Schwierige Beschaffung

Diphtherie-Antitoxin – immer noch ein ungelöstes Problem

Stuttgart - 14.02.2020, 15:10 Uhr

Das Bakterium Corynebacterium diphtheriae – nach den Entdeckern auch Klebs-Loeffler-Bazillus genannt – löst die Diphtherie aus. (s / Foto: Sagittaria / stock.adobe.com)

Das Bakterium Corynebacterium diphtheriae – nach den Entdeckern auch Klebs-Loeffler-Bazillus genannt – löst die Diphtherie aus. (s / Foto: Sagittaria / stock.adobe.com)


Die Beschaffung des Diphtherie-Antitoxins gestaltet sich seit Jahren schwierig. Diese Problematik ist den zuständigen Stellen auch schon seit geraumer Zeit bekannt. Immer mal wieder gelangt das Thema in die Öffentlichkeit, so wie jetzt auch. Aktueller Anlass ist ein Brief des Leiters des Zentrums für Kinderheilkunde der Uniklinik Gießen und Marburg, Klaus-Peter Zimmer, an das hessische Gesundheitsministerium.

Das „Ärzteblatt“ zitierte am vergangenen Mittwoch aus einem Schreiben des Mediziners Klaus-Peter Zimmer an Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne): „Nach meinen Informationen scheint für die Akutbehandlung einer klassischen Diphtherie, einer Erkrankung mit sehr hoher Letalität, der Behandlungsstandard in Hessen (Deutschland) nicht gewährleistet zu sein“, schreibt der Mediziner. Anlass für diese Worte ist die schlechte Verfügbarkeit des Diphtherie-Antitoxins. Der Leiter des Zentrums für Kinderheilkunde und Jugendmedizin berichtet laut Ärzteblatt in dem Brief über den Fall eines einjährigen Jungen mit Verdacht auf Diphtherie, der bislang nicht geimpft sei. Für die notwendige Therapie habe man sich „mit den Notfalldepots bundesweit in Verbindung“ gesetzt. Letztendlich habe man Ampullen aus Bayern erhalten, hergestellt in Kroatien. 

Nur: Diese waren bereits 2014 abgelaufen. Letztendlich habe man sich gegen eine Applikation der abgelaufenen Seren entschieden, heißt es. Auch wenn sie angeblich letztes Jahr noch als positiv wirksam getestet wurden, erklärt der Pädiater. Die Mikrobiologie habe bei dem betroffenden Kind neben anderen Keimen nämlich Corynebacterium pseudodiphtheriticum nachgewiesen, das nicht Diphtherietoxin-bildend sei. Offenbar hält Zimmer aber weitere Diphtherie-Verdachtsfälle durchaus für möglich – wegen des regen Reiseverkehrs und der Durchimpfungsraten. Deswegen bittet er das Ministerium zu prüfen, ob Handlungsbedarf besteht. Er verweist in dem Schreiben auch darauf, dass ihm das Paul-Ehrlich-Instiut (PEI) den Missstand bestätigt haben soll. Dort werde seit Jahren Abhilfe angemahnt, heißt es.

Engpass lange bekannt

Und in der Tat, das Thema ist seit Jahren bekannt, dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) laut Ärzteblatt seit 2013. Auch das hessische Ministerium soll in seiner Antwort bestätigt haben, dass das Thema auf Bundesebene lange angekommen ist. DAZ.online berichtete ebenfalls 2017 ausführlich über das Problem. Der Wirkstoff wird zwar von der WHO auf der Liste der essenziellen Arzneimittel aufgeführt. Bei einer Befragung im Jahr 2016 durch die WHO haben jedoch nur drei Hersteller angegeben, das Antitoxin verfügbar zu haben: Ein Staatsbetrieb sowie ein privates Unternehmen in Indien, sowie ein Staatsbetrieb in Russland, der zum Gesundheitsministerium gehört. In Indonesien stellt außerdem ein Impfstoff-Hersteller und in Brasilien das angesehene Forschungsinstitut „Instituto Butantan“ das Antitoxin her, doch beide nur für den nationalen Markt. Inwiefern vier weitere Hersteller in Bulgarien, Japan, Kroatien und Schweden das früher von den Behringwerken hergestellte Arzneimittel liefern können, blieb damals unklar. Vergleichbares vermeldet aktuell, also vier Jahre später, das Ärzteblatt unter Berufung auf Fachkreise, wonach es weltweit drei mögliche Produktionslinien gibt. Japan produziere, exportiere aber nicht.

In Deutschland kein verkehrsfähiges Antitoxin verfügbar

Alle in Deutschland eingelagerten Chargen sind daher entweder abgelaufen oder, die aus Russland stammenden, zu niedrig dosiert und somit nicht verkehrsfähig. Die Entscheidung und die Verantwortung über Abgabe und Verabreichung obliegt den Ärzten und Apothekern. Als Apotheker hat man im Endeffekt zwei Möglichkeiten: ein nicht verkehrsfähiges Arzneimittel abzugeben oder den Versorgungsauftrag nicht zu erfüllen. Das BMG habe eine rechtliche Hilfestellung zu der Frage, welches Mittel eingesetzt werden darf, bislang abgeblockt und den Fall weggeschoben, so das Ärzteblatt.

Auch die Apothekerschaft hat das Thema schon eine Weile auf dem Schirm. 2018 wurde beim Deutschen Apothekertag ein Antrag verabschiedet, in dem gefordert wird, dass im Fall von Lieferengpässen bei der Bestückung der Notfalldepots, die durch den Import von Arzneimitteln, die nicht den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes entsprechen, kompensiert werden sollen, entsprechende Chargenfreigaben durch das PEI vernanlasst werden oder offizielle Empfehlungen des BMG erfolgen sollen, damit die Verantwortung nicht die Heilberufler alleine tragen. Ein weiterer Antrag befasste sich damit, dass entsprechende Wirkstoffe in der EU hergestellt werden. Auch soll die ABDA das Ministerium bereits mehrfach gebeten haben, zu klären, wie man die Versorgungssicherheit in Notfällen bei Diphtherie aufrechterhalten soll.

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Neue Testmethode, neuen Chargen aus russischer Produktion nicht mehr unterdosiert 

Seit einiger Zeit gibt es auf europäischer Ebene ein Programm (Joint-Procurement-Programm), dem Deutschland 2016 beigetreten ist. Es hat das Ziel, den Bedarf der Länder in Europa an Diphtherie- und Botulismus-Antitoxin, das ein weiteres Sorgenkind darstellt, zu bündeln und zu versuchen, einen Hersteller zu finden, der die die Antidota zu produziert. Die ABDA rechnet laut Ärzteblatt in diesem Jahr mit Ergebnissen.

Ein ausreichender Impfschutz ist somit aktuell wichtiger denn je. Immerhin hat das Ärzteblatt eine kleine positive Nachricht zu vermelden. Demnach soll das PEI die Testmethode für das Diphtherie-Antitoxin verändert haben. Das habe dazu geführt, dass neue Chargen aus russischer Produktion nicht mehr unterdosiert seien, heißt es. Damit könne in Zukunft wieder ein legales, verkehrsfähiges Arzneimittel zur Verfügung stehen – allerdings nur, solange die russische Produktion – wie zuletzt die kroatische – nicht eingestellt werde.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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