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AMTS-Spezial
Drohende Abstoßung
Unterschiedliche Galenik verbietet Austausch von Tacrolimus-Präparaten
Tacrolimus gehört seit 20 Jahren zum Standardrepertoire der Transplantationsmedizin, mittlerweile werden die meisten leber- und nierentransplantierten Patienten mit diesem Wirkstoff behandelt. Anfänglich war es nur unter dem Handelsnamen Prograf® als Hartkapsel zur zweimal täglichen Applikation erhältlich. Zur Erleichterung der Einnahme wurde ein Granulat zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen (Modigraf®) entwickelt und im Jahr 2009 zugelassen, welches sich insbesondere für kleine Kinder und Patienten mit Schluckstörungen anbietet sowie individuelle Dosisanpassungen durch die verfügbaren niedrigen Einzeldosisstärken 0,2 mg und 1 mg Tacrolimus erleichtern soll (aus Gründen der Dosierungenauigkeit sollte der Inhalt der Modigraf®-Beutel keinesfalls geteilt eingenommen werden). Die Applikation erfolgt wie bei Prograf® ebenfalls morgens und abends. Nach langen Jahren der Prograf®-„Alleinherrschaft“ wurde 2007 eine entscheidende Veränderung der Galenik zur Vereinfachung des Therapieregimes vorgenommen. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass die Adhärenz, eine bei Transplantationspatienten lebenslang notwendige und lebensnotwendige Eigenschaft, außerhalb klinischer Studien unbefriedigend war. Besonders nierentransplantierte Patienten zeigten hier schlechtere Raten, vermutlich aufgrund der nicht-vitalen Eigenschaft der Nieren. Zur Förderung der Therapietreue kam daher schnell der Wunsch nach einer einmal täglich zu applizierenden Formulierung auf. Durch die Zulassung der retardierten Hartkapsel Advagraf® erhielten Patienten die Option, Tacrolimus nur noch morgens einnehmen zu müssen. Die Umstellung vom bis dato üblichen Prograf® erfolgt unter engmaschiger Überwachung der Blutspiegel, initial unter Beibehaltung der bisherigen Tagesdosis. Auch wenn eine Verbesserung der Therapietreue durch die einmal tägliche Einnahme wie bei anderen chronischen Erkrankungen wahrscheinlich ist, fehlt der Nachweis bisher (Ausnahme: gesponserte Studien des Herstellers). Seit 2014 ist das ebenfalls einmal täglich zu applizierende Präparat Envarsus® verfügbar, welches eine verbesserte Bioverfügbarkeit aufweist.
Risiken durch veränderte Plasmaspiegel
In der Fachpresse wurde bereits hinlänglich beleuchtet, dass Generika von Prograf® nicht untereinander ausgetauscht werden sollen, siehe Substitutionsaustauschliste. Eine bewusste Umstellung auf eine andere Galenik (also zum Beispiel von Prograf® auf Advagraf®) ist möglich, sollte aber nur erfahrenen Transplantationsmedizinern unter engmaschiger Kontrolle der Blutspiegel obliegen. Schließlich ist Tacrolimus ein Wirkstoff mit enger therapeutischer Breite und hoch variabler interindividueller Pharmakokinetik (Einflussfaktoren: interindividuelle Resorption, Nahrungsmittel-Wechselwirkungen, Arzneimittel-Wechselwirkungen, pharmakogenetische Unterschiede, niedrige Bioverfügbarkeit). Die Auswirkungen veränderter Plasmaspiegel außerhalb des therapeutischen Bereichs können fatal sein: Zu niedrige Plasmaspiegel bergen die Gefahr einer Transplantatabstoßung, zu hohe Plasmaspiegel resultieren in übermäßiger Immunsuppression (Infektionsgefahr) sowie verstärktem Auftreten weiterer unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Tremor, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Urtikaria, Lethargie und erhöhte Blut-Harnstoff-Stickstoff-, Serumkreatinin- und Alaninaminotransferase-Spiegel). In der Praxis wird häufig beobachtet, dass nach der Umstellung von Prograf® auf Advagraf® Dosisanpassungen nach oben erforderlich sind. Man vermutet, dass die Tacrolimus-Bioverfügbarkeit unter Advagraf® niedriger ist. So zeigte ein Review von sechs randomisierten und 15 Beobachtungsstudien, dass unter Anwendung gleicher Tacrolimus-Tagesdosen bei verzögerter Freisetzung (Advagraf®) im Vergleich zu schneller Freisetzung (Prograf®) niedrigere Tal-Spiegel resultieren (statistisch nicht signifikant). Dementsprechend fällt die Tacrolimus-Dosierung um 10 bis 25% höher aus, wenn verzögert freigesetztes Tacrolimus verwendet wird [1].
Rote-Hand-Brief
Die Vereinfachung eines Therapieregimes aufgrund veränderter galenischer Eigenschaften bedeutet zumeist eine Erleichterung für die Patienten, birgt aber auch Risiken für die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Unmittelbar nach der Zulassung von Advagraf® bestanden offensichtlich Verwirrungen über das abweichende Einnahmeschema. Es kam zu Anwendungsfehlern mit falscher Dosierung der Präparate und damit zu schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen wie durch Biopsie bestätigte akute Abstoßung transplantierter Organe (BPAR, Biopsy Proven Acute Rejection) und Toxizität infolge der Verabreichung zu hoher Dosen. Man sah sich daher gezwungen, in einem Rote-Hand-Brief auf die Problematik und die sachgemäße Anwendung der Arzneimittel aufmerksam zu machen [2]. Als risikominimierende Maßnahmen wurde vereinbart, auf der Advagraf®-Umverpackung in großer Schrift „Einmal täglich“ und „Hartkapseln, retardiert“ zu drucken sowie die Fach- und Gebrauchsinformationen beider Präparate mit Warnhinweisen zu versehen.
Gründe für Verwechslung
Aus AMTS-Sicht steuern gleich mehrere Faktoren dazu bei, dass Verwechslungsfehler bei den entscheidenden Schritten des Medikationsprozesses Verordnung, Abgabe in der Apotheke, Stellen und Einnahme von Prograf® und Advagraf® aufgetreten sind bzw. auftreten können [3]:
- Beide Präparate enthalten den Wirkstoff Tacrolimus und werden in der gleichen Indikationsgruppe bei nieren- und lebertransplantierten Patienten eingesetzt (Prograf® zusätzlich noch bei herztransplantierten Patienten).
- Beide Präparate sind als Hartkapseln zur oralen Einnahme erhältlich, sie unterscheiden sich nur im Freisetzungsverhalten.
- Die verfügbaren Dosisstärken sind mit 0,5 mg, 1 mg und 5 mg Tacrolimus gleich (Advagraf® zusätzlich noch in der Dosisstärke 3 mg).
- Beide Präparate werden vom gleichen pharmazeutischen Unternehmer vertrieben (Astellas Pharma).
- Die ähnliche Namensgebung der drei Astellas-Präparate Prograf®, Advagraf® und Modigraf® mit gleicher Endung sorgt für Verwirrung („sound alike“).
- Die jahrelang übliche Dosierung für Tacrolimus ist zweimal täglich.
Besonderheiten bei Modigraf®
Aufgrund der unterschiedlichen Darreichungsform des Granulats Modigraf® im Vergleich zu Prograf® und Advagraf®sind Verwechslungen unwahrscheinlicher, aber nicht auszuschließen. Bei einem bewussten Austausch sollte bedacht werden, dass zwischen dem retardierten Advagraf® und Modigraf® klinisch relevante Unterschiede der Bioverfügbarkeit beider Formulierungen nicht ausgeschlossen werden können [4]. Eine Umstellung sollte hier nicht erfolgen. Eine Umstellung von Prograf® auf Modigraf® oder umgekehrt (beide schnellfreisetzend) ist jedoch möglich, sollte aber nur bei stabilen Transplantatempfängern und entsprechender Überwachung der Blutspiegel erfolgen. Zwar wird eine 1:1-Umstellung bezogen auf die Gesamttagesdosis initial empfohlen, die Bioverfügbarkeit des Granulats ist jedoch höher: Bei Gesunden war nach Gabe einer Einzeldosis die systemische Tacrolimus-Exposition (AUC) für Modigraf® nahezu 18% höher als für Prograf®-Kapseln. Daher sollte bei Umstellung von Modigraf® auf Prograf®, wenn eine 1:1-Umstellung aufgrund nicht verfügbarer Wirkstärken unmöglich ist, die gesamte Prograf®-Tagesdosis auf die nächste mögliche Dosierung aufgerundet werden. Falls dann eine Aufteilung in zwei gleiche Dosen nicht möglich ist, sollte die höhere Prograf®-Dosis am Morgen und die niedrigere Dosis am Abend gegeben werden. Entsprechend der Unterschiede in der Bioverfügbarkeit sollte bei der Umstellung eines Patienten von Prograf® auf Modigraf®-Granulat die Gesamttagesdosis von Modigraf® auf die nächste mögliche Dosierung abgerundet werden, falls eine 1:1-Umstellung nicht möglich ist. Sollte eine Aufteilung in gleiche Dosen nicht möglich sein, sollte die höhere Modigraf®-Dosis am Morgen und die niedrigere am Abend gegeben werden. Zur Veranschaulichung dient folgendes Beispiel. Der Patient erhält bisher Prograf®, gegeben wird 1 mg am Morgen und 0,5 mg am Abend. Die Gesamttagesdosis beträgt 1,5 mg Tacrolimus, kann mit den verfügbaren Wirkstärken von Modigraf® aber nicht abgebildet werden. Durch Abrundung kann für Modigraf® eine Gesamttagesdosis von 1,4 mg erzielt werden, welche aufgeteilt in 0,8 mg am Morgen und 0,6 mg am Abend gegeben wird [4].
Einnahmehinweis
Die Bioverfügbarkeit von Tacrolimus kann insbesondere durch fetthaltige Nahrung erheblich beeinträchtigt werden. Sie ist bis zu anderthalb Stunden nach einer Nahrungsaufnahme deutlich reduziert. Um eine maximale Resorption zu erreichen, sollte die Einnahme von Tacrolimus nüchtern oder zeitlich versetzt zu den Mahlzeiten erfolgen (mindestens eine Stunde vor bzw. zwei bis drei Stunden nach der Mahlzeit).
Es wurde berichtet, dass Grapefruitsaft den Tacrolimus-Blutspiegel erhöhen kann. Vermutet wird eine Enzymhemmung durch im Grapefruitsaft enthaltene Flavonoide. Die Patienten sollten daher auf den Genuss von Grapefruirs und Grapefruitsaft generell verzichten und Tacrolimus am besten mit Wasser einnehmen. Wichtig ist auch der Hinweis, Tacrolimus erst unmittelbar vor der Einnahme aus der Blisterverpackung zu entnehmen, da es hygroskopisch ist.
Erhöhung der Bioverfügbarkeit
Die Verordnung und Verabreichung von Tacrolimus wurde im letzten Jahr um ein Präparat mit erhöhter Bioverfügbarkeit erweitert, aber auch verkompliziert. Das unter dem Handelsnamen Envarsus® verfügbare Tacrolimus-Retardpräparat wird ebenfalls wie Advagraf® nur einmal täglich angewendet, die Präparate sind aufgrund unterschiedlicher Bioverfügbarkeit aber nicht 1:1 austauschbar, sondern im Verhältnis 1 (Advagraf®) zu 0,7 (Envarsus®) [5]. Verantwortlich ist die sogenannte MeltDose®-Technologie, ein Verfahren zur Verbesserung der Löslichkeit von Wirkstoffen durch Minimierung der Partikelgröße. Hierbei wird der zumeist schwer wasserlösliche Wirkstoff geschmolzen und dann auf inerte Trägerpartikel aufgesprüht, die anschließend zu Granulat agglomerieren und dann zu Tabletten weiterverarbeitet werden können. Soll ein Patient von einer herkömmlichen Tacrolimus-Formulierung wie Prograf® (bzw. dessen Generika) oder Advagraf® auf Envarsus® umgestellt werden, muss die verabreichte Tagesdosis aufgrund der verbesserten Bioverfügbarkeit 30% unter der bisherigen Dosis liegen. Die engmaschige Überwachung der Plasmaspiegel ist wie auch bei den oben erwähnten Umstellungen obligat. In der Fachinformation wird empfohlen, die Tacrolimus-Tal-Spiegel vor der Umstellung und über zwei Wochen danach zu kontrollieren [5]. Es sollten Dosisanpassungen durchgeführt werden, um sicherzustellen, dass nach der Umstellung eine gleiche systemische Exposition aufrechterhalten wird. Bei Patienten mit dunkler Hautfarbe muss berücksichtigt werden, dass möglicherweise höhere Dosierungen erforderlich sind, um die Ziel-Tal-Spiegel zu erreichen (Umstellung der Tagesdosis von Prograf®/Advagraf® auf Envarsus® im Verhältnis 1:0,85). Envarsus® ist in den Wirkstärken 0,75 mg, 1 mg und 4 mg Tacrolimus erhältlich und auch hier besteht die Gefahr des unbeabsichtigten Austauschs mit anderen Tacrolimus-haltigen Arzneimitteln, besonders mit dem ebenfalls retardieren Advagraf®. Vorsorglich wurde daher schon ein Hinweis in die Envarsus®-Fachinformation aufgenommen, dass es nicht durch andere Tacrolimus-haltige Arzneimittel in der gleichen Dosierung ersetzt werden darf. |
Literatur
[1] Ho ETL et al. Once-Daily Extended-Release Versus Twice-Daily Standard-Release Tacrolimus in Kidney Transplant Recipients: A Systematic Review. Transplantation 2013;95:1120-1128
[2] Rote-Hand-Brief Astellas Pharma GmbH, Dezember 2008
[3] Institute for Safe Medication Practices Canada (ISMP Canada). Prograf and Advagraf Mix-up. Can J Hosp Pharm. 2009;62(5):417-418
[4] Fachinformation Modigraf® (Tacrolimus), Astellas Pharma Europe B. V., Stand Februar 2014
[5] Fachinformation Envarsus® (Tacrolimus), Chiesi Farmaceutici S. p. A., Stand Dezember 2014
[6] Fachinformation Advagraf® (Tacrolimus), Astellas Pharma Europe B. V., Stand Oktober 2013
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