HIV-PrEP mit zwei Injektionen im Jahr

Wirksamkeit von Lenacapavir in zweiter Phase-III-Studie bestätigt

Stuttgart - 28.11.2024, 17:50 Uhr

Lenacapavir in der Präexpositionsprophy­laxe könnte ein Game Changer beim weltweiten Kampf gegen Aids sein. (Foto: Mercedes Fittipaldi/AdobeStock)

Lenacapavir in der Präexpositionsprophy­laxe könnte ein Game Changer beim weltweiten Kampf gegen Aids sein. (Foto: Mercedes Fittipaldi/AdobeStock)


Lenacapavir ist zur HIV-Präexpositionsprophy­laxe (HIV-PrEP) hoch wirksam und reduziert das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, um 96%. Dies wurde aktuell in der zweiten Phase-III-Studie (PURPOSE 2) gezeigt. Bereits im Juli wurden die vielversprechenden Ergebnisse der PURPOSE-1-Studie veröffentlicht. Laut Forschenden ist der Kapsid-Inhibitor ein „Game Changer” für den weltweiten Kampf gegen Aids. 

Bereits Ende Juli wurden die Ergebnisse der PURPOSE-1-Studie im New England Journal of Medicine veröffentlicht und auf der Welt-Aids-Konferenz in München vorgestellt. Untersucht wurde Lenacapavir damals bei sexuell aktiven Cisgender-Frauen in Subsahara-Afrika zur HIV-PrEP, die nur alle sechs Monate subkutan verabreicht werden muss. In der Lenacapavir-Gruppe hatte sich in PURPOSE 1 keine Probandin mit HIV infiziert. In den Kontrollgruppen hingegen traten bei täglicher oraler Einnahme von Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat (Truvada® und Generika) 16 HIV-Infektionen auf (Infektionsrate = 1,69 pro 100 Personenjahre), in der Emtricitabin/Tenofoviralafenamid-Gruppe waren es 39 HIV-Infektionen (Infektionsrate = 2,02 pro 100 Personenjahre).

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Lenacapavir reduziert HIV-Infektionsrisiko um 96%

Nun liegen die Ergebnisse der zweiten Phase-III-Studie PURPOSE 2 vor, die für die Zulassungserweiterung noch fehlten und nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden. Probanden der PURPOSE 2 waren HIV-negative Cisgender- und Transgender-Männer, Transgender-Frauen sowie nicht-binäre Personen im Alter ab 16 Jahren, die häufiger kondomlosen rezeptiven Analsex mit bei der Geburt männlichen Partnern hatten. Einbezogen wurden Studienzentren in den Vereinigten Staaten, Brasilien, Thailand, Südafrika, Peru, Argentinien und Mexiko. Dabei erhielten 2183 Teilnehmende alle 26 Wochen subkutanes Lenacapavir und täglich ein orales Placebo, 1088 Probanden erhielten täglich oral Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat und ein subkutanes Placebo alle 26 Wochen.
In der Lenacapavir-Gruppe infizierten sich zwei Personen mit HIV (Inzidenz: 0,1 pro 100 Personenjahre), in der Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat-Gruppe waren es neun (Inzidenz = 0,93 pro 100 Personenjahre). Lenacapavir reduzierte das Infektionsrisiko um 96% gegenüber der Hintergrund-HIV-Inzidenz in der gescreenten Bevölkerung und um 89% gegenüber Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat.

Bei den neun Infizierten der Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat-Gruppe zeigte sich eine geringe oder gar keine Therapietreue oder sie hatten die PrEP mehr als zehn Tage vor der Diagnose abgesetzt. Bei den zwei Teilnehmenden der Lenacapavir-Gruppe, die sich mit HIV infizierten, lagen die Lenacapavir-Plasmakonzentrationen im Bereich der Gesamtkonzentrationen von Lenacapavir in der Untergruppe von Teilnehmern, deren Blutplasmaspiegel getestet wurden und ähnelten zudem den in früheren Studien gemessenen Plasmakonzentrationen. Die zwei Probanden aus der Lenacapavir-Gruppe infizierten sich vor ihrer zweiten Injektion mit HIV.

Die Adhärenz bei der Injektion von Lenacapavir oder Placebo war in beiden Gruppen ähnlich: In Woche 26 bekamen 91% der Teilnehmenden ihre Injektion pünktlich, in Woche 52 waren es 92,5%. Die Adhärenz der Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat-Gruppe wurde anhand von Blutproben einer Untergruppe ermittelt. In Woche 8 lag sie bei 82% der Teilnehmenden hoch (definiert als vier oder mehr Tabletten pro Woche), nahm dann mit der Zeit aber ab. In Woche 26 hatten nur noch 67% eine hohe Adhärenz, in Woche 52 waren es nur noch 62%.

Mit Blick auf die häufigsten unerwünschten Ereignisse unterschieden sich die beiden Prophylaxen nicht, mit Ausnahme der mittleren geschätzten glomerulären Filtrationsrate, die in der Emtricitabin/Tenofovirdisoproxilfumarat-Gruppe im Vergleich zum Ausgangswert sank. Reaktionen an der Injektionsstelle traten sowohl bei Injektionen von Lenacapavir als auch bei Placebo auf. 

Experten schätzen Lenacapavir als Game Changer ein 

In einem Press Briefing des deutschen Science Media Centers diskutierten Expertinnen und Experten über die Ergebnisse von PURPOSE 1 und PURPOSE 2 und die mögliche Bedeutung von Lenacapavir für die HIV-PrEP.

Dr. Astrid Berner-Rodoreda, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Heidelberg Institute of Global Health, Universitätsklinikum Heidelberg, erklärte, dass es bei der Behandlung der HIV-Infektion viele Fortschritte gebe, in der Prävention hingegen nur wenige. Ziel sei es, die Aids-Epidemie bis 2030 zu beenden, dazu müssten aber deutlich mehr Menschen eine PrEP erhalten. Lenacapavir sei für viele ein Game Changer, weil nur zwei Injektionen im Jahr notwendig sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der PrEP, aber nicht jede Methode sei für jeden gleich nützlich. Die orale PrEP mit der täglichen Einnahme sei für viele aus unterschiedlichen Gründen schwierig umzusetzen.

Auch Prof. Dr. Max von Kleist, Leiter der Forschungsgruppe „Mathematics for Data Science“, Freie Universität Berlin, erklärte, dass es wichtig sei, bei der PrEP viele verschiedene Optionen zur Verfügung zu haben. Gerade bei Cisgender- Frauen bestünden bei der klassischen PrEP Probleme bezüglich der täglichen Einnahme. Welche PrEP grundsätzlich effizienter ist, kann man laut dem Experten nicht in klinischen Studien herausfinden. Dass Lenacapavir z. B. in PURPOSE 1 effizienter war als die orale PrEP, liege daran, dass ein großer Teil der Probanden die täglich einzunehmenden Tabletten gar nicht eingenommen habe. „Truvada® ist zwar effizient, wenn es täglich eingenommen wird, aber es wird eben nicht täglich eingenommen und das ist genau diese Lücke, die geschlossen wird“, so Kleist.

Ein Problem könnte laut Kleist bei der PrEP mit Lenacapavir die Neuentstehung von Resistenzen sein, wenn Personen die PrEP absetzen und sich dann mit HIV infizieren. Nach dem Absetzen von Lenacapavir sei dieses noch ein Jahr im Blut nachweisbar, ein Szenario, bei dem der Wirkstoff nicht mehr komplett vor der Infektion schütze, aber gleichzeitig eine Wirkstoffkonzentration im Körper vorhanden sei, die womöglich eine Resistenzentstehung der Viren fördern könne, wenn es zur Infektion mit HIV kommt. In der Praxis müsste jemand, der die PrEP mit Lenacapavir absetzt, für ein Jahr Truvada® einnehmen.

Und was wird die Therapie kosten? Darüber kann man aktuell nur spekulieren. Laut Berner-Rodoreda ist eine Therapie mit Lenacapavir in der HIV-Behandlung mit rund 42.000 US-Dollar jährlich sehr hochpreisig. Bisher hat der Hersteller Gilead bekannt gegeben, dass er mit sechs Firmen freiwillige Lizenzverträge abgeschlossen hat und ein Lizenzgebiet von 120 Ländern bekannt gegeben. Doch es seien einige Länder mit mittlerem Einkommen nicht in den Lizenzgebieten vertreten wie Argentinien, Brasilien, Mexiko und Peru. Diese Länder wurden aber in PURPOSE 2 eingeschlossen. Das werfe ethische Fragen auf und Gilead müsse bei Ländern mit mittlerem Einkommen nochmal nachbessern. Sonst sieht Berner-Rodoreda schwarz für viele Länder, für die das Produkt sehr wichtig sei.

Ob Gilead das Präparat in Erwägung für den deutschen Markt zieht, sei nicht klar. Aber selbst wenn es hier zur PrEP zugelassen und verfügbar wird, sei nicht klar, ob die gesetzlichen Krankenkassen das Präparat erstatten werden. 


Julia Stützle, Apothekerin und Volontärin


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