Rückblick Inkretinmimetika

Semaglutid und Co. auf neuen Wegen

Stuttgart - 02.01.2025, 15:15 Uhr

Die Glutide machten sich 2024 auf den Weg, um neue Indikationen zu erobern.(Foto: S.Kobold/AdobeStock)

Die Glutide machten sich 2024 auf den Weg, um neue Indikationen zu erobern.
(Foto: S.Kobold/AdobeStock)


Welchen Siegeszug die Glucagon-like-Peptide-1(GLP-1)-Rezeptoragonisten antreten würden, ahnte wohl niemand, als Exenatid 2006 in Deutschland zugelassen wurde. Bereits 2023 war gezeichnet von Semaglutid und Co. 2024 „brachen“ die GLP-1-Agonisten zu noch mehr Indikationen auf.

Es geht Schlag auf Schlag bei den Inkretinmimetika: Semaglutid (Ozempic®) wurde 2018 in der EU zuerst als Antidiabetikum zugelassen, 2022 folgte unter dem Handelsnamen Wegovy® dann die Indikationserweiterung zum Gewichtsverlust. Noch im selben Jahr wurde das dual an GLP-1- und GIP(Gastric-­Inhibitory-Peptide)-Rezeptoren wirkende Tirzepatid (Mounjaro®) bei Typ-2-Diabetes zugelassen, 2023 folgte die Indikations­erweiterung des Twin­cretins zum Gewichtsmanagement. In welchen weiteren Indikationen die Inkretin­mimetika wirken könnten, war oft Thema in 2024. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, wie stark ein Gewichtsverlust durch die Glutide entscheidend für die positiven Auswirkungen auf eine Erkrankung ist oder ob auch andere Mechanismen eine Rolle spielen.

Aufbruch ins Gehirn

Zum Beispiel wird eine neuroprotektive Wirkung der GLP-1-Agonisten am GLP-1-Rezeptor im Gehirn diskutiert, die unter anderem bei der Parkinson-Erkrankung relevant sein könnte. 2017 wurde in einer Publikation im Lancet über positive Daten von Exenatid bei Parkinson berichtet. 2024 wurde auch für Lixisenatid gezeigt, dass es sich bei Parkinson-Erkrankten im Frühstadium positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt: Die Motorik-Scores der Patienten blieben unter dem Inkretinmimetikum konstant, während die Krankheit in der Kontrollgruppe voranschritt (DAZ 20, S. 28). Laut einem Experten beschränkt sich die Wirkung aber auf Exenatid und Lixisenatid, da Lira­glutid und Semaglutid nicht ins zentrale Nervensystem aufgenommen würden. Trotzdem gibt es Hinweise, dass Semaglutid bei einigen Sucht­erkrankungen wie einer Alkoholkonsum­störung zentral wirkt (s. Abschnitt „Hoffnung in der Suchtmedizin“), es wird postuliert, dass Alkohol die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger mache.

Das Herz für sich gewonnen

2024 stellte sich Semaglutid auch als Sieger der Herzen heraus und punktete bei Herzinsuffizienz (DAZ 21, S. 26 und DAZ 23, S. 67). Bei der Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (heart failure with reduced ejection fraction, HFrEF) kommen nach der ESC-Leitlinie 2021 vier Basisarzneimittel gemeinsam zum Einsatz: ACE-Hemmer, Betablocker, Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten und Sodium-Glucose-Transporter-2(SGLT-2)-Inhibitoren. Durch die Kombination von vier Wirkstoffen werden verschiedene Signalwege adressiert.

Mager hinsichtlich der Therapie­möglichkeiten sieht es hingegen bei der Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (Heart Failure with preserved Ejection Fraction, HFpEF) aus, bei der die linksventrikuläre Auswurffraktion ≥ 50% ist. Hier sind SGLT-2-Inhibitoren die einzige Arzneistoffgruppe mit Potenzial. Zumindest bisher, denn die Daten von Studien zeigten, dass Sema­glutid bei HFpEF wirksam sein könnte. So wurde bereits 2023 in der von Novo Nordisk finanzierten Phase-III-Studie (STEP HFpEF) gezeigt, dass die medikamentöse Gewichtsreduktion mit Sema­glutid bei adipösen HFpEF-Patienten die Symptomatik verbesserte. 2024 lagen nun die Ergebnisse der zweiten Phase-III-Studie (STEP HFpEF DM) mit adipösen Typ-2-Diabetikern vor. Die Ergebnisse zeigten: Trotz geringerer Gewichtsabnahme bei Typ-2-Diabetikern mit Adipositas besserte das Inkretinmimetikum die Herzschwäche, was anhand Herzinsuffizienz-bezogener Symptome und verschiedener Funktionsparameter bewertet wurde. Die Ergebnisse könnten darauf hinweisen, dass nicht nur Gewichtsverlust allein Symptome einer Herzinsuffizienz verbessern, sondern auch direkte kar­diale Effekte der GLP1-Agonisten.

Auf die Nieren erfolgreich geprüft

Bei chronischer Nierenerkrankung zeichnet sich ab, dass sich die Anwendung von Semaglutid positiv auswirkt. Das wurde unter anderem 2024 in der Phase-III-Studie FLOW (DAZ 27, S. 36) gezeigt. So reduzierte die Anwendung von Semaglutid das Risiko für schwerwiegende Komplikationen der Nierenerkrankung um 24%. Außerdem wurde das nierenbedingte und kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko von Typ-2-­Diabetikern mit einer chronischen Nierenerkrankung gesenkt. Beim Wirkmechanismus werden neben indirekten positiven Effekten auf Risikofaktoren wie den HbA1c-Wert oder den Blutdruck auch direkte Effekte auf die Nieren diskutiert: Semaglutid könnte Entzündungsvorgängen, oxidativem Stress und Fibrosierungen in den Nieren entgegenwirken. Eine Gewichts­reduktion scheine wenig zu dem reduzierten Risiko beizutragen.

Rückschlag im Juli

Auf dem Weg nach oben läuft es nicht immer reibungslos: So gab es im Sommer 2024 einen Rückschlag für die Glutide. Hersteller Novo Nordisk hatte einen Zulassungsantrag bei der europäischen (EMA) und amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) für eine Indikationserweiterung von Sema­glutid (Wegovy®) zur Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse gestellt, denn auch hier zeigte sich das Glutid als vielversprechend. Die FDA gab im März 2024 grünes Licht, nicht so die EMA. Sie sprach sich im Juli gegen eine Indikationserweiterung für Semaglutid in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus.

Hoffnung in der Suchtmedizin

Dass unter Semaglutid und Tirzepatid nicht nur die Kühlschranktür geschlossen bleibt, sondern auch die Weinflasche oder die Zigaretten­packung, beobachten mittlerweile auch Ärzte bei ihren Patienten, schreibt Tony Daubitz in DAZ 43, S. 50. So deuten die Ergebnisse aus Tierversuchen darauf hin, dass GLP-1-Agonisten das Suchtverhalten beeinflussen können: Nager konsumieren deutlich weniger Alkohol, Nicotin, Cocain oder Heroin. Doch wie sieht es beim Menschen aus? Eine Interventionsstudie, in der Liraglutid (Saxenda®) an 27 Patienten mit Opioidkonsum­störung getestet wurde, endete 2023. Die Veröffentlichung der Ergebnisse steht zwar noch aus, doch verkündeten die Wissenschaftler bereits auf der Jahres­tagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) Anfang 2024, dass das Inkretinmimetikum das Craving der Probanden um 40% reduzierte. Für eine Cannabis-­Abhängigkeit legen internationale Kohortendaten nahe, dass Semaglutid die Neudiagnose oder wiederkehrende Diagnose einer solchen Abhängigkeitsstörung um 50 bis 60% reduzierte. Die einzige randomisierte, kontrollierte Studie mit Exenatid, in der Alkoholkonsum unter GLP-1-­Agonisten untersucht wurde, endete hingegen erfolglos. Allerdings ruhen die Hoffnungen auf potenteren Vertretern wie Sema­glutid. Im November 2024 konnte in einer schwedischen Studie gezeigt werden, dass das Risiko von Krankenhauseinweisungen unter Semaglutid und Liraglutid bei Patienten mit einer Alkoholkonsumstörung im Vergleich zu Standardmedikationen deutlich reduziert werden konnte (DAZ 50, S. 31). Eindeutige Antworten, ob die Glutide in der Suchtmedizin Hype oder Hoffnung sind, können nur randomisierte, kontrollierte Studien liefern, von denen derzeit gleich mehrere laufen.

Auch in vielen weiteren Indikationen werden Inkretinmimetika erforscht, beispielsweise bei Morbus Alzheimer, der Fettlebererkrankung MASH oder bei der Schlafapnoe. Ob sie Erfolg haben und auch diese Indikationen erobern werden, wird sich in der Zukunft zeigen.


Julia Stützle, Apothekerin und Volontärin


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