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- Vom Rezeptbuch zum Gesetz
1865 wurde die erste Pharmacopoea Helvetica des Schweizerischen Apothekervereins herausgegeben. Das Werk, welches ursprünglich als „Rezeptbuch für Apotheker“ gedacht war, ist heute eine gesetzlich verbindliche Sammlung von Qualitätsvorschriften und Referenzwerk für Apotheken, Industrie und Prüflabore.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts existierten in der Schweiz keine offiziellen, schweizerischen Arzneibücher. Wie in anderen Ländern, waren Pharmakopöen damals private Unternehmen einzelner Gelehrter. Je nach Landesgegend war entweder eine städtische (z.B. Pharmacopoea Genevensis ad usum noscomiorum) oder kantonale (z.B. Farmacopoea ticinese und Pharmacopoea Sangallensis) oder ausländische Pharmakopöen (wie z.B. Pharmacopoea Borussica) im Gebrauch.
1865 wurde die erste Pharmacopoea Helvetica (Ph. Helv.) vom Schweizerischen Apothekerverein in lateinischer Sprache publiziert. In der ersten Ausgabe fehlten die Simplicia (damals als „einfach zu herstellende Arzneien“ bezeichnet) und auch die übrigen Vorschriften fanden nicht überall Beifall. Darum wurde ihr vielfach doch wieder die Pharmacopoea Borussica (Preussische Pharmakopöe) vorgezogen.
Ausarbeitung der Pharmakopöe
Der Apothekerverein beschloss daraufhin die Herausgabe einer neuen Pharmakopöe, die auch die Simplicia enthalten sollte. Eine 10-köpfige Pharmakopöekommission erledigte die Bearbeitung, so dass 1872 die Pharmacopoea Helvetica Editio altera publiziert wurde. Diese enthielt zunächst nur die allgemeinen, in der ganzen Schweiz benutzten Arzneimittel, während für die übrigen auf ein Supplement verwiesen wurde. Das in Aussicht gestellte Supplement dazu erschien 3 Jahre später.
Ende 1888 beschloss der Bundesrat unter Zustimmung der Bundesversammlung, die Ausarbeitung einer amtlichen schweizerischen Pharmakopöe. Die Pharmacopoea Helvetica Editio tertia erschien 1893 nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern in den 3 Amtssprachen. Diese Ph. Helv.III wurde 1894 für das Gesamtgebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft eingeführt und vom Bundesrat als maßgebend erklärt. Nur der Kanton Glarus setzte die Ph. Helv.III nicht um.
Das Ziel einer gesamtschweizerischen Landespharmakopöe war somit noch nicht ganz erreicht.
Mit der Pharmacopoea Helvetica Editio quarta 1908 wurde dies für die gesamte Eidgenossenschaft realisiert.
„Ein neues nationales Werk, das nach dem Urteil der kompetentesten Fachmännern des In- und Auslandes von wissenschaftlichem Geiste beseelt und auf der Grundlage reicher und wertvoller Erfahrung aufgebaut ist und einen gewaltigen Fortschritt für die wissenschaftliche und praktische Pharmacie bedeutet.“
Auf der Höhe der Zeit
Der Arzneischatz hatte sich in den darauf folgenden Jahren gewaltig entwickelt und die Methoden der Arzneimittelprüfung wurden laufend verbessert.
Die Pharmacopoea Helvetica Editio quinta (1936) enthielt bereits einen umfassenden Allgemeinen Teil mit Grundsätzen der Herstellung, der Prüfmethoden, der Aufbewahrung und Abgabe von Arzneimitteln.
Neu wurden Grenzreaktionen zur Reinheitsprüfung sowie physikalische und chemische Prüfungsmethoden zur quantitativen Bestimmung der Wirkstoffgehalte – auf dem Stand der damaligen Kenntnisse der Arzneimittelprüfung – eingeführt. Der Spezielle Teil der neuen, 5. Ausgabe der Ph. Helv. umfasste nun bereits 1050 Monographien.
„Damit verfügte auch unser Land über ein Arzneibuch, das auf der Höhe seiner Zeit stand, in seinem Aufbau und Vorschriftenteil als vorbildlich galt und dessen hohe wissenschaftliche Qualität internationale Anerkennung fand.“ [Vorrede zur Ph. Helv.VI]
Eine laufende
Weiterentwicklung der Pharmakopöe war jetzt nur noch mit einer ständigen Eidgenössischen
Pharmakopöekommission und einem eigenen Laboratorium zu bewältigen. 1945 nahm das
Eidgenössische Pharmakopöelaboratorium seine Arbeit auf.
Damit wurde die notwendige Kompetenz und Stabilität für die Bearbeitung von
Arzneibuchfragen geschaffen.
Zwischen zwei Ausgaben des Werkes wurden Supplemente herausgegeben, um die Pharmakopöe-Vorschriften rasch an die Entwicklung des Arzneischatzes und die Fortschritte der Arzneimittelprüfung anzupassen.
1972 erschien die Pharmacopoea Helvetica VI neu als Loseblatt-Werk.
Da es zu diesem
Zeitpunkt kein Eidgenössisches Arzneimittelgesetz gab, wurden im Allgemeinen Teil
die Begriffe „Arzneimittel“, „Pharmazeutische Spezialität“ und
„Pharmazeutischer Hilfsstoff“ definiert.
Monographien integriert
1964 unterzeichnete die Schweiz – als einer der 8 Gründerstaaten – das Übereinkommen zur Ausarbeitung einer Europäischen Pharmakopöe (Ph. Eur.).
Damit verpflichtete sich die Schweiz, bei der Ausarbeitung der Europäischen Pharmakopöe mitzuwirken und die erarbeiteten Qualitätsvorschriften in das schweizerische Recht zu überführen.
Mit Inkrafttreten der Pharmacopoea Helvetica VII (1987) war es der Eidgenössischen Pharmakopöekommission gelungen, die Monographien der Ph. Eur.II in dieses nationale Werk zu integrieren.
„Die Pharmakopöe gilt im gesamten Gebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft für die Definition, Herstellung und Verarbeitung, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Verwendung von Arzneimitteln und pharmazeutischen Hilfsstoffen. Ihre schon jetzt weitgehende Abstützung auf international geltende Normen unterstreicht ihre Bedeutung als Normensammlung für fachgerechtes pharmazeutisches Arbeiten. Ihr Ausbau muss in Harmonie mit der internationalen Entwicklung des Pharmakopöewesens weitergehen.“
Ende 1996 publizierte der Europarat die 3. Auflage der Ph. Eur. neu.
Aufgrund dieser dynamischen Entwicklung beschloss die
Eidgenössische Pharmakopöekommission, das schweizerische und das europäische Werk
in Zukunft wieder getrennt herauszugeben. Dies wurde im Jahre 1997 – mit der Pharmacopoea
Helvetica 8 – realisiert.
Die Schweizerische Pharmakopöe in der heutigen Form
2003 trat die 9. Ausgabe der Ph. Helv. in Kraft.
In der 2006 erschienenen Ph. Helv.10 wurde dem Werk erstmals eine CD-ROM beigefügt. Damit konnten die Anwender selber entscheiden, mit dem Buch oder der elektronischen Fassung zu arbeiten.
Mit der 11. Ausgabe – 2012 – wurde die ganze Redaktion der Ph. Helv. auf ein neues System umgestellt. Durch Einführung einer Online-Version konnte zukünftig flexibler und schneller auf anstehende Veränderungen reagiert werden und direkt auf die aktuell gültigen Texte des Grundwerks und des Supplements zugegriffen werden. Weiter enthält die Online-Version zusätzliche Informationen, wie Referenzspektren und Formulare sowie Abbildungen von Chromatogrammen.
In der aktuellen Ausgabe der Ph. Helv. (Stand Supplement 11.2) sind die folgenden Inhalte publiziert:
Verschiedene Kapitel zur Information mit Querverweisen auf die Ph. Eur.
9 Allgemeine Methoden
14 Allgemeine Texte
1 Allgemeine Monographie
Diverse Einzelmonographien:
1 Impfstoff
12 Pflanzliche Drogen
19 Zubereitungen aus pflanzlichen Drogen
6 Teemischungen
46 Präparate
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22 Chemische Stoffe
Wer benutzt die Pharmakopöe?
Die ersten Ausgaben der Pharmacopoea Helvetica können als „Rezeptbücher für den Apotheker“ bezeichnet werden. Sie dienten in erster Linie dem Apotheker und teilweise dem Arzt, um Arzneimittel in immer der gleichen Beschaffenheit herzustellen.
Mit der Herstellung von Arzneimitteln durch die
Industrie hatte sich dies geändert. Nun war es notwendig, diese Arzneimittel
vor ihrer Zulassung für den Markt durch eine entsprechende Zulassungsbehörde
kritisch zu prüfen. Damit war neben dem Apotheker und der Industrie auch die
Zulassungsbehörde an die Bestimmungen der Pharmakopöe gebunden.
In der heutigen Form ist die Pharmakopöe gesetzlich verbindlich. Sie besteht in der Schweiz aus der Europäischen Pharmakopöe als Basis und der Pharmacopoea Helvetica als Ergänzung. Sie enthält Qualitätsvorschriften für bekannte und gebräuchliche Arzneimittel und dient allen, welche die Qualität von Arzneimitteln überprüfen oder sicherstellen müssen, seien es Industriebetriebe, Apotheken oder unabhängige Prüflabore.
Wozu eine nationale Pharmakopöe?
Die nationale Pharmakopöe ergänzt die Ph. Eur. Sie kommt dort zum Tragen, wo ein nationaler Bedarf besteht, der durch die europäischen Vorschriften nicht abgedeckt wird.
So werden beispielsweise auf europäischer Ebene Präparate-Monographien mit spezifischer Zusammensetzung und Herstellungsvorschrift nur bedingt Eingang finden. Auch im Bereich der pflanzlichen Arzneimittel gibt es nationale Unterschiede in Tradition und Gebrauch, die eine nationale Regulierung bedingen. Ein Beispiel hierfür ist der Eingestellte Kamillenfluidextrakt, der von der Ph. Eur. nicht abgedeckt wird, jedoch in der Schweiz traditionell Verwendung findet und deshalb in der Ph. Helv. monographiert ist.
Die nationale Pharmakopöe trägt auch maßgeblich zu einer schweizweit harmonisierten Regulierung von Qualitätsanforderungen bei.
Weiter können die nationalen Vorschriften auch als
wichtige Vorarbeit und damit als Grundlage für die Erarbeitung einer
gemeinsamen europäischen Norm in der Ph. Eur. dienen. Zahlreiche der heute in
der Ph. Eur. enthaltenen Vorschriften haben ihren Ursprung in der Ph. Helv. und
wurden auf europäischer Ebene gemeinschaftlich weiterentwickelt.
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