Der 36. POP-Fall

Eine Schizophrenie-Patientin

Agatha Gabriel ist eine 42-jährige Frau mit ungepflegtem Erscheinungsbild. Sie beschreibt, dass Insekten in ihr krabbeln. Vor einiger Zeit erfolgte eine Festnahme durch die Polizei, da ein heftiger Streit zwischen ihr und der Kassiererin entbrannte. Sie gab auf der Wache an, dass man ihr in dem Supermarkt schon öfter manipuliertes Essen verkauft habe und ihr zudem dort einen Sender implantiert habe, mit dem sie nun kontrolliert und überwacht werden würde...

Von Olaf Rose, Dolf Hage und Hartmut Derendorf

Eine Schizophrenie-Patientin

1. Kapitel

In der Klinischen Pharmazie dreht sich alles um den Patienten, um Leitlinien und um das klinische Ergebnis. Bearbeiten Sie mit uns diesen Patientenfall und erlernen Sie so zusätzliches therapeutisches Wissen.

Lernziele

In diesem Artikel lesen Sie:

  • welche Therapie in der Akut- und Remissionsbehandlung der Schizophrenie geeignet ist;
  • welche Therapieziele angestrebt werden sollen;
  • wie Sie die Therapie bestmöglich und zum Patientenwohl unterstützen können.

Die Patientin

Agatha Gabriel ist eine 42-jährige Frau mit ungepflegtem Erscheinungsbild. Sie beschreibt, dass Insekten in ihr krabbeln. Vor einiger Zeit erfolgte eine Festnahme durch die Polizei, da ein heftiger Streit zwischen ihr und der Kassiererin entbrannte. Sie gab auf der Wache an, dass man ihr in dem Supermarkt schon öfter manipuliertes Essen verkauft habe und ihr zudem dort einen Sender implantiert habe, mit dem sie nun kontrolliert und überwacht werden würde. Sie verneint jeden Drogengebrauch und sei auch zuletzt nicht in ärztlicher Behandlung gewesen. Ihr äußeres ­Erscheinungsbild wirkt vernachlässigt, auch ist ihre Jacke zerschlissen, ihre Haare sind ungewaschen und verknotet. Sie hat einige Kratzer im Gesicht und auf den Händen, wirkt aber ruhig und gefasst und spricht mit klarer Stimme. Sie soll nun einer Therapie zugeführt werden.

Die eingenommene Medikation besteht nach Angabe der ­Patientin lediglich aus:

Ramipril 5 mg: 0-1-0

Ibuprofen 400 mg: bei Bedarf

Ein Medikationsplan liegt nicht vor.

Vitalparameter und Laborwerte

Vitalparameter

Blutdruck: 146/88 mmHg, Puls: 76 bpm

Gewicht: 86 kg, Größe: 1,68 m

ausgewählte Laborwerte

Natrium: 140 mmol/l

Kalium: 3,9 mmol/l

Serum-Creatinin: 0,7 mg/dl

Blutzucker, nüchtern: 148 mg/dl

Gesamtcholesterol: 251 mg/dl

Triglyceride: 150 mg/dl

HDL-Cholesterol: 38 mg/dl

LDL-Cholesterol: 183 mg/dl

TSH: 4,4 mU/l

Leukozyten: 5,6 × 109/l

Klinische Pharmazie der Schizophrenie

Highlights

  • Bei einer Schizophrenie können Störungen in den ­Bereichen Denken, Wahrnehmung, Motorik und Affekt auftreten. Die Symptome werden unterteilt in positive und negative Symptome.
  • Je früher die Therapie mit Antipsychotika beginnt, ­desto besser ist die Prognose.
  • Die Wahl des geeigneten Wirkstoffs erfolgt vor allem anhand des Nebenwirkungsprofils. Zweitgenerations-Antipsychotika in Monotherapie sind wegen geringerer extrapyramidaler Risiken prinzipiell zu bevorzugen, die metabolischen Auswirkungen müssen aber individuell berücksichtigt werden.
  • Positivsymptome sprechen wesentlich besser auf ­Medikamente an als Negativsymptome.
  • Eine Pharmakotherapie ist sehr effektiv, die Rückfallquote sinkt, stationäre Aufenthalte werden seltener, die Lebensqualität steigt.

Krankheitsbild der Schizophrenie

Grundlagen

Schizophrenien treten weltweit und unabhängig von geografischer Lage und Kultur bei einem Prozent der Bevölkerung auf, bei Männern etwas häufiger. Der Beginn der Erkrankung liegt oft zwischen dem 18. und 40. Lebensjahr. Die Erkrankung wird von den Betroffenen oft als extrem belastend empfunden, die Lebenserwartung ist deutlich verkürzt. Die paranoid-halluzinatorischeForm ist – wie im Patientenfall – die mit Abstand häufigste Ausprägung. Die Krankheit ­entwickelt sich oft langsam, als erstes Anzeichen wird oft ein „Sichzurückziehen“ beobachtet.

Die weiteren Symptome unterteilen sich in:

  • Positivsymptome: Sinnestäuschungen jeder Art und Wahnvorstellungen (Kontroll- und Beeinflussungswahn);
  • Negativsymptome: Affektverflachung, Teilnahmslosigkeit, Antriebsarmut und sozialer Rückzug, Konzentrationsmangel, Sprachverarmung;
  • kognitive Symptome wie Denkstörungen und Denkverarmung;
  • Ich-Störungen wie Depersonalisation (Entfremdung von sich selbst), Derealisation (Entfremdung von der Umwelt) oder Gedankenentzug und Gedankenlautwerden;
  • psychomotorische (katatone) Symptome: Verharren in ­bestimmten Haltungen über lange Zeit, Haltungsstereo­typie, auch Erregung.

Problematisch ist die schnelle Stigmatisierung und ein ­damit einhergehender rasanter sozialer Abstieg.

Behandlungsstrategie auf einen Blick [6]

  • Neu erkrankte Patienten sollten so schnell wie möglich mit einem Antipsychotikum behandelt werden.
  • Unter sorgfältiger Abwägung des Risikos für extrapyramidalmotorische Störungen und metabolische Nebenwirkungen sollte ein geeignetes Medikament gewählt werden. Dies wird in der Mehrzahl der Fälle ein Zweitgenerations-Antipsychotikum sein.
  • Die Therapie soll als Monotherapie in zunächst niedriger Dosis erfolgen. Die Dosis muss langsam unter Kontrolle der Nebenwirkungen gesteigert werden.
  • Dosiserhöhung und Wirkstoffwechsel sollten möglichst erst nach mindestens zwei Wochen Therapie vorgenommen werden.
  • Bei akuter schizophrener Episode kann umgekehrt hoch dosiert begonnen werden und kurzfristig ein Benzodiazepin wie Lorazepam kombiniert werden.
  • Bei wiederholter Episode ist zu erfragen ob es schon positive Erfahrungen mit einem bestimmten Medikament gab. Dieses Medikament ist wieder zu verwenden.
  • Bei Erstmanifestation sollte ein bis zwei Jahre therapiert werden, bei Zweit- und Drittmanifestation zwei bis fünf Jahre, bei häufigeren Episoden lebenslang.
  • Ist der Patient unter Dauertherapie remissionsfrei, so kann jedoch nach fünf Jahren die Dosierung langsam und schrittweise gesenkt werden auf eine niedrigere Erhaltungsdosis.
  • Soll ein Antipsychotikum ganz abgesetzt werden, so ist es sehr langsam auszuschleichen. Eine schrittweise Dosisreduktion um jeweils 10 bis 25 % pro Schritt über bis zu ein Jahr ist eine übliche Strategie.
  • Patienten, die nicht auf die Therapie ansprechen, sollen zunächst mit einem andersartigen Wirkstoff behandelt werden, wenn auch dieser nicht greift, kann Clozapin versucht werden.

Diagnose

Für eine eindeutige Diagnose sollen ein oder mehr der obengenannten Symptome vorliegen. Es werden dann verschiedene Formen der Schizophrenie unterteilt:

  • paranoide Schizophrenie, meist begleitet von akustischen Halluzinationen;
  • hebephrene Schizophrenie (Antriebsverlust, sozialer Rückzug);
  • katatone Schizophrenie (psychomotorische Störung);
  • undifferenzierte Schizophrenie.

Therapieprinzipien

Es muss zunächst das Fremd- und Selbstgefährdungspotenzial abgeschätzt werden. Zur Kontrolle von Agitiertheit und Aggression kann kurzfristig ein Benzodiazepin mit kurzer Halbwertszeit eingesetzt werden, um Risiken zu senken und Gefahren abzuwenden. Das Antipsychotikum Loxapin zur Inhalation (Adasuve®) ist hier eine noch relativ neue Alternative.

Erst- versus Zweitgenerations-Antipsychotika. Üblicherweise wird bei einem Patienten mit Schizophrenie bei einem Rezidiv dasjenige Mittel wieder angesetzt, das sich zuletzt als effektiv und sicher bei ihm erwiesen hat. In allen anderen Fällen müssen die Nebenwirkungen der verschiedenen Wirkstoffe abgewogen werden. Vereinfacht wird unterteilt zwischen Erstgenerations-Antipsychotika (first generation antipsychotic, FGA, s.a. Tab. 1) und Zweitgenerations-Antipsychotika wie Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon/Paliperidon, Aripiprazol, Amisulprid, Sertindol und Ziprasidon (second generation antipsychotic, SGA, oft auch Atypika genannt).

Auch wenn sich gezeigt hat, dass diese Trennung nicht so scharf vollzogen werden kann, so wird in der klinischen Praxis die Therapie doch meist mit einem Erstgenerations-Antipsychotikum begonnen. Das Risiko der Erstgenerations-Antipsychotika für irreversible extrapyramidalmotorische Störungen (EPS) überwiegt das der Atypika, zudem ist die Wirksamkeit der Zweitgenerations-Antipsychotika auf negative Symptome insgesamt doch überlegen. Abhängig vom Patienten kann aber natürlich auch das metabolische Risiko den Ausschlag geben. In solchen Fällen sollten dann bevorzugt Erstgenerations-Antipsychotika, die in dieser Hinsicht milder sind, oder alternativ diejenigen Zweitgenerations-Antipsychotika, bei denen keine oder nur eine geringe Gewichtszunahme zu erwarten ist, eingesetzt werden, besonders Aripiprazol, Risperidon und Ziprasidon. Stehen Bedenken wegen extrapyramidalmotorischen Störungen an erster Stelle, so sollte auf ein Zweitgenerations-Antipsychotika oder in Ausnahmefällen auf ein Erstgenerations-Antipsychotikum mit niedrigem EPS-Risiko, wie Perazin oder auch Perphenazin zurückgegriffen werden.

Allen Antipsychotika eigen ist eine Wirklatenz. Zur Beurteilung einer ausreichenden Wirkung und somit vor Dosisanpassung oder Präparatewechsel sollte die Wirkung zwei Wochen beobachtet werden. Eine Monotherapie ist einer Kombination stets vorzuziehen. Im Idealfall wird die Dosierung langsam gesteigert. In der Akuttherapie wird allerdings oft genau umgekehrt verfahren, um einen schnellen Therapieerfolg zu erzielen. Die Wirklatenz verringert sich so unter Umständen auf wenige Tage. Bleibt der Therapieerfolg aus, so wird der Wirkstoff gewechselt, danach bleibt noch ein Versuch mit Clozapin unter Inkaufnahme des Agranulozytose-Risikos. Zeigt sich auch unter Clozapin noch keine Besserung, kann es mit anderen Wirkstoffen kombiniert werden [11]. Für eine Kombinationsbehandlung mit Zweit- und Erstgenerations-Antipsychotika liegen aber kaum Daten vor. Depotpräparate zur Injektion schneiden zur Verhinderung eines Rückfalls – oft aber wohl auch wegen der damit entfallenden Compliance-Probleme – in Studien besser ab als orale Arzneiformen und werden besser vertragen [7]. Allerdings können sie beim Auftreten von Nebenwirkungen natürlich nicht so schnell abgesetzt werden, was speziell beim Auftreten von Frühdyskinesien entsprechend problematisch werden kann.

Unter Medikamentengabe sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls von 64 % auf 27 % [7]. Da die Patienten sehr schnell stigmatisiert werden, ihre Arbeit verlieren und sozial vereinsamen, sind abgestimmte Maßnahmen hier besonders hilfreich. Auch in der medikamentösen Behandlung ist folglich Eile geboten, zumal das Therapieansprechen wesentlich höher ist, wenn frühzeitig behandelt wird. In der Praxis wird auch von der Drittel-Regel gesprochen, der zufolge ein Drittel der Patienten nur eine einmalige Episode erfährt, ein Drittel wiederholte Episoden durchlebt und ein weiteres Drittel in einem Residualzustand verbleibt. Vor der Behandlung sind Laborwerte als Basislinie zur Abschätzung für etwaige spätere ­Nebenwirkungen der Medikamente wichtig (Lipidwerte, Nierenfunktion, Leberenzyme und Nüchtern-Blutglucose). Gewichtszunahme, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus sind typische Nebenwirkungen besonders der Zweitgenerations-Antipsychotika. Zweitgenerations-Antipsychotika haben aber auch auf die Negativsymptome eine stärkere Wirkung als die Erstgenerations-Antipsychotika. Die viel beachtete CATIE-Studie wird oft vereinfachend so dargestellt, dass die Unterschiede zwischen Erst- und Zweitgenerations-Antipsychotika weniger deutlich ausgeprägt sind als man zuvor annahm [8]. In der CUtLASS1-Studie fanden sich keine Vorteile der Zweitgenerations-Antipsychotika auf die Lebensqualität [9].

Erstgenerations-Antipsychotika. Die nationale Versorgungsleitlinie Schizophrenie von 2006 empfiehlt Haloperidol, Flupentixol, Fluphenazin oder Perazin wegen guter Datenlage unter den Erstgenerations-Antipsychotika zu bevorzugen. Die ebenfalls ältere APA-Leitlinie bevorzugt hingegen Perphenazin wegen der möglicherweise selteneren Nebenwirkungen. Speziell auch das sedierende Potenzial spielt therapeutisch eine große Rolle und soll ­entweder gezielt zur Beruhigung eingesetzt oder umgekehrt möglichst vermieden werden. Bei einem Einsatz der Erstgenerations-Antipsychotika müssen wie oben beschrieben die EPS besonders beachtet werden. Eine Einteilung nach ­Wirkstärke ist nur für die Erstgenerations-Antipsychotika möglich (Tab. 1):

  • niederpotent: ausgeprägte sedierende Eigenschaften bei kaum vorhandener antipsychotischer Wirkung,
  • mittelpotent: deutliche antipsychotische Wirkung bei ­mäßiger Sedierung und
  • hochpotent: eine starke antipsychotische Wirkung bei kaum noch vorhandener Sedierung.

Die Einteilung ist jedoch unscharf, es existieren verschie­dene Zuordnungen.

Tab. 1:Wirkstärke der Erstgenerations-Antipsychotika (FGA), [6]
Wirkstärke Wirkstoffe (Auswahl)
niederpotent Chlorprothixen, Levomepromazin, ­Melperon, Pipamperon, Promethazin, Prothipendyl, Sulpirid, Thioridazin
mittelpotent Perazin, (Zuclopenthixol mittel bis ­niederpotent)
hochpotent Benperidol, Bromperidol, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen (mittel- bis hochpotent), Haloperidol, Perphenazin, Pimozid

Zweitgenerations-Antipsychotika. Für Zweitgenerations-Antipsychotika ist eine solche Kategorisierung nicht möglich. Die Einteilung ist rein klinisch zu sehen. Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon/Paliperidon, Aripiprazol, Amisulprid, Sertindol und Ziprasidon sind die typischen Vertreter dieser therapeutischen Gruppe.

AMTS-Hinweise

Der Einsatz von Antipsychotika bei geriatrischen Patienten ist mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert [11]. Dies gilt für Antipsychotika beider Klassen. Das Risiko beim Einsatz von Haloperidol scheint am größten, für Quetiapin am geringsten. Risperidon gilt als Mittel der ersten Wahl bei psychotischen Symptomen älterer Patienten in Kombination mit Demenz, Quetiapin und Olanzapin gelten hier ebenfalls als geeignet [12]. Mangelnde Compliance ist der Hauptgrund für Rückfälle, was sich auch darin widerspiegelt, dass ­Depotpräparate in vielen Studien einen höheren Effekt haben als orale Medikamente [2]. Nebenwirkungen führten in vielen Studien zu einem frühzeitigen Absetzen der Therapie. Ärzte und Apotheker sollten versuchen, den Patienten hier aktiv mit in die Therapie einzubeziehen und über potenzielle Nebenwirkungen aufzuklären. Ebenfalls sollten Strategien besprochen werden, was beim Auftreten von Nebenwirkungen zu unternehmen ist. Das Sturzrisiko ist bei fast allen ­Antipsychotika erhöht. Bei einer Therapie mit dopaminergen Medikamenten im Rahmen eines Parkinsonsyndroms oder eines Restless-Leg-Syndroms sind alle Antipsychotika mit Ausnahme von Clozapin und Quetiapin ungeeignet.

2. Kapitel

Umfassende Medikationsanalyse

SOAP. Zunächst erstellt der Apotheker eine Kurzbeschreibung der Patientin und berücksichtigt ihre Hauptbeschwerden. Dann sichtet er die Daten der Patientin. Er prüft die ­relevanten Laborwerte und Vitalparameter. Anschließend formuliert er die Ziele anhand der Leitlinien und gibt eine konkrete und verbindliche Empfehlung. Dazu schlägt er ­Parameter vor, mit denen die medikamentöse Therapie ­überwacht und eingestellt werden kann.

Kurzbeschreibung der Patientin (S)

Agatha Gabriel ist eine 42-jährige Frau mit den noch abzuklärenden Diagnosen paranoide Schizophrenie, Hypertonie, Typ-2-Diabetes und Dyslipidämie.

Objektive Parameter und relevante Ziele (O)

siehe Kasten „Vitalparameter und Laborwerte“ in Kapitel 1.

Befund (A)

Ziel

  • Kontrolle der akuten Symptome der Schizophrenie;
  • Sicherstellung der Patientenadhärenz;
  • Behandlung der weiteren Erkrankungen: Blutzuckereinstellung, Blutdruckkontrolle und LDL-C-Verbesserung.

Leitliniengerechte Behandlung und Therapieziele

Schizophrenie. Es ist nicht bekannt, ob Frau Gabriel schon vormals mit einem Antipsychotikum behandelt wurde. Aufgrund der metabolischen Probleme und zur Vermeidung ­einer EPS wäre für Frau Gabriel ein stoffwechselneutrales Zweitgenerations-Antipsychotikum günstig, z. B. Aripiprazol, Risperidon oder Ziprasidon. Aripiprazol 10 mg, 1-0-0 wäre hier eine mögliche Anfangsdosierung, Steigerung auf 15 mg nach zwei bis vier Wochen bei nicht zufriedenstellender Wirkung. Gegebenenfalls Überprüfung des Therapie­erfolges mittels Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS). Ziel: Symptomkontrolle, Steigerung der Lebensqualität, soziale Eingliederung, Remission.

Diabetes. Mittel der ersten Wahl bei einem Typ-2-Diabetes ist neben den Änderungen des Lebensstils die Gabe von Metformin, einschleichend mit 500 mg, 1-0-0 und langsamer Dosissteigerung im Wochentakt. Ziel: HbA1c von 6,5 bis 7,5.

Hypertonie. Erste Wahl bei Hypertonie mit Komorbidität ­Diabetes ist ein ACE-Hemmer wie Ramipril, das hier bereits in Stärke 5 mg gegeben wird, aber zum Erreichen des Zielbereiches unter 140/85mm Hg noch auf 10 mg, 1-0-0 gesteigert werden kann.

Dyslipidämie. Typ-2-Diabetiker profitieren laut ESC-Leitlinie von einem LDL-Cholesterol-Zielwert unter 70 mg/dl oder einer LDL-Cholesterol-Senkung um mehr als 50 Prozent. Durch Gabe von Atorvastatin 40 mg kann dieses Ziel ­erreicht werden. Atorvastatin kann als einziges Statin auch morgens gegeben werden, somit kann der Patientin die Einnahme sämtlicher Medikamente morgens ermöglicht werden, was der Adhärenz zuträglich ist.

Schmerzen. Aufgrund des hohen kardiovaskulären Risikos von Frau Gabriel ist Ibuprofen bei häufiger Anwendung ­ungeeignet. Sofern Paracetamol als Bedarfsmedikation ausreicht, ist ein Wechsel angeraten.

Einnahmezeitpunkte: Ramipril kann mit den anderen Medikamenten morgens eingenommen werden. Durch das Reduzieren der Einnahmezeitpunkte steigt oft auch die Compliance.

Indikation ohne Medikament: Schizophrenie, Dyslipid­ämie, Diabetes

Plan

siehe Tabelle 2.

Tab. 2: Gabe von:
Arzneistoff und Stärke Gabe Kommentar (z. B. neu) Behandlungsgrund
Ramipril 10 mg 1 – 0 – 0 Dosissteigerung statt 5 mg Bluthochdruck
Metformin 500 mg 1 – 0 – 0 neu, Steigerung auf 1-0-1, nach 1 Woche bzw. bis HbA1c-Ziel erreicht Blutzucker
Aripiprazol 10 mg 1 – 0 – 0 neu, Steigerung auf 15 mg 1-0-0 nach 2 - 4 Wochen sofern Therapieziel nicht erreicht Lebensqualität
Atorvastatin 40 mg 1 – 0 – 0 neu für bessere Cholesterinwerte
bei Bedarf
Paracetamol 500 bis zu maximal 2-2-2/Tag bei Schmerzen Schmerzen

Monitoring

  • Schizophrenie-Symptomatik
  • Vitalparameter, Laborwerte: Blutdruck, HbA1c und LDL-Cholesterol
  • Metformin:
  • Ramipril: Kalium-Spiegel und Nierenfunktion
  • Atorvastatin: Muskelbeschwerden
  • Aripiprazol: Übelkeit und Unruhe sind übliche anfängliche Nebenwirkungen. Hohes Fieber, Muskelrigidität, wechselnde Bewusstseinslagen, unregelmäßiger Puls oder Blutdruck, Tachykardie, Schwitzen und Herzrhythmusstörungen können Anzeichen für ein malignes neuroleptisches Syndrom sein und sollten beachtet werden.

Schulung

Es ist wichtig, die Patientin bezüglich der zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen zu informieren, sie mit einzubeziehen und sie auch bei möglichen Vorbehalten und Befürchtungen zu unterstützen und aufzuklären. Ein Medikationsplan nach Vorgabe des Aktionsbündnisses Patientensicherheit sollte erstellt und von Arzt und Apotheker gegengezeichnet werden.

Was wäre, wenn ...

... die Patientin noch andere Medikamente ­nehmen würde?

Aripiprazol wird über CYP2D6 verstoffwechselt, so dass Interaktionen etwa mit Metoprolol, Propranolol, Tramadol, Clomipramin, Desipramin, Paroxetin, Tamoxifen oder Dextrometorphan zu erwarten wären.

... die Patientin aggressiv wäre?

Die Patientin spricht ruhig und klar. Im Falle von Aggressionen und Agitiertheit wäre initial die Gabe von z.B. ­Lorazepam 2,5 mg unter Umständen erforderlich.

... die Patientin bereits eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen würde?

Metformin ist eines der häufigsten und ersten Medikamente, das bei eingeschränkter Nierenfunktion in Deutschland abgesetzt wird und bei einer GFR < 60 ml/min laut Zulassung kontraindiziert ist. Zwar wird diese Grenze häufig nicht allzu genau genommen und in anderen Ländern liegt sie teils deutlich niedriger, jedoch sind Sitagliptin, ggf. mit Anpassung der Dosierung, oder Glimepirid bei eingeschränkter Nierenfunktion gute Alternativen.

Medikationsmanagement

Erst durch die weitere Betreuung und Schulung der Patientin, die Übermittlung und Besprechung der Ergebnisse mit dem Arzt, die Beurteilung des Monitorings und die Erstellung ­einer erneuten Medikationsanalyse nach einigen Monaten wird aus einer umfassenden Medikationsanalyse ein Medikationsmanagement.

Im vorliegenden Fall wurde die Patientin in Absprache mit ihrer Betreuerin mehrfach in der Apotheke vorstellig. Der Umgang mit Nebenwirkungen wurde besprochen, bei Metformin wurde aufgrund von Darmbeschwerden mehrfach eine Dosierungsstufe zurückgesetzt und dann wieder gesteigert, bis auf eine Dosierung von 850 mg dreimal täglich. Die Compliance wurde mutmaßlich verbessert. Nach dem Folgemedikationsmanagement konnten sämtliche Zielparameter erreicht werden. |

Literatur

[1] Hasan A, et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) Guidelines for Biological Treatment of Schizophrenia, part 1: update 2012 on the acute treatment of schizophrenia and the management of treatment resistance. World J Biol Psychiatry 2012,13(5):318-78

[2] Hasan A, et al. World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines for biological treatment of schizophrenia, part 2: update 2012 on the long-term treatment of schizophrenia and management of antipsychotic-induced side effects. World J Biol Psychiatry 2013,14(1):2-44

[3] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und ­Nervenheilkunde DGPPN (Hrsg). S3-Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie. Band 1 – Behandlungsleitlinie Schizophrenie. Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2005

[4] National Institute for Health and Care Excellence. Schizophrenia. CG82, National Institute for Health and Care Excellence, London 2009

[5] Leucht S, et al. Comparative efficacy and tolerability of 15 antipsychotic drugs in schizophrenia: a multiple-treatments meta-analysis. Lancet 2013,382(9896):951-62

[6] Rose O, Friedland K. Angewandte Pharmakotherapie. 1. Auflage. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2015

[7] Leucht S, et al. Antipsychotic drugs versus placebo for relapse ­prevention in schizophrenia: a systematic review and meta-analysis. Lancet 20122,379(9831):2063-71

[8] Lieberman JA, et al. Effectiveness of antipsychotic drugs in patients with chronic schizophrenia. N Engl J Med 2005,353(12):1209-23

[9] Jones PB, et al. Randomized controlled trial of the effect on Quality of Life of second – vs. first-generation antipsychotic drugs in schizophrenia: cost Utility of the Latest Antipsychotic Drugs in Schizophrenia Study (CUtLASS 1). Arch Gen Psychiatry 2006,63:1079-1087

[10] Alexopoulos GS, et al. Using antipsychotic agents in older patients. J Clin Psychiatry 2004,65(2):5-99

[11] Huybrechts KF, et al. Differential risk of death in older residents in nursing homes prescribed specific antipsychotic drugs: population based cohort study. BMJ 2012,344:e977

[12] Kreyenbuhl J, et al. Schizophrenia Patient Outcomes Research Team (PORT). Schizophr Bull 2010,36(1):94-103

Autoren

Olaf Rose, Studium der Pharmazie in Münster, Forschungsaufenthalt bei Bayer, Japan, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA. Wissenschaftliches Mitglied der WestGem-Studie. Herausgeber des Buches „Angewandte Pharmakotherapie“ zusammen mit Prof. Dr. Kristina Friedland. PCNE-Mitglied seit 2015. Inhaber dreier Apotheken in Münster und im Münsterland. Forschungsschwerpunkt: Medikationsmanagement.

Olaf Rose, Pharm.D., Münster, rose@elefantenapo.de

Dolf Hage, Studium der Medizin an der Universität Utrecht, Niederlande von 1974 bis 1982, Facharzt für Psychiatrie 1991. 1991 bis 1994 Chefarzt der geronto­psychiatrischen Abteilung der LWL-Klinik in Lengerich. Seit 1994 in eigener Praxis in Steinfurt, seit 1997 Erweiterung zu einer Gemeinschaftspraxis. 2009 Zusatzbezeichnung Geriatrie.

Dr. Dolf Hage, Wippert 8A, 48565 Steinfurt

Hartmut Derendorf ist Distinguished Professor und Chairman des Departments of Pharmaceutics an der University of Florida in Gainesville, wo er seit 1983 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Klinische Pharmakokinetik lehrt.

Prof. Dr. Hartmut Derendorf, University of Florida, 100494, College of Pharmacy, 1600 SW Archer Road, P3-27, Gainesville, FL 32610, hartmut@cop.ufl.edu

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