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Arzneimittel und Therapie
Therapiestandards und Neuentwicklungen bei Darmkrebs
Jedes Jahr erkranken in Deutschland zwischen 50000 und 55000 Menschen an Kolorektalkarzinomen, etwa 25000 sterben daran. Damit ist das Kolorektalkarzinom die zweithäufigste Krebstodesursache bei Frauen und die vierthäufigste bei Männern.
Standardtherapien
Keine Aussicht auf Heilung haben bisher Patienten, die mit metastasierter Erkrankung in die Klinik kommen. Bei ihnen wird eine palliative Therapie mit den Zielen Symptomkontrolle und Lebensverlängerung durchgeführt.
Nicht alle Patienten mit lokal begrenztem Tumor werden durch die Operation allein geheilt. Rund ein Drittel entwickelt Rezidive in unterschiedlichen Organsystemen. Daher werden Patienten mit lokal begrenzten, fortgeschrittenen Kolorektalkarzinomen nachbehandelt, und zwar nach folgenden Standardempfehlungen:
- Rektalkarzinom: Chemotherapie mit Fluorouracil-Bolus, anschließend Radiotherapie plus Chemotherapie mit Fluorouracil-Bolus, schließlich erneut Chemotherapie mit Fluorouracil-Bolus.
- Kolonkarzinom: Chemotherapie mit Fluorouracil und Folinsäure. Eine Nachbestrahlung ist nicht erforderlich, da Lokalrezidive beim Kolonkarzinom keine große Rolle spielen.
Beim metastasierten Kolorektalkarzinom war es bis Anfang der 90er Jahre umstritten, ob man überhaupt behandeln soll. Heute weiß man, daß Fluorouracil die mediane Überlebenszeit verlängert und die Lebensqualität der Patienten verbessert. Höhere Remissionsraten als Fluorouracil allein erzielt die Kombination mit Folinsäure. Eine Fluorouracil-Dauerinfusion erhöht die Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber einer Bolusgabe noch.
Die Dauerinfusion von Fluorouracil ist mit Hilfe von implantierbaren Port-Systemen und tragbaren Pumpen auch ambulant möglich. Die erhöhte Wirksamkeit der Infusion im Vergleich zum Bolus ist nicht nur in der metastasierten, sondern auch in der adjuvanten Therapiesituation nachgewiesen.
Orale Fluorouracil-Analoga
Zu den wichtigsten neuen Substanzen für die Chemotherapie des Kolorektalkarzinoms gehören die oralen Fluorouracil-Analoga Capecitabin und UFT (Mischung aus Tegafur und Uracil). Beide sind in einigen europäischen Ländern bereits zugelassen. Fluorouracil selbst kann wegen seines hohen und interindividuell sehr variablen First-pass-Effekts (durchschnittlich etwa 70 bis 80%) nicht oral verabreicht werden. UFT wird erst in der Leber zu Fluorouracil aktiviert. Bei UFT handelt es sich um eine Mischung aus Tegafur (Ftorafur(r)) und Uracil. Uracil wirkt als kompetitiver Hemmstoff des Fluorouracil-abbauenden Enzyms und erhöht so die Bioverfügbarkeit von Fluorouracil. Capecitabin wird stufenweise zu Fluorouracil aktiviert, und zwar bevorzugt im Tumorgewebe. Eine typische Nebenwirkung von Capecitabin ist das Hand-Fuß-Syndrom, bei dem Handflächen und Fußsohlen gerötet sind.
Thymidilat-Synthetase-Inhibitoren
Eine weitere Gruppe neuer Zytostatika für die Behandlung des Kolorektalkarzinoms sind die folatanalogen Thymidilat-Synthetase-Inhibitoren, wie Raltitrexed (Tomudex(r)) und LY23 1514. Im Unterschied zu Fluorouracil hemmen sie die Thymidilat-Synthetase spezifisch. Die meisten werden über Membrancarrier in die Zelle aufgenommen und dort konzentriert. Daher genügt eine einmalige Injektion. Raltitrexed ist in Frankreich, Italien und Großbritannien bereits für die Behandlung des Kolorektalkarzinoms zugelassen. Remissions- und Überlebensraten ähneln denen der Standardtherapie mit Fluorouracil plus Folinsäure. Die Vorteile scheinen in der subjektiven Verträglichkeit und der einfachen Anwendung zu liegen. Raltitrexed könnte als Alternative (z. B. bei kardialen Nebenwirkungen), aber auch als Kombinationspartner zu Fluorouracil eingesetzt werden.
Topoisomerase-I-Hemmer Irinotecan
Eine breite Anwendung dürfte auch der neue Topoisomerase-I-Hemmstoff Irinotecan finden. Er ist bereits zugelassen zur Behandlung des Fluorouracil-refraktären Kolorektalkarzinoms. Irinotecan kommt in Zukunft möglicherweise auch für die Primärtherapie in Frage, und zwar zusammen mit Fluorouracil. Irinotecan hat ein spezifisches Nebenwirkungsspektrum:
- Selten tritt ein akutes cholinerges Syndrom noch unter der Infusion oder bis zu 24 Stunden danach auf. Charakteristisch sind Tränen- oder Speichelfluß, Schwitzen, Diarrhö oder Bradykardie. Das Syndrom kann mit Atropin subkutan behandelt werden.
- Weiterhin können Haarausfall, Leukopenie (am vierten bis achten Tag nach der Infusion) oder verspätete Diarrhö auftreten. Die Diarrhö ist relativ häufig. Sie setzt erst nach fünf bis sieben Tagen ein, ist nicht vorhersehbar und nicht kumulativ. Die Patienten sollen beim ersten dünneren Stuhlgang zwei Kapseln Loperamid einnehmen, bei jedem weiteren flüssigen Stuhlgang eine Kapsel. Die zulässige Tageshöchstdosis für Loperamid darf bei dieser Diarrhö überschritten werden. Manche Patienten nehmen bis zu 20 Kapseln am Tag ein. Dauern die Durchfälle länger als 24 Stunden oder tritt gleichzeitig eine Leukopenie auf, muß mit einem Breitspektrumantibiotikum (z. B. einem oralen Gyrasehemmer) behandelt werden. Bei Persistieren der Diarrhö über 48 Stunden oder gleichzeitigem Fieber muß stationär behandelt werden.
Platinderivat Oxaliplatin
Ein neues Platinderivat mit guter Wirksamkeit beim Kolorektalkarzinom ist Oxaliplatin. Es dürfte in Kürze zugelassen werden. Oxaliplatin wird meist zusammen mit Fluorouracil verabreicht und kann in dieser Kombination eine vorbestehende Fluorouracil-Resistenz bei einem Drittel der Patienten rückgängig machen. Häufige Nebenwirkungen unter der Kombination sind Diarrhö und periphere Neuropathien.
Quelle
Dr. med. Andreas Harstrick, Essen, Vortrag "Kolorektales Karzinom", Wissenschaftliche Vortrags- und Fortbildungstagung "Kolorektales Karzinom und Mammakarzinom", Münster, 15. November 1998, veranstaltet von der Apothekerkammer Westfalen-Lippe.
Susanne Wasielewski, Münster
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