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Das E-Rezept-Projekt der Techniker Krankenkasse ist zuletzt noch einmal kräftig gewachsen: Jüngst haben sich unter anderem vier weitere Ersatzkassen sowie der Apothekendienstleister Noventi angeschlossen. Mehr als 26 Millionen Versicherte in Deutschland können sich nun elektronische Verordnungen im Rahmen von telemedizinischen Angeboten ausstellen lassen. Apothekerin Anja Wiesatzky ist Inhaberin der Wilhelm Raabe Apotheke in Braunschweig, eine der mehr als 1.000 öffentlichen Apotheken, in denen die Patienten ihre E-Rezepte einlösen können. Mit DAZ.online spricht sie über ihren Eindruck zu dieser E-Rezeptlösung.
DAZ.online: Wie viele E-Rezepte haben Sie schon in Ihrer Apotheke beliefert?
Wiesatzky: Die Zahl der elektronischen Verordnungen spielt sich noch im zweistelligen Bereich ab, weil wir erst seit vier Wochen an dem Projekt der Techniker Krankenkasse beteiligt sind. Doch ich hoffe, dass noch mehr Versicherte beim Projekt mitmachen werden.
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DAZ.online: Waren die Patienten mit E-Rezept vornehmlich mit COVID-19 infiziert oder hatten ähnliche Symptomen?
Wiesatzy: Nein, das sind durchaus andere Patienten. Bei manchen spielt die Zeitersparnis eine große Rolle. Bei anderen Patienten hatte der Hausarzt die telemedizinische Beratung empfohlen, weil für die Untersuchung keine persönliche Konsultation nötig war, zum Beispiel bei Hautkrankheiten. Ich habe mit einem Arzt gesprochen, der Telemedizin anbietet. Der war selbst erstaunt, welche Behandlungen allein durch das sehen und das Reden mit dem Patienten gelingen können.
DAZ.online: Sehen Sie sich durch die Schnittstelle stärker mit den Ärzten vernetzt?
Wiesatzky: Der Austausch war schon vorher gut, aber bei diesem Modell sind die Prozesse schlanker als vorher. Jeder kennt das: Man ruft bei der Arztpraxis an, der Arzt ist gerade im Patientengespräch und kann nicht gestört werden. Auf digitalem Wege können Unklarheiten leichter geklärt werden. Wir haben aber schon vor dem Projekt manche Unstimmigkeiten per Mail geklärt.
DAZ.online: Haben Sie die meisten Arzneimittel über den Botendienst ausgeliefert?
Wiesatzky: Nein, nur sehr wenige. Die meisten Patienten sind in die Apotheke gekommen, um die Arzneimittel abzuholen. Das Feedback der Kunden war super, weil alles sehr schnell und einfach funktioniert hat. Für sie ist das eine starke Vereinfachung. Gerade jüngere Leute sind begeistert.
DAZ.online: Wird der Nutzen für ältere Patienten geringer sein?
Wiesatzky: Es ist nicht auszuschließen, dass manche 85-Jährige gut mit dem Smartphone umgehen können. Aber weniger technikaffinen Patienten müssen wir als Apotheke vor Ort Hilfe anbieten. So nehmen wir den Patienten, die uns schon seit Jahrzehnten kennen, die Scheu vorm E-Rezept. Gerade für ältere Patienten sehe ich durchaus Vorteile, unter anderem durch den elektronischen Medikationsplan und die dadurch verbesserte Arzneimitteltherapiesicherheit.
„In der Gematik-App muss ein Makelverbot umgesetzt werden"
DAZ.online: Wie ist das Feedback Ihres Teams?
Wiesatzky: Alle finden es spannend, dass wir jetzt schon bei einem E-Rezept-Projekt mitmachen und alles kennenlernen können. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen war hierzulande seit zwei Jahrzehnten geplant, wurde aber immer wieder verschoben. Nun hat sie mit der Corona-Pandemie einen gewaltigen Schritt gemacht. Wir müssen uns sowieso aktiv mit den Entwicklungen auseinandersetzen, also warum nicht schon jetzt?
DAZ.online: Gab es auch Schwierigkeiten?
Wiesatzky: Bislang lief alles ziemlich reibungslos. Wenn das mit dem Telematikinfrastruktur-Konnektor auch so gut funktionieren wird und wir bald unseren Heilberufsausweis beantragen können, bin ich zuversichtlich.
DAZ.online: Haben Sie schon vor dem Modellprojekt mit Noventi zusammengearbeitet?
Wiesatzky: Nein. Für das Modellprojekt wurde ich telefonisch von einem Noventi-Außendienstmitarbeiter kontaktiert, der das Modellprojekt ausweiten wollte. Weil wir nicht das Warenwirtschaftssystem Awinta nutzen, haben wir für sechs Monate kostenlos die nötige Hardware gestellt bekommen, mit der wir die Rezepte einlösen können. Die Einrichtung lief völlig unkompliziert.
DAZ.online: Werden Sie nach den kostenfreien sechs Monaten verlängern?
Wiesatzky: Zunächst läuft das Projekt der TK nur auf Grundlage einer gesetzlichen Ausnahmeregelung. Es bleibt abzuwarten, wie es weitergehen wird. Das E-Rezept wird aber in jedem Fall kommen.
DAZ.online: Haben Sie Bedenken, dass mit dem E-Rezept die freie Apothekenwahl eingeschränkt wird?
Wiesatzky: In der Gematik-App muss ein Makelverbot umgesetzt werden. Außerdem muss die Gleichpreisigkeit gesetzlich endlich angegangen werden. Es kann nicht sein, dass dieser Wettbewerb immer noch unter ungleichen Bedingungen abläuft. Versandhändler ködern mit Rabatten und leisten nur die rentablen Arbeiten, aber für die Notdienste und für kühlpflichtige Arzneimittel soll die Apotheke herhalten. Das kann nicht funktionieren. Mit der Vor-Ort-Apotheke sind wir schneller und besser als der Versandhandel, das muss der Gesetzgeber auch entlohnen. Die Apotheke vor Ort muss sich aber positionieren und ihren Patienten signalisieren: Ihr könnt eure digitalen Verordnungen auch bei uns einlösen.
DAZ.online: In der Erzählung „Pfisters Mühle“ von Wilhelm Raabe verliert ein alter Müller seine Mühle, weil eine neue Zuckerfabrik mit ihren Abwässern den Bach verschmutzt. Pfister startet einen Rechtsstreit, den er zwar gewinnt, an dem er jedoch zugrunde geht und der auch seine Mühle nicht rettet. Dieses Buch handelt von einem ungleichen Kampf, bei dem am Ende der Fortschritt die Idylle zerstört. Ziehen Sie Parallelen zur Apotheke vor Ort?
Wiesatzky: Nicht wirklich. Zwar haben die Apotheker seit Jahrzehnten nur eine kleine Lobby in der Politik. Doch jetzt haben wir die Chance, uns digital aufzustellen. Das müssen wir auch, denn niemand kann die Digitalisierung aufhalten. Das E-Rezept wird kommen. Wer das Ganze nicht mitgestalten will, ist vielleicht auch selbst schuldig. Ich kann niemandem beipflichten, der uns dem Untergang mit Einführung des E-Rezeptes geweiht sieht. Wer aktiv mitgestaltet, hat eine gute Chance, in Zukunft bestehen zu bleiben. Die Patienten profitieren einerseits durch die vereinfachten Prozesse und andererseits durch die verbesserte Arzneimitteltherapiesicherheit von den Entwicklungen. Mithilfe der Digitalisierung können wir die Heilberufe untereinander besser verzahnen. Da müssen wir mitmachen!
3 Kommentare
Da müssen wir mitmachen ?! - wenn man selber den Untergang will
von ratatosk am 17.08.2020 um 10:21 Uhr
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e- Rezept
von Ulli Freytag am 14.08.2020 um 13:40 Uhr
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Zur Rose
von Steffen Blasius am 14.08.2020 um 9:49 Uhr
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