Veteranen-Studie

Grippeimpfen gegen Demenz?

Stuttgart - 06.10.2021, 16:45 Uhr

Nur Veteranen, die sich mindestens sechsmal gegen Grippe hatten impfen lassen, zeigten ein um 12 Prozent geringeres Demenzrisiko als Nicht-Geimpfte. (Foto: Richard Villalon / AdobeStock)

Nur Veteranen, die sich mindestens sechsmal gegen Grippe hatten impfen lassen, zeigten ein um 12 Prozent geringeres Demenzrisiko als Nicht-Geimpfte. (Foto: Richard Villalon / AdobeStock)


Regelmäßige Grippeimpfungen könnten neben dem Grippeschutz noch einen weiteren positiven Effekt haben – ein geringeres Demenzrisiko. Das ist das Ergebnis einer Kohortenstudie mit 120.000 US-Veteranen. Wie könnte der Grippeschutz mit einem reduzierten Risiko für Demenzerkrankungen zusammenhängen?

Schützt die Grippeimpfung nicht nur vor Grippe, sondern auch Demenz? Die Frage ist berechtigt, schaut man sich eine große, retrospektive Kohortenstudie mit Veteranen an, die im September in der Fachzeitschrift „Vaccine“ („Dementia risk following influenza vaccination in a large veteran cohort“) veröffentlicht wurde. Für diese Studie hatten US-Wissenschaftler:innen um Professor Timothy Wiemken von der St. Louis University Medical School die Krankenakten von 120.000 ehemaligen Soldaten (Veteranen) analysiert und einen Zusammenhang zwischen verabreichten Grippeimpfdosen und dem Auftreten von Demenz festgestellt.

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Die früheren Militärangehörigen waren im Durchschnitt 75,5 (±7,3) Jahre alt, die meisten (91,6 Prozent) hatten eine weiße Hautfarbe und nur 3,8 Prozent waren weiblich. Untersucht wurden Zehn-Jahres-Daten im Zeitraum vom 1. September 2009 bis 31. August 2019: Mit eingeschlossen in die Auswertung wurden Krankenakten dann, wenn bei den ehemaligen Soldaten vom Zeitpunkt der Aufnahme in die Studie (1. September 2009) bis zum Ende der ersten Grippesaison (1. März 2012) keine Demenz festgestellt wurde. Zum Auswertungszeitpunkt hatten 66.822 Veteranen Influenzaimpfungen erhalten, 56.925 ehemalige Soldaten waren nicht gegen Grippe geimpft worden. Je nach Anzahl ihrer erhaltenen Grippeimpfungen wurden die Veteranen in unterschiedliche Gruppen eingeteilt und sodann analysiert, wie häufig Demenzen jeweils auftraten und neu diagnostiziert wurden. Insgesamt hatten 15.933 Veteranen eine Demenz entwickelt.

Weniger Demenzerkrankungen bei Grippegeimpften

Nach dem Herausrechnen von Störfaktoren – beispielsweise Alter und Geschlecht, die das Demenzrisiko beeinflussen können – war die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, bei Patienten mit Grippeimpfung signifikant geringer als bei Patienten ohne Impfung, fanden die Wissenschaftler:innen heraus. Signifikant bedeutet: Die Unterschiede in beiden Gruppen lassen sich nicht allein durch Zufall erklären.

Dabei spielt es den Ergebnissen zufolge offenbar eine Rolle, wie häufig die Soldaten in dem betrachteten Zeitraum von 80 Monaten eine Influenzaimpfung erhalten hatten: So zeigten nur Veteranen, die sich mindestens sechsmal gegen Grippe hatten impfen lassen, ein um 12 Prozent geringeres Demenzrisiko als Nicht-Geimpfte. Hingegen: Wurden die ehemaligen Militärangehörigen nur ein- bis fünfmal gegen Grippe geimpft, lag das Risiko für eine Demenzerkrankung gleich hoch wie bei nicht gegen Grippe Geimpften. „Wiederholte Grippeimpfungen sind im Vergleich zu Nicht-Impfungen mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden“, lautet das Fazit der Wissenschaftler:innen.

Impfung zur Demenzprävention?

Doch wie ist das möglich? Welcher Zusammenhang könnte zwischen einer Grippeimpfung und einer Demenzerkrankung bestehen? Die Wissenschaftler:innen versuchen sich an einer Erklärung – die nicht allein auf Grippeimpfungen zutreffen könnte: So könnten Impfungen das Demenzrisiko nicht durch Vorbeugung spezifischer Infektionskrankheiten verringern, sondern durch „Training des Immunsystems“. Die Wissenschaftler:innen hoffen, dass sich diese Annahme bestätigt, denn: Könnten „Impfstoffe als ursächliche Faktoren für die Verringerung von Demenzerkrankungen identifiziert werden“, seien sie kostengünstiger, risikoärmer und wirkungsvoller als jede bestehende Präventionsmaßnahme.

Impfungen aktivieren Immunzellen des Gehirns

Auch die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat sich die Studie angeschaut und ihre Ergebnisse eingeordnet: Zwar sei der Effekt nicht „unerheblich“ – man könne durch regelmäßiges Grippeimpfen allein in Deutschland damit jährlich 40.000 Menschen vor einer Demenzdiagnose bewahren –, doch beweise die Untersuchung keinen eindeutigen Zusammenhang, sondern zeige ihn lediglich auf, erklärt DGN-Demenzexperte Professor Richard Dodel von der Universität Duisburg/Essen und Leiter des Lehrstuhls für Geriatrie. Auch Impfungen gegen Tetanus oder Diphterie konnten laut Dodel bereits solche Zusammenhänge aufzeigen. Von der Idee des „Wirkmechanismus“ steckt dahinter, dass Impfungen die Mikroglia aktivierten, die als „Immunzellen des Gehirns“ krankheitsauslösende Stoffe und Abfallprodukte abbauten – auch Beta-Amyloid, zumindest im Tierexperiment. Dodel erklärt: Beta-Amyloid sammle sich bei Alzheimer-Erkrankungen an, lagere sich zwischen den Nervenzellen ab und schädige sie.

Leben Menschen, die sich impfen lassen, generell gesünder?

Dodel gibt jedoch einen wichtigen Punkt zu bedenken, der das Ergebnis der Studie so ausfallen ließ, wie es jetzt ist: So könne der positive Effekt der Grippeimpfung auf das Demenzrisiko auch daran liegen, dass „Menschen, die sich regelmäßig impfen lassen, auch sonst gesünder leben und somit ein geringeres Krankheitsrisiko haben“. Studien seien erforderlich, die einen möglichen Zusammenhang eindeutig klärten, so der Neurologe.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Vergessliche Studienteilnehmer?

von Peter Müller am 07.10.2021 um 13:47 Uhr

Vielleicht haben die dementen Studienteilnehmer schlichtweg vergessen sich impfen zu lassen.

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