Angesichts der „völlig fehlenden Kontrollen“ handelte es
sich aus Sicht des Apothekers um das „perfekte Verbrechen“, schreiben die
Richter: S. musste sich laut dem Urteil keine größeren Sorgen machen, durch
Kontrollen aufzufliegen. Die zuständige Amtsapothekerin Hanneline L. habe zwar
regelmäßig angemeldete Inspektionen durchgeführt und die Eröffnung der
Filialapotheke und des neuen Reinraumlabors intensiv begleitet. Doch obwohl Paragraph
64 AMG die Untersuchung von Arzneimittelproben vorschreibe, habe L. während des
gesamten Tatzeitraums keine Proben gezogen – insbesondere auch keine
Zytostatika. „Da derartige Untersuchungen der Produkte von
zytostatikaherstellenden Apotheken in Nordrhein-Westfalen allgemein unüblich
waren, brauchte der Angeklagte entsprechende Kontrollen nicht zu fürchten“,
heißt es im Urteil.
Der Apotheker schwieg während des Verfahrens, und machte nur
gegenüber den psychiatrischen Sachverständigen Angaben – wenn auch nicht zu den
eigentlichen Tatvorwürfen. Kurz nach seiner Inhaftierung habe er gar nicht
verstanden, was man ihm vorwerfe – erst später sei „etwas Fleisch drangekommen“,
er habe sich „das“ aber nicht vorstellen können. Die Differenz zwischen
Einkaufs- und Verkaufsmenge sei für ihn „nicht zu erklären“. Er hinterfrage
sein Handeln – die beste Kontrolle erfolge aber durch die behandelnden Ärzte.
Diesen müsse schließlich auffallen, „dass Therapien nicht richtig wirken
würden“, zitiert ihn das Urteil – oder dass eine typische Färbung fehle. Er habe
nur ganz selten eine kritische Rückmeldung erhalten, zu fehlender Wirkung jedoch
nie.
Außerdem gab S. an, er habe immer viel parallel gemacht. Um die
gesamte finanzielle Thematik habe er sich jedoch nicht gekümmert. Grund des Umsatzzuwachses
seien sicherlich das von ihm veränderte Marketing, das allgemeine Wachstum des
Absatzes der Apotheke und des onkologischen Bereiches sowie der Umstand, dass
nahe Apotheken geschlossen worden seien.
Bundesgerichtshof wird die Haftstrafe prüfen
Einige mögliche Schwachpunkte hat das Urteil. Bezüglich der
sichergestellten Zytostatika ist beispielsweise nicht klar, ob S. die mit einem
Kürzel versehenen Beutel selber hergestellt hat – da die Dokumentation in der
„Alten Apotheke“ in vielerlei Hinsicht mangelhaft war. „Eine absichtliche
Falschangabe unter dem Punkt des jeweiligen ‚Herstellers‘ schließt die Kammer
aus“, heißt es im Urteil: Anhaltspunkte für eine bewusst falsche Zuordnung bei
Herstellungsprotokollen habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, auch seien
Motive nicht erkennbar.
Wenn das Verfahren nun zur Revision zum Bundesgerichtshof
geht, muss dieser sich auch mit der Frage beschäftigen, ob ausreichend klar erwiesen
ist, dass die Differenzen zwischen eingekaufter und verkaufter Wirkstoffmenge
nicht etwa zu Schwarzmarkteinkäufe zu erklären seien, wie die Verteidigung
argumentierte. „Die Beweisaufnahme hat für derartige Geschäfte keinerlei
Anhaltspunkte ergeben“, heißt es im Urteil. Insbesondere der Whistleblower Martin
Porwoll habe als früherer kaufmännischer Leiter der Apotheke erklärt, ihm sei hiervon
nichts bekannt. Auch ein Hexal-Referent habe bekundet, S. keinerlei Zytostatika
auf eigene Rechnung geliefert zu haben.
Dem Umfang von mehr als 1500 Seiten – mit vielen Tabellen und
rund 300 Seiten Fließtext – sind wohl ein paar Flüchtigkeitsfehler geschuldet:
So heißt es an einer Stelle, der Apotheker sei im Jahr 2017 geboren. An anderer Stelle heißt es, dass die Techniker Kasse monatlich rund 4 Millionen Euro für
Arzneimittel ausgebe, obwohl der Betrag zwei Größenordnungen höher liegt.
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