Drei Biomarker identifiziert

COVID-19: Die schwersten Fälle früh erkennen

Remagen - 03.06.2020, 09:00 Uhr

Welche Patienten müssen besonders überwacht werden, weil bei ihnen mit einem schweren Verlauf zu rechnen ist? Die Diagnosestellung ist bei COVID-19 angesichts der vielen Unbekannten häufig kompliziert. (x / Foto: Intensivstation in Moskau, imago images / ITAR-TASS)

Welche Patienten müssen besonders überwacht werden, weil bei ihnen mit einem schweren Verlauf zu rechnen ist? Die Diagnosestellung ist bei COVID-19 angesichts der vielen Unbekannten häufig kompliziert. (x / Foto: Intensivstation in Moskau, imago images / ITAR-TASS)


In der COVID-19-Pandemie stoßen viele Gesundheitssysteme an ihre Grenzen, weil sie nicht ausreichend mit Plätzen für die intensivmedizinische Versorgung ausgerüstet sind. Deshalb kommt es darauf an, Patienten, die am stärksten gefährdet sind, so früh wie möglich herauszufiltern. Ein Forscherteam hat hierfür ein neues Entscheidungsmodell entwickelt. Es beruht auf drei kritischen Biomarkern, die das Mortalitätsrisiko entscheidend mitbestimmen könnten.

Eine retrospektive Beobachtungsstudie im chinesischen Wuhan, dem Epizentrum der Coronavirus-Pandemie, hat eine erstaunlich hohe Fallsterblichkeitsrate von 61,5 Prozent bei kritischen Fällen aufgedeckt, die mit zunehmendem Alter und bei Patienten mit zugrunde liegenden Komorbiditäten stark zunimmt. 

Leider gibt es derzeit keinen prognostischen Biomarker, um die Patienten danach zu beurteilen, ob sie sofortige medizinische Hilfe benötigen und ihr Sterblichkeitsrisiko abzuschätzen. Ein Wissenschaftlerteam aus China, Luxemburg und Cambridge, UK, hat Blutproben von 485 Betroffenen aus der Region Wuhan retrospektiv analysiert, um robuste und aussagekräftige Marker für Patienten mit der höchsten Gefährdung zu identifizieren und daraus eine Entscheidungsregel für die Klinik abzuleiten.

Tools für maschinelles Lernen wählten drei Biomarker aus

Für die Entwicklung ihres Modells verwendeten sie medizinische Daten von 375 COVID-19-Patienten, die zwischen dem 10. Januar und dem 18. Februar 2020 gesammelt wurden. Die eingesetzten Standard-Fallberichtsformulare enthielten Angaben zu den epidemiologischen, demografischen und klinischen Merkmalen sowie Labor- und Mortalitätsergebnisse der Patienten. Die Altersverteilung betrug 58,83 ± 16,46 Jahre. Knapp 60 Prozent waren männlich. Das häufigste Anfangssymptom war Fieber (49,9 Prozent), gefolgt von Husten (13,9 Prozent), Müdigkeit (3,7 Prozent) und Dyspnoe (2,1 Prozent). 201 der 375 Fälle erholten sich von der Infektion mit dem neuartigen Coronavirus und wurden aus dem Krankenhaus entlassen, während die restlichen 174 starben.

Weiterhin wurden zwischen dem 19. Februar 2020 und dem 24. Februar 110 neu entlassene oder verstorbene Patienten als externe Testdatensätze zur Analyse mithilfe des Modells eingeschrieben. 

Für die Ableitung ihrer Entscheidungsregel entwickelten die Wissenschaftler einen mathematischen Modellierungsansatz, der auf modernsten interpretierbaren Machine Learning-Algorithmen basiert. Die Tools für maschinelles Lernen wählten drei Biomarker aus, die die Sterblichkeit einzelner Patienten mehr als zehn Tage im Voraus mit mehr als 90 Prozent Genauigkeit vorhersagen können: Lactatdehydrogenase (LDH), hochempfindliches C-reaktives Protein (hs-CRP) und die Lymphozyten.

Lactatdehydrogenase entscheidend bei Gewebeschäden

Es stellte sich heraus, dass relativ hohe LDH-Werte alleine bereits eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung der meisten Fälle zu spielen scheinen, die sofortige medizinische Hilfe benötigen. Dieser Befund steht im Einklang mit aktuellen medizinischen Erkenntnissen, wonach hohe LDH-Werte mit Gewebeschäden bei verschiedenen Krankheiten, einschließlich Lungenerkrankungen, verbunden sind. So wurde das Serum-LDH nach Darlegung der Autoren als wichtiger Biomarker für die Aktivität und Schwere der idiopathischen Lungenfibrose identifiziert und auch bei kritisch kranken Patienten mit COVID-19 soll der erhöhte LDH-Spiegel mit dem Ausmaß der Lungenschadens korrelieren.

Bei Entzündung: Hochempfindliches C-reaktives Protein

Der Anstieg von hs-CRP, dem zweiten wichtigen Marker für eine schlechte Prognose beim akutem Atemnotsyndrom, spiegele einen anhaltenden Entzündungszustand wider, erläutern die Forscher weiter. Das Ergebnis dieser anhaltenden Entzündungsreaktion seien große grau-weiße Läsionen in der Lunge von Patienten mit COVID-19 (beobachtet in der Autopsie). In Gewebeabschnitten werde auch eine große Menge an klebrigen Sekreten gesehen, die von den Lungenbläschen austreten.

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Daneben könnten die Lymphozyten ein kritischer Faktor im Zusammenhang mit der Schwere der Erkrankung und Mortalität sein, eine Hypothese, die durch die Ergebnisse klinischer Studien gestützt werde. Lymphopenie sei ein häufiges Merkmal bei Patienten mit COVID-19.

Hilfe für überfüllte Krankenhäuser

Die Forscher hoffen, dass mit ihrem XGBoost Machine Learning-basierten Modell Hochrisikopatienten leichter identifiziert werden können. In überfüllten Krankenhäusern und bei einem Mangel an medizinischen Ressourcen soll es dazu beitragen, diese schnell zu priorisieren, bevor irreversible Schäden auftreten. Außerdem könnte damit eventuell auch die Sterblichkeitsrate gesenkt werden. Ihre Entscheidungsregel sei einfach und praktikabel, so das Resümee, denn Daten zu den drei Hauptmerkmalen LDH, hs-CRP und Lymphozyten könnten in jedem Krankenhaus leicht erhoben werden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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