dem Podium und drückte ganz zweifelsfrei der Diskussion seinen Stempel auf. Mit seinen Statements polarisierte er und provozierte Podium und Publikum gleichermaßen. Konnte man Glaeske in weiten Teilen seiner Analyse noch folgen, zog er aber auf dieser durchaus passablen Grundlage mehrere Schlussfolgerungen, die von grenzwertig über fahrlässig bis hin zu falsch zu bezeichnen sind. Recht hatte Glaeske damit, dass die von vielen Autoren in der jüngsten Diskussion bemängelte Ökonomisierung der Distribution schon lange gegeben ist. Gleichwohl verzichtete er darauf hinzuweisen, dass die bisherige Ökonomisierung staatlich geregelt war, jetzt aber immer deutlicher dem freien Spiel des Marktes unterworfen werden soll. Strenggenommen wird der durch die Arzneimittelpreisverordnung gegebene ordnungspolitische Rahmen einer ordnungsgemäßen, auch wirtschaftlichen Betriebsführung seit 2004, dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG), durch den Staat sukzessive aufgeweicht. Ebenfalls nachvollziehbar war Glaeskes Forderung nach einer intensiveren Diskussion um ein Qualitätsverständnis in den deutschen Apotheken. Zwar wies ABDA-Präsident Wolf in der Diskussionsrunde zu Recht darauf hin, dass es einen substanziellen Unterschied zwischen echten Leistungsdefiziten und Defiziten in der Kommunikation der Leistungen von Apotheken gibt. Auch Glaeske mahnte an, dass der Mehrwert Apotheke kommunikabel gemacht werden müsse. Gleichwohl wird man auf Dauer nicht umhin kommen, den Begriff und die gewollte Qualitätshöhe in Apotheken eindeutig zu operationalisieren.

Nun aber einige Schlussfolgerungen Professor Glaeskes, die irritierend waren.

1. Die von Glaeske geforderte Qualitätsoffensive könne – so sein Votum – nach erfolgter Umsetzung durch die Apotheker unmittelbar in eine Effizienzdiskussion münden. Mit Verlaub, jedem Buch der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ist zu entnehmen, dass die Effizienz der Effektivität zu folgen hat. Hier zeigte Glaeske zum ersten Mal sein verkürztes ökonomisches Verständnis. Während die Effizienz zum Gegenstand hat, eine Sache richtig zu machen, geht es bei der Effektivität darum, die richtige Sache zu machen. Glaeske will also für einen Flug Hamburg-München über New York die billigste, beste oder schnellste Fluggesellschaft finden, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob die Route oder das Verkehrsmittel stimmen. Wenn er als Vertreter des Sachverständigenrates einem solchen Verständnis folgt, verkennt er, dass die von ihm mitberatene Politik eben zuerst die Entscheidung über den richtigen Weg treffen muss, bevor dieser optimiert werden kann. Neben der Äußeren und Inneren Sicherheit und der Bildung gehört von jeher im Kontext einer sozialen Marktwirtschaft die Sicherung der Sozialsysteme zu den Aufgaben des Staates, im übrigen definiert als Leistungen, die nicht den Kräften des freien Marktes überlassen werden können. Gerade das "Soziale" soll die Verwerfungen auffangen, die eben auch oder gerade Charakteristikum eines Marktes sein können. Dort bestimmt das Verhältnis aus Angebot und Nachfrage den Preis; nach dem Verständnis von Glaeske würde dies dazu führen, dass sich nicht alle eine Ware oder Dienstleistung leisten können. Gerade bei der Gesundheit darf deshalb konstatiert werden, dass es aber Aufgabe des Staates in einer Sozialen Marktwirtschaft sein muss, eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung im Staatsgebiet mit Gesundheit – wie dies auch immer zu operationalisieren ist – zu gewährleisten. Diesem Ubiquitätsanspruch eines typisch öffentlichen Gutes muss der Staat Nachdruck verleihen, in dem er diese Leistungen selbst anbietet – siehe über Jahre die öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser – oder aber das Angebot in einem von ihm gesetzten Rahmen ordnungspolitisch organisiert – siehe die Etablierung freier Berufe wie Ärzte und Apotheker. Damit hat der Staat sein Verständnis von Gesundheitsversorgung definiert und organisiert und sein Verständnis von Effektivität eines Gesundheitssystems bzw. der Arzneimitteldistribution bezeugt. Wollte er sich davon verabschieden, wird er erst Alternativen der Arzneimitteldistribution auf ihre Tauglichkeit überprüfen müssen, bevor er deren Effizienz testet. Ein Trial-and-error-Verfahren im Sinne eines erstmaligen Austestens einer neuen Variante, bevor wirklich über die Sinnhaftigkeit der Variante nachgedacht wird, ist nicht Aufgabe des Staates, schon gar nicht bei Gesundheit. Einem Vertreter des Sachverständigenrates hätte man gerne zuschreiben wollen, diesen Fokus nicht aus dem Blick zu verlieren. Da Glaeske aber gar nicht müde wurde, immer wieder die beiden Punkte Qualität und Effizienz miteinander zu verknüpfen, ohne die Brücke der Effektivität zu schlagen, muss ihm hier eine Absage erteilt werden. Welche Kanäle in Zukunft für die Arzneimitteldistribution in Frage kommen, muss unter dem Primat von Arzneimittelsicherheit, Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen diskutiert werden und eben nicht in erster Linie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, bevor auf die Qualitätskriterien der Versorgung eingegangen wird.

2. Der zweite fragwürdige Punkt in den Glaeskeschen Ausführungen lag in seiner Kritik an den Apotheken und deren Standesvertretungen, ständig die aus seiner Sicht "Petitesse" Versandhandel zu kritisieren. Diese würden im Schnitt nur 1% des Umsatzes ausmachen. Mit Verlaub: bei einem durchschnittlichen Betriebswirtschaftlichen Betriebsergebnis von 1 – 2% muss eine Apotheke alles interessieren, was gegenwärtig und zukünftig substanziell schmerzt, zumal um den Durchschnittswert derart weite Streuungen liegen, dass auch viele Apotheken beim Ergebnis im Null-Bereich oder darunter liegen. Demnach trifft der Versandhandel insbesondere die Apotheken, die bereits heute Rentabilitätsprobleme haben. Selbst wenn man sich in diesem Punkt auf Glaeske einließe und man einräumen würde, wichtigere Probleme zu sehen als den Versandhandel, stellt sich die Frage, warum dann für den Versandhandel Ausnahmeregelungen kultiviert werden. Da der Versandhandel keine Rezepturen und keinen Notdienst verrichten muss, um nur zwei Dienste zu kennzeichnen, die die Präsenz-apotheke für alle Einwohner in ihrem Einzugsgebiet vorhalten muss (!), auf Honorierungsseite aber die gleichen 8,10 Euro je verkaufter Packung erhält, wurde seitens der Politik ein Strukturunterschied etabliert. Die stationären Apotheken subventionieren quasi den Versandhandel, oder anders ausgedrückt: die stationären Apotheken müssen sich einer Mischkalkulation unterziehen, in der Hoffnung, dass diese "nicht aus dem Ruder läuft", während die Versandhändler gänzlich auf eine Mischkalkulation verzichten können. Glaeskes Einwand, dass 20% der Rezepturen in stationären Apotheken fehlerhaft seien, man möge dies auch unter seiner Qualitätsoffensive nicht immer so betonen, ist makaber. Zu loben, dass derjenige keine Fehler gemacht hat, der diese Leistung gar nicht anbietet, die anderen aber dafür zu geißeln, lässt den Schluss zu, dass er nicht der Fürsprecher der Präsenzapotheken ist und nicht sein will.

3. Sein ökonomisches Husarenstück lieferte Glaeske jedoch bei der Einschätzung der ökonomischen Bedeutung des OTC-Bereichs ab. Hatten zuvor im gleichen Saal sowohl Hüsgen wie auch Strobel darüber berichtet, dass die Kundenzahl auch gemessen in Packungszahlen unter betriebswirtschaftlichen, insbesondere strategischen Gesichtspunkten die zentralen Größen darstellen, tat Glaeske so, als ob der OTC-Bereich eine Randerscheinung war, ist und bliebe. Sein Kernsatz lautete: OTC ist kein Rettungsanker für die Apotheken. Schon heute werden rund 50% aller Packungen im OTC-Segment verkauft. Damit ist dieser Bereich frequenzfördernd und für die Apotheken existenziell. Dass dies gegenüber Glaeske erwähnt werden muss, ist besonders bezeichnend. Mit Einführung des GMG und der damit einhergehenden Veränderung der Arzneimittelpreisverordnung (für verschreibungspflichtige Arzneimittel!) hat der Gesetzgeber ja gerade den politischen Willen zum Ausdruck gebracht, dass mit dem Rx-Bereich nur noch die steuerlich abzugsfähigen Kosten gedeckt werden können, während der darüber liegende Mehrwert im Bereich des OTC-Segments erzielt werden soll bzw. muss. Bei allem Respekt kann dies doch nicht gänzlich an einem Mitglied des Sachverständigenrates vorbeigegangen sein.

Man gewann während der 75 Minuten den Eindruck, dass – so die Diskussion weitergegangen wäre – noch weitere insbesondere ökonomische Absonderlichkeiten zu Tage gefördert worden wären. Es würde auch den substanziellen Beiträgen der anderen Diskutanten nicht gerecht werden, wenn man deshalb zum Ergebnis käme: gut, dass es dann vorbei war. Gleichwohl stimmen mich die hier auch kommentierten Verlautbarungen nachdenklich: Als Ökonom komme ich nicht umhin, die Glaeskesche Ökonomie als eindimensional zu bezeichnen, und das ist vornehm formuliert. Gerade von Mitgliedern des Sachverständigenrates dürfen die Gesellschaft, insbesondere aber die betroffenen Partner der Wertschöpfungskette Gesundheit bzw. Arzneimitteldistribution ein differenziertes ökonomisches Grundverständnis auf der Grundlage eines aktuellen gesundheitspolitischen Leitbilds erwarten – vorurteilsfrei, stringent und abwägend. In der Analyse noch en vogue zog Glaeske dann Schlussfolgerungen, die nur teilweise der Vielschichtigkeit der Arzneimitteldistribution gerecht wurden. Schade! Vor dem Hintergrund der von Glaeske geforderten Qualitätsoffensive muss man sein Votum in den Sachverständigenrat zurückspielen: Was man sich von ihm gewünscht hätte, wäre mehr Qualität in der Diskussion.

Dr. Andreas Kaapke ist Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung an der Universität zu Köln

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