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Weltweit die Erste
S3-Leitlinie zu Chrystal Meth vorgestellt
Antidepressiva wirken bei Crystal-Meth-Konsumenten mit komorbider Depression nicht, Methylphenidat ist bei ADHS in dieser Patientengruppe nicht das Mittel der ersten Wahl. Neben der Therapie inklusive solcher Besonderheiten widmet sich die weltweit erste S3-Leitlinie „Methamphetamin-bezogene Störungen“ auch dem Thema „Awareness“. Sie wurde vergangene Woche vorgestellt.
Derzeit scheint sich der Konsum von kristallinem Methamphetamin („Crystal Meth") in Deutschland nach wie vor auf bestimmte Regionen zu konzentrieren. Am stärksten betroffen ist die deutsche Grenzregion zur Tschechischen Republik, insbesondere ländliche Gegenden und Mittelstädte. Dort ist seit etwa 2009 ein Anstieg des Missbrauchs von Methamphetamin zu beobachten. Doch mittlerweile gibt es Hinweise, dass der Missbrauch sich auch in anderen Gebieten breit macht. In den besonders betroffenen Regionen sind Ärzte und Mitarbeiter in Kliniken, Praxen und Einrichtungen der Suchthilfe auf jeden Fall bereits jetzt massiv mit den Folgen des Methamphetamin-Konsums konfrontiert.
Verschiedene mit dem Methamphetamin-Konsum assoziierte Krankheitsbilder werden unter dem Begriff „Methamphetamin-bezogene Störungen" zusammengefasst. Dazu zählen:
- die Gebrauchsstörungen nach ICD-10: schädlicher Gebrauch, Abhängigkeit
- sowie die Methamphetamin-induzierten Störungen, wie Intoxikation, Entzug oder die induzierten psychischen Störungen (wie z. B. Psychosen).
Bisher gab es keine evidenzbasierten Therapiekonzepte
Bislang stützte sich die Behandlung vor allem auf Erfahrungsberichte und Einzelfallstudien. Da evidenzbasierte Therapiekonzepte fehlten, wurden in der Praxis oft Studienergebnisse und klinische Erfahrungen zur Therapie mit anderen Suchtkranken auf Patienten mit einer Methamphetamin-bezogenen Störung extrapoliert. Nun liegt erstmalig eine substanzspezifische S3-Leitlinie vor. Sie wurde vergangenen Freitag von Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, zusammen mit Vertretern der Bundesärztekammer und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) vorgestellt. Die S3-Leitlinie soll zum einen für eine bessere Versorgung von Patienten, zum anderen auch für mehr Handlungssicherheit für das therapeutisch tätige Personal sorgen.
Manches, was sonst Standard ist, ist nicht geeignet
Die Leitlinie gibt Handlungsempfehlungen zur Akuttherapie und Postakuttherapie, zum Entzug und der Behandlung von Komorbiditäten. So wird beispielsweise explizit darauf hingewiesen, dass in Deutschland kein Arzneimittel zur Behandlung der Methamphetamin-Abhängigkeit zugelassen ist. Bei akuter Intoxikation sollen zum Beispiel Benzodiazepine und bei Bedarf Antipsychotika zum Einsatz kommen. In der weiteren Entzugsbehandlung wird dann symptomorientiert behandelt, zum Beispiel mit Bupropion oder antriebssteigernden Trizyklika wie Desipramin bei depressiv ängstlicher Symptomatik. Es handelt sich aber in den meisten Fällen um „Kann"-Empfehlungen. Zu ergänzenden psychotherapeutischen Methoden hingegen wird dringend geraten.
Bei der Behandlung der Komorbiditäten gibt es einiges zu beachten. So sind bei Methamphetamin-bezogenen Störungen einige Arzneimittel, die unter anderen Umständen erste Wahl wären, nicht geeignet. Beispielsweise scheinen laut aktueller Studienlage Antidepressiva bei komorbider Depression nicht zu wirken. Es kann ein Therapieversuch mit Quetiapin erfolgen, dazu sollen störungsspezifische Psychotherapie-Ansätze verfolgt sowie Psychoedukation und Sport- und Bewegungstherapie angeboten werden. Bei bipolarer Störung können sowohl für die depressiven als auch die manischen Symptome Therapieversuche mit Quetiapin oder Risperidon empfohlen werden. Auch hier spielen die nicht-medikamentösen Verfahren eine große Rolle. Besteht bei komorbider ADHS die Indikation für eine Pharmakotherapie, sind Atomoxetin oder Antidepressiva wie Bupropion, Venlafaxin oder Duloxetin die Mittel der ersten Wahl („Kann“-Empfehlung).
Leitlinie will auch für Anzeichen sensibilisieren
Neben der Therapie spielt das Thema „Awareness“ eine wichtige Rolle. So will die Leitlinie auch für die Anzeichen sensibilisieren, die auf einen Konsum von Methamphetamin hindeuten – damit Betroffene möglichst schnell Hilfe bekommen. Typische Zeichen sind zum Beispiel Zahnschäden, schlechte Haut und Pickel mit Narben oder trockene Nasenschleimhäute.
Den typischen Methamphetamin-Konsumenten gibt es jedoch laut Leitlinie nicht. Es scheint eine sehr heterogene Gruppe zu sein. Es gibt eine Reihe von Subtypen, zum Beispiel: Konsum im Freizeitbereich (Ausgehen, Jugendkultur), Konsum in der Schule und Ausbildung, im Beruf oder im Kontext der Elternschaft, Konsumierende mit psychischer Komorbidität oder Traumaerfahrungen, spezielle Sex-zentrierte Szene, Konsumierende mit exzessiven Konsummustern beziehungsweise wahllosem Mischkonsum. Die Besonderheiten der jeweiligen Subgruppe sind in der Behandlung zu beachten, auch ihnen versucht die Leitlinie Rechnung zu tragen.
Die vollständige Leitlinie in der Lang- und der Kurzfassung finden Sie hier.
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