Auslegung der Apothekenbetriebsordnung

Freie Sicht auf HV-Tisch reicht aus

10.02.2015, 18:15 Uhr


EasyApotheken wirken auf den ersten Blick eher wie ein Drogeriemarkt: Zunächst sieht man viele Regale mit freiverkäuflichen Waren. Der HV-Tisch findet sich in der Regel erst in einer hinteren Ecke. Ist dies vereinbar mit der Apothekenbetriebsordnung, derzufolge die Offizin der Apotheke so zu gestalten ist, dass der Vorrang des Arzneimittelversorgungsauftrags nicht beeinträchtigt wird? Solange der Ort der Arzneimittelabgabe beim Betreten der Apotheke zu sehen ist: ja. Das meint jedenfalls das Verwaltungsgericht Würzburg.

Ein Apotheker, der eine easyApotheke im Landkreis Main-Spessart betreibt, war vom Landratsamt aufgefordert worden, seine Apotheke derart umzugestalten, dass durch Umstellen der Freiwahlregale ein direkter, vom Eingang einsehbarer Zugang zu den Arzneimittelabgabe- und Beratungsplätzen geschaffen wird („Korridor"). Ergänzt wurde der Bescheid durch einen Raumplan. Dieser sah einen mit einer Breite von 2,20 m startenden Korridor vom Eingang bis zu den HV-Tischen vor, der am Ende eine Breite von 3,50 m aufweist.

Der Apotheker wehrte sich gegen den Bescheid. Er ließ sich aber darauf ein, im Eingangsbereich ein Schild anzubringen, das auf Rezepteinlösung und Beratung im hinteren Bereich verweist. Später reduzierte er auch die Höhe der Regale zwischen Eingang und Handverkaufsbereich auf 1,30 m.

Verstoß gegen die Apothekenbetriebsordung ...

Dennoch landete der Fall vor Gericht – und das Urteil fiel zugunsten des Apothekers aus. Zwar habe der Apotheker gegen die hier entscheidende Norm des § 4 Abs. 2a Apothekenbetriebsordnung verstoßen, als der Bescheid erlassen wurde. Jedoch habe das Landratsamt mit seinen Forderungen seinerseits gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. 

§ 4 ApBetrO bestimmt in Satz 2, dass die Offizin so gestaltet werden muss, „dass der Vorrang des Arzneimittelversorgungsauftrags nicht beeinträchtigt wird …“. Dies ist für das Gericht das entscheidende Kriterium. Doch wie ist dieser unbestimmte Rechtsbegriff auszulegen? Die Verwaltungsrichter sehen in als Ergänzung zu § 2 Abs. 4 ApBetrO, wonach der Apothekenleiter neben Arzneimitteln und apothekenpflichtigen Medizinprodukten die in § 1a Abs. 10 ApBetrO genannten apothekenüblichen Waren nur in einem Umfang anbieten oder feilhalten darf, der den ordnungsgemäßen Betrieb der Apotheke und den Vorrang des Arzneimittelversorgungsauftrags nicht beeinträchtigt. Zweck dieser Regelung sei es, die Funktion der Apotheke als zentrale Abgabestelle für Arzneimittel zu stärken und zu verhindern, dass die Gestaltung der Apotheke den Charakter eines „Drugstore“ annimmt und der Apotheker seine Hauptaufgabe im Rahmen der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung vernachlässigt und sich zunehmend einträglicheren Geschäften zuwendet.

... aber mildere Gegenmaßnahme wäre möglich gewesen

Um zu gewährleisten, dass ein Kunde eine Apotheke als solche wahrnimmt, müsse er beim Betreten sofort erkennen, dass er sich in einer Apotheke – und nicht etwa in einer Drogerie oder einem Supermarkt – befindet. Also müsse auch der Arzneimittelabgabe- und Beratungsbereich und der Weg dorthin gleich zu erkennen sein. Dafür reicht nach Auffassung der Richter allerdings ein „Sichtkorridor“, wie er etwa durch niedrigere Regale zu erreichen ist. Ein expliziter „Laufkorridor“, wie ihn vorliegend das Landratsamt gefordert hatte, sei hingegen nicht nötig. Nach dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs hätte das Amt aber diese mildere Maßnahme fordern müssen.

Verweis auf Fragen- und Antwortenpapier der AATB

Gestützt sieht das Gericht seine Auffassung auch durch das Fragen- und Antwortpapier der Arbeitsgruppe Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen (AATB). Zwar sei in der ersten Fassung des Papiers noch davon die Rede gewesen, dass ein „eventueller Hindernislauf der Patienten bis zu den Arzneimitteln“ nicht mit der Neuregelung der Apothekenbetriebsordnung zur Gestaltung der Offizin in Einklang zu bringen sei. In der überarbeiteten Fassung vom 27. Februar 2014 heiße es aber nur noch, dass beim „Betreten der Offizin sofort klar sein (muss), dass es sich um einen Ort der Arzneimittelabgabe handelt. Ebenso muss sofort ersichtlich sein, wo sich der HV-Tisch befindet und die Beratung stattfindet. Diese Stellen müssen einfach und barrierefrei erreichbar sein“. Die Forderung nach einer Erreichbarkeit des HV-Tischs „auf direktem Wege“ finde sich nicht mehr wieder.

Urteil des Verwaltungsgericht Würzburg vom 10. Dezember 2014, Az.: W 6 K 13.405


Kirsten Sucker-Sket