Das Urteil im Zyto-Prozess (Teil 1)

Das „perfekte Verbrechen“ für den Bottroper Zyto-Apotheker

Karlsruhe - 15.11.2018, 10:15 Uhr

Der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. (hier mit seinen Anwälten) hat jahrelang Zyto-Zubereitungen gepanscht, damit Patienten geschadet und die Kassen um rund 17 Millionen Euro betrogen. DAZ-Autor Hinnerk Feldwisch hat die Urteilsbegründung analysiert. (Foto: hfd)

Der Bottroper Zyto-Apotheker Peter S. (hier mit seinen Anwälten) hat jahrelang Zyto-Zubereitungen gepanscht, damit Patienten geschadet und die Kassen um rund 17 Millionen Euro betrogen. DAZ-Autor Hinnerk Feldwisch hat die Urteilsbegründung analysiert. (Foto: hfd)


Wegen „völlig fehlenden Kontrollen“ ein fast perfektes Verbrechen

Angesichts der „völlig fehlenden Kontrollen“ handelte es sich aus Sicht des Apothekers um das „perfekte Verbrechen“, schreiben die Richter: S. musste sich laut dem Urteil keine größeren Sorgen machen, durch Kontrollen aufzufliegen. Die zuständige Amtsapothekerin Hanneline L. habe zwar regelmäßig angemeldete Inspektionen durchgeführt und die Eröffnung der Filialapotheke und des neuen Reinraumlabors intensiv begleitet. Doch obwohl Paragraph 64 AMG die Untersuchung von Arzneimittelproben vorschreibe, habe L. während des gesamten Tatzeitraums keine Proben gezogen – insbesondere auch keine Zytostatika. „Da derartige Untersuchungen der Produkte von zytostatikaherstellenden Apotheken in Nordrhein-Westfalen allgemein unüblich waren, brauchte der Angeklagte entsprechende Kontrollen nicht zu fürchten“, heißt es im Urteil.  

Der Apotheker schwieg während des Verfahrens, und machte nur gegenüber den psychiatrischen Sachverständigen Angaben – wenn auch nicht zu den eigentlichen Tatvorwürfen. Kurz nach seiner Inhaftierung habe er gar nicht verstanden, was man ihm vorwerfe – erst später sei „etwas Fleisch drangekommen“, er habe sich „das“ aber nicht vorstellen können. Die Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufsmenge sei für ihn „nicht zu erklären“. Er hinterfrage sein Handeln – die beste Kontrolle erfolge aber durch die behandelnden Ärzte. Diesen müsse schließlich auffallen, „dass Therapien nicht richtig wirken würden“, zitiert ihn das Urteil – oder dass eine typische Färbung fehle. Er habe nur ganz selten eine kritische Rückmeldung erhalten, zu fehlender Wirkung jedoch nie.

Außerdem gab S. an, er habe immer viel parallel gemacht. Um die gesamte finanzielle Thematik habe er sich jedoch nicht gekümmert. Grund des Umsatzzuwachses seien sicherlich das von ihm veränderte Marketing, das allgemeine Wachstum des Absatzes der Apotheke und des onkologischen Bereiches sowie der Umstand, dass nahe Apotheken geschlossen worden seien.

Bundesgerichtshof wird die Haftstrafe prüfen

Einige mögliche Schwachpunkte hat das Urteil. Bezüglich der sichergestellten Zytostatika ist beispielsweise nicht klar, ob S. die mit einem Kürzel versehenen Beutel selber hergestellt hat – da die Dokumentation in der „Alten Apotheke“ in vielerlei Hinsicht mangelhaft war. „Eine absichtliche Falschangabe unter dem Punkt des jeweiligen ‚Herstellers‘ schließt die Kammer aus“, heißt es im Urteil: Anhaltspunkte für eine bewusst falsche Zuordnung bei Herstellungsprotokollen habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, auch seien Motive nicht erkennbar.

Wenn das Verfahren nun zur Revision zum Bundesgerichtshof geht, muss dieser sich auch mit der Frage beschäftigen, ob ausreichend klar erwiesen ist, dass die Differenzen zwischen eingekaufter und verkaufter Wirkstoffmenge nicht etwa zu Schwarzmarkteinkäufe zu erklären seien, wie die Verteidigung argumentierte. „Die Beweisaufnahme hat für derartige Geschäfte keinerlei Anhaltspunkte ergeben“, heißt es im Urteil. Insbesondere der Whistleblower Martin Porwoll habe als früherer kaufmännischer Leiter der Apotheke erklärt, ihm sei hiervon nichts bekannt. Auch ein Hexal-Referent habe bekundet, S. keinerlei Zytostatika auf eigene Rechnung geliefert zu haben.

Dem Umfang von mehr als 1500 Seiten – mit vielen Tabellen und rund 300 Seiten Fließtext – sind wohl ein paar Flüchtigkeitsfehler geschuldet: So heißt es an einer Stelle, der Apotheker sei im Jahr 2017 geboren. An anderer Stelle heißt es, dass die Techniker Kasse monatlich rund 4 Millionen Euro für Arzneimittel ausgebe, obwohl der Betrag zwei Größenordnungen höher liegt.

Die Mini-Serie zum Zyto-Urteil

Das war der erste Teil der DAZ.online-Mini-Serie zu den Urteilsgründen im sogenannten Zyto-Prozess gegen den Apotheker Peter S. Im zweiten Teil wird es um die Frage gehen: Warum wurde Peter S. nicht wegen Mordes verurteilt?



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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