Außerdem verurteilte das Landgericht Essen Peter S. wegen
Abrechnungsbetrugs: Die unterdosierten Mittel seien „wirtschaftlich wertlos“
gewesen, daher handele es sich bei den monatlichen Abrechnungen um Betrug in 59
Fällen. Auf Basis mehrerer Abschätzungen bezifferten die Richter den
Abrechnungsbetrug bei Krankenkassen auf einen Gesamtschaden von 17.943.846
Euro, den sie auf einen Betrag von 17,3 Mio. Euro abrundeten. Die Anklage hatte
auch Hygieneverstöße mit aufgeführt, doch sprach die Strafkammer S.
diesbezüglich frei: Zwar hätten die Zeugenaussagen „unzweifelhaft“ ergeben,
dass S. zumindest gelegentlich in Straßenschuhen und ohne Schutzkleidung im
Reinraumlabor arbeitete – doch ließen sich Kontaminationen auch aufgrund
fehlender Untersuchungen nach der Razzia nicht feststellen. „Keine der 117
sichergestellten Zubereitungen ist im Ermittlungsverfahren sachverständig auf
mikrobielle oder sonstige Verunreinigungen untersucht worden“, heiß es im
Urteil.
Peter S.: Sohn zweier Apotheker
Es beschreibt auch den Werdegang von S.: Dieser sei als Sohn
zweieer Apotheker aufgewachsen, seine Mutter betrieb früher die inzwischen
umbenannte Alte Apotheke in Bottrop. Nach seinem Studium erlernte er die
Zyto-Herstellung beim Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz, während er Apotheker im
Rang eines Hauptmanns in einer Bundeswehrapotheke war. Im Jahr 2000 wechselte
er als angestellter Pharmazeut in die Apotheke seiner Eltern. Ein
Promotionsstudium brach er ab, einen betriebswirtschaftlichen
Ergänzungsstudiengang absolvierte er und erlangte die Qualifikation eines
Betriebswirts, wie später auch die des Fachapothekers für Offizin-Pharmazie
sowie für Onkologie.
Ab dem Jahr 2001 baute S. in der Apotheke seiner Mutter die
Zyto-Herstellung auf. Zu November 2009 pachtete er die Alte Apotheke von ihr
und übernahm die Leitung, während seiner Eltern weiter im Betrieb arbeiteten. Gut
ein Jahr später eröffnete er außerdem eine Filialapotheke in Düsseldorf. 2012
übertrug seine Mutter ihm das Apothekengebäude im Zuge einer vorweggenommenen
Erbfolge – welches sie sich jedoch im Januar 2017 zurückübertragen ließ, als S.
in Untersuchungshaft war. Mit Übernahme von seiner Mutter habe sich der Umsatz
erheblich gesteigert – auf jährlich rund 40 Millionen Euro, wovon bis zu die
Hälfte auf den Reinraumbetrieb entfallen sei. Seit 2009 habe sich auch die Zahl
der Mitarbeiter auf rund 90 verdoppelt, mit zuletzt mehr als sechs Apothekern,
rund 30 PTAs, mindestens neun PKAs, mehreren Reinigungskräften und rund 20
Fahrern.
„Sabotage durch den Angeklagten“
Bis heute leidet S. an den Folgen einer Kopfverletzung aus
dem Jahr 2008, aufgrund derer er den Geruchssinn verlor und gelegentlich
Kopfschmerzen hat. Die Verteidiger hatten dies als Grund für eine mögliche verminderte
Schuldfähigkeit vorgebracht, doch auf aufgrund psychiatrischer Gutachter wiesen
die Richter dies ab. So schließt die Kammer aus, dass die Folgen der
Kopfverletzung dazu geführt haben, „dass der Angeklagte das Unrecht seiner
Taten nicht einsehen konnte oder nicht nach seiner Einsicht handeln konnte“,
heißt es im Urteil. Durchgeführte Tests zur Leistungsfähigkeit „erwiesen sich
jedoch aufgrund von Sabotage durch den Angeklagten als unergiebig“. Ein von der
Verteidigung bestellter Gutachter hatte angeführt, dass S. für seinen
Berufsstand eine unterdurchschnittliche Intelligenz habe, was die Richter
aufgrund mangelnder Datenbasis zurückwiesen. „Allzu oft ist die Intelligenz von
Apothekern nämlich bislang nicht wissenschaftlich überprüft worden“, schreiben
sie.
Derselbe Gutachter argumentierte, S. wäre vielleicht
überfordert gewesen. Doch sei das Bild eines „angstbesetzten“ Apothekers, der
Tag für Tag frühmorgens in der Sorge, nicht fertig zu werden, versehentlich
Krebsmittel unterdosierte – und dabei praktischerweise ein Millionenvermögen
verschaffte – von seiner Lebenswirklichkeit „meilenweit entfernt“, schreiben
die Richter. Der Angeklagte sei vielmehr ein dynamischer „Macher“, der viele
Projekte stemmte.
Peter S. tat viel für seine Region
In Bottrop sei S. für sein soziales Engagement bekannt
gewesen: Er organisierte etwa für das Hospiz einen jährlichen Spendenlauf.
Allein im Jahr 2013 spendete er laut Urteil einen Betrag von 170.000 Euro, in
anderen Jahren soll es ähnlich viel gewesen sein. Nach außen hin sei der
Apotheker „eher zurückhaltend und bescheiden“ aufgetreten, stellen die Richter
fest – obwohl er in den letzten Jahren vor Inhaftnahme einen „kostspieligen
Lebensstil“ gepflegt habe: Er ließ sich auf einem rund 18.000 Quadratmeter
großen Grundstück für eine zweistellige Millionensumme eine luxuriös und
extravagant ausgestattete Villa einrichten – samt Wasserrutsche, großer
Modelleisenbahnanlage und rund 70 teils sehr wertvollen Kunstwerken. Der große
Garten – mit einem Stück Berliner Mauer, das vom Künstler James Rizzi gestaltet
wurde – wurde von einem Gärtner gepflegt, den S. in Vollzeit angestellt hatte.
„Zu keinem Zeitpunkt hatte er Liquiditätsschwierigkeiten“, heißt es im Urteil.
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