Keine Offizin mehr in Norddeich

Immer mehr Apotheken-Lücken in Ostfriesland

Berlin - 23.10.2017, 09:00 Uhr

(Foto: pkazmierczak / stock.adobe.com)

(Foto: pkazmierczak / stock.adobe.com)


35 Jahre lang stand Joachim Jaeschke fast Tag und Nacht hinter seinem HV-Tisch. Der Apotheker verstarb im Frühjahr 71-jährig. Mit ihm ist auch seine Frisia-Apotheke in Norddeich gegangen. Einen Nachfolger gibt es nicht. Ostfriesland zählt zu den Verlierern, wenn es darum geht, Approbierte zu gewinnen. Aber ist die Versorgung deswegen gleich gefährdet? Ein Standortbericht.

Als die Nachricht vom Todesfall eintraf, sei sie noch am gleichen Tag vor Ort gewesen, sagt Andrea Milberg. Die Wirtschaftsförderin der Kommune Norden, zu der Norddeich gehört, ahnte wohl, dass es schwierig werden würde, die Frisia-Apotheke zu retten. Mit Ulrich Rümmler war zwar schnell ein Apotheker im Ruhestand gefunden – er kannte den Verstorbenen seit Studienzeiten –, doch auch der Rentner aus dem 25 Kilometer entfernten Krummhörn konnte schlussendlich nur noch abwickeln und den Schlüssel herumdrehen. Die Frisia-Apotheke bleibt für immer geschlossen.

Berend Groeneveld, Chef des Apothekerverbandes in Niedersachsen, hilft das Geschehen einzuordnen. Er war Jaeschkes Apotheken-Nachbar, betreibt seit 22 Jahren im vier Kilometer entfernten Norden die Rats-Apotheke und erzählt: „Es ist schwierig, Fachkräfte nach Ostfriesland zu locken“. Die gingen zum Arbeiten statt aufs flache Land lieber in die Städte. Dort gebe es mehr verschreibende Ärzte.

Immer noch acht Apotheken im 4-Kilometer-Umkreis

In Norddeich praktiziert aktuell noch eine Hausärztin. 1600 Einwohner leben in dem Ortsteil der Stadt Norden, der Seehafen für die Inseln Juist und Norderney ist. Doch selbst Touristen kämen nur an Ostern und in den drei Sommermonaten zu Besuch – und die meisten davon wären gesund. „Wer krank ist, bleibt zu Hause“, sagt Groeneveld und bemerkt friesisch trocken: „Von Mitteln gegen Mückenstiche und Sonnenmilch allein kann man nicht existieren.“ Chronisch Kranke hätten ihre Medikamente meist dabei – auch sie brächten kaum Umsatz.

Ohne die Frisia-Apotheke gibt es in der Region rund um die Kleinstadt Norden (25.000 Einwohner) noch acht Apotheken, alle im Umkreis von vier Kilometern. Man habe keine Versorgungsschwierigkeiten, weiß Groeneveld, der ehrenamtlich den Vorsitz des Landesapothekerverbands Niedersachsen innehat, und ergänzt: „In Hoch-Zeiten, vor zehn Jahren, waren wir elf“. Groeneveld berichtet: Viele Apothekeninhaber in der Region haben ähnliche Probleme: Mit wenig Personal ausgestattet, decken die Inhaber die Öffnungszeiten meist persönlich ab. Nachtdienste eingeschlossen. „Manchmal grenzt es an Selbstausbeutung“, sinniert Groeneveld.

Wie sind die Versorgungszahlen in Niedersachsen?

So wie Groeneveld sieht auch die Apothekerkammer Niedersachsen die Lage noch entspannt. In den Nachbarlandkreisen Aurich (hierzu gehört Norden), Wittmund, Leer und Emden haben seit 2009 in Summe elf Apotheken geschlossen. 112 Apotheken sind nach wie vor geöffnet, das sind zehn Prozent weniger als vor acht Jahren. In ganz Niedersachsen wiederum wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres 26 Apotheken dicht gemacht – und nur acht eröffnet. Zwar entspricht das einem Rückgang von nur rund zehn Promille.

Allerdings geht der Trend seit Jahren Richtung weniger Apotheken. 2009 gab es in Niedersachsen noch 2107, Stand Ende September sind es 1942 Apotheken. Also 165 weniger als vor acht Jahren. Und das, obwohl die Einwohnerzahl seit 2012 wieder zunimmt, wie in der Statistik des niedersächsischen Landesamts nachzulesen ist. 150.000 Menschen mehr leben im Land an der Waterkant (Stand 2015). Dabei profitieren Kreise wie Aurich durchaus von der Zuwanderung, heißt es beim Landesamt.

An eine Fortsetzung der Frisia-Geschichte glaubte in Norden hingegen keiner mehr. Jaeschkes Apotheke genoss Bestandsschutz. Ein Nachfolger hätte baulich kräftig investieren müssen, um den aktuellen Verordnungen gerecht zu werden. Seit Kurzem muss die Barrierefreiheit berücksichtigt werden, und für die Herstellung von Arzneien ist eine bestimmte Ausstattung vorausgesetzt. Das hätte sich für keinen Nachfolger gerechnet, meint Groeneveld, der ebenfalls keine Sekunde daran gedacht hatte, die Frisia zu übernehmen. So ist sie am 1. Juni zu Ende gegangen, die 35-jährige Lebenszeit der Apotheke kurz hinterm Deich. Sie steht wohl als Beispiel für manche Landapotheken, denen ein baldiges Ende droht, wenn der Inhaber stirbt.



Michael Sudahl, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.