Hirnchip

Gelähmter Mann fühlt seine Hand

Pittsburgh / Heidelberg - 14.10.2016, 17:00 Uhr

Nach Querschnittslähmung: Per Hirnchip fühlt dieser gelähmte Mann wieder seine Hand. (Foto: UPMC / PittHealth Science)

Nach Querschnittslähmung: Per Hirnchip fühlt dieser gelähmte Mann wieder seine Hand. (Foto: UPMC / PittHealth Science)


Fortschritt bei der Überwindung von Querschnittslähmungen: Mit einem Hirnchip erzeugen Forscher bei einem gelähmten Mann Empfindungen der gefühllosen Hand. Das gilt als wichtiger Schritt für den Einsatz von Neuroprothesen.

Mit einem Hirnchip haben Forscher bei einem querschnittsgelähmten Mann den Eindruck von Gefühlen einer Hand erzeugt. Mit dem Implantat konnte der 28-Jährige, der seit zehn Jahren gelähmt ist, zudem Berührungen an einer Handprothese spüren und recht zuverlässig den jeweiligen Fingern zuordnen. Diese haptische Rückmeldung ist äußerst nützlich, um etwa beim Greifen eines Plastikbechers nicht zu viel Druck auszuüben.

Das Team um Robert Gaunt von der University of Pittsburgh (US-Staat Pennsylvania) hatte dem Mann zwei Chips mit jeweils Dutzenden Mikroelektroden in das für körperliche Empfindungen zuständige Areal der Großhirnrinde eingepflanzt, wie es im Fachblatt „Science Translational Medicine“ berichtet. Ein unabhängiger Experte spricht von einer bislang einmaligen Studie.

Ein wesentliches Ziel bei der Behandlung von Querschnittsgelähmten oder Menschen nach Armamputationen ist das Wiederherstellen von Greiffunktionen mit Neuroprothesen. Dafür ist jedoch wichtig, dass die Patienten ihre Bewegungen nicht nur visuell kontrollieren, sondern auch über ein haptisches Feedback spüren. Um dies zu erreichen, pflanzten die Forscher dem Patienten zunächst zwei Matrizen (Arrays) mit jeweils 60 in Gitterform angeordneten Elektroden in jenes Areal des somatosensorischen Kortex ein, das für die sensorische Wahrnehmung der rechten Hand zuständig ist.

Bei elektrischer Aktivierung der Elektroden hatte der Mann ab der vierten Woche den Eindruck von Gefühlen, die von einem großen Teil des Zeigefingers dieser Hand und vom gesamten vorderen Teil der Innenhandfläche zu kommen schienen - nicht allerdings von den Fingerspitzen. Die Empfindungen, gewöhnlich ausgelöst mit einer Stärke von 20 bis 50 Mikro-Ampere, empfand der Patient zu 93 Prozent als „irgendwie natürlich“. Zudem konnte er die Reize unterschiedlichen Stellen der Hand zuordnen.

In einem zweiten Schritt wurden ihm mithilfe von Sensoren Signale einer Armprothese direkt ins Hirn eingespeist. Berührungen an der Prothese konnte er den jeweiligen Fingern überwiegend richtig zuordnen. Diese Fähigkeit blieb über den gesamten Verlauf der sechsmonatigen Versuche erhalten.

Vielversprechend: Intrakortikale Mikrostimulation

Die Studie zeige, dass die Stimulation des somatosensorischen Kortex haptische Wahrnehmung ermögliche, schreiben die Autoren. Zudem werde diese Wahrnehmung als natürlich empfunden und bleibe über mehrere Monate stabil. „Insgesamt legen diese Resultate nahe, dass die intrakortikale Mikrostimulation ein vielversprechender Ansatz ist, um Körpergefühl künstlich wiederherzustellen“, betonen sie.

Dies sei erstmals mit implantierten Elektroden am Menschen gelungen, sagt Rüdiger Rupp, der nicht an der Studie beteiligt war. Der Experte von der Klinik für Paraplegiologie der Uniklinik Heidelberg lobt auch, dass der Effekt sechs Monate lang anhielt. Dies sei keinesfalls selbstverständlich, da das Implantieren der Elektroden Nervenzellen schädigen könne.

„Das ist eine sehr seriöse Arbeit, die die eigenen Erfolge nicht überbewertet“, betont Rupp. Es sei um Grundlagenforschung gegangen und nicht darum, den Alltag des Patienten zu verbessern. Allerdings mache der Erfolg dafür Hoffnung. Letztlich gelte es zu zeigen, dass man eine Querschnittslähmung technisch überbrücken kann - indem ein Patient die haptischen Empfindungen nutzt, um bei einer Neuroprothese die Stärke des Greifens anzupassen.



Walter Willems, dpa
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.